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Referendariat im Krisenland Libanon? Ja, und zwar: genau jetzt!

von Maximilian Lüderwaldt

Ein Erfahrungsbericht über die Wahlstation bei der KAS im Libanon.

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Wenn man Menschen erzählt, dass man seine Wahlstation des Rechtsreferendariats im Nahen Osten und dann auch noch im Libanon macht, erzählen die Reaktionen einem auch immer etwas über sein Gegenüber, mit dem man gerade spricht, und dessen Einstellung zu vermeintlichem Risiko und Reisen abseits von Pauschalurlauben und gemütlichen Städtetrips in Europa.  

Die einen sagen: "Bist Du verrückt geworden? Das ist doch viel zu gefährlich!" 
Die anderen sagen "Spannend! Darf ich Dich dort besuchen?"  

Wie es wirklich vor Ort ist, kann man natürlich nur einschätzen, wenn man einmal dort war und dies auch länger als für eine touristische Rundreise, die ich 2019 bereits mit Freunden durch den Libanon und auch vorher und nachher schon durch andere Länder des Nahen Ostens machte. So richtig im Rahmen meiner schulischen oder juristischen Ausbildung einmal in eine andere Kultur Einblick zu erhalten, ermöglichte mir während meiner Schulzeit mein High School-Aufenthalt in den USA und während meines Studiums mein Auslandssaufenthalt an der University of Cambridge in England. Auch im Referendariat wollte ich dann gerne eine Auslandsstation machen, was allerdings speziell für unseren Durchgang nicht einfach war, da über große Teile des Referendariats Corona und die daraus resultierenden Lockdowns und Beschränkungen zu Online-Lehre führten und Stationen entweder außerhalb des eigenen Bundeslandes oder außerhalb Deutschlands teilweise gar nicht möglich waren. 

Schon nach wenigen Treffen während unseres Einführungslehrgangs im Herbst 2020 wurden wir wegen der Pandemie nach Hause geschickt und hatten dann die Arbeitsgemeinschaften der gesamten Zivilrechtsstation, der gesamten Strafstation und der gesamten Verwaltungsstation, obwohl im Sommer (2021), online.  

Ein umso größerer Kontrast war es dann, im Sommer 2022 nach den schriftlichen Examensklausuren am Oberlandesgericht Düsseldorf einen Flieger aus Frankfurt nach Beirut zu nehmen und in eine komplett andere Welt abzutauchen.

 

Ich kann eine Wahlstation im Ausland generell und spezifisch im Nahen Osten im Libanon im Büro des Rechtsstaatsprogramms Naher Osten und Nordafrika bei Herrn RA Philipp Bremer und seinem Team jedem jederzeit uneingeschränkt empfehlen. Das Team besteht unter Herrn Rechtsanwalt Bremer, der vorher in einer bedeutenden Düsseldorfer Großkanzlei tätig war, aktuell aus einer deutschen wissenschaftlichen Mitarbeiterin, Frau Valeska Heldt, und mehreren libanesischen Ortskräften, unter anderem lokalen Anwälten, wie etwa Herrn Paul Saadeh, sowie meistens einem Referendar und einer Praktikantin. 

Der Mehrwert besteht neben vielen weiteren positiven Nebenaspekten aus drei Hauptsäulen: Der juristischen Ausbildung, der politisch-historisch-kulturellen Bildung, die man erfährt, und den Begegnungen mit den Menschen in der Region, sei es im Arbeitsalltag oder auf Reisen im Libanon oder in die Nachbarländer bzw. in die Länder der Region, wie in meinem Fall unter anderem Kairo und Alexandria in Ägypten, dem geteilten Nikosia auf Zypern und mehrfach Jordanien wie nach Amman, Jarash oder Petra. Aber auch die Orte, die ich an den Wochenenden innerhalb des Libanon besuchte wie Tripoli, Batroun, Jeita Grotto, Harissa, Byblos, Sidon, Tyre, Maghdouche, Anjar, Baalbeck, Chateau Ksara, Lake Chouwen, Qadisha, Bcharee, um nur einige Beispiele zu nennen, haben sich eingeprägt und viele unvergessliche Momente ermöglicht. 

Eine mehrmonatige Auslandsstation in einem sogenannten Krisenland fördert die eigene persönliche Entwicklung noch einmal stärker und verändert den Blick auf die Welt noch einmal drastischer als andere Auslandsstationen, die ich etwa bei den Vereinten Nationen in New York, am Deutschen Bundestag in Berlin, der Hessischen Staatskanzlei in Wiesbaden oder dem Europaparlament in Straßburg bzw. in einer Großkanzlei in London absolvierte. All dies waren sehr wertvolle Erfahrungen, aber auf einer anderen Ebene, denn: 

Im Libanon muss man, im Gegensatz zu den vorgenannten Orten, damit umgehen können, wenn man am Tag im Straßenverkehr mehrmals gefühlt Glück gehabt hat, zu überleben. Man muss auch eine Lösung finden, wenn der komplette Strom und das komplette Wasser ausfällt, man also (trotz guten Stadtteils, wie in diesem Fall Sioufi in Achrafieh oder Badaro) in einer komplett dunklen Wohnung in einer durchgehend dunklen Straße sitzt, im Kühlschrank nichts mehr kühlen kann, und die Klimaanlage im Sommer bei 35 Grad und einer hohen Luftfeuchtigkeit ausfällt oder der Taxifahrer nur arabisch (und nicht wie die meisten Libanesen, denen ich begegnet bin, auch französisch oder englisch) spricht und auf einmal klar wird, dass doch unklar ist, wo man eigentlich gerade hinfährt. Oder man Panzer und Soldaten mit schwerem Gerät sieht, und ein weiteres Silo am Hafen vor den eigenen Augen einstürzt oder man eine Lebensmittelvergiftung bekommt. Auch ist es teilweise schwer an SIM-Karten zu gelangen und monetär gibt es die offizielle Umtauschrate und die des Schwarzmarkts, derer sich fast alle bedienen, bei der ein Euro/Dollar nicht mehr, wie bei meinem Besuch 2019, 1500 LBP wert sind, sondern 30.000 LBP, so dass man bei dem Umtauschen von Geld auf einmal mehrere Millionen Libanesische Pfund in der Hand hat. Man also mit wenigen Euro plötzlich Lira-Millionär ist. Auch Lebensmittel, Sprit und Apothekenware können hier und da knapp sein. 

Man könnte diese Liste auch noch länger werden lassen. Was einen hiervon abschrecken könnte, macht aber auch gerade den Reiz einer solchen Station aus. Nicht als reiner Abenteuereffekt, denn natürlich wäre es schöner, die Probleme würden verschwinden und die Situation im Libanon würde auf einmal besser werden. Aber so ist es eben nicht. Und wenn die Menschen hier im Land dauerhaft damit umgehen, dann schafft man das selbst auch für drei Monate. Und lernt zu sehen, wie widerstandsfähig, freundlich und auf anderen Ebenen als der materialistischen die Menschen hier glücklich sein können- und kämpfen, auch wenn sie sich von ihrer Regierung oftmals im Stich gelassen fühlen.  

Um aber wirklich zu verstehen, woher diese schwierige Situation kommt, aus der die Menschen im Libanon immer wieder das beste machen, und das wurde mir in der Station hier noch einmal richtig bewusst, reicht es nicht, wie während unseres Urlaubs 2019, das ganze Land per Tagesausflügen zu bereisen. Man muss, so sagte es mein Ausbilder Herr Bremer mir auch zu Beginn meiner Station in seinem Büro, wirklich "eintauchen". Während ich also eintauchte, inklusive den ersten Schritten des Arabischlernens, bestätigte sich noch einmal, dass man auf rein touristischen Reisen, auch wenn man diese Illusion oft haben mag, ein Land nicht authentisch kennenlernen kann. Diese Schwelle des wirklichen Kennenlernens wird erst überschritten, wenn man lokale Anknüpfungspunkte hat wie einheimische Freunde, einen längeren Zeitraum für den eigenen Aufenthalt eingeplant hat oder aber vor Ort einem Job nachgeht, einfacher ausgedrückt: einen Alltag hat.  


Doch wie sieht nun der Arbeitsalltag aus? 

Im Büro selbst wird man direkt in das freundliche, professionelle, kompetente, lockere Team eingebunden und nicht wie ´der Referendar aus Deutschland, der nur kurz hier ist´ behandelt. Mal steht juristische Arbeit auf dem Tagesprogramm, mal auch juristische oder politische Übersetzungsarbeiten zwischen dem Englischen, dem Deutschen und dem Französischen sowie natürlich auch politisch-historische Recherchen. Auch spielen Konferenzen, Seminare und weitere Events eine große Rolle. Eines der Highlights war eine mehrtägige Reise in die jordanische Hauptstadt Amman (siehe auch https://www.kas.de/en/web/rspno/veranstaltungsberi chte/detail/-/content/workshop-best-practices-in-the-profession-of-a-lawyer-in-the-region), wo am 15. und 16. August 2022 ein Workshop in Kooperation des Rechtsstaatsprogramms Naher Osten und Nordafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Bundesrechtsanwaltskammer mit dem Titel "Best practices in the profession of a Lawyer in the region" stattfand.

Das Teilnehmerfeld umfasste mehr als zehn Länder, dazu gehörten Libyen, Tunesien, der Libanon, Marokko, Mauretanien, Algerien, Palästina, die Vereinigten Arabischen Emirate, Oman, Bahrain, das Königreich Jordanien und Deutschland. Die Gäste waren hohe Repräsentanten, teilweise die Präsidenten selbst, der jeweiligen Anwaltskammern ihrer Länder. 

Auch interessant war die Begleitung des Besuches von Herrn Maximilian Steinbeis, dem Gründer des Verfassungsblogs in Deutschland, in dessen Rahmen auch die Konferenz "The Digitization and Future of Law" im Lancaster Hotel in Beirut stattfand oder aber die Konferenz zum Thema "caretaker governments" im Smallville Hotel in Beiruter Stadtteil Badaro, um nur einige Beispiele zu nennen. 

Ein Beispiel für eine größere juristisch-völkerrechtliche Recherche war das Erstellen eines Papers zu den Abraham Accords. Diese sind, kurz gesagt, Abkommen zwischen dem Staat Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain, gefolgt in deren Unterzeichnung von Marokko und dem Sudan, vermittelt durch die USA, die manche kritisch, andere wiederum als einen der größten außenpolitischen Erfolge von Präsident Trump ansehen.  
Und das Besondere an diesen Recherchen ist, dass man sie nicht vom Schreibtisch in Deutschland aus durchführt, sondern immer wieder vor Ort durch Reisen und Gesprächspartner direkt Menschen ansprechen und sie fragen kann: "Wie siehst Du das? Wie geht es Dir damit? Wie wirkt sich das in dem Alltag von Euren Familien aus"? 


Alles in allem lässt sich daher sagen, dass eine Wahlstation hier vor Ort für jeden eine unvergessliche Erfahrung sein wird, welche die verschiedenen Aspekte, von Arbeitsalltag über Reisen bis hin zu Gesprächen bei privaten Begegnungen, die einem in drei Monaten im Nahen Osten begegnen können, sehr gut kombiniert. Von daher: Libanon, genau jetzt! 

Aufgrund des großen Interesses lohnen sich frühzeitige Bewerbungen. Oft sind wir bereits sechs Monate im Voraus ausgebucht. Weit über 1 Jahr vorher sind die Chancen deutlich höher. Wir erwarten neben sehr guten Englischkenntnissen auch Flexibilität, Teamfähigkeit und die Identifikation mit den Werten der Konrad-Adenauer-Stiftung. 

 

Unser Autor dieses Artikels: Dipl.-Jur. Maximilian B. Lüderwaldt, LL.B. hat als Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung Jura an der Bucerius Law School, wo er auch promoviert, und an der University of Cambridge studiert. Nebenbei hatte er diverse politische Posten in CDU, RCDS und Junger Union inne und hat Rechtswissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt unterrichtet. Weitere Stationen im Referendariat waren an einem Zivilgericht und einer Staatsanwaltschaft im Bezirk des OLG Düsseldorf, bei dem Präsidenten des Landtages Nordrhein-Westfalen und in einer US-amerikanischen Großkanzlei. Privat bereist er unter anderem gerne sämtliche Länder des Nahen Ostens. 

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Kontakt

Valeska Heldt, LL.M

ValeskaHeldt

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

valeska.heldt@kas.de +961 1 385 094 | +961 1 395 094

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