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22.03.2010 Dagmar Schipanski, CDU, auf dem Bundesausschuss der CDU in Berlin 22.03.2010 Dagmar Schipanski, CDU, auf dem Bundesausschuss der CDU in Berlin © Stefan Boness/IPON/Süddeutsche Zeitung Photo

Dagmar Schipanski

Landtagspräsidentin, Landesministerin, Rektorin Prof. Dr. 3. September 1943 7. September 2022 Ilmenau
von Dorothea Oelze

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Kindheit in der thüringischen Provinz

Dagmar Schipanski erblickte am 3. September 1943 im thüringischen Sättelstädt das Licht der Welt. Ihren Vater Heinrich Eichhorn, einen evangelischen Pfarrer, lernte sie nie kennen. Er fiel bereits ein knappes Jahr nach ihrer Geburt als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Ihre Mutter Käthe Eichhorn zog mit ihrer Tochter auf den großelterlichen Bauernhof. Als sie 1949 in zweiter Ehe einen kaufmännischen Angestellten heiratete, zog die Familie nach Ilmenau, wo Dagmar Schipanski zur Schule ging. Obwohl sie gute schulische Leistungen vorweisen konnte, wurde sie wegen ihrer bürgerlichen Herkunft zunächst nicht zur Oberschule zugelassen. Erst nach drei Monaten gelang es ihren Eltern, sie in der Oberschule unterzubringen. Die inzwischen begonnene Sekretärinnen-Ausbildung brach sie ab.

 

Akademische Laufbahn

Nach ihrem Abitur 1962 entschied sich Schipanski für das Studium der angewandten Physik, weil ihr Naturwissenschaften, im Gegensatz zu den ideologisch durchdrungenen Geisteswissenschaften, verhältnismäßig unabhängig vom Diktum der SED erschienen. Sie studierte an der Technischen Hochschule Magdeburg und unternahm zahlreiche Forschungsreisen ins kommunistische Ausland. So erhielt sie unter anderem Einblicke in die Lebens- und Arbeitsverhältnisse in Ungarn, der Tschechoslowakei, Bulgarien und der Sowjetunion, wo sie Moskau und Nowosibirsk besuchte.

1967 machte Schipanski ihren Abschluss als Diplomingenieurin. Es folgten 1976 die Promotion und 1985 die Habilitation. Weil sie sich weigerte, Parteimitglied der SED zu werden, blieb die Habilitierte im universitären Mittelbau der Technischen Hochschule Ilmenau stecken, eine Professur wurde ihr verwehrt. Parallel zu ihrer wissenschaftlichen Karriere gründete Schipanski eine Familie. 1967 heiratete sie den Diplomingenieur Tigran Schipanski, mit dem sie zwischen 1976 und 1981 drei Kinder bekam.

 

Initialzündung 1990

Die Wiedervereinigung Deutschlands bedeutete auch für Dagmar Schipanski eine Wende, vor allem in beruflicher Hinsicht. 1990 erhielt sie, die politisch unbelastet war, endlich den Ruf zur Professorin für elektronische Bauelemente an der Technischen Hochschule Ilmenau, bereits zwei Jahre später war sie dort Dekanin der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik. Die inzwischen zur Technischen Universität erhobene Hochschule Ilmenau war zu diesem Zeitpunkt zwar klein, genoss jedoch hohes Ansehen. 1995 wurde Schipanski zur Rektorin der Universität gewählt und war damit die erste Rektorin an einer technischen Hochschule in der Bundesrepublik Deutschland.

Die in Fachkreisen sehr angesehene und unabhängige Wissenschaftlerin wurde 1991 Gutachterin für wissenschaftliche Programme der EU. 1992 war sie die einzige ostdeutsche Frau, die dem Wissenschaftsrats der Bundesrepublik Deutschland angehörte. 1995 wurde sie von Bundeskanzler Helmut Kohl in den Rat für Forschung, Technologie und Innovation berufen. 1996 übernahm sie als erste Frau die Leitung des Wissenschaftsrates. Um sich dieser Aufgabe widmen zu können, legte Schipanski das Rektorat der Technischen Universität Ilmenau vorübergehend nieder. An der Spitze des Wissenschaftsrats war sie maßgeblich am Umbau des ostdeutschen Wissenschaftsbetriebs und an der Vereinigung der west- und ostdeutschen Forschungslandschaft beteiligt.

 

Überraschungskandidatin für das höchste Amt im Staate

Nach ihrer turnusmäßigen Ablösung an der Spitze des Wissenschaftsrates 1998 kehrte Schipanski nicht wieder an die Universität zurück. Zur Bundestagswahl 1998 mischte sich die Wissenschaftlerin, die mehr als 100 Fachbeiträge vorgelegt und neun Patente angemeldet hatte, erstmals in die Bundespolitik ein. Zusammen mit fünf weiteren Professoren unterschrieb sie einen Wahlaufruf für Helmut Kohl. Der thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel schlug sie noch im gleichen Jahr für das Amt des Bundespräsidenten vor, dessen Wahl 1999 anstand. Da Dagmar Schipanski über den Wissenschaftsbetrieb hinaus kaum bekannt war, überraschte ihre Nominierung selbst viele Mitglieder der CDU. In Auseinandersetzung mit ihrem von der rot-grünen Mehrheit der Bundesversammlung favorisierten Kontrahenten Johannes Rau gab sie sich bescheiden und betonte ihre Fähigkeit zur Integration der ostdeutschen Länder. Die zu erwartende Niederlage im zweiten Wahlgang war ein Achtungserfolg für Schipanski. Nach der Wahl warben die Ministerpräsidenten von Sachsen und Thüringen um ihre Mitarbeit im Landeskabinett.

 

Wissenschaftsministerin in Thüringen

Nachdem die CDU bei der Landtagswahl in Thüringen die absolute Mehrheit erreicht hatte, zog die noch immer parteilose Dagmar Schipanski bereits im September 1999 als neue Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst in die Landesregierung ein. Zugleich wurde sie als potentielle Nachfolgerin des bereits 67-jährigen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel gehandelt.

Im Zuge der Glaubwürdigkeitskrise der CDU in der Parteispendenaffäre entschied sich Schipanski im Frühjahr 2000 für den Beitritt zur Partei. Obwohl sie grundsätzlich ihre „geistige Freiheit vollständig bewahren“ wollte, hoffte sie, so der Regierungspartei zu „neuer Glaubwürdigkeit“ verhelfen zu können (Interview mit der ZEIT, 17.02.2000). Wenige Wochen später wurde die Neueinsteigerin mit dem besten Abstimmungsergebnis in das CDU-Präsidium gewählt.

Als Wissenschaftsministerin förderte Schipanski vor allem die Kooperation des westdeutschen Wissenschaftssektors mit dem der ostdeutschen Länder und den Ländern Osteuropas. Sie forderte die Flexibilisierung des Bildungs- und Ausbildungssystems zur besseren Koordinierung von Wirtschaft und Wissenschaft sowie einen öffentlichen Diskurs von Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft – ein Anliegen, das sie als Präsidentin der Deutschen Krebshilfe e.V. (2000 bis 2009) praktisch umsetzen konnte. Gerade vor dem Hintergrund ihrer eigenen Biografie setzt sie sich auch für die Förderung von Ganztagsschulen ein, ohne allerdings den Eltern die „Lufthoheit“ über ihre Kinder abzusprechen (Interview mit der Berliner Zeitung, 07.03.2003).

2002 übernahm sie die Leitung der Kultusministerkonferenz, wo sie vor allem mit den unmittelbaren Auswirkungen der Pisa-Studie konfrontiert wurde, die deutschen Schülern im Jahr 2000 nur mittelmäßige Leistungen und Kompetenzen attestiert hatte. Während ihrer Präsidentschaft erarbeiteten die Länder als Antwort auf die Pisa-Studie gemeinsame Bildungsstandards, die auf föderal Weg erreicht werden sollen.

 

Neue Aufgabengebiete

Nach dem Rücktritt Bernhard Vogels vom Amt des Ministerpräsidenten im Jahr 2003 verblieb Schipanski zunächst auch unter dessen Nachfolger Dieter Althaus im Kabinett. Als es allerdings nach der Landtagswahl 2004 zur Neubildung der Landesregierung kam, zeigte sich, wie schmal die Hausmacht der stets auf Unabhängigkeit bestehenden politischen Senkrechtstarterin war. Sie war nicht mehr für die Landesregierung vorgesehen, sondern wechselte, nachdem sie nun erstmals auch Abgeordnete des Landtags war, ins Amt der Landtagspräsidentin, das sie bis 2009 ausübte. 2006 musste sie auch ihren Sitz im CDU-Präsidium an Althaus abtreten.

Noch im gleichen Jahr wurde sie allerdings in den CDU-Bundesvorstand gewählt, und ein Jahr darauf mit der Leitung der neu ins Leben gerufenen CDU-Kommission „Neue Bundesländer – Stand der Deutschen Einheit“ betraut. Diese sollte 20 Jahre nach dem Fall der Mauer den Stand des Zusammenwachsens von Ost und West untersuchen.

Im Jahr 2010 nominierte der CDU-Landesverband Thüringen Dagmar Schipanski erneut für einen Sitz im CDU-Bundesvorstand, eine Kandidatur, der 77 Prozent der Delegierten auf dem CDU-Bundesparteitag in Karlsruhe zustimmten. Neben ihrer politischen Tätigkeit nahm sie zahlreiche Ehrenämter wahr.

Am 7. September 2022 verstarb Dagmar Schipanski in Ilmenau nach kurzer, schwerer Krankheit.

Lebenslauf

  • 05.09.1943 geboren im thüringischen Sättelstädt
  • 1949 Umzug nach Ilmenau
  • 1962 Abitur und Immatrikulation im Fach Physik an der Technischen Hochschule Magdeburg
  • 1967 Abschluss zur Diplom-Ingenieurin, Assistentin an der Technischen Hochschule Ilmenau
  • 1976 Dissertation zum Thema: Zur Anwendbarkeit abgeschiedener Isolatorschichten für die Germanium-Planartechnik
  • 1985 Habilitation: Beiträge zur Technologiecharakterisierung mittels MIS-Strukturen in Verbindung mit der Entwicklung von integrierten DMOS-Transistoren für Hochfrequenz- und Hochspannungsanwendungen
  • 1990 Ernennung zur Professorin für Festkörperelektronik an der Technischen Hochschule Ilmenau
  • 1992 Dekanin der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik an der Technischen Universität Ilmenau
  • 1995–1996 Rektorin der Technischen Universität Ilmenau
  • 1996–1998 Vorsitzende des Wissenschaftsrates der Bundesrepublik Deutschland
  • 1999 Kandidatin der CDU/CSU für das Amt des Bundespräsidenten
  • 1999–Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Thüringen
  • 2000 Eintritt in die CDU
  • 2000–2006 Mitglied im Präsidium der CDU
  • 2002–2003 Präsidentin der Kultusministerkonferenz
  • 2004–2009 Präsidentin des Thüringischen Landtags
  • 2006–Jan. 2022 Mitglied im Bundesvorstand der CDU
  • 2007–2009 Vorsitzende der CDU-Kommission "Neue Bundesländer - Stand der deutschen Einheit"
  • 2011–2015 Rektorin des Studienkollegs zu Berlin

 

Ehrungen und Auszeichnungen (Auswahl):

  • 1996 Bundesverdienstkreuz 1. Klasse
  • 1999 Frau des Jahres
  • 2000 Preis der Frauen Europas
  • 2002 Courage-Preis für Engagement zur Förderung des Bildungs- und Wissenschaftsstandorts Deutschland
  • 2010 Soroptimist International Deutschland Förderpreis für das Projekt „Thüringer Koordinierungsstelle Naturwissenschaften und Technik für Schülerinnen, Studentinnen und Absolventinnen“
  • 2011 Hans-Olaf-Henkel-Preis der Wissenschaftsgemeinschaft Leibniz
  • 2013 Ehrensenatorin der TU Ilmenau

 

Mitgliedschaften und Ehrenämter:

  • 1991 Gutachterin der EU für wissenschaftliche Programme
  • 1992–1998 Mitglied des Wissenschaftsrates Deutschland
  • 1995–1998 Mitglied des Rates für Forschung, Technologie und Innovation beim Bundeskanzler
  • 1998–2003 Mitglied der UNESCO-Weltkommission für Ethik in Wissenschaft und Technologie
  • 2001–2007 Mitglied des Internationalen Beirats der Universität der Vereinten Nationen, Tokio, Japan
  • seit 2001Stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, Frankfurt am Main
  • 2003–2015 Mitglied des „Kuratoriums für die Tagungen der Nobelpreisträger in Lindau“
  • seit 2003 Vorsitzende der Lennart-Bernadotte-Stiftung, Insel Mainau
  • seit 2005 Mitglied des Kuratoriums des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie, Ilmenau
  • Seit 2007 Mitglied des Kuratoriums der Internationalen Martin-Luther-Stiftung, Erfurt
  • 2009–2015 Mitglied des Präsidiums der Niedersächsischen Technischen Hochschule
  • seit 2015 Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Roman-Herzogs-Instituts, München

 

Veröffentlichungen

  • Schipanski, Dagmar: Zur Anwendbarkeit abgeschiedener Isolatorschichten für die Germanium-Planartechnik, Diss., Ilmenau 1976.
  • Schipanski, Dagmar: Beiträge zur Technologiecharakterisierung mittels MIS-Strukturen in Verbindung mit der Entwicklung von integrierten DMOS-Transistoren für Hochfrequenz- und Hochspannungsanwendungen, Ilmenau 1985.
  • Schipanski, Dagmar: Reden, Vorträge und Statements der Vorsitzenden des Wissenschaftsrates 1996-1998, Köln 1998.
  • Dreißig Thesen zur deutschen Einheit, hrsg. v. Dagmar Schipanski und Bernhard Vogel Freiburg im Breisgau–Basel–Wien 2009.
  • Schipanski, Dagmar: Impulse für die Zukunft. Chancen und Normen einer globalisierten Gesellschaft, Leipzig 2002.

 

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