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Die Republik Moldau in der Verfassungskrise

от Dr. Martin Sieg

Lösungsansätze und Perspektiven

Spätestens seit dem Dezember 2009 befindet sich die Republik Moldau in einer Verfassungskrise. In diesem Monat war auch der zweite Versuch gescheitert, den Kandidaten der regierenden Allianz für die Europäische Integration (AEI) und Vorsitzenden der Demokratischen Partei (PDM), Marian Lupu, zum Präsidenten zu wählen.

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Bereits im Juni war die Wahl von Ministerpräsidentin Greceanii fehlgeschlagen, die von der damals noch über die Mehrheit der Mandate verfügenden Partei der Kommunisten (PCRM) nominiert worden war. Damit müsste Moldau nun zum dritten Mal in Folge vorgezogene Neuwahlen abhalten, ohne dass damit eine Einigung auf einen mehrheitsfähigen Kandidaten näher zu rücken schiene.

Der konstitutionelle Grund für diese Krise liegt in den Bestimmungen des Artikels 78 der moldauischen Verfassung. Er schreibt vor, dass der Präsident von einer 3/5-Mehrheit der Abgeordneten des Parlaments gewählt wird, also mit 61 von 101 Stimmen. Scheitert die Wahl jedoch, muss es Neuwahlen geben. Fällt die Opposition also nicht unter 40 Prozent der Mandate, ist ihre Zustimmung erforderlich. Dies würde in den meisten demokratischen Systemen Probleme aufwerfen. In der inzwischen stark polarisierten Parteienlandschaft der Republik Moldau stellt dieses Quorum eine besonders schwer zu überwindende Hürde dar. Im April 2009 hatte der PCRM nur eine einzige Stimme gefehlt. Aber die damalige Opposition schaffte es, eine geschlossene Ablehnung aufrechtzuerhalten. Im Dezember war es trotz intensiver Bemühungen der neuen Koalition nicht gelungen, die erforderlichen acht Stimmen aus der Front der PCRM herauszulösen.

Die Verfassung schreibt in einem anderen Artikel (§ 85) zugleich vor, dass das Parlament innerhalb eines Jahres nur einmal aufgelöst werden darf. Nach einer von der AEI im Dezember beschlossenen Änderung des Wahlgesetzes wird diese Bestimmung so interpretiert, dass damit nicht ein Kalenderjahr, sondern eine Frist von zwölf Monaten gemeint ist. Nur so konnten erst einmal wiederholte Neuwahlen vermieden werden. Damit kann das Parlament nicht vor dem 16. Juni aufgelöst werden; und es müsste von dem amtierenden Präsidenten Mihai Ghimpu aufgelöst werden, der als Parlamentspräsident verfassungsgemäß die Funktion des Staatsoberhauptes übernommen hat. Die Auflösung über dieses Datum hinaus zu verzögern, wäre mit den Bestimmungen von Artikel 78 jedoch allenfalls für einen begrenzten Zeitraum zu vereinbaren, weil sie keine explizite Zeitvorgabe für die Auflösung des Parlaments enthält.

Tatsächlich enthält die Verfassung so viele Unklarheiten, Widersprüche und Mängel, dass ihre Auslegung gleich von mehreren „Lückentheorien“ getragen werden muss; und dem Verfassungsgericht fehlt es sowohl an Autorität wie auch an Kompetenz, um die aus den Bestimmungen zur Präsidentenwahl erwachsene Krise zu lösen. Dabei kommt dem Zeitpunkt der Parlamentsauflösung deshalb zentrale Bedeutung zu, weil eine Verfassungsänderung gemäß der dafür maßgeblichen Bestimmungen (§ 142) wiederum erst sechs Monate nach dem Eingang eines entsprechenden Antrages beschlossen werden darf. Eine Verfassungsänderung bis zum 16. Juni wäre daher nicht möglich. Da auch die Venedig-Kommission des Europarats empfohlen hat, zuerst eine Verfassungsänderung anzustreben, ließe sich eine zeitweilige Verschiebung von Neuwahlen zwar durchaus rechtfertigen. Aber damit verbunden ist ein weiteres Problem: Was geschieht, wenn am Ende kein Antrag die erforderliche Mehrheit von Zwei-Dritteln der Abgeordneten findet? Auch ohne Änderung der Verfassung müssten dann ihr gemäß Neuwahlen stattfinden; und die politische Krise würde sich auf unbestimmte Zeit fortsetzen.

Neue Verfassung oder Verfassungsänderung

Bereits am 1. Dezember hat der amtierende Präsident eine Kommission zur Verfassungsreform aus führenden Koalitionspolitikern und Experten berufen. Diese hat wiederum eine Arbeitsgruppe unter Vorsitz des Staatsrechtlers Victor Popa zur Ausarbeitung von Vorschlägen eingesetzt. Die zugleich um Rat ersuchte Venedig-Kommission schlug eine Verfassungsänderung vor Neuwahlen vor, die sich auf eine Reform des Artikels 78 beschränken sollte. Trotzdem blieben der Gegenstand und die Tragweite der Reform in der Koalition lange strittig. Vor allem der amtierende Präsident Ghimpu befürwortete die Ersetzung der bestehenden Verfassung durch eine neue. Da das bestehende Grundgesetz dafür keine Regelung enthält, beabsichtigte er diese nach einem entsprechenden Beschluss mit einfacher Mehrheit im Parlament durch Referendum annehmen zu lassen. Aus Sicht des Präsidenten hätten sich mit diesem Verfahren zwei Ziele erreichen lassen: Erstens hätte sich die Veto-Macht der PCRM umgehen lassen. Zweitens ließe sich so auch eine Verschiebung von Neuwahlen leichter rechtfertigen, mit der Ghimpu einer erneuten Machtübernahme der PCRM angesichts der schlechten wirtschaftlichen Situation vorbauen will.

Allerdings blieb die Tragweite einer solchen Verfassungsneugebung auch bei ihren Befürwortern umstritten. Während Ghimpu selbst erklärte, Veränderungen auf notwenige Reformen beschränken zu wollen, arbeitete die Expertengruppe um Popa einen Entwurf aus, der Modifikationen an einem Großteil der bestehenden Verfassungsartikel vorsah; und Ghimpu selbst warf so sensible Fragen wie die Ersetzung der Bezeichnung der Staatssprache von Moldauischen zum Rumänischen oder der Neutralität auf. Der Zeitdruck wie auch die mangelnde Transparenz, unter der der Verfassungsentwurf erarbeitet wurde, ließen dieses Projekt zusätzlich problematisch erscheinen. Dagegen sprach auch der Präzedenzfall, der damit geschaffen worden wäre; denn künftig hätte sich jede Parlamentsmehrheit leicht desselben Verfahrens bedienen können, um sich Einschränkungen durch Verfassungsbestimmungen zu entledigen; und immerhin hatte auch die PCRM die Verfassung nicht nach Belieben geändert, obwohl sie von 2001-2005 über eine hinreichende Mehrheit verfügt hatte.

Trotz der Stellungnahme der Venedig-Kommission, die verfassungsmäßige Grundsätze, nicht aber in gleicher Weise die umfassendere politische Situation würdigen kann, hätte sich der Weg Ghimpus möglicherweise durchaus gehen lassen. Dazu aber hätte es der Geschlossenheit der AEI und einer gezielten Überzeugungsarbeit gegenüber der Öffentlichkeit in Moldau wie gegenüber den europäischen Partnern und Institutionen bedurft. An diesen beiden Voraussetzungen aber fehlte es. Überraschenderweise hatten sich die Führer der vier Koalitionsparteien am 9. März zwar zunächst trotzdem auf Ghimpus Vorschlag verständigt. Anscheinend kann diese Einigung jedoch nur zustande, weil der amtierende Präsident Druck auf seine Partner ausübte, unter denen offenbar keiner die Verantwortung für die unpopuläre Alternative baldiger Neuwahlen oder gar ein Auseinanderbrechen der Koalition übernehmen wollte. Allerdings äußerten sowohl Marian Lupu wie Premierminister Filat, Vorsitzender der Liberaldemokratischen Partei (PDLM), unmittelbar nach der Entscheidung ihre Vorbehalte, indem sie erklärten, dass die Akzeptanz des Verfahrens durch die europäischen Institutionen für sie eine zwingende Voraussetzung darstelle.

Nach dem vorherigen Urteil der Venedig-Kommission kam diese Positionierung einer Aufforderung an die europäischen Partner gleich, Ghimpu von seinem Weg abzubringen. Damit war Ghimpus Ansatz an sich bereits gescheitert. Tatsächlich veröffentlichte die Venedig-Kommission bereits am 12. März eine Stellungnahme, in der die Beachtung der bestehenden Verfassungsbestimmungen angemahnt wurde. Die EU-Kommission forderte Moldau u.a. in der Person von Erweiterungskommissar Füle auf, den Empfehlungen der Venedig-Kommission zu folgen. Ein Einlenken der Koalition kündigte sich an, als das Parlament am 23.3. einen Ausschuss aus Mitgliedern aller Fraktionen zur Reform des Artikels 78 einsetzte. Ghimpu hielt zwar noch an seinen Plänen für ein Verfassungsreferendum fest, dies mag aber vor allem dem Zweck gedient haben, ein Druckmittel gegen die PCRM in der Hand zu behalten.

Die PCRM machte sich die Situation zu Nutze, indem sie am 31. März einen eigenen Vorschlag zur Verfassungsänderung ins Parlament einbrachte. Damit würde an der Wahl des Präsidenten durch das Parlament festgehalten, die qualifizierte Mehrheit aber im zweiten Wahlgang abgesenkt und ein dritter Wahlgang hinzugefügt werden, bei dem die einfache Mehrheit genügen soll. Mit diesem taktisch geschickten Zug konnte die PCRM die Unterstützung durch die EU reklamieren, sich das „Copyright“ für die naheliegendste und mit der bestehenden Verfassung am besten zu vereinbarende Änderung sichern und die AEI unter Zugzwang setzen. Am 6. April einigte sich dann auch die Koalition, anstatt einer neuen Verfassung eine Änderung der bestehenden vorzunehmen. Der von ihr eingebrachte Antrag sieht jedoch eine Direktwahl des Präsidenten vor.

Direktwahl des Präsidenten oder vereinfachte Wahl im Parlament

Dem Modus für die Präsidentenwahl dürfte grundlegende Bedeutung für die Entwicklung der Verfassungswirklichkeit wie für die Zusammenarbeit in der AEI zukommen. Eine Direktwahl wird zwangsläufig zur Aufwertung des Präsidenten gegenüber Regierung und Parlament führen. Seine Stellung hängt nicht nur von den formellen Kompetenzen des Amtes ab. Schon die Machtfülle, die Voronin faktisch ausgeübt hat, erklärt sich nicht aus den Verfassungsbestimmungen, sondern aus der dominierenden Stellung, die die PCRM im politischen System Moldaus und er selbst in ihr einnahmen. Das Parlament hingegen hat in seiner Amtszeit eigentlich nur Gesetzesvorlagen abgesegnet. Insbesondere solange andere demokratische Institutionen noch vergleichsweise schwach sind, könnte ein durch unmittelbare Volkswahl gewählter Präsident Autorität auch über seine konstitutionellen Befugnisse hinaus in Anspruch nehmen. In jedem Fall würde mit der Direktwahl ein Dualismus von Präsident und Regierung angelegt, der im schlimmsten Fall zu Politikblockaden wie in der Ukraine führen könnte.

Aus diesen Gründen trifft diese Lösung auch in allen Koalitionsparteien auf mehr oder minder starke Bedenken. Befürworter einer Direktwahl argumentieren meist mit der demokratischen Legitimation und der breiten Zustimmung der Bevölkerung. Sie verweisen zudem auf das Beispiel der meisten anderen europäischen Republiken und früherer verfassungsmäßiger Zustände in Moldau; tatsächlich hatte erst 2000 eine von der PCRM angeführte Parlamentsmehrheit die Wahl des Staatsoberhauptes durch die Abgeordneten gegen den damaligen Präsidenten Lucinschi eingeführt. Dieser Schritt gilt vielen Koalitionspolitikern heute als Vorspiel zur kommunistischen Machtübernahme. Für die sozialdemokratisch ausgerichtete PDM kommt hinzu, dass Marian Lupu der populärste Bewerber um das Präsidentenamt wäre; und auch unabhängig vom Ausgang der nächsten Parlamentswahl scheint die PCRM nicht über einen Kandidaten zu verfügen, der ihn schlagen könnte.

Lupus Anhänger fühlen sich in ihrer Präferenz durch die Direktwahl auch darin bestärkt, dass er persönlich tatsächlich als sehr qualifizierter Kandidat für die Präsidentschaft erscheint. Trotzdem könnte gerade die Direktwahl seine erneute Kandidatur zu einem Streitpunkt in der Koalition werden lassen. Vlad Filat, der mit seiner PDLM die Aufnahme in die EVP beantragt hat, hat sich seit der Regierungsbildung als führungsstarker Premierminister erwiesen. Doch die Aussicht, sich nicht nur mit mehreren Koalitionsparteien, sondern auch mit einem gestärkten Präsidenten in einer weit unabhängigeren Stellung arrangieren zu müssen, kann ihm nicht gefallen. Für Filat muss sich mit der Direktwahl des Präsidenten fast zwangsläufig die Frage stellen, aus welchem Amt heraus das Land künftig politisch geführt wird. Und dies wird wiederum fast zwangsläufig zu einer Verschärfung des politischen Wettbewerbs zwischen Lupu und Filat bei den nächsten Wahlen führen bis hin zur Frage der Präsidentschaftskandidatur. Für den Fall, dass die Direktwahl eingeführt wird, hat Filat seine Bewerbung bereits angedeutet.

Innerhalb der AEI dürften zur Verständigung auf das Ziel der Direktwahl allerdings auch taktische Motive beigetragen haben, hätte ein sofortiges Einlenken auf den Vorschlag der PCRM doch wie ein offenes Eingeständnis eines politischen Fehlschlages gewirkt. Ob in der Koalition jeder eine Einigung über die Verfassungsänderung wünscht, ist ebenso offen wie die Frage, ob die PCRM mit ihrem Antrag nicht auch nur taktische Motive verfolgt; denn ihr bleibt theoretisch die Möglichkeit, eine Verfassungsänderung nach dem Ablauf der Sechs-Monatsfrist immer noch scheitern zu lassen. Dann wäre jedoch bereits so viel Zeit verstrichen, dass sich verfassungskonforme Neuwahlen auch ohne Verfassungsänderung kaum mehr vermeiden ließen.

Sollte sie dabei keine Mehrheit gewinnen, könnte die PCRM dann doch über die Möglichkeit verfügen, die Präsidentschaftswahl erneut zu blockieren. Auch wenn die Koalition zusammenhält, würde sich die politische Krise fortsetzen, und die PCRM würde sich eine weitere Chance wahren, bei Neuwahlen in absehbarer Zeit an die Macht zurückzukehren. Zugleich aber würde eine gescheiterte Einigung über eine Verfassungsänderung auch den Verfechtern eines Referendums innerhalb der AEI eine neue Gelegenheit bieten, auf das Projekt einer neuen Verfassung zurückzukommen. Aber auch schon, um Druck auf die PCRM auszuüben, werden Koalitionspolitiker von dieser Option nicht gänzlich abrücken. Ähnlich verhält es sich mit der Entscheidung über die Auflösung des Parlaments und die folgenden Neuwahlen. Präsident Ghimpu hat nach der Einigung der AEI auf eine Verfassungsänderung ausdrücklich offen gelassen, wann er das Parlament auflösen würde.

Mögliche Szenarien

Welche Szenarien erscheinen danach möglich? Die reibungsloseste und vermutlich auch vorteilhafteste Lösung wäre, wenn sich die Koalition dem Vorschlag der PCRM für eine Verfassungsänderung anschließt. Ausgeschlossen ist aber auch nicht, dass die PCRM auf den Koalitionsentwurf eingeht; denn sie könnte bei einer Direktwahl des Präsidenten auf ein nicht mehr zu überbrückendes Zerwürfnis zwischen Filat und Lupu spekulieren, das ihr die Möglichkeit zu einer Koalition mit letzterem eröffnen könnte. Vermutlich würde Ghimpu in beiden Fällen dann verfassungskonform das Parlament auflösen. Im Idealfall käme es danach zu einer ähnlichen Koalitionsregierung, die nach einer erfolgreichen Präsidentenwahl eine Planungsgrundlage für vier Jahre und damit die Handlungsfähigkeit für tief greifende Reformen gewonnen hätte. Theoretisch bliebe die Möglichkeit, dass der amtierende Präsident die Parlamentsauflösung verweigert, wenn ihm die Umstände zu ungünstig erscheinen. Dabei würde er in seiner Doppelfunktion zwar über eine starke verfassungsrechtliche Stellung verfügen; denn obwohl der Parlamentspräsident mit einfacher Mehrheit gewählt wird, kann er doch nur mit einer 2/3-Mehrheit wieder abberufen werden. Doch da er sich mit einer Entscheidung gegen eine Parlamentsauflösung gegen nahezu alle anderen Kräfte stellen würde, wäre auch diese Möglichkeit gegeben.

Scheitert eine Änderung des Grundgesetzes, würde der verfassungskonformste Weg in einer schlichten Wiederholung des Prozederes von Reformversuch und Neuwahlen im kommenden Jahr bestehen. Aber da dies keine bessere Aussicht auf eine Überwindung der Krise eröffnet, wäre der konstitutionell korrekte Weg zugleich auch der staatspolitisch fragwürdigste. Wahrscheinlicher ist deshalb, dass die Koalition, wenn sie über den Wahltag hinaus Bestand hat, erneut und diesmal auch konsequent ein Referendum sucht. Dies ließe sich dann im In- wie Ausland auch weitaus besser rechtfertigen. Ein Reserveplan könnte darin bestehen, die Bestimmungen zur Präsidentenwahl in einem Ausführungsgesetz neu zu interpretieren; denn explizit schreiben sie nur für die erste Runde eine qualifizierte Mehrheit vor.

Für den unwahrscheinlicheren Fall, dass die PCRM die Wahlen gewinnen würde, lassen sich die Szenarien schon deshalb schwerer konkretisieren, da die Partei in der Opposition weniger Anlass hatte, Pläne zu entwickeln oder sich auf sie festzulegen, zumal sie auch mit inneren Problemen zu kämpfen hat. Wäre zuvor die Direktwahl eingeführt worden, könnte es zu einer Kohabitation mit einem Präsidenten aus den Reihen der Koalition kommen. Beim vorherigen Scheitern einer Verfassungsänderung aber dürfte die PCRM vor demselben Problemen stehen wie jetzt die Koalition; denn die Mehrheit für die Präsidentenwahl dürfte sie kaum erreichen.

Der Einfluss der Wirtschaftskrise

Die Auseinandersetzungen, die die Verfassungskrise hervorgerufen hat, müssen immer auch im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und politischen Krise des Landes gesehen werden. 2009 sank das BIP um neun Prozent. Das Haushaltsdefizit erreichte ebenfalls einen Wert von etwa neun Prozent des BIP. Ohne IWF-Hilfen hätte die Regierung Gehalts- und Rentenzahlungen kürzen oder einstellen müssen. Dafür verpflichtete sie sich jedoch zu einer schrittweisen Rückführung des Defizits, beginnend in diesem Jahr, die Steuererhöhungen und die Entlassung von Staatsbediensteten einschließt. Besonders schwer wiegt der Einbruch der Rücküberweisungen um 40 Prozent, da ein großer Teil der Erwerbsfähigen im Ausland arbeitet und Transferleistungen erheblich zur Einkommenssituation vieler Familien beitragen. Für die Bevölkerung hat sich die wirtschaftliche Lage unter der neuen Regierung also deutlich verschlechtert. Bis zur Wahl im vergangenen Juli hatte die PCRM größere Einschnitte noch durch eine Steigerung der Verschuldung vermeiden können, ja sogar großzügige Renten- und Gehaltssteigerungen versprochen, die sich von der neuen Regierung nicht umsetzen lassen.

Die AEI fand bei der Verantwortungsübernahme eine finanziell desaströse Lage vor, wird aber von der PCRM für die Folgen verantwortlich gemacht, die als Beleg einer angeblichen Unfähigkeit der Koalition angeführt werden. Tatsächlich gehören der Regierung eine Reihe kompetenter Mitglieder mit entschiedenem Reformwillen an. Vom politischen Potential sticht Moldau damit deutlich aus dem Kreis der Länder in der Östlichen Partnerschaft hervor. Die Regierung kann auch bereits durchaus auf Erfolge verweisen. In den im Januar aufgenommenen Verhandlungen mit der EU über ein Assoziationsabkommen erzielt Moldau offensichtlich weit schnellere Fortschritte als sie mit der Ukraine möglich waren. Die Medien sind pluralistischer geworden. Die Regierung Filat hat die Liberalisierung der Märkte in Angriff genommen. So wurden beispielsweise restriktive Importgenehmigungen für bestimmte Waren, die de facto nur einzelne Unternehmen privilegierten, abgeschafft.

Die ungelöste Verfassungskrise beschränkt jedoch die Möglichkeiten der Koalition, grundlegendere Reformen in Angriff zu nehmen, die zwangsläufig zunächst auch größere Einschnitte mit sich bringen würden. Die Ungewissheit über die Dauer von Regierung und Koalition untergräbt zudem die Autorität der Regierung in der Bürokratie. Ohnehin beeinträchtigen mangelnde Kapazitäten der Verwaltung die Implementierung von Gesetzen und Regierungsbeschlüssen. Umso wichtiger wäre es, dass die Regierung durch eine Überwindung der Verfassungskrise eine langfristigere Planungsgrundlage erhält.

Situation der Koalitionsparteien

Die Aussicht auf Neuwahlen beeinträchtigt aber nicht nur die Handlungsfähigkeit der Regierung; angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage nährt sie innerhalb der Koalition auch Befürchtungen vor einer erneuten Machtübernahme der PCRM. Vor allem für Präsident Ghimpu und viele seiner Anhänger wiegt diese Sorge schwer. In ihren Augen käme dies keinem demokratischen Regierungswechsel, sondern einem Rückfall in eine autoritäre Herrschaft gleich. Deshalb kommt es ihm darauf an, zunächst die Machtgrundlagen zu konsolidieren und demokratische Strukturen zu stärken, Neuwahlen aber zu verschieben, bis sich die wirtschaftliche Situation zu bessern beginnt. Ihm und seinen Anhängern sitzt dabei vor allem eine historische Erfahrung in den Knochen. 1999 hatte eine Koalitionsregierung unter Ion Sturza mit entschiedenen Reformen angefangen, die Einschnitte für die Bevölkerung mit sich brachten und ebenfalls mit den Auswirkungen einer Wirtschaftskrise zusammenfielen. Diese Reformen wurden in dem Glauben begonnen, mehrere Jahre Zeit zu haben. Aber bereits nach wenigen Monaten brach die Koalition auseinander, es folgten Neuwahlen, und die PCRM gewann eine 2/3-Mehrheit im Parlament.

Die Differenzen, die hinsichtlich der Verfassungsfrage innerhalb der Koalition sichtbar geworden sind, haben ihren Grund aber auch darin, dass die einzelnen Koalitionspartner mit der Aussicht auf Neuwahlen unterschiedliche Erwartungen verbinden. So beurteilen Filat und Lupu die Situation weniger dramatisch als Ghimpu. Beide sind auch international besser vernetzt – und reagieren deshalb sensibler auf die Vorbehalte der europäischen Partner. Beide können sich zudem von Neuwahlen Zugewinne für ihre Parteien versprechen, während Ghimpus Liberale Partei (PL) wohl eher mit Verlusten rechnen müsste. Dazu trägt auch bei, dass der Chisinauer Bürgermeister Chirtoaca, ein Zugpferd der PL in vergangenen Wahlen, an Beliebtheit eingebüßt hat. Ghimpu kann vor allem auf seine politische Konsequenz setzen, Lupu auf sein Charisma und Filat auf seine Managerqualitäten bauen.

Vom Niedergang bedroht ist bei Neuwahlen der vierte Koalitionspartner, die Allianz Unsere Moldau (AMN) von Serafim Urechean. Ihre Wahlerfolge in der Vergangenheit, insbesondere bei den Kommunalwahlen 2007, verdankte sie dem Umstand, damals als einzige echte Oppositionspartei erschienen zu sein. Doch kann sie mit den jüngeren Parteien Filats und Ghimpus sowie der erneuerten PDM Lupus nicht mehr wirksam um Kompetenz und Wählerstimmen konkurrieren. Auch ihre Mandatsträger werden zunehmend nach einer neuen politischen Heimat in den anderen Parteien suchen. Spätestens bei den Kommunalwahlen 2011 droht der Partei eine weitgehende Desintegration.

Da die AMN, auf sich allein gestellt, den Wiedereinzug ins Parlament zu verpassen droht, dürfte Urechean für sie den Anschluss an eine andere Partei suchen. Die AEI hat eine Änderung des Wahlgesetzes eingebracht, die u.a. die Wiederzulassung von Parteienblöcken einschließt. Die PCRM hatte die Möglichkeit einer gemeinsamen Kandidatur unterschiedlicher Parteien im Vorfeld der Wahlen vom April 2009 abgeschafft. Die Mehrzahl der insgesamt eher liberal eingestellten Wähler der AMN dürfte vermutlich zu Filat wechseln. Dies dürfte für diesen jedoch gegen ein Zusammengehen mit Urechean sprechen, zumal die PDLM organisatorisch bereits über eine gut ausgebaute Parteistruktur verfügt. Für Verhandlungen mit der PDM würde umgekehrt sprechen, dass deren Parteistrukturen noch weniger ausgebildet sind. Für Gespräche mit Ghimpu spricht eigentlich nur, dass auch dessen Partei bei den Wahlen eher verlieren als gewinnen dürfte. Für die Koalition insgesamt könnte ein Parteienbündnis mit der AMN einige Prozent an Wählerstimmen retten, die sonst nicht mehr im neuen Parlament repräsentiert sein könnten. Für jeden einzelnen Partner dürfte ein solcher Zusammenschluss jedoch eher als Belastung denn als Vorteil erscheinen.

Situation der PCRM

In der PCRM setzt sich die präsidentielle Führung Voronins fort. Die Frage seiner Nachfolge ist nach wie vor offen. Eine Gruppierung um den Parteistrategen Mark Tkaciuk scheint sich zur stärksten Kraft innerhalb der Partei entwickelt zu haben, er besitzt allerdings auch den Ruf einer polarisierenden Gestalt. Dagegen scheint Voronin einige jüngere Persönlichkeiten als Nachfolger in Stellung zu bringen. In Betracht kommt dabei der jüngst zum Geschäftsführer der Partei berufene Iurie Muntean. Beachtenswert ist auch, dass Igor Dodon kürzlich in die PCRM eingetreten ist. Parteiloser Wirtschaftsminister und Erster Vizepremier unter Voronin, genoss Dodon auch im Westen einen guten Ruf als Fachpolitiker. Künftig ist auch eine Aufspaltung der Partei in eine traditionelle Nachfolgeorganisation und eine stärker sozialdemokratisch orientierte Partei möglich. Entscheidend für die Erfolgsaussichten beider wäre dabei, wer die Kontinuität wahren und das strukturelle Gerüst der Partei übernehmen kann.

Eine Abspaltung der PCRM, fünf Abgeordnete unter der Führung von Vladimir Turcan, die die Partei Moldova Unita gegründet haben, spielt bereits eine entscheidende Rolle bei der Mehrheitsfindung im Parlament. Die Koalition steht in dieser Hinsicht vor dem Problem, dass einer ihrer Abgeordneten an der Parlamentsarbeit nicht teilnimmt. Damit ist ihre Mehrheit auf eine einzige Stimme geschrumpft, sodass sie zur Mehrheitssicherung immer wieder auf Verhandlungen mit den fünf ex-kommunistischen Abgeordneten angewiesen ist. Deren Abspaltung dürften auch weniger ideologische Gründe zugrunde liegen als die Tatsache, dass sie in der PCRM gegenüber anderen Gruppen ins Hintertreffen geraten sind und so gegenüber der neuen Regierung ihre geschäftlichen Interessen wahren wollten. Diese Gruppierung hat jedoch kaum eine Aussicht auf ein politisches Überleben in den kommenden Wahlen.

Für die PCRM könnte das Erfordernis einer 3/5-Mehrheit im Parlament für die Wahl des Präsidenten auch weiterhin das wichtigste Druckmittel darstellen, um eine Koalition unter eigener Führung erzwingen zu können. Deshalb stellt sich für die Koalitionsparteien die Frage, ob sich hinter ihrem Vorschlag für eine Verfassungsänderung vielleicht nur ein taktisches Manöver ohne echten Einigungswillen verbirgt. Die Strategie der PCRM dürfte dabei darauf zielen, Marian Lupu und die PDM aus der regierenden Koalition herauslösen zu können.

Marian Lupu gehörte früher selbst der PCRM an, hatte hohe Ämter inne, zuletzt das des Parlamentspräsidenten und wurde als Nachfolger von Voronin im Präsidentenamt gehandelt. Allerdings hatte er sich auch in der PCRM für demokratische Reformen eingesetzt, die Partei unter Protest gegen die Niederschlagung der Unruhen im April 2009 verlassen und war in die PDM gewechselt. Seine Popularität, aber auch die Tatsache, dass er ein glaubwürdiges Team von Mitstreitern um sich versammeln konnte, verhalf der Partei zu einem politischen Comeback. Für die PCRM gilt Lupu damit gleichzeitig als Verräter und potentieller Partner; denn eine Koalition mit der PDM bietet ihr die mit Abstand plausibelste Aussicht für einen Rückgewinn der Regierungsmehrheit. Trotzdem erscheint ein solches Szenario derzeit wenig wahrscheinlich; und zwar schon deshalb, weil es in allen Koalitionsparteien vor allem die Sorge vor einer erneuten Machtübernahme der PCRM ist, die die AEI zusammenhält.

Aussichten für die Koalition

Eine erneute Machtübernahme der PCRM bei den kommenden Wahlen würde das Land wohl tatsächlich zurückwerfen. Zwar sollte auch die PCRM nicht durch ideologische Scheuklappen wahrgenommen werden: Kommunisten dem Namen nach, geht es ihr zentral um die Ausübung von Macht. Doch ist die Partei ausgebrannt, sie verfügt über kein Konzept zur Lösung der Probleme, Voronin erscheint der Realität zunehmend entrückt. Die Nachfolgefrage ist ungeklärt, und die Partei selbst ist unreformiert geblieben, keine demokratische Partei auch unter ortsüblichen Verhältnissen, wo die Parteien generell eher Führerparteien sind.

Dabei kann die PCRM durchaus auf die Fragilität der AEI setzen. Je näher die Wahl rückt, desto größeren Belastungsproben wird die Zusammenarbeit in der Koalition ausgesetzt werden. Ein grundsätzliches Defizit bleibt dabei das Fehlen eines Koalitionsvertrages oder einer Art Koalitionsausschuss, der über Konsultationen in dem engen Kreis der vier Parteiführer hinausginge, die alle entscheidenden Fragen unter sich abmachen. Das spiegelt die Machtstellung der Vorsitzenden in ihren Parteien, bedeutet aber auch, dass es an einem Rahmen für eine regelmäßige Abstimmung und für verlässliche Vereinbarungen fehlt. Beide sind nicht nur potentielle Konkurrenten um Staatsämter, sie konkurrieren auch gegeneinander um Teile des Wählerspektrums und politisches Führungspersonal. Das alles bietet viel Konfliktstoff, insbesondere im Wahlkampf; und es dürfte Angriffsfläche bieten, vor allem für die PCRM.

Doch obwohl die schlechte wirtschaftliche Lage der PCRM in die Hände spielt, erscheint eine Machtübernahme durch sie allerdings eher unwahrscheinlich. Im Vergleich zu den letzten Wahlen fehlt der PCRM der Zugriff auf die administrativen Ressourcen. Gegen Voronins PCRM dürften sie zudem auf finanzstarke Unterstützer setzen können. Die PCRM verfügt auch nicht mehr über dieselbe Dominanz über die Medien wie noch vor einem halben Jahr – obwohl ihre Position auf dem Land nach wie vor sehr viel stärker ist als in Chisinau. Außerdem haben führende Vertreter der Koalition international Ansehen gewonnen; und insbesondere die Haltung der europäischen Institutionen ist ein wichtiger Träger politischer Legitimität in Moldau. Deshalb ist auch die Verfassungsdebatte brisant, weil sie je nach Verlauf solche Unterstützung in Frage stellen kann.

Ein Unsicherheitsfaktor bleibt die Frage, wie sehr sich die Koalitionspartner im Wahlkampf untereinander bekämpfen und zerstreiten. Denn wenn die PCRM keine Mehrheit gewinnen sollte, dürfte ihr nur ein unüberbrückbares Zerwürfnis innerhalb der AEI die Aussicht auf eine Koalitionsbildung unter eigener Führung eröffnen. Für Ghimpu und seine LP, ebenso für Filats PLDM ist eine antikommunistische Stoßrichtung integraler Bestandteil der Parteiräson und Voraussetzung ihrer Wahlerfolge. Ein grundsätzliches Abweichen davon wäre selbstzerstörerisch oder würde zumindest zu innerparteilichen Konflikten und einem massiven Vertrauensverlust führen.

Im Unterschied zu beiden Parteien hat Lupus PDM zwar eine größere Zahl früherer Wähler der PCRM für sich gewinnen können und muss auch die Funktion erfüllen, um das Wählerpotential der PCRM zu werben. Aber er wurde zugleich von vielen moderaten Wählern unterstützt, die zwar eine ausgleichende Politik befürworten, aber keine Koalition mit der PCRM. Eine solche Koalition dürfte auch beim übrigen Führungspersonal der PDM auf deutliche Vorbehalte stoßen. Seinen internationalen Partnern in der Sozialistischen Internationale, von denen er viel Unterstützung erhalten hat, wäre sie zud em kaum zu vermitteln. Außerdem ist Lupu natürlich bewusst, dass ihm als Juniorpartner in einer Koalition mit der PCRM die Vereinnahmung und Marginalisierung droht. Möglicherweise ist in einigen Jahren mit Nachfolgeparteien oder einer veränderten PCRM auch eine Zusammenarbeit in einer Regierung möglich. Doch heute dürfte sie Lupu seine Glaubwürdigkeit und seine Machtbasis kosten. Sie käme wohl allenfalls in Betracht, wenn sich gar keine andere Alternative mehr abzeichnet. Trotz aller Differenzen bleiben die Partner in der AEI aufeinander angewiesen. Diese Umstände sprechen für eine Fortsetzung der Koalition über die kommenden Wahlen hinaus, wenn auch vielleicht in einer veränderten Konstellation.

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