Höffner, Joseph Kardinal
Höffner, Joseph Kardinal
geb. am 24.12.1906, gest. am 16.10.1987
Wie kaum jemand verkörpert Höffner den Schritt der Kirche von der Sozialromantik – der moralisierenden Totalablehnung der durch die Industrialisierung neu entstandenen Lebens- und Arbeitsformen – zur Sozialreform, der Mitwirkung an der ‚ordnungspolitischen‘ Gestaltung der Wirtschaftsordnung. Als einflussreichster Fachvertreter, der die christliche Gesellschaftslehre als akademische Disziplin zu einer vorher und nachher unerreichten Blüte geführt hat, betont Höffner die gerade auch ethische Bedeutung sozialer Institutionen: „Die Geschichte lehrt, dass Freiheit und Würde des Menschen weithin vom Ordnungssystem der Wirtschaft abhängen“. Als einflussreicher Politikberater hat Höffner die subsidiäre Gestaltung der bundesdeutschen Arbeits- und Sozialordnung ganz wesentlich mit gestaltet, als akademischer Lehrer eine ganze Generation späterer Verantwortungsträger geprägt.
Manchmal reicht die Lebensspanne
eines Menschen – auch wenn sie gut
80 Jahre umfasst – nicht aus, um seine
vielfältigen Fähigkeiten und Begabungen
zur vollen Entfaltung zu bringen.
Für kaum einen Deutschen des
20. Jahrhunderts trifft dies so zu wie
für Höffner, den am Heiligabend 1906
geborenen Westerwälder Bauernsohn,
einzigen Bruder von fünf Schwestern
und – nach dem frühen Tod seiner
Mutter – zwei Stiefbrüdern. Sein Leben
durchläuft verschiedene Rollen
wie im Zeitraffer und führt ihn dabei
in jeder Phase zu jener ‚Exzellenz‘,
von der heute viel die Rede ist, für
die aber vielen die nötige Selbstdisziplin
und innere Weite fehlt. Dem
Vater mag es nicht leicht gefallen
sein, seinen Ältesten für das Studium
freizugeben; vom Heimatpfarrer auf
den Gymnasialbesuch vorbereitet,
wird er noch im Jahr des Abiturs
(1926) von seinem Bischof zum
Theologiestudium an die Päpstliche
Universität Gregoriana geschickt.
Höffner, der Forscher: Von 1929 bis
1941 sammelte Höffner nicht weniger
als fünf Doktorgrade, bis 1934 in
Rom (Theologie, Kirchenrecht, Philosophie),
nach seiner Kaplanszeit in
Saarbrücken und dann in Freiburg
i. Br. (Theologie, Volkswirtschaftslehre).
Manchem mag es gespenstisch
erscheinen: Während ringsherum Europa
im Zweiten Weltkrieg versinkt,
promoviert Höffner nach seinem
Volkswirtschaftsstudium (Diplom
1939) bei dem bekannten Nationalökonomen Walter Eucken, einem
der geistigen Väter der Sozialen
Marktwirtschaft, mit einer Arbeit zu
‚Wirtschaftsethik und Monopole im
15. und 16. Jahrhundert‘. Doch der
junge Höffner zieht sich vor den
Grauen seiner Zeit keineswegs in
den Elfenbeinturm der Wissenschaft
zurück. Sein in dieser Form seltener
akademischer Brückenschlag zwischen
historischer und systematischer
Forschungsarbeit überwindet die
These vom prinzipiellen Widerspruch
zwischen kirchlichem Christentum einerseits
und der moderner Welt andererseits.
Höffner erarbeitet auf seinem
Gebiet die Grundlagen eines erfolgreichen
Neuanfangs in Deutschland
nach 1945, indem er die
Zustimmung der Kirche zur Sozialen
Marktwirtschaft theoretisch vorbereiten
und später selbst aktiv erwirken
konnte.
Höffner, der Priester: Auch als vielfach
promovierter Privatdozent ist
sich Höffner – hier in guter Tradition
christlicher Gesellschaftslehre – nicht
zu schade für die pastorale Praxis.
Von 1943-1945 leitet er als Pfarrer die
Arbeiterpfarrei Heiligkreuz in Trier;
bereits als Kaplan in Saarbrücken
entscheidet er sich aus Solidarität mit
einer Gruppe von Alkoholikern zu
lebenslanger Abstinenz; seit März
1943 hält er das siebenjährige jüdische
Mädchen Esther Sara Meyerowitz
als ‚Christa Koch‘ versteckt – im
NS-Staat ein Verbrechen, dessen Aufdeckung
für einen Kirchenmann wie
ihn mit Sicherheit tödliche Konsequenzen
gehabt hätte.
Höffner, der Professor für Christliche Gesellschaftslehre: Erst nach dem
Ende des Terrorregimes konnte Höffner
Professor werden: zunächst am
Priesterseminar in Trier, ab 1951 auf
dem traditionsreichen Lehrstuhl für
Christliche Sozialwissenschaften in
Münster. Das gute Jahrzehnt in Münster
umfasst die für seine Wirkung auf
die Soziale Marktwirtschaft wichtigste
Zeit. Vorbereitet durch seine
Forschungsarbeiten führt Höffner
(gemeinsam mit zeitgenössischen
Lehrern wie dem Jesuiten Oswald
von Nell-Breuning in Frankfurt
und Johannes Messner in Wien) die
katholische Kirche in Deutschland
aus ihren Widerständen gegen die
moderne Ökonomie und Gesellschaft
heraus, die zu ihrer Verweigerungshaltung
gegenüber der Weimarer Republik
und damit zu den totalitären
Verirrungen des 20. Jahrhunderts beigetragen
hat; so u. a. als wissenschaftlicher
Berater des ‚Bundes Katholischer
Unternehmer‘– einer bundesweiten
Vereinigung, der er entscheidende
Impulse gegeben hat.
Höffner, der Kirchenführer: Seit
1962 ist Höffner Bischof von Münster,
seit 1969 Erzbischof von Köln und
Mitglied des Kardinalskollegiums sowie
von 1976 bis kurz vor seinem
Tod 1987 Vorsitzender der Deutschen
Bischofskonferenz. Als Brückenbauer
zwischen Kirche und moderner Wirtschaft
und Gesellschaft hat er auch in
dieser Funktion gewirkt: Im 2. Vatikanischen
Konzil hat er die bahnbrechende
methodische Neuorientierung
der Kirche in den Konzilsdokumenten
(insbesondere der Pastoralkonstitution
‚Gaudium et Spes‘) mit beeinflusst,
die die Eigengesetzlichkeit von
Wirtschafts- und Sozialwissenschaft
grundlegend anerkennt. Auch in der
katholischen Weltkirche hat Höffner
auf eine weltaufgeschlossene Christliche
Gesellschaftslehre hin gearbeitet,
zahlreiche Ehrendoktorwürden asiatischer
und lateinamerikanischer Universitäten
reflektieren dieses Engagement,
seine Schriften sind in 2,8 Mio.
Exemplaren in 12 Sprachen übersetzt
worden. Internationale Ehrungen
umfassen auch den Verdienstorden
der Bundesrepublik Deutschland und
der Republik Italien. Sein Einfluss hat
nicht zuletzt zur finanziellen Konsolidierung
des zunächst hoch verschuldeten
Vatikan-Staates beigetragen.
Literaturhinweise:
- HÖFFNER, J. (1983), Christliche Gesellschaftslehre, 2. Aufl., Kevelaer (Neuauflage 1999) ;
- SCHREIBER, W./ DREIER, W. (Hrsg.) (1966), Gesellschaftspolitik aus christlicher Weltverantwortung. Reden und Aufsätze. (Sonderband Institut für Christliche Sozialwissenschaften), Münster (2. Bd. hrsg. v. W. Dreier, Münster 1969) ;
- HECK, E. J. (Hrsg.) (1986), In der Kraft des Glaubens. Ansprachen, Aufsätze u. a. 1969-86, 2 Bde., Freiburg i. Br.
André Habisch