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Italicum entscheidet über Renzis Zukunft

von Caroline Kanter, Silke Schmitt

Streit um das neue Wahlgesetz

Das neue Wahlgesetz Italicum gehört seit gut einem Jahr zum Schwerpunkt der Reformanstrengungen der Regierung Matteo Renzis. Nun hat der Ministerpräsident die endgültige Verabschiedung des Gesetzes in der Abgeordnetenkammer an die Vertrauensfrage geknüpft und damit einen Teil seiner „linken“ Parteikollegen und die Opposition unter Druck gesetzt. Die ersten beiden Abstimmungen von drei hat Renzi überstanden und er blickt optimistisch auf den letzten Wahlgang.

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Seit gut einem Jahr ist Matteo Renzi im Amt. Zwei bis drei Mal pro Monat hat er sich der Vertrauensfrage gestellt, um Gesetze und Dekrete durch das Parlament zu peitschen und seine Reformanstrengungen voranzubringen. Am gestrigen Mittwoch war er bei der 35. Vertrauensfrage angelangt, die über den ersten Artikel des neuen Wahlgesetzes Italicum entscheiden sollte. Diese erste von drei Wahlen konnte Renzi für sich entscheiden: Von 560 Parlamentariern in der italienischen Kammer votierten 352 mit ja, 207 stimmten dagegen und es gab eine Enthaltung. Auch am heutigen Donnerstagmorgen sprachen die Abgeordneten Matteo Renzi das Vertrauen aus.

Am Nachmittag ist eine weitere Abstimmungen zu Artikel 4 des Wahlgesetzes geplant. Am kommenden Montag soll das Gesetz dann endgültig verabschiedet werden, damit es ab Juli 2016 in Kraft treten kann. „Die Vertrauensfrage an das Wahlgesetz zu knüpfen, ist eine Geste der Seriosität gegenüber der Bürger“, sagte Ministerpräsident Matteo Renzi nach Angaben der Medien. „Wird Italicum abgewiesen, geht das Parlament nach Hause“, so Renzi.

Nachdem das neue Wahlgesetz ein knappes Jahr lang debattiert wurde, hatte der italienische Senat die Wahlrechtsreform bereits Ende Januar abgesegnet – auch mit den Stimmen der Opposition. Dies war allerdings vor der Wahl des neuen italienischen Staatspräsidenten, als der „Nazareno-Pakt“ zwischen Renzi und Berlusconi noch Bestand hatte. Seitdem kann Renzi nicht ohne weiteres auf die Unterstützung der „Forza Italia“ zählen und auch im eigenen Lager stößt er mit seinem Führungsstil und seinen Inhalten zunehmend auf Widerstand.

Ein neues Wahlgesetz für Italien war notwendig geworden, weil das italienische Verfassungsgericht das aus dem Jahr 2005 stammende Wahlgesetz „Porcellum“ Anfang 2014 für verfassungswidrig erklärte. “Porcellum“ machte die Bildung großer Koalitionen notwendig, was zu Instabilität und zu überzogenen Forderungen seitens kleiner Parteien führte.

Streitpunkte des neuen Wahlgesetzes

Italicum soll den Einfluss kleiner Parteien einschränken und Zweck-Koalitionen verhindern. Dafür sorgt ein Mehrheitsbonus für die meistgewählte Partei und nicht für die Koalition. Erreicht eine Partei im ersten Wahlgang 40% der Stimmen, wird ihr die absolute Mehrheit – mit 340 Sitzen in der Abgeordnetenkammer – zugestanden. Die restlichen 290 Sitze werden an die Parteien verteilt, die die Drei-Prozent-Hürde geschafft haben. Erhält keine Partei 40% der Wählerstimmen, so ziehen die beiden stärksten Parteien in eine Stichwahl ein. Der Gewinner dieser Stichwahl erhält dann den Bonus - also die 340 Sitze - und damit die absolute Mehrheit in der Abgeordnetenkammer. Die Bildung einer Regierungskoalition zur Mehrheitsfindung ist demnach nicht mehr notwendig.

In der ursprünglichen Version des Italicums, die bereits im März 2014 von der Abgeordnetenkammer verabschiedet wurde, ging der Mehrheitsbonus an die Koalition (nicht an eine einzelne Partei) mit den meisten Stimmen. Die Gegner der jetzigen, veränderten Version von Italicum wollen wieder zu dieser, vor einem Jahr gebilligten Version zurückkehren.

Ein weiterer Kritikpunkt sind die von den Parteien zu erstellenden Listen. Die Kandidaten werden – wie bislang auch – von der Parteiführung und im Falle der PD durch Vorwahlen (Primarie) festgelegt. Jede Partei kann in den 100 Wahlkreisen in Italien mit einer Liste antreten. Auf jeder Liste können bis zu sieben Kandidaten aufgestellt werden, die paritätisch besetzt sein müssen. Die Anzahl der Kandidaten wird anteilig, dem Wahlergebnis entsprechend berechnet. Die Partei mit den meisten Stimmen kann wahrscheinlich ihre sechs bis sieben Kandidaten nach Rom senden, um die Arbeit im Parlament aufzunehmen. Bei den anderen ist davon auszugehen, dass insbesondere bei den kleineren Parteien meist nur der Erstplatzierte auf der Liste ins Abgeordnetenhaus einziehen kann. Außerdem hat der Wähler die Möglichkeit, zwei Präferenzstimmen (paritätisch) abzugeben.

Mit dem Gesetz soll erreicht werden, dass ein klarer Gewinner aus der Wahl hervorgeht, der dank einer komfortablen Mehrheit regieren kann – ohne Koalitionspartner. Insbesondere die kleineren Parteien sehen hier ein Demokratiedefizit, da sie in Zukunft geringe Chancen haben werden, in die Regierungsverantwortung einzutreten. Es sei denn, sie schließen sich mit anderen kleinen Parteien unter einem Dach zusammen und treten gemeinsam als eine neue Partei an. Diesen Plan verfolgen die Mitte-Rechtsparteien „Nuovo Centro Destra“ (Neue Mitte-Rechts, NCD), „Unione di Centro“ (Union des Zentrums, UDC) und „Scelta Civica“ (Bürgerliche Wahl SC). Glaubt man den neuesten Umfragewerten, so würde keine dieser Parteien die 3%-Hürde des Italicums schaffen. Die NCD, die im Moment als Koalitionspartner mit Matteo Renzis PD die Regierung stellt, liegt demnach bei 2,2%, UDC bei 2,5% und SC bei 0,3%. (Corriere della Sera, 15.04.2015).

Vorgezogene Neuwahlen ohne Italicum

Mit Matteo Renzis Entscheidung, die Vertrauensfrage an die Abstimmung über das Wahlgesetz zu knüpfen, übt der Ministerpräsident massiven Druck auf die Parlamentarier aus, denn Neuwahlen würden im Moment für das Land einen fatalen Rückschritt bedeuten. Weder die Regierung noch die Opposition haben ein Interesse daran, das Land, das sich nach Stabilität sehnt, in eine weitere Phase der Unsicherheiten und der Rezession zu führen. Die Zerrissenheit des Mitte-Rechts-Lagers und die zum Teil desaströsen Umfrageergebnisse lassen keine Alternative zu Matteo Renzis PD erkennen.

Sollten jedoch Neuwahlen vor der Einführung des neuen Wahlgesetzes Italicum am 1. Juli 2016 fällig werden, gingen die Italiener mit dem sogenannten „Consultellum“ zur Wahl. Es handelt sich dabei um das „alte“ Wahlgesetz „Porcellum“ mit den vom Verfassungsgerichtshof Ende 2013 vorgeschlagenen Veränderungen: Dass sich das „Consultellum“ auf ein reines Verhältniswahlrecht mit langen Listen und sehr großen Wahlkreisen stützt, gehört zu den Kritikpunkten. Außerdem ist es bei diesem Wahlgesetz sehr wahrscheinlich, dass kein wirklicher Gewinner aus der Wahl hervorgehen wird und die Mehrheiten später im Parlament gebildet werden müssten.

Basta: Renzi weist Kritik zurück

Das Wahlgesetz zur Überwindung des perfekten Zwei-Kammer-Systems gehört zum Herzstück dessen, was sich Matteo Renzi zur Reformierung seines Landes vorgenommen hat. Kritische Stimmen versuchte er zuletzt durch den Rausschmiss von zehn Parteikollegen aus dem Ausschuss für konstitutionelle Angelegenheiten (ital. Bezeichnung) zu maßregeln. Die nun gestellte Vertrauensfrage wird von dem „linken“ Parteiflügel seiner Partei (Partito democratico, PD) als Provokation und als Verrat an der Demokratie gesehen. Der ehemalige Generalsekretär der PD, Pierluigi Bersani, oder der ehemalige Ministerpräsident Enrico Letta blieben der gestrigen Wahl demonstrativ fern. „Das ist nicht mehr meine Partei“, so Bersani nach Angaben der Nachrichtenagentur Ansa (29.04.2015). Dennoch habe dies nichts mit einer Parteispaltung zu tun: „Ich werde die PD nicht verlassen, sondern wir müssen zur PD zurückfinden“, so Bersani. Weitere 38 Mitglieder der 309-starken PD-Fraktion im Abgeordnetenhaus verhielten sich wie die Parteischwergewichte Bersani und Letta. Matteo Renzi kämpft also gegen eine innerparteiliche Opposition von rund 8%.

Die Partei „Sinistra Ecologia Libertà“ (SEL, Links, Ökologie, Freiheit) bezeichnete die Verknüpfung der Vertrauensfrage mit der Abstimmung über das Wahlgesetz als „Beerdigung der Demokratie“; Renato Brunetta von der Forza Italia (FI) sprach von „Renzianischem Faschismus“. Die „Fünf-Sterne-Bewegung“ (Movimento Cinque Stelle, M5S) schrie sogleich nach Neuwahlen und kritisierte das Schweigen des neuen Staatspräsidenten Sergio Mattarella, der sich aus der ganzen Angelegenheit rauszuhalten scheint.

Jene, die Matteo Renzi ihre Stimme am Mittwoch verweigerten, monieren in erster Linie die autoritären Methoden des Ministerpräsidenten. Dieser hält allerdings an seiner Vorgehensweise fest.

Am Mittwochabend bedankte er sich via Twitter von Herzen bei allen, die ihm das Vertrauen schenkten und zeigt sich optimistisch: „Der Weg ist noch lang. Aber dieses Mal wird es klappen“.

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