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Welche Formen von Rechtsextremismus gibt es?

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„Den“ Rechtsextremismus, eine Unterform des Extremismus, zu dem auch Linksextremismus und politisch-religiös ausgerichteter Fundamentalismus (wie z.B. der Islamismus) gehören, gibt es nicht. Er kann sich in vielerlei Formen in der Wirklichkeit niederschlagen.

Wird nach den Zielen unterschieden, lässt sich etwa zwischen neonationalsozialistischen (rassistischen) und deutsch-nationalen (nationalistischen) Strömungen differenzieren, wobei die Grenzen fließend sein können. Jeder Neonationalsozialist ist ein Rechtsextremist, aber nicht jeder Rechtsextremist ein Neonationalsozialist.

Fragt man nach der Art der Mittel, so stehen den Befürwortern strikter Legalitätstaktik, die sich innerhalb der gesetzlichen Ordnung bewegen, am anderen Ende Terroristen gegenüber, die Gewalt nicht nur befürworten, sondern auch anwenden (siehe auch Rechtsterrorismus). Dazwischen sind jene Positionen angesiedelt, die Gewalt zwar prinzipiell gutheißen, sie aber z.B. aus taktischen Erwägungen nicht einsetzen.

Die Frage nach dem Intensitätsgrad ist ebenso ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal. Zwar ist – von der Wortbedeutung her – Extremismus ein nicht steigerbarer Superlativ, aber gleichwohl gibt es im antidemokratischen Intensitätsgrad Unterschiede. So ist etwa die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) eine Partei des „harten“ Rechtsextremismus (siehe auch Die „neue“ NPD als Zentrum des parteipolitischen Rechtsextremismus), die „Pro“-Formationen mit ihrer antiislamistischen Prägung verkörpern eher einen „weichen“ Extremismus (siehe auch Die „Pro“-Parteien). Dabei muss kein enger Zusammenhang zwischen dem Intensitätsgrad des Extremismus und seiner politischen Gefährlichkeit bestehen. Eine „weicher“ auftretende Gruppe hat nämlich in der Regel sogar die besseren Chancen, Zustimmung beim Wähler zu finden und damit, Einfluss auszuüben. Nicht immer ist die Grenzlinie zwischen extremistisch und nicht-extremistisch klar, zumal in einer Gruppe extremistische Kräfte ebenso beheimatet sein können wie nicht-extremistische. Es handelt sich in der Praxis um ein schwieriges Geltungs- und Abgrenzungsproblem.

Wer die jeweilige Aktions- und Organisationsweise berücksichtigt, kommt zu einer vierfachen Differenzierung. Hauptkriterium für die Aktionsform soll die Frage sein, ob die jeweilige extremistische Gruppierung Gewalt anwendet, Hauptkriterium für die Organisationsform, ob ein fester Zusammenschluss besteht:

  1. Der fest organisierte und gewalttätige Extremismus, also etwa der Terrorismus des sich selbst so bezeichnenden „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU),
  2. der nur schwach oder kaum organisierte Extremismus, der Gewalt anwendet; insbesondere „Skinheads“ und „Autonome Nationalisten“ auf der einen Seite, der aktionistische Alltagsrassismus auf der anderen Seite (siehe auch Die Neonazi-Szene als „soziale Bewegung“);
  3. der fest organisierte und gewaltlose Extremismus, darunter als bekannteste Kraft die NPD (siehe auch Die „neue“ NPD als parteipolitisches Zentrum des Rechtsextremismus), die freilich die Distanz zum gewalttätigem Vorgehen „befreundeter“ Gruppierungen zuweilen missen lässt);
  4. der weder fest organisierte noch gewalttätige Extremismus, seien es Intellektuelle von rechtsaußen, die den demokratischen Verfassungsstaat zu delegitimieren suchen, seien es rechtsextremistische Einstellungen (siehe auch Was ist „intellektueller Rechtsextremismus“?). Freilich gibt es eine Reihe von Zwischenformen.

Zu Form 1: Unter diese Rubrik fällt der fest organisierte und planmäßig aus dem Untergrund operierende Rechtsterrorismus, der in Deutschland Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre eine gewisse Rolle gespielt hat. Aufgrund seiner schwachen Logistik und Planungsintensität, die weit hinter der linksextremistischen „Roten Armee Fraktion“ (siehe auch Führt Linksextremismus zu Terrorismus?) zurückblieb, wurde er von den Sicherheitsbehörden schnell „aufgerieben“. Die eingangs erwähnte Zelle des NSU, die zwischen 2000 und 2007 nicht nur für zehn Morde und mindestens zwei Sprengstoffanschläge mit zahlreichen Verletzten, sondern auch für zahlreiche Banküberfälle verantwortlich ist, stellt eine neue Dimension des Rechtsterrorismus dar. Sie hat planvoll Gewalttaten begangen, ohne Selbstbezichtigungsschreiben zu hinterlassen. Nach dem Bekanntwerden der Morde im November 2011 war dies ein Schock für die Gesellschaft. Sie stellt sich der Aufarbeitung und fragt, wie das geschehen konnte – die Mordserie und das Nichterkennen der rassistischen Motive.

Zu Form 2: Hierzu zählen die heute eine deutlich geringere Rolle spielenden „Skinheads“ und die „Autonomen Nationalisten“ (siehe auch „Autonome Nationalisten“), die sich in ihrem Erscheinungsbild den linken Autonomen (siehe auch Die Welt der Autonomen) angleichen. Ihre Aktionen richten sich vielfach gegen „Fremde“ (nicht zuletzt gegen Asylbewerber) und gegen „linke Zecken“. Die Zahl solcher aktionsorientierter Rechtsextremisten war in der ersten Hälfte der 1990er Jahre in die Höhe geschnellt, vor allem in den neuen Bundesländern. Infolge harten staatlichen Vorgehens ging die Zahl der Gewalttaten zurück (auf ca. 1.000 im Jahr). Bei den überwiegend jungen Tätern gab es meistens keinen rechtsextremistischen „Vorlauf“. Häufig lag den kriminellen Handlungen keine langfristige Planung zugrunde, war zudem Alkohol im Spiel. Die Gewaltaktionen sind vielmehr das Produkt einer organisatorisch nicht verfestigten rechtsextremistischen Subkultur. Statistisch erfassbare Unterschiede in der Tatspezifik (z.B. Überwiegen von Landfriedensbrüchen bei den linken Autonomen, zahlreiche Brandanschläge und Körperverletzungen bei Rechtsextremisten) lassen sich zum Teil aus der sozialen Charakteristik der Akteure erklären (z.B. niedriges Durchschnittsalter, niedriger Bildungsstand, Neigung zu körperlicher Gewalt).

Zu Form 3: Bei Parteien bieten sich als Bestimmungsgründe klassische Kriterien wie Ideologie, politische Strategie und Organisation an. Die NPD bekämpft den demokratischen Verfassungsstaat offensiv. Das gilt zumal seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre unter dem damaligen Vorsitzenden Udo Voigt. Mit dem strategischen „Drei“- bzw. „Viersäulenkonzept“ („Kampf um die Köpfe“, „Kampf um die Straße“, „Kampf um die Wähler“, „Kampf um den organisierten Willen“) hat die NPD für Furore gesorgt. Die früher deutschnational orientierte Partei tritt nahezu klassenkämpferisch auf, agitiert gegen den Kapitalismus, die Globalisierung und gegen die USA. Rassistische und völkische Elemente sind wesentliche Bestandteile ihrer Ideologie. Im Dezember 2013 hat der Bundesrat beim Bundesverfassungsgericht einen Verbotsantrag gegen die NPD eingereicht (siehe auch Chancen und Risiken eines NPD-Verbots).

Zu Form 4: Träger dieser Form sind unter anderem Rechtsaußenintellektuelle, die – direkt oder unterschwellig – gegen den demokratischen Verfassungsstaat agitieren. Ihre Zahl ist gering: In intellektuellen Milieus sind rechtsextremistische Denkmuster weithin isoliert. Ein Begriff wie „Neue Rechte“ ist schillernd, weil darunter höchst Unterschiedliches, nicht notwendigerweise Verfassungsfeindliches verstanden wird. Oft dient er dazu, Ideen zu charakterisieren, die sich inhaltlich von dem traditionellen übersteigerten Nationalismus absetzen wollen.

Zu dieser Facette rechtsextremistischer Erscheinungsformen zählt auch der soziologische Rechtsextremismus. Er besteht darin, dass Teile rechtsextremistischer Ideologien, sogenannte „Einstellungsmuster“, auch bei Menschen festgestellt werden können, die weder über ein in sich geschlossenes rechtsextremes Weltbild verfügen, noch sich aktiv in rechtsextremistischen Gruppen engagieren. Damit liegen die „Einstellungsmuster“ am äußersten Rand erkennbarer Formen des Rechtsextremismus. Sie müssen gleichwohl als Warnzeichen für Defizite an demokratischer Kultur ernst genommen werden.

Was die Formen des Rechtsextremismus betrifft, so gibt es zwischen ihnen Schnittmengen. Die einzelnen Varianten treten nicht immer in in reiner Form auf. Zum Beispiel muss nicht jeder Wähler einer rechtsextremistischen Partei auch Extremist sein: Bei der Entscheidung in der Wahlkabine können z.B. auch Protestmotive und der Wunsch, den Regierenden einen „Denkzettel“ zu verpassen, eine Rolle spielen. Deshalb versteht sich, dass der demokratische Verfassungsstaat bei der Bekämpfung des (Rechts-) Extremismus Liberalität und Entschlossenheit zugleich an den Tag legen muss. Dies ist eine Gratwanderung.

Eckhard Jesse

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Felix Neumann

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