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Aus der 1. Sitzung des Bundesrates

7. September 1949

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Beginn der Sitzung 11.12 Uhr.

Johann Sebastian Bach: Orchester-Suite in D-Dur 1. Satz.

Städtisches Gürzenich-Orchester, Köln.

Dirigent: Professor Günther Wand.

Alterspräsident Büll: Ich eröffne die erste Sitzung des Bundesrates der Bundesrepublik Deutschland.

Eure Exzellenzen, Herren Hohe Kommissare, Herren Vertreter der ausländischen Mächte, verehrte Gäste! Meine Herren Mitglieder des Bundesrates! Die erste Sitzung soll unter den wundervollen Worten Schillers stehen: "Das vollkommenste Kunstwerk ist der Bau der politischen Freiheit."

Als mir am gestrigen Abend in Aussicht gestellt wurde, daß ich in der ersten Sitzung des Bundesrates das Alterspräsidium übernehmen sollte, wollte es mir unwahrscheinlich vorkommen. Nach meiner Erinnerung habe ich sonst immer noch viel ältere Alterspräsidenten gesehen. Um aber sicherzugehen - ich bin am 8. November 1878 geboren. Ich stelle die Frage: Sind in der Versammlung des Bundesrates Mitglieder mit einem noch höheren Alter anwesend? - Das ist nicht der Fall. Dann leite ich die Wahl des Präsidenten für den Bundesrat.

...

Die Tagesordnung der ersten Sitzung des Bundesrates der Bundesrepublik Deutschland liegt den Bundesratsmitgliedern vor. Es ist der Wunsch ausgesprochen worden, die Wahl des Präsidenten und die Wahl des Stellvertreters des Präsidenten und der Schriftführer zusammen vorzunehmen. Ich glaube, meine verehrten Damen und Herren, man müßte den Präsidenten in einem besonderen Wahlgang wählen.

Dr. Ehard (Bayern): Wir würden von Bayern aus das beantragen.

Alterspräsident Büll: Es wird beantragt, den Präsidenten in einem besonderen Wahlgang zu wählen. Ich bitte die Mitglieder des Bundesrates, die so entscheiden wollen, eine Hand zu erheben. - Die Gegenprobe! - Das ist angenommen.

Altmeier (Rheinland-Pfalz): Es haben gestern Besprechungen unter den Mitgliedern des Bundesrates stattgefunden, die mich veranlassen vorzuschlagen, den Herrn Ministerpräsidenten Arnold zum Präsidenten des Bundesrates zu wählen.

Alterspräsident Büll: Sie haben den Vorschlag gehört. Es wird vorgeschlagen, Herrn Ministerpräsidenten Arnold zu wählen. Kommen noch andere Vorschläge aus der Versammlung? - Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich den Herrn Schriftführer, die Länder aufzurufen, und bitte, dann die Herren Stimmführer mit Ja, Nein oder Enthalten zu antworten. Die Wahl erfolgt.

Schriftführer Albers: Das Land Baden!

Wohleb (Baden): Ja!

Schriftführer Albers: Das Land Bayern!

Dr. Ehard (Bayern): Beteiligt sich an dieser Wahl nicht und enthält sich der Stimme.

Schriftführer Albers: Das Land Bremen!

Kaisen (Bremen): Ja!

Schriftführer Albers: Das Land Hamburg!

Brauer (Hamburg): Ja!

Schriftführer Albers: Das Land Hessen!

Stock (Hessen): Ja!

Schriftführer Albers: Das Land Niedersachsen!

Kopf (Niedersachen): Ja!

Schriftführer Albers: Das Land Nordrhein-Westfalen!

Teusch (Nordrhein-Westfalen): Ja!

Schriftführer Albers: Das Land Rheinland-Pfalz!

Altmeier (Rheinland-Pfalz): Ja!

Schriftführer Albers: Das Land Schleswig-Holstein!

Dieckmann (Schleswig-Holstein): Ja!

Schriftführer Albers: Das Land Württemberg-Baden!

Dr. Maier (Württemberg-Baden): Ja!

Schriftführer Albers: Das Land Württemberg-Hohenzollern!

Dr. Müller (Württemberg-Hohenzollern): Ja!

Alterspräsident Büll: Das Ergebnis ist folgendes: Es liegt eine Stimmenthaltung vor, alle anderen Länder stimmen mit Ja. Mithin ist Herr Ministerpräsident Arnold zum Präsidenten des Bundesrates gewählt worden. Ich darf den Herrn Ministerpräsidenten bitten, den Platz hier einzunehmen, und darf Ihnen, Herr Präsident, die herzlichsten Glückwünsche des Bundesrates zu ihrer Wahl zum Ausdruck bringen. Es wird Ihnen sicher gelingen, in diesen Zeiten des Anstiegs einer neuen Freiheit unser schwerbedrängtes Vaterland und unser deutsches Volk voranzubringen. Der Bundesrat mit seinen eigenen Aufgaben wird gewiß in jeder Weise ihr Vorhaben unterstützen. Ich wünsche Ihnen die besten Erfolge.

Präsident Arnold (unter Beifall das Präsidium übernehmend): Ich danke Ihnen, Herr Alterspräsident.

Meine Damen und Herren, Mitglieder des Bundesrates der Bundesrepublik Deutschland! Sie haben mir die Ehre erwiesen, mich zum Präsidenten des ersten Bundesrates der Bundesrepublik Deutschland zu wählen. Ich weiß, daß diese Ehrung nicht meiner Person, sondern dem Lande gilt, das zu vertreten meine Kollegen und ich den Vorzug haben. Das Land Nordrhein-Westfalen gehört zu den deutschen Ländern, die in der nun hoffentlich bald abgeschlossenen Periode unserer völkerrechtlichen Handlungsunfähigkeit am stärksten und am unmittelbarsten durch einseitig auferlegte Hoheitsbeschränkungen betroffen wurden. In unserem Land hat sich vor kurzem die Ruhrbehörde konstituiert. Wir werden am meisten Gegenstand der Investigationen des Sicherheitsamtes sein, und wir haben in besonderem Maße Unterstellungen von Gebietsteilen unter eine fremde Auftragsverwaltung über uns ergehen lassen müssen. Auch das Abkommen über verbotene und beschränkte Industrien trifft uns besonders stark. So darf ich wohl die Wahl als ein Zeichen dafür ansehen, daß die Regierungen der deutschen Länder dem am stärksten belasteten deutschen Land ihre Sympathie zum Ausdruck bringen wollten.

Ich nehme daher die Wahl mit dem Ausdruck meines aufrichtigsten Dankes an und versichere in diesem Augenblick recht gern und aus ganzer Gewissenhaftigkeit, daß ich die Interessen der Länder im Bereich unserer politischen Gesamtaufgaben jederzeit vertreten werde.

Der Parlamentarische Rat hat sich bei der Schaffung der Institutionen des Bundesrates im Grundgesetz der Auffassung des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee angeschlossen, der den Gedanken vertrat, daß eine Verfassung an den vorhandenen Machtfaktoren nicht vorbeigebaut werden könne. Die Länder, repräsentiert durch ihre Regierungen, sind im Rahmen der Deutschen Bundesrepublik Machtfaktoren, die nach der totalen Niederlage als erste wieder in Erscheinung traten. Ich bin in diesem Gremium sicher, nicht mißverstanden zu werden, wenn ich den Ausdruck Machtfaktoren gebrauche. Ich tue das nicht im Sinne der Terminologie vergangener Zeiten, die in der staatlichen Macht den höchsten Daseinszweck erblickten.

Wenn im Grundgesetz von Hoheitsrechten die Rede ist, so war sich der verfassunggebende Parlamentarische Rat stets der Tatsache bewußt, daß der Begriff Hoheitsrechte sich in einem Stadium der inneren Wandlung befindet, von der wir hoffen wollen, daß sie zu einer Höherentwicklung führt. Wir haben in den Artikeln 24 bis 26 des Grundgesetzes niedergelegt, in welcher Weise wir bereit sind, an dieser Entwicklung aktiv und aufrichtigsten Herzens mitzuarbeiten. Dem Bundesrat kommt das Recht zur Mitwirkung bei der Willensbildung der deutschen Bundesrepublik zu.

Der Herrenchiemseer Bericht hat das treffend mit den Worten ausgedrückt: Nur dann kommt der Bundeswille kraftvoll zur Erscheinung und ist einer innerlich mitgehenden Ausführung in den Ländern sicher, die man andernfalls als ungefragte Befehlsempfänger der hinreichend bekannten Bundesverdrossenheit überläßt. In einem Bundesstaat, in dem die Ausführung der Bundesgesetze weitestgehend Sache der Länder ist, gewährleistet der Bundesrat einen arbeitsfähigen Gesamtstaat. Er sichert der Gesetzgebung den Sachverstand der Landesregierungen und über die Ausschüsse denjenigen ihrer Beamtenschaft.

Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Zusammenhang auf einen Wunsch eingehen, der uns alle sicherlich zutiefst bewegt. Ein gut geführtes, demokratisch geordnetes und regiertes Volk macht die Fragen seiner auswärtigen Beziehungen nicht zum Gegenstand der inneren Parteipolitik. Es bedarf nicht vieler Worte, um darzutun, wieviel besser wir heute dastünden, wenn die Maxime in der Weimarer Zeit immer berücksichtigt worden wäre. Das bedingt aber, daß die Fragen der auswärtigen Beziehungen vertrauensvoll zwischen Regierung und Opposition besprochen werden. Die auswärtigen Beziehungen der Deutschen Bundesrepublik gehören in allem Wesentlichen zur Zuständigkeit des Bundes; und ich bin glücklich darüber, daß dem so ist. Schon in naher Zukunft werden wir vor Aufgaben stehen, deren Bedeutung es uns einfach nicht erlaubt, die auswärtigen Beziehungen zum Gegenstand innerpolitischer Streitigkeiten zu machen. Ich denke dabei insbesondere an unsere deutsche wirtschaftliche Schicksalsfrage, das Ruhrgebiet, und an die Probleme, die mit einer gerechten und menschenwürdigen Regelung der Ansprüche unserer Heimatvertriebenen aus dem Osten zusammenhängen. Es ist leicht, exzessive Forderungen zu stellen. Damit würde aber einem verständigen Kurs bei der Regelung unserer auswärtigen Beziehungen das Konzept verdorben werden. Es erfordert viel Selbstbeherrschung und Voraussicht, um zu erkennen, was im Augenblick oder später realisierbar ist. Wir wollen nicht vergessen, daß auch ein freiheitlich gehandhabtes Minderheitenrecht in diesen Zusammenhang gehört. Daß wir allen unseren heimatvertriebenen Mitbürgern das bestmögliche Los sichern wollen, steht wohl für jeden von uns außer Zweifel. Gerade hier hat der Bundesrat eine besonders schwierige und dankbare Aufgabe.

Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mit. Nach Artikel 53 des Grundgesetzes haben die Mitglieder der Bundesregierung das Recht und auf Verlangen die Pflicht, an den Verhandlungen des Bundesrates und seiner Ausschüsse teilzunehmen. Sie müssen jederzeit gehört werden. Der Bundesrat ist von der Bundesregierung über die Führung der Geschäfte auf dem laufenden zu halten. Uns alle bewegt nur die Hoffnung, daß der Bundesrat auf diesem Gebiet eine höchst wirkungsvolle Klammer bildet, die gerade dann in Wirksamkeit tritt, wenn die Leidenschaften den Sinn für das Ganze zu gefährden drohen. So ist der Bundesrat nach dem Willen des Verfassungsgebers das unentbehrliche Mittlerorgan zwischen dem Bund und den Ländern. Die in den Bundesrat entsandten Mitglieder der Landesregierungen stimmen nach ihrer freien Gewissensüberzeugung, aber aus der einheitlichen politischen Gesamtlinie heraus, die sie in ihren heimatlichen Kabinetten immer wieder selbst erarbeiten und tragen, so daß die Freiheit ihres Entschlusses lediglich durch die kollegiale Zusammenarbeit in den Landesregierungen, durch die innere Verpflichtung, den Landeswillen als solchen zu repräsentieren, und durch das Bewußtsein der Verantwortlichkeit gegenüber der parlamentarischen Vertretung ihres Landes begrenzt wird.

Ich möchte an dieser Stelle auch darauf hinweisen, daß der alte, im Jahre 1871 geschaffene Bundesrat ebenso wie der Reichsrat der Weimarer Republik eine qualitativ hochwertige, vom Willen absoluter Sachlichkeit bestimmte Arbeit geleistet hat. Als der Reichstag im Jahre 1930 bereits funktionsunfähig geworden war, blieb der Reichsrat noch voll arbeitsfähig und ist es bis zu seiner verfassungswidrigen Auflösung im Jahre 1933 geblieben. In seinem 1837 niedergeschriebenen und noch heute in vielem richtungweisenden Dialog "Politische Gespräche" hat der große deutsche Historiker Leopold von Ranke gesagt:

Jede Staatsgewalt muß heutzutage wohlwollend sein. Auf der allgemeinen Wohlfahrt beruht ohnehin ihre Macht. Sie muß aber auch zeigen, daß sie das auf die rechte Art ist. Sie muß dafür sorgen, daß man sie kenne, daß man wisse, was sie tut, daß jeder einzelne erfahre, die Geschäfte werden so gut besorgt als immer möglich. Ist nur erst das Widerstreben besiegt, so wird jeder geheime, von innen her wirkende und zum Zusammenhalt führende Antrieb in kurzem alle ergriffen haben. Die Zwangspflicht wird sich zur Selbsttätigkeit und das Gebot zur Freiheit erheben.

An dieser großen Aufgabe will der Bundesrat mit aller Kraft mitwirken. Möge diese Arbeit gesegnet werden und sich auswirken zum Wohle Deutschlands und für den Frieden der Welt.

(Bravorufe und Händeklatschen.)

...

Johann Sebastian Bach: Orchester-Suite in D-Dur, 2. und letzter Satz.

Präsident Arnold: Die erste Sitzung des Bundesrates der Bundesrepublik Deutschland ist geschlossen.

(Beifall.)

Schluß der Sitzung 11.53 Uhr.

aus: Bundesrat der Bundesrepublik Deutschland. Sitzungsbericht. 1949 Nr. 1, 1-4.

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