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Der Prozess von Hissène Habré

von Nadine Eis

Ein Wendepunkt in der internationalen Justiz?

„Nieder mit dem Imperialismus, nieder mit dem Neokolonialismus!“ Hissène Habrés Auftreten am ersten Prozesstag verrät alles über seine Verteidigungsstrategie. Von der europäischen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, steht der 72-jährige ehemalige Präsident des Tschad im Zentrum eines in der Geschichte bisher einmaligen Gerichtsverfahrens. Auf dem Spiel steht nicht nur die Vergangenheitsbewältigung einer vom Bürgerkrieg gezeichneten Nation, sondern auch die Zukunft der internationalen Justiz.

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Dakar ist in diesen Tagen Schauplatz eines Justizspektakels: Habré, dessen Regime von 1982 bis 1990 zehntausende Opfer in Tschad forderte, muss sich vor den Chambres Africaines Extraordinaires (Afrikanisches Sondergericht) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Folter verantworten. Der Prozess vor dem eigens eingerichteten Sondertribunal ist eine Premiere: Zum ersten Mal wird ein Ex-Präsident eines afrikanischen Staates in einem anderen afrikanischen Land vor Gericht gestellt. Zum ersten Mal wird das Weltrechtsprinzip durch ein afrikanisches Gericht angewandt: Es ermöglicht Drittstaaten, Strafprozesse unabhängig von der Nationalität der Opfer und Angeklagten oder des Tatortes zu führen – die völkerrechtliche Grundlage der Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofes.

Der Habré-Prozess beginnt in einer Zeit, in der die Kritik am internationalen Strafgerichtshof und der Ruf nach einem afrikanischen Pendant in den Reihen der afrikanischen politischen Elite immer lauter werden. Beim Gipfel der Afrikanischen Union in Äquatorialguinea im Juni 2014 einigte man sich auf Bestreben des kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyattas hin auf eine Ausweitung des Mandates des Afrikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte und die Rechte der Völker. Künftig sollen auch strafrechtliche Delikte wie Massenmord in den Kompetenzbereich dieses Tribunals fallen, was einen Austritt der afrikanischen Staaten aus dem Rom-Statut, wie von Robert Mugabe angedroht, wahrscheinlicher macht.

Die Akte Habré

Die Akte Habré ist beispielhaft für die Möglichkeiten und Grenzen einer den internationalen Normen angepassten innerafrikanischen Justiz. Die Machtübernahme des Absolventen einer französischen Eliteuniversität im Juni 1982 stürzt den Tschad in ein blutiges Jahrzehnt. Neben der systematischen Auslöschung bestimmter Ethnien im Land führte Habré einen kompromisslosen Krieg gegen die lybischen Truppen von Gaddafi, um seine Machtposition zu sichern. Das Terrorregime stützte sich auf die Direction de la Documentation et de la Securité (DDS), eine politische Polizei, die sich ausschließend aus Vertrauten Habrés oder Angehörigen seiner Ethnie zusammensetzt. „La piscine“, ein zum Folter-Gefängnis umfunktioniertes Schwimmbad aus Kolonialzeiten, wird zum Leidensort abertausender Menschen. Nach der Machtübernahme durch den aktuellen Präsidenten Idriss Déby im November 1990 flüchtet Habré, den Staatstresor im Gepäck, nach Senegal. In Dakar findet Habré einen komfortablen Zufluchtsort. Er genießt die Unterstützung von einflussreichen muslimischen Bruderschaften sowie politischen Autoritäten, heiratet eine Senegalesin als Drittfrau und sponsert einen lokalen Fußballclub. Unterdessen nahm im Tschad eine Untersuchungskommission ihre Arbeit auf und veröffentlichte 1992 ihren Bericht. Demzufolge hat das Habré-Regime 40.000 politische Morde, teilweise unter massivem Foltereinsatz, zu verantworten – ein Ergebnis, das zunächst ohne Folgen bleibt für den ehemaligen Despoten und seine zum Teil noch immer im Staatsdienst befindlichen Anhänger.

Im Jahr 2000 scheint für die Opfer Habrés und deren Hinterbliebenen die Zeit reif zur Abrechnung. Nun beginnt, was der südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu später als „unendlichen politisch-juristischen Fortsetzungsroman“ bezeichnen wird. Ermutigt durch das Erstarken der internationalen Justiz, die Festnahme von Pinochet 1998 und die Verurteilung von Milosevic 1999, ziehen tschadische Opferverbände in Senegal vor Gericht. Die senegalesische Justiz jedoch erklärt sich für unbefugt und weigert sich auch 2005, über einen durch belgische Richter gestellten Ausweisungsantrag für Habré zu statuieren. In der Zwischenzeit hat sich die Beweislage verdichtet. Bei einer Untersuchungsmission 2001 stößt Reed Brody, Rechtsberater und Sprecher von Human Rights Watch, auf die Archive der DDS. Die Listen der Gefangenen, Verhörprotokolle und teilweise von Habré unterzeichneten Dokumente verweisen auf mehr als 1.200 Todesopfer und über 12.300 Opfer von Menschenrechtsverletzungen.

Das juristische Hin und Her blieb über Jahre hinweg fruchtlos. Der senegalesische Präsident Abdoulaye Wade zeigte sich nicht kooperativ und erst bei der Amtsübernahme durch seinen Nachfolger Macky Sall rückte ein Prozess in greifbare Nähe. Im Juli 2012 schaltete sich der Internationale Gerichtshof ein und verurteilte Senegal wegen Nichtausübung seiner Pflichten gemäß der UN-Antifolterkonvention, verbunden mit der Forderung, Habré umgehend vor Gericht zu stellen. Senegal und die Afrikanische Union nahmen Verhandlungen auf, um ein Sondertribunal im Rahmen des senegalesischen Justizsystems einzurichten.

Die Chambres Africaines Extraordinaires

Im Februar 2013 wurden schließlich die Chambres Africaines Extraordinaires, ein afrikanisches Sondergericht ins Leben gerufen. Auf senegalesischem Boden wird Hissène Habré im Namen der afrikanischen Staatengemeinschaft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Folter angeklagt. Eine juristische Zusammenarbeit mit dem Tschad erleichtert das Untersuchungsverfahren. Bei den insgesamt vier Untersuchungsmissionen im Tschad werden rund 2.500 Opfer, sowie ehemalige Mitglieder des Regimes befragt. Exhumationen fördern Massengräber zutage. Zwei Jahre nach Einweihung des Habré-Tribunals sind genug Beweise gesammelt, und am 20. Juli 2015 ist der von den Betroffenen lang ersehnte Moment gekommen: Der Prozess um das Habré-Regime wird in den Räumlichkeiten des Obersten Gerichtshofes in Dakar eröffnet. Eine Besonderheit des Habré-Prozesses ist die Präsenz der Opfer. Der Anwalt der Opfer Assane Dioma Ndiaye formuliert das Selbstverständnis seiner Mandaten wie folgt: „Wäre der Prozess ein Baby, würden die Opfer die Elternschaft einfordern“. Tatsächlich haben sich mehr als 2.240 Betroffene in Verbänden organisiert und als Nebenkläger konstituiert. Nicht zuletzt durch die massive Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen, allen voran Human Rights Watch, zahlt sich ihre über Jahrzehnte andauernde Hartnäckigkeit nun aus und ihre Erwartungen wurden erfüllt: Das Recht auf einen fairen Prozess. Das Recht, ihr Anliegen in der Öffentlichkeit vortragen zu können. Das Recht, ihre Leiden zu teilen und damit einen Teil der verloren geglaubten Würde zurückzubekommen.

Aus logistischen Gründen werden lediglich 100 Opfer als Zeugen am Prozess teilnehmen können – eine umso größere Rolle spielt die Mediatisierung des Prozesses. Das Statut des Tribunals sieht eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit vor. Die Sitzungen, für Journalisten und NGOs frei zugänglich, werden aufgezeichnet und mit 30 minütiger Verzögerung im senegalesischen und tschadischen Staatsfernsehen ausgestrahlt. Darüber hinaus organisiert ein Sensibilisierungs-Komitee Informationsveranstaltungen für Journalisten und die Zivilgesellschaft zum Prozess. Alle Bedingungen sollen geschaffen werden, um dem Habré-Prozess eine gesamtgesellschaftliche Relevanz zu verleihen und ihn zur Abrechnung eines ganzen Volkes mit seinem „Henker“, so Opferanwältin Jacqueline Moudeina, zu machen. Über die Berichterstattung zum Prozess selbst hinaus verleihen die Porträts von Einzelpersonen dem Grauen des Habré-Regimes ein Gesicht. Da ist zum Beispiel Souleymane Guengueng, der einzige senegalesische Überlebende, der am Prozess teilnimmt und dessen handgeschriebene Augenzeugenberichte von rund 790 Mitleidenden als Beweismaterial beitragen.

Ein Prozess von politischem Gewicht

Doch es werden auch kritische Stimmen laut. Hissène Habré hat noch immer viele, teils prominente, Unterstützer, die den Prozess als politisch motiviert denunzieren. Insbesondere die Rolle der aktuellen Regierung des Tschads sorgt für Kontroversen. Schließlich war Präsident Idriss Déby unter Habré Chefkommandant der Armee und 1984 beim sogenannten ‚schwarzer September‘ an einer massiven Repressionswelle gegen ethnische Gruppen im Süden des Landes beteiligt. Die Verantwortlichen bei den Chambres Africaines Extraordinaires haben die Möglichkeit, auch Déby strafrechtlich zu verfolgen: Das Mandat des Tribunals sieht die Verfolgung und Verurteilung der hauptsächlichen Verantwortlichen für die zu Regimezeiten verübten Gräueltaten vor, und selbst amtierende Politiker können belangt werden. Dennoch vertrauen viele Betroffene und ein Teil der Öffentlichkeit der Kompetenz des Gerichts in diesem Punkt nicht. Bei den Konferenzen und Workshops zum Prozess kommt es immer wieder zu Fragen bezüglich der Verantwortung von Déby, und das vorgebrachte Argument, die internationale Gerichtsbarkeit ziele grundsätzlich auf den in der Hierarchie am höchsten stehenden Verantwortlichen ab, erscheint unbefriedigend. Tatsächlich wirft die Haltung des Tschads Fragen auf. Nach einer anfänglichen Kooperationsbereitschaft und einer drei Millionen Euro schweren Beteiligung am Budget des Tribunals verweigerten die tschadischen Autoritäten 2013 die Ausweisung von zwei weiteren Verdächtigen. Im Eilverfahren wurde ihnen im März 2015 zusammen mit 18 weiteren ehemaligen DDS-Mitarbeitern der Prozess gemacht. Im Juni 2015 musste ein Journalist von Radio France International, der ein ehemaliges Mitglied einer Habré-feindlichen Bürgerwehr interviewen wollte, den Tschad ohne weitere Erklärungen verlassen. Eine mögliche Erklärung für diese Unstimmigkeiten ist, dass im Tschad das Regime Habré keineswegs der Vergangenheit angehört. Die Verwaltung des Landes ist noch immer mit Habré-Anhängern durchsetzt, und der Clan des aktuellen Präsidenten kann unter anderem auf deren Unterstützung zählen. Der Fortgang des Prozesses in Bezug auf Idriss Déby ist auch für die internationale Staatengemeinschaft von Interesse, denn das tschadische Regime ist eine Stütze im Kampf gegen den Terror in der Region. Und dem Sicherheitsinteresse zuliebe wird bei Persönlichkeiten wie General Ahmat Dari, Leiter der tschadischen Mission gegen Boko Haram und ehemaliger Funktionär der DDS, nicht so genau hingeschaut.

Der Habré-Prozess ruft zudem in den Reihen der okzidentalen Politeliten ungeliebte Erinnerungen wach. Mit Blick auf die diplomatische Haltung von Frankreich und den USA zu Zeiten des Habré-Regimes bekommen deren heutige finanzielle Beteiligungen am Prozess-Budget (jeweils 300.000 bzw. eine Million Euro) einen negativen Beigeschmack.

Das Habré-Regime fällt in eine Zeit, in der die Reagan-Administration den Kampf gegen den islamistischen Terror zu ihrem Hauptziel erklärte und zur politischen Profilierung gegenüber dem kommunistischen Block nutzte. Hissène Habré wurde zum wichtigsten Verbündeten gegen den gemeinsamen Feind Muammar al-Gaddafi. Die USA unterstützen Habré bei dessen Machtübernahme sowie im Kampf gegen die lybischen Expansionsbestrebungen. Neben der Lieferung von Kriegsmaterial kam es zur Einrichtung eines geheimen Stützpunktes zur Ausbildung von Einsatztruppen, und einige ausgewählte DDS-Mitarbeiter nahmen an Fortbildungen in den USA teil. Auch Frankreich unter Mitterrand beteiligt sich mit Waffen, Logistik und Informationsdiensten an der Festigung des Habré-Regimes, und die Stichwörter Operation Manta (1983) sowie Operation Épervier (1986) dürften der französischen Regierung angesichts der heutigen Beweislage gegen Habré Kopfschmerzen bereiten.

Die Habré-Affäre ist in vielerlei Hinsicht emotional überfrachtet, und die potentiellen Fallstricke für einen juristisch und moralisch einwandfreien Strafprozess sind zahlreich. Dementsprechend verfolgen die Opferanwälte um Assane Dioma Ndiaye ein klares Ziel: Der Prozess soll ein musterhaftes Beispiel der Fairness sein und die Wahrheit zutage fördern. Nur absoluter Respekt der Rechte der Verteidigung sowie eine saubere Beweisführung und die höchstmögliche Professionalität der Richter können die Integrität der Opfer wahren. Doch spätestens seit dem Prozessbeginn am 20. Juli ist klar, dass der Prozess allen formalen Bedingungen zum Trotz in eine Justizsatire abzugleiten droht. Grund hierfür ist die Haltung der Verteidigung um Habré, die jegliche Zusammenarbeit mit dem Gericht verweigert. Schon am ersten Prozesstag gelingt es Habré, bejubelt von seinen Anhängern, den Gerichtssaal als Plattform zur Selbstdarstellung zu missbrauchen. Anstatt ihrer Aufgabe nachzugehen, begnügen sich Habrés Anwälte damit, in den Fluren des Gerichtsgebäudes Stellungsnahmen darüber abzugeben, weshalb die Chambres Africaines Extraordinaires illegitim seien. Die Verhandlung wurde nach kurzer Zeit unterbrochen und auf den folgenden Tag verschoben, doch auch am zweiten Verhandlungstag torpedierten Habré und seine juristischen Vertreter den Fortgang des Prozesses. Die Richter sehen sich gezwungen, Habré drei Pflichtverteidiger zur Seite zu stellen. Für deren Einarbeitungszeit sind die Verhandlungen nun bis zum 7. September unterbrochen, und der ehemalige tschadische Diktator scheint einen Teilsieg errungen zu haben. Bei seinem betont triumphalen Auszug aus dem Gerichtsgebäude scheint Habré unbekümmert angesichts der Strafe, die ihm droht: Er riskiert nicht nur eine lebenslange Haftstrafe, sondern auch eine Enteignung zu Reparationszwecken.

Zur Entschädigung der Opfer könnte das Gericht darüber hinaus einen Fonds schaffen. Angesichts des Verlaufs dieser ersten Prozesstage dürfte die Aussicht auf eine materielle Entschädigung für die Opfer in den Hintergrund treten: Vielmehr geht es längst darum, dass Habré ihr Projekt eines sauber geführten und von Betroffen initiierten Strafprozesses nicht zum Fallen bringt – dadurch könnte er seine Machtposition beibehalten. Die Strategie der Verteidigung, auf Zeit zu spielen, ist indes nicht sehr weit hergeholt: Tatsächlich ist das Mandat der Chambres Africaines Extraordinaires zeitlich begrenzt und läuft im Februar 2016 ab. Das Budget ist eingeschränkt. Die Gefahr, dass Habré seinem Urteil vorerst entkommt, ist demnach reell. Es bleibt zu hoffen, dass der senegalesische Generalstaatsanwalt Mbacké Fall mit den Worten, die er zum Prozessauftakt an Hissène Habré richtet, recht behalten wird: „Ihr Schweigen wird von den Afrikanern nicht als Verteidigungsstrategie, sondern als Eingeständnis der ihnen vorgeworfenen Vergehen interpretiert werden!“

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