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Die Welt der Autonomen

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Die autonome „Szene“ ist ein Stück weit auch als Jugendbewegung verstehbar. Das Einstiegsalter liegt bei 16 bis 17 Jahren, eine autonome „Karriere“ endet in der Regel mit Mitte 20, was nicht bedeutet, dass dann auch die mit ihr verbundenen Einstellungen abgelegt werden. In der autonomen „Szene“ sind feste und auf Dauer organisierte Gruppen selten, sie bilden sich eher entlang bestimmter Kampagnen- und Protestthemen.

Trotz seines unangepassten Erscheinungsbildes ist der Durchschnittsautonome formal eher höher gebildet, er studiert oft oder befindet sich in der Ausbildung. Er jobbt oder arbeitet in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Reguläre Erwerbsarbeit zählt nicht gerade zu seinen Lebenszielen, sein Lebensunterhalt sieht eher anders aus: „Praktisch heißt das, hier ein bisschen BAföG oder Arbeitslosenunterstützung, klauen, dort ein bisschen Obst von Kaisers, keine Miete mehr zahlen, jedes Jahr ein kleiner Versicherungsbetrug“ (1). Kleinkriminalität als häufige Erscheinung in der Szene lässt sich politisch begründen als Schädigung des verhassten „Schweinesystems“, Klauen und Plündern („proletarischer Einkauf“) werden als Formen von „Widerstand“ und als Formen von Selbstverwirklichung gesehen.

„Autonom“, also dem Anspruch nach „selbstbestimmt“ zu sein, bedeutet zwar einerseits, dass die „etablierten“ Normen und Verhaltensmuster der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt werden. Andererseits existiert ein Set von ungeschriebenen „autonomen Grundsätzen“, nach denen man sich in der Szene verhalten muss, um akzeptiert zu werden. Solche Normen wie Selbstbestimmtheit oder Solidarität verstehen Autonome als direkt der Mehrheitsgesellschaft entgegengesetzt. Der Autonomen-Slogan „Gefühl und Härte“ strukturiert ein solches Weltbild. Darin ist „Gefühl“ reserviert für „unsere Zusammenhänge“, in denen es angeblich stets menschlich, solidarisch und gewaltfrei zugeht. „Härte“ empfinden Autonome für das „Schweinesystem“, mit dem sie alles verbinden, was ihnen negativ erscheint. Der zentrale Wert der „Selbstbestimmtheit“ erweist sich aber in der Praxis als problematisch. Denn wenn alle „autonom“ sind, bedeuten schon Mehrheitsentscheidungen „Fremdbestimmung“ und „Repression“ von Minderheiten, und so wird in Streitfragen in der Szene oft überhaupt nicht entschieden. Darunter leiden funktionierende Strukturen, berechenbare und Sicherheit gebende Abläufe und schließlich auch menschliche Rücksichtnahme – was bis hin zur Gewalt untereinander führt.

Zudem herrscht in der Szene eine stete Spitzelangst, die sich in grassierendem Misstrauen niederschlägt. Nachnamen sind verpönt, aufdringliche Fragen und Neugier verdächtig. Als besonders „cool“ gilt, wer mit dem Nimbus des altgedienten, verschwiegenen „Streetfighters“ ausgestattet und somit zu einem der informellen Platzhirsche der „Szene“ aufgestiegen ist. Auch mit der reklamierten Offenheit der Szene ist es nicht so weit her. Zwar kann jedermann zu den „Vollversammlungen“ (für weibliche Teilnehmer gibt es eigene segregierte „FrauenLesbenPlena“) gehen, doch wird ihm ohne persönliche Bekanntschaft mit den tonangebenden Personen Misstrauen entgegenschlagen. Viele Szenezusammenhänge kennen neben einer relativ offenen Struktur geschlossene Zirkel. Deren Zweck ist klar: Hier werden die „klandestinen Actions“, also die im Geheimen vorbereiteten und durchgeführten, stets strafbaren Anschläge gegen Repräsentanten, Einrichtungen und Symbole des verhassten „Schweinesystems“ ausgeheckt (siehe auch Autonomer-Szene-Jargon und Wie stehen Linksextremisten zur Gewalt als Mittel der Politik?). Solche Anschläge müssen in die Szene oder in ein vermutetes Sympathisantenumfeld hinein „vermittelbar“ sein. Das passiert in Erklärungen via Internet oder in Szenezeitschriften. Die „Actions“ erstrecken sich auf eine Palette, die vom Farbbeutelwurf gegen eine Fassade über eine „Entglasungsaktion“ bis hin zum „Abfackeln“ (Brandanschlag) reicht. „Militanz“ im Sinne von physischer Gewaltausübung gehört zum Selbstverständnis des autonomen Milieus und markiert zugleich die Grenze zu anderen, eher linksalternativen Subkulturen.

Auch deshalb ist das Leben in solchen Szenen ziemlich anstrengend. Was immer man/frau will, es könnte die Autonomie des benachbarten Individuums tangieren und deshalb erklärungsbedürftig sein. Wo Diskussionen aber nicht zur Einigung führen, bleiben Unterwerfung, Flucht oder Gewalt. Individuelle Fluchtwege bestehen häufig in illegalen Drogen und Alkohol – beides wird in der Szene als Moment der „Selbstbestimmung“ akzeptiert, auch wenn bei „militanten Aktionen“ ein Übermaß an „Alk“ gelegentlich als kontraproduktiv kritisiert wird. Gewalt in die eigene Szene hinein gilt an sich als unzulässig. Gelingt es aber, das Opfer als Spitzel, Verräter oder Bestandteil des „Schweinesystems“ darzustellen, geht sie in Ordnung, und mit der Solidarität ist dann sofort Schluss. Die Sanktionen bei Verstößen gegen „unsere Zusammenhänge“ können sozial vernichtend sein: Der Betroffene wird sozial isoliert und geächtet, darf sich in der Szene nicht mehr blicken lassen.

Das passiert allerdings nur in Einzelfällen. Motivierend für den Ausstieg oder den Umstieg an den Rand des linken Milieus sind im Allgemeinen eher Familiengründungen, das Bedürfnis nach sozialer Sicherheit, berufliche Etablierung und manchmal auch die Einsicht, dass das Ungeziefer in der „Volxküche“ (siehe auch Autonomer-Szene-Jargon) dann doch kein ständiger Begleiter kulinarischer Bedürfnisse sein muss.

Rudolf van Hüllen

(1) „Radikal“ Nr. 100, 1/1982, S. 14.

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