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Wie gefährlich ist Rechtsextremismus?

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Rechtsextremismus gilt verbreitet als erhebliche, für manche politisch weit links stehende Warner nicht nur als größte, sondern überhaupt als einzige Gefahr für die demokratische Gesellschaftsordnung. Die Frage, wie gefährlich Rechtsextremismus ist, lässt sich mit einem schlichten Blick auf Mitgliederzahlen rechtsextremer Organisationen und Straftatenstatistiken nicht beantworten.

Für die Gefährlichkeit kommt es zum einen auf den Standpunkt des Betrachters an: Ist er von der Gefahr direkt betroffen oder nicht? Ein zweites Kriterium kann massenhafter Zulauf zu einer demokratiefeindlichen Idee oder Partei sein. Als drittes kommt schließlich die Intensität und Zielrichtung der von ihr möglicherweise ausgeübten Gewalt in Betracht. Denn schließlich gibt es einen „harten“ und einen eher „weichgespülten“ Rechtsextremismus.

Bei Wahlen hat allerdings weder die eine noch die andere Variante in Deutschland Erfolg. Eine nach außen gemäßigt auftretende rechtsextreme Partei mit Wahlerfolgen wie in Frankreich, Österreich oder Belgien gibt es in Deutschland nicht. Die einzige elektoral handlungsfähige rechtsextreme Partei, die NPD, ist im Bundestag nicht vertreten. Sie saß bis zum September 2016 zuletzt lediglich noch in einem von sechzehn Landtagen: in Mecklenburg-Vorpommern mit 6,0 %. Bei der Landtagswahl dort scheiterte sie 2016 an der Fünfprozenthürde und ist seitdem in keinem Landtag mehr vertreten. Gegenüber früheren Landtagswahlen hat die Partei an Zuspruch verloren (2004 in Sachsen 9,2 %; 2006 in Mecklenburg-Vorpommern 7,3 %. Da sie von allen übrigen Parteien konsequent isoliert wird, gehen von ihr keine Gefahren für die Stabilität der Verfassungsordnung aus. In den bevölkerungsstarken westlichen Bundesländern liegen die Wahlerfolge der Partei ohnehin deutlich unterhalb der Fünfprozenthürde.

Betrachtet man die Anhängerzahlen, so gab es Ende 2015 in Deutschland 22.600 in Organisationsstrukturen erfassbare Rechtsextremisten - die von den Verfassungsschutzbehörden erhobenen und von niemandem angefochtenen Zahlen haben demnach nach jahrelangem Rückgang erstmals wieder leicht zugenommen (um 1.600 Personen). Dagegen stehen 26.700 Linksextremisten (im Wesentlichen seit Jahren stagnierend) und fast 44.000 Islamisten (seit Jahren stark zunehmend) (1). Nicht nur ist der Rechtsextremismus damit von allen drei Extremismusphänomenen das zahlenmäßig kleinste - erfreulicherweise liegt der Anteil extremistisch organisierter Menschen in Deutschland insgesamt bei nur 0,25 Prozent der Bevölkerung. Die weitaus meisten Demokratien würden sich glücklich schätzen, wären sie in einer solchen Situation. Allerdings verraten die Mitgliederzahlen nicht alles: Schaut man in die jüngere Vergangenheit, so findet man für 1995 47.500 Rechtsextremisten (2), an der Jahrtausendwende fast 51.000 (3) und 2005 39.000 (4). Damals waren noch die Parteien „Republikaner“ (heute nahezu bedeutungslos) und „Deutsche Volksunion“ (DVU, inzwischen zerfallen) in der Statistik vertreten - beides reine Wahlvereine ohne herausragende Aktivitäten. Der Rechtsextremismus in Deutschland ist also heute zwar zahlenmäßig geschrumpft, aber die Zahl der aktionsorientierten Neonazis und ihr Einfluss in der letzten verbliebenen Partei, der NPD, hat zugenommen - bei den Neonazis von knapp 2.500 Mitte der 1990er Jahre auf 5.800 heute (5). Dass der Rechtsextremismus durch diese Entwicklungen ungefährlicher geworden wäre, kann man leider nicht behaupten.

Straftaten werden aus allen Extremismusphänomenen heraus verübt. Insgesamt ereignen sich in der Bundesrepublik jährlich rund 30.000 Akte „Politisch Motivierter Kriminalität“ (PMK), das sind 0,5 Prozent der insgesamt verübten Straftaten. Zudem entfällt davon die Hälfte auf rechtsextremistische Propagandadelikte (vor allem §§ 86, 86a, 130 StGB). Überwiegend handelt es sich dabei um das verbotene Zeigen oder Verwenden von Symbolen oder Parolen des untergegangenen Nationalsozialismus; vergleichbare Strafvorschriften zum Islamismus oder Stalinismus gibt es nicht. Will man insoweit die Straftatenbilanz des Rechtsextremismus mit derjenigen seines direkten Gegenübers, des Linksextremismus, vergleichen, so kommt man für 2014 auf eine ähnliche Größenordnung an Zahlen. 4.541 rechtsextremistisch motivierte Straftaten standen 3.429 linksextremistisch motivierte gegenüber, 990 rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten 995 linksextremistisch motivierte. Demnach lagen Rechts- und Linksextremismus bei den Straftaten quantitativ in der gleichen Größenordnung. 2015 hat sich dieses Verhältnis verschoben. Rechtsextremistische Straftaten haben auf 11.250 (ohne Propagandadelikte) zugenommen; dafür verantwortlich ist vor allem eine Verdoppelung der Volksverhetzungsdelikte und der Bedrohungen/Nötigungen. Sachbeschädigungen und Verstöße gegen das Versammlungsgesetz haben ebenfalls erheblich zugenommen. Zumeist steht dies im Zusammenhang mit gegen neu angekommene Migranten und Flüchtlinge gerichteten Übergriffen. Auch rechtsextremistisch motivierte Brandstiftungen haben sich auf mehr als einhundert vervierfacht und liegen nunmehr mit vergleichbaren linksextremistischen Taten gleichauf. Bei den Gewalttaten schlägt die Zunahme rechtsextremistisch motivierter Straftaten nicht so deutlich zu Buche. 2015 standen 1.408 rechtsextremistisch motivierte Gewaltstraftaten 1.608 linksextremistisch motivierten gegenüber (6).

2015 hat sich mithin die Situation geändert, nach der das quantitative Niveau rechtsextremer Straftaten zumindest in den letzten 15 Jahren ziemlich gleich geblieben war: Es lag bei 4.000 bis 5.000 Straftaten, zu denen noch einmal zwischen 8.000 und 11.000 Propagandadelikte kamen. Davon waren zwischen 750 und 1.000 Gewaltstraftaten. (7) Allerdings wäre dieser Überblick unvollständig ohne Hinweis auf ein gravierend höheres Niveau an Gewaltstraftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund in den Jahren 1991-93. Damals richteten sich zahllose, bisweilen tödliche, Übergriffe vor allem gegen Menschen mit ausländischen Wurzeln: 1.483 im Jahr 1990, 2.639 im Jahr 1992 und 1.631 1993. (8)

Diese reine Zahlenstatistik lässt indessen noch keine Aussagen über die Qualität, die Intensität der Straftaten und die Zielgruppen von Gewalttaten zu. Seit der Aufdeckung des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) steht fest, dass es mindestens eine rechtsterroristische Gruppe in Deutschland gegeben hat, die im Zeitraum zwischen 2000 und 2007 zehn Morde und zahllose Banküberfälle verübt hat. Einen vergleichbaren Linksterrorismus gab es in diesem Zeitraum nicht; es ist auch derzeit kein Nährboden auszumachen, aus dem er entstehen könnte.

Rechts- und linksextremistische Gewalttaten unterscheiden sich erheblich hinsichtlich ihrer Zielrichtungen: Während sich rechtsextreme Gewalt in der Regel gegen Personen wendet, stehen bei linksextremistischer stärker Landfriedensbrüche bei Demonstrationen und gezielte Sachbeschädigungen bis hin zu Brandanschlägen im Vordergrund. Zudem richten sich rechtsextreme und linksextreme Gewalt gegen unterschiedliche Personengruppen: Opfer linker Gewalt sind überwiegend Repräsentanten des „Systems“, z.B. Polizeibeamte im Verlauf von Demonstrationen. Rechtsextreme Gewalt kann nahezu jeden treffen, der aus der Sicht von Rechtsextremisten ein Angehöriger von ihnen abgelehnter Personengruppen zu sein scheint: tatsächliche oder vermeintliche Ausländer, Fremde, politische Gegner, Behinderte, Obdachlose oder sozial Schwache z.B. Es gibt weitere Unterschiede: Linksextreme Gewalt muss sich nach eigenen Standards zu einer Tat erklären und zudem die Schädigung von „Unbeteiligten“ vermeiden, während rechte Gewalt häufig unberechenbar, unter Alkoholeinfluss oder als spontane Gruppentat stattfindet. In der Gruppendynamik und im Weltbild solcher rechtsextremer Täter gibt es im Unterschied zu linksextremer Gewalt faktisch keine Tötungshemmung (siehe auch Rechtsterrorismus). Im Ergebnis ist die von Rechtsextremisten ausgeübte personenbezogene Gewaltkriminalität daher sowohl für die Opfer als auch für die Allgemeinheit gefährlicher als ihr linksextremistisches Pendant.

Sozialwissenschaftler thematisieren zudem, dass rechtsextremistische Einstellungsmuster besonders gefährlich seien, weil sie infolge ihrer populistischen Struktur leicht anschlussfähig seien. Dieser Befund lässt aber erstens keinerlei Rückschlüsse darauf zu, inwieweit aus solchen Einstellungsmustern Wahlentscheidungen für rechtsextreme Parteien, Zulauf zu ihnen oder sogar rechtsextreme (Straf-)Taten entstehen. Fest steht lediglich, dass sie ein politisches Klima schaffen können, das einer Demokratie mit ihrer Pflicht zum Diskurs, zur Toleranz und zum Schutz von Minderheiten nicht zuträglich ist. Sie verbessern damit die Ausgangssituation für aktiven und manifesten Rechtsextremismus. Allerdings wird auch dies nur dort gelingen, wo nicht oder nicht überzeugend widersprochen wird. Zweitens fehlen bis heute weitgehend (9) entsprechende empirische Untersuchungen über eine Verbreitung linksextremistischer und islamistischer Einstellungsmuster in der Bevölkerung. Die einseitige Untersuchung von rechtsextremistischen Einstellungsmustern lässt damit noch keine Schlüsse darauf zu, inwieweit ein gewisses Maß an extremismusaffinen Denkmustern in Demokratien möglicherweise normal, aushaltbar und eben kein Anlass sein müsste, eine Gefährdung der demokratischen Ordnung zu befürchten.

Rudolf van Hüllen


 

(1) Alle Zahlen aus dem Verfassungsschutzbericht 2015, S. 45, 96, und 2014, S.92.

(2) Verfassungsschutzbericht 1995, S. 98.

(3) Verfassungsschutzbericht 2000, S. 28.

(4) Verfassungsschutzbericht 2005, S. 55.

(5) Verfassungsschutzbericht 1995, S. 98 und 2015, S. 45.

(6) Verfasssungsschutzbericht 2015, S. 26, 31. „Extremistisch motiviert“ bedeutet: „gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet“, also direkt „verfassungsfeindlich“ intendiert. Die Polizei kategorisiert nach einem anderen, breiteren Schema: „politisch motivierte Kriminalität“ (PMK) liegt dann vor, wenn Tathergang, seine Begleitumstände oder das Motiv des Täters einen im weitesten Sinne „rechten“ oder „linken“ Hintergrund aufweisen.

(7) Gesamtzahlen für 2000 und 2005: 998 bzw. 958 Gewaltstraftaten, 10.435 bzw. 10.881 Propagandadelikte und Gesamtstraftatenzahlen von 15.951 bzw. 14.403 - alle Zahlen aus den Verfassungsschutzberichten 2000, S. 30 und 2005, S. 34.

(8) Verfassungsschutzberichte 1991, S. 76 und 1993, S. 79 f. Die tatsächliche Zahl dürfte noch höher sein, denn es ist nicht davon auszugehen, dass alle Taten angezeigt bzw. in allen Fällen der rechtsextremistische Hintergrund sofort erkannt wurde.

(9) Für linksextreme Einstellungsmuster vgl.: Klaus Schroeder / Monika Deutz-Schroeder, Gegen Staats und Kapital – für die Revolution! Linksextremismus in Deutschland – eine empirische Studie, Frankfurt/Main 2015.

 

Lesetipps:

  • Matthias Mletzko, Gewalthandeln linker und rechter militanter Szenen, in: apuz 44/2010, S. 9-16;
  • Andreas Zick/Anna Klein, Fragile Mitte. Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014, hrg. für die Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2014.
  • Eckhard Jesse, Mitte und Extremismus, in: Uwe Backes/Alexander Gallus/Eckhard Jesse, Jahrbuch Extremismus und Demokratie Bd. 24 (2012) Baden-Baden 2013, S. 13-36.

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