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Goods and Services Tax (GST) – Erfolg oder Bürokratiemonster?

von Peter Rimmele, Philipp Huchel, Matthias Schnabel

Ein Jahr nach der Einführung der umfangreichen Steuerreform steht diese auf dem Prüfstand

Mit der Einführung der Goods and Services Tax (GST) hat Indien seit dem 1. Juli 2017 ein einheitliches Umsatzsteuersystem. Ein Jahr nach der Einführung wird deutlich, dass die Reform zwar mit Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen hat, dies jedoch bei einem Projekt solchen Umfangs auch im internationalen Vergleich normal ist. Langfristig werden die Erfolge der Reform, wie die Schaffung eines einheitlichen indischen Wirtschaftsraums und die Verbreiterung der Steuerzahlerbasis, überwiegen.

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Mit den Worten: „It will create one tax, one market for one nation. It will be an India which will write a new destiny“ führte Finanzminister Arun Jaitley am 01. Juli 2017 die Goods and Services Tax (GST) ein, eine mit der deutschen Umsatzsteuer vergleichbare indirekte Steuer. Damit erhielt das Land zum ersten Mal ein einheitliches Umsatzsteuersystem, welches eine der größten Steuerreformen des Landes in seiner bisherigen Geschichte darstellt.

Bereits seit Mitte der 1980er Jahre wurde eine solche Reform diskutiert, die sich ab Anfang der 2000er Jahre durch Gesetzesinitiativen konkretisierte. Bislang waren jedoch alle bisherigen Regierungen an dieser Reform gescheitert.

Der indische Steuer-Dschungel

Auch vor der GST existierten bereits verschiedene Umsatzsteuern in Indien. Diese Value Added Taxes (VAT) wurden jedoch von den 29 Bundesstaaten selbst in jeweils unterschiedlicher Höhe festgelegt. Zusätzlich wurde auf dieselben Produkte noch eine VAT von der Zentralregierung erhoben. Folglich gab es innerhalb Indiens eine Vielzahl unterschiedlicher Steuersätze für die Umsatzsteuer. Darüber hinaus existierten 14 einzelne Steuern, wie eine Verbrauchssteuer, Vergnügungssteuer, Werbesteuer, Eigentumssteuer, Zölle etc., welche alle separat erhoben wurden und unterschiedlich hoch waren. Die Konsequenz war einerseits Intransparenz darüber, welche Steuern in welcher Höhe am Ende den Kaufpreis eines Produktes beeinflussten. Andererseits verursachte dieser Umstand eine Besteuerung von bereits gezahlten Steuern (Kaskadeneffekt). So fielen bspw. Steuern an, wenn ein Hersteller Waren an einen Händler verkaufte. Wenn dieser dann an den Endkunden verkaufte, musste Letzterer nicht nur auf das Produkt selbst Steuern zahlen, sondern auch auf die Steuern, welche der Händler zahlte und natürlich über den Verkaufspreis weitergab. Folglich wurden unbeabsichtigt höhere Preise für die Endkunden verursacht.

Gleichzeitig war es auch der indischen „Kleinstaaterei“ geschuldet, dass dieselben Steuern in verschiedenen Bundesstaaten unterschiedlich hoch waren. Daher kam es dazu, dass Warentransporte an den Grenzen der Staaten für Kontrollen länger aufgehalten wurden, um die jeweilige Steuer für die Güter zu bezahlen. Beispielhaft für die Einschränkung des innerindischen Handels steht die Aussage eines Staatssekretärs des indischen Finanzministeriums, dass ein LKW pro Fahrt durchschnittlich 48 Stunden an Checkpoints verbrachte. Hierbei spielte auch Korruption eine Rolle. So wurde das Passieren der Grenze teilweise nur nach Zahlung von Bestechungsgeldern an die Grenzbeamten gewährt.

Ziele der GST

Ziel der Regierung war es demnach, mit der Einführung der GST die zuvor benannten Probleme, wie die unterschiedlichen Steuersätze in den Bundesstaaten, den Kaskadeneffekt sowie die Behinderung des innerindischen Handels, zu beseitigen. Ein weiteres Ziel war es, die Steuerbasis zu verbreitern, um im Gegenzug die Steuersätze zu senken. Hierfür sollte der in Indien große informelle Sektor eingedämmt werden. Ein bedeutsamer Schritt angesichts der indischen Schattenwirtschaft. Knapp 90 Prozent der indischen Arbeitskräfte sind entweder im informellen Sektor tätig oder sind in der organisierten Wirtschaft informell, z.B. ohne Arbeitsvertrag oder Anspruch auf Sozialleistungen, beschäftigt und führen folglich keine Steuern an den indischen Staat ab. Gesamtwirtschaftlich gesehen werden ca. 50 Prozent des indischen BIP außerhalb angemeldeter Unternehmen generiert.

Seit einer ersten wirtschaftlichen Liberalisierung in den 1990ern hat Indien seine protektionistische Außenwirtschaftspolitik zwar schrittweise gelockert. Auch aufgrund der zuvor genannten hohen Abgabenlasten blieb Indiens Einbindung in den Weltmarkt aber weit hinter den Möglichkeiten zurück, da indische Produkte preislich oft nicht konkurrenzfähig waren. Dazu kommen signifikante bürokratische Hürden, die ausländische Investoren mitunter abschrecken. Mit der Einführung der GST bezweckt die indische Regierung, die Außenhandelsstrategie für die Jahre 2015 – 2020 zu unterstützen. Prognosen sahen daher insbesondere Wachstumschancen für das herstellende Gewerbe, durch die Senkung von Produktionskosten, und den Handel Indiens, welcher massiv von einem landesweit einheitlichen Mehrwertsteuersatz und einem vereinfachten Binnenhandel durch schnellere Grenzübertritte profitieren dürfte. Die Ausnahme bildete der Agrarsektor, welcher Schätzungen nach, negativ von der GST betroffen sein könnte.

Funktionsweise der GST

Die neue GST besteuert fast alle Güter und Dienstleistungen mit 0, 5, 12, 18 oder 28 Prozent. Mit null Prozent werden Grundnahrungsmittel, wie Getreideprodukte oder Gemüse, besteuert. Die niedrigsten Steuern von fünf Prozent fallen an für Verbrauchsgüter des täglichen Bedarfs wie Tee, Öl oder Gewürze. Mit 12 Prozent besteuert werden verarbeitete Lebensmittel wie Tiefkühlkost, Toast oder Süßigkeiten. 18 Prozent Abgaben fallen an auf Dienstleistungen und alle Güter, welche nicht einer der anderen Kategorien zuzuordnen sind, beispielsweise Elektrogeräte oder Seife. Mit dem Höchstsatz von 28 Prozent werden Luxusgüter, große Haushaltsgeräte und Waren versteuert, welche vorher mit einer sogenannten „Sündensteuer“ besteuert wurden. Dies betrifft u.a. teure Autos, weiße Ware, also Kühlschränke oder Waschmaschinen, außerdem Alkohol oder Tabak. Außerdem gibt es nun einen Vorsteuerabzug für Exportgüter, diese werden damit auf dem Weltmarkt deutlich günstiger. Ein wesentliches Element des neuen Steuersystems ist außerdem das GST-Netzwerk. Die Online-Datenbank, in der sich jeder Steuerzahler registrieren muss, um z.B. Quittungen nachzuweisen oder Rückzahlungen zu beantragen, wird von einer nicht-profitorientierten Organisation betrieben.

Erfolge der neuen GST

Ein deutlicher Erfolg der neuen GST war die Reduzierung des Kaskadeneffekts. Unter der GST ist es für Händler nun möglich, die Differenz zwischen der Steuer auf ihre Einkäufe und der Steuer auf ihre Verkäufe zurückerstattet zu bekommen. Diese Vorsteuerabzugsberechtigung reduziert die Steuerlast und damit den Preis für den Endkunden deutlich. Während immer noch manche Steuern von der Zentralregierung, andere von den Bundestaaten erhoben werden und eine extra integrierte Umsatzsteuer (IGST) für Exportgüter existiert, hat die Zusammenfassung der ursprünglichen Steuern zu einer Steuer mit wenigen Steuerklassen ebenfalls zur Reduzierung der anfallenden Abgaben geführt. Außerdem hat dies zur Transparenz des Systems beigetragen.

Der Bürokratieabbau hatte durch die Vereinheitlichung im Handel über bundesstaatliche Grenzen hinweg bereits ein halbes Jahr nach Einführung der GST spürbare Auswirkungen auf den Logistiksektor. Dank besserer Planbarkeit und freierem Handel zwischen den Bundesstaaten konnten Unternehmen die Anzahl ihrer Lagerhäuser schon bis Dezember 2017 reduzieren und damit ihre Effizienz steigern und Kosten verringern. Transporte verbringen weniger Zeit an Checkpoints der Bundesstaatsgrenzen und schaffen so ein Viertel mehr Strecke in der gleichen Zeit.

Die meisten Bürger dürften durch die GST-Reform finanziell entlastet werden. Insbesondere Gegenstände des täglichen Gebrauchs sind nun mit 0 Prozent besteuert oder fallen in niedrige Steuerkategorien. Laut Erhebungen der Weltbank von 2011, leben nach wie vor knapp 20 Prozent der indischen Bevölkerung in Armut und damit pro Person von weniger als 2 USD am Tag. Vor allem für diese Schicht stellt die 0-Prozent-Steuer auf Grundnahrungsmittel eine deutliche Reduzierung ihrer Ausgaben dar. Damit leistet die Einführung der GST auch einen Beitrag zur Armutsbekämpfung.

Erklärtes Ziel der GST war es, die Steuerbasis zu erweitern, um die niedrigeren Steuersätze auszugleichen. Dies sollte vor allem durch die Eindämmung des informellen Wirtschaftssektors erfolgen. Mit der GST wurden sowohl Anreize geschaffen, offiziell Gewerbe anzumelden als auch die Konditionen erschwert, informell Handel zu treiben. Das eingerichtete GST-Netzwerk hat hierzu wesentlich beigetragen. Einerseits müssen auch nichtregistrierte Zwischenhändler im Ankauf Steuern mitbezahlen, die dem Hersteller in der Produktion auferlegt wurden und die dieser in der Regel weitergibt. Durch die Anmeldung ihres Geschäfts können sie dies aber steuerlich geltend machen und Teile der dadurch entstandenen Ausgaben zurückerhalten. Wenn andererseits ein Unternehmen nun Rückzahlungen einfordert, werden prüfbare Belege von Geschäftspartnern nötig, die nur ein angemeldetes Gewerbe ausstellen kann. Somit wird die Kooperation zwischen formellem und informellem Sektor erschwert, um zur Einhaltung der Steuergesetze zu motivieren. Dieses Konzept scheint auch zu funktionieren, denn bereits 23 Tage nach Einführung der GST wurden 800.000 Steuerzahler im Netzwerk registriert, welche im vorherigen System nicht erfasst waren.

Darüber hinaus verbesserte die Steuerreform Indiens Einbindung in den Welthandel. Die Vereinfachung des Umsatzsteuersystems nach Vorbild vieler anderer Staaten und die effektive Senkung von Importzöllen durch ihre Anrechenbarkeit auf Verkaufssteuern dürfte das Land zu einem attraktiveren Handelspartner machen. Im Inland hergestellten Waren wird auf die gleiche Weise die Ausfuhrsteuer erlassen, dies macht indische Produkte auf dem Weltmarkt günstiger und damit konkurrenzfähiger. Von Juli 2017 bis Januar 2018 zeigte sich bereits, dass die Exporte aus Indien im Vergleich zum Vorjahr 9,8 Prozent höher waren.

Probleme und Ausblick

Nichtsdestotrotz hat das reformierte Steuersystem mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen. Während unterschiedlichste Reformen der letzten Zeit Indien von Platz 130 in die Top 100 des „Ease of Doing Business – Rankings“ der Weltbank beförderten, fürchten Experten trotz der GST-Reformen einen Platzverlust in der Rangliste für 2019.

Problematisch ist vor allem die komplizierte Zuordnung von Produkten und Dienstleistungen in die fünf Steuersätze. Unternehmen, aber auch Kunden, ist es fast unmöglich zu erfassen, welcher Steuersatz für welches Produkt oder welche Dienstleistung gilt. Gleichzeitig werden diese durch den GST-Council im Zuge von Anpassungen ständig verändert und einige Produkte, wie Benzin oder Alkohol werden nicht im Rahmen der GST besteuert, sondern weiterhin durch eine Value Added Tax. Insgesamt ist die Steuer also deutlich zu kompliziert und schafft durch die unterschiedlich hohen Steuersätze auf Produkte und Dienstleistungen zum einen Verwirrung und zum anderen auch einen hohen administrativen Mehraufwand, sowohl für Unternehmer als auch für die Finanzbehörden.

Zusätzliche Probleme sind größtenteils auf eine unzureichende Information durch die Regierung sowie technische Umsetzungsschwierigkeiten zurückzuführen. Die Gründe dafür liegen vor allem im GST-Netzwerk. Komplizierte Antragsverfahren und Verzögerungen bei der Auszahlung von Steuerabzügen, insbesondere für Exporteure, erschweren das Zahlen von Steuern derzeit. Außerdem haben besonders kleine und mittelständische Unternehmen Probleme die Online-Formulare korrekt auszufüllen, da ihnen häufig das notwendige Wissen fehlt.

Langfristig sollen die derzeitigen Probleme jedoch behoben werden. Der regelmäßig tagende GST-Council hat bereits mehrere Neujustierungen vorgenommen. Auch im internationalen Vergleich sind Anfangsschwierigkeiten wie die GST sie derzeit hat, normal. Als Deutschland 1968 seine Umsatzsteuer einführte, beschwerte sich ein Berater der Düsseldorfer Industrie- und Handelskammer, „viele Leute haben das Verfahren nicht kapiert, es ist entsetzlich“ und der damalige Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertag beklagte „grässliche technische Schwierigkeiten“.

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