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Postkartenmotiv mit Macken

Brasilien-Experte Jan Woischnik im Interview zur wachsenden Sorge vor Anschlägen bei Olympia und den politischen Unruhen im Land

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In Rio de Janeiro beginnen am Freitag die Olympischen Sommerspiele. Doch vor Beginn ist die Sicherheitslage am Zuckerhut bedenklich. Nicht nur Kleinkriminalität und Bandenkriege sind ein Problem. Es wächst auch die Angst vor terroristischen Anschlägen. Hinzu kommt ein undurchsichtiges Gemengelage in der Politik mit einem Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff. Über die Stimmung im Land berichtet Dr. Jan Woischnik, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rio de Janeiro, im Interview mit kas.de.

Herr Dr. Woischnik, in wenigen Wochen beginnen in Brasilien die Olympischen Sommerspiele. Sind die Brasilianer schon in Stimmung?

Ja, die Brasilianer sind jetzt dabei, sich langsam in Stimmung zu bringen, und das Thema Olympia rückt mehr und mehr in den Vordergrund. Es hat allerdings lange gedauert dieses Mal, obwohl die Brasilianer doch weltweit als Stimmungskanonen bekannt sind. Wegen der massiven politischen und wirtschaftlichen Krise hierzulande war Olympia in den vergangenen Monaten stark in den Hintergrund gerückt. Hätte man nicht gewusst, dass die Spiele hier in Rio de Janeiro am 5. August beginnen werden - man hätte es glatt übersehen können. Die Jahrhundertkrise hat alle anderen Themen überlagert bzw. verdrängt!

Nicht mal 2 Jahre sind vergangen, als die deutsche Nationalmannschaft im Maracana-Stadion den Weltmeistertitel holte. Bis zum Beginn der Olympischen Spiele sollte neben der Verlängerung der U-Bahn, auch das Gewässer vor der Copacabana für die Segel-Wettkämpfe gereinigt werden. Wird alles rechtzeitig fertig sein oder bedeuten die Spiele mehr Fluch als Segen für Rio?

Ich habe insgesamt einen guten Eindruck von den baulichen Vorbereitungen, die Brasilianer haben sich da in den vergangenen Monaten mächtig ins Zeug gelegt. Zum Beispiel beim Bau der U-Bahn-Verlängerung, die Sie ansprechen. Ich komme dort täglich vorbei und kann deshalb berichten, dass seit Monaten 24 Stunden am Tag, und zwar sieben Tage die Woche, daran gearbeitet wird. Rio de Janeiro liegt eben sehr viel daran, sich als eine Weltstadt zu präsentieren, die derartigen Herausforderungen gewachsen ist. Eine Einschränkung ergibt sich allerdings aus der hierzulande wild wuchernden Korruption. So fließen nicht immer alle Gelder, die beispielsweise für ein Bauprojekt zur Verfügung gestellt werden, auch tatsächlich in dieses Projekt. Bestechungsgelder werden bezahlt, im Gegenzug wird mindere Qualität am Bau in Kauf genommen - auch wenn dadurch Sicherheitsrisiken entstehen. Der Fahrradweg in der Avenida Niemeyer nahe meiner Wohnung, der am 21. April bei hohem Seegang ins Meer gestürzt ist und die Toten, die es damals gab, sind hierfür nur ein besonders trauriges Beispiel. Er war Teil der Olympia-Infrastruktur.

Der Bundesstaat Rio de Janeiro hat Mitte Juni, kurz vor den Olympischen Spielen, den Finanz-Notstand ausgerufen, damit Rio mit einem Millionen-Darlehen Olympia finanzieren kann. Ist es nicht ein Postkartenmotiv mit Macken?

Ja, das stimmt, der Bundesstaat Rio de Janeiro ist bankrott und hat deshalb Mitte Juni den finanziellen Notstand ausgerufen. Wahr ist aber auch, dass Brasilia umgehend eine Finanzhilfe bewilligte. Denn niemand dort will in Kauf nehmen, dass Brasilien sich im August (und übrigens auch im September während der Paralympics) vor den Augen der Welt blamiert. Man will dem Publikum eben gerade das klassische Postkartenmotiv bieten, für welches Rio so berühmt ist. Diese Finanzhilfe wird allerdings keines der vielen strukturellen Probleme lösen, unter denen die Bevölkerung hier schon seit Ende 2015 leidet: dem Gesundheitsnotstand, dem Bildungsnotstand, der mangelhaften Infrastruktur und vor allem der stark beeinträchtigten öffentlichen Sicherheit. Es ist ja nicht nur so, dass die Gehälter im öffentlichen Dienst seit Monaten nicht mehr pünktlich bezahlt werden können. Zum Teil ist noch nicht einmal Geld vorhanden, um die Polizeiautos zu betanken. Und das in einer ohnehin sehr gefährlichen Stadt wie Rio!

Die Kriminalität ist immer noch hoch und es wurden Maßnahmen gegen terroristische Anschläge entwickelt. Um Sicherheit zu gewährleisten, gab es im Vorfeld diverse Sicherheitstrainings auch für Taxifahrer sowie für Personal an Flughäfen und in Hotels. Hat der Islamistische Terror nun auch Brasilien erreicht?

Ich bin kein Terrorismusexperte, aber ich mache mir seit Langem große Sorgen wegen möglicher Anschläge während der Spiele hier in Rio. Wenn Sie einmal die perverse, menschenverachtende und von Minderwertigkeitskomplexen geformte Perspektive der potenziellen Aggressoren annehmen, so ist Olympia doch geradezu ein geborenes Ziel für Terroranschläge. Die Spiele haben ihren Ursprung im antiken Griechenland, der Wiege des Abendlandes. Sie stehen für Völkerverständigung und Frieden, für fairen und sportlichen Wettbewerb - mithin für alles, was islamistische Terroristen verachten. Ein Anschlag in Brasilien, wo es kaum Muslime gibt - das mag auf den ersten Blick vielleicht nicht einleuchten. Ich weise aber darauf hin, dass die brasilianischen Geheimdienste zuletzt auf eine Gefährdung der Stufe 4 hingewiesen haben, auf einer Skala von 1 bis 5 (wobei 5 bedeuten würde, dass mit Sicherheit von einem Anschlag ausgegangen werden muss). Ende Mai hat der Islamische Staat im Internet eine portugiesisch-sprachige Propaganda-Seite eingerichtet. Es wurden portugiesische Kurznachrichten gefunden, mit denen der IS Anhänger rekrutieren will. Und die sogenannten "lobos solitarios", also die einsamen Wölfe, die nicht organisierten Einzeltäter, lassen sich ohnehin kaum kontrollieren. Ich hoffe, es kommt nicht zu einer Katastrophe.

In wieweit beeinflusst der Streit um das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff die Olympischen Spiele?

Die Olympischen Spiele werden stattfinden, ganz unabhängig davon, wer zu diesem Zeitpunkt an der Regierung sein wird. Wenn sich zur Eröffnung der Olympischen Sommerspiele am 5. August die Augen der Weltöffentlichkeit auf Brasilien richten, werden sie ein Land in der wirtschaftlichen wie politischen Krise erblicken, aus der Übergangspräsident Michel Temer (PMDB) sein Land nicht führen kann. Mit Rücksicht auf ihr Ansehen vor der Weltöffentlichkeit wird die Abstimmung über Rousseffs endgültige Amtsenthebung im Senat für Ende August erwartet. In dieser Abstimmung wird darüber entschieden, ob Rousseff das Präsidentenamt endgültig abgeben muss - oder aber ins Amt zurückkehren darf. Es ist sehr schwierig hierzulande, sichere Prognosen abzugeben, alles ist extrem instabil und volatil.

Beim Confederation Cups im Jahr 2013 hatte sich die Wut der brasilianischen Bevölkerung über die Regierung in vielen Städten in Massenprotesten entladen. Wie ist das wirtschaftliche und gesellschaftliche Klima in Rio?

Das Klima ist ausgesprochen angespannt und aufgekratzt, die größte Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten hinterlässt ihre Spuren. Die Arbeitslosigkeit ist stark angestiegen, viele Menschen, die gerade erst den Aufstieg in die untere Mittelschicht geschafft haben, stürzen wieder in die Armut ab. Allein in dem halben Jahr, das ich nun für die Adenauer-Stiftung hier in Rio bin, ist die Stadt deutlich unsicherer geworden. In vielen Favelas wird wieder geschossen. Die Politik scheint kaum in der Lage zu sein, die Probleme auch nur mittelfristig zu lösen. Vielmehr hat sie sich angesichts des "Lavo Jato", Synonym für den größten Korruptionsskandal in der jüngeren Geschichte des Landes, in den Augen der Bevölkerung nachhaltig selbst diskreditiert. Es ist deshalb gut möglich, dass es im Umfeld der Spiele wieder zu Massenprotesten kommen wird.

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Dr. Jan Woischnik

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1. August 2016
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Angehörige der Marine im Probe-Einsatz für Olympia | Foto: Gabriel de Paiva/Agência O Globo Gabriel de Paiva/Agência O Globo