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Standpunkt zur Griechenlandkrise

von Caroline Kanter, Silke Schmitt
Erstmals seit Monaten beherrscht die Griechenlandkrise die italienischen Medien und nicht das Flüchtlingsdrama im Süden Italiens. Am Wochenende stand Griechenland im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte. Premierminister Matteo Renzi und Finanzminister Pier Carlo Padoan machten der Bevölkerung durch unterschiedliche Kanäle wie soziale Medien, Fernsehen und Zeitungsinterviews deutlich, dass Italien aus der Schusslinie ist und kein wirtschaftlicher Einbruch aufgrund der Griechenland-Krise zu befürchten sei.

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Spielregeln müssen eingehalten werden

Italien habe seine Hausaufgaben gemacht, so Matteo Renzi, der gerade auf dem Weg nach Berlin ist, wo er am 1. Juli mit der Kanzlerin zusammentreffen und am Morgen in der Humboldt-Universität zu einer öffentlichen Diskussion erwartet wird. In einem Interview mit der Tageszeitung „IL sole 24 ore“ (Dienstag, 30. Juni 2015) äußerte sich Premier Matteo Renzi ausführlich zum Verhältnis zu Griechenland. Er forderte Verlässlichkeit mit Blick auf gemeinsame Regeln - sonst gäbe es keine Gemeinschaft: „Flexibilität zu fordern ist eine Sache. Eine andere ist zu glauben, man sei schlauer als die anderen wenn man sich nicht an die Regeln hält“, so Matteo Renzi. „Wir wollen Griechenland retten. Aber das muss auch der Wille der Griechen sein. Sonst kann es nicht funktionieren“.

Der Premier wies darauf hin, dass Italien wichtige Reformen – etwa die Reform der Pensionen – angestoßen habe. Er gab zu Bedenken, dass man die sogenannten Baby-Pensionen für Arbeitnehmer, die bereits im Alter von 40 bis 50 Jahren in Rente gehen, in Italien abgeschafft habe – „aber nicht, um sie den Griechen zuzugestehen“, so Renzi.

Mit Blick auf Deutschland sagte er, es sei einfach, Deutschland die Schuld für die Situation in Griechenland zu geben um ein „bequemes Alibi“ zu haben, das nicht der Realität entspreche. „Den Deutschen immer die Schuld zu geben, kann das Gemüt erhellen, aber nicht die Wirtschaft ankurbeln“ so Renzi. Er unterstrich das Bemühen von Seiten der deutschen Bundeskanzlerin, eine Lösung zu finden und kritisiert Alexis Tsipras, er habe die Wahlen gewonnen indem er mehr gegen Merkel und Deutschland und weniger für Griechenland gesprochen habe.

Renzi kritisierte jedoch den Aufruf des EU-Kommissionspräsidenten Jean Claude Juncker, der von den Griechen ein klares Ja zum Euro und den Reformvorschlägen erwartet. „Das ist kein Referendum zwischen Europäischen Führern. Das ist eine Stichwahl Euro oder Drachme“, so Renzi. Die Griechen müssten sich nicht für ihren Premier oder für Juncker aussprechen. Sie müssten klar entscheiden, ob sie die gemeinsame Währung weiterhin behalten möchten, oder nicht.

Italien drittwichtigster Gläubiger Athens

Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone. Nach Deutschland und Frankreich ist Italien der drittwichtigste Gläubiger Athens. Der italienische Finanzminister Pier Carlo Padoan präzisierte am Montag, dass von italienischer Seite 35,9 Milliarden Euro in Griechenland im Feuer stünden. Es handle sich um bilaterale Darlehen und Garantien. Daher ist es nur verständlich, dass Italiens Premier Matteo Renzi von der griechischen Regierung ein klares Zeichen der Annäherung erwartet: Gerade erst scheint sich Italien langsam von der dritten Rezession seit 2008 zu erholen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt immer noch bei 41,5%. Ein Ende der Krise ist aus der Wahrnehmung der Bürger noch nicht in Sicht. Anfang des Jahres wollten mehr als die Hälfte der Befragten Italiener (nach Angaben des Statistikinstituts Eurospes) das Land verlassen – ebenso viele gaben an, mit ihrem Gehalt nicht ans Monatsende zu kommen. Neuesten Umfrageergebnissen (Ipsos) zu Folge, sinkt das Vertrauen in Premierminister Matteo Renzi zunehmend: Im Juni 2015 gaben 36% der Befragten an, Renzi zu Vertrauen. Damit erreichte Renzi ebenso viele Stimmen wie Matteo Salvini, Parteiführer der rechtspopulistischen Lega Nord, dem ebenfalls 36% der Befragten ihr Vertrauen aussprachen. Im Gegensatz hierzu sprachen noch im Februar 2014 61% der Befragten Renzi ihr Vertrauen aus. Salvini lag damals bei 27% (http://www.corriere.it/politica/15_giugno_29/scende-fiducia-premier-ora-anche-salvini-arriva-36percento-a54e0ab4-1e25-11e5-958d-f9395af606a3.shtml Stand: 30.06.2015).

Matteo Renzi kann zwar in der Griechenlandfrage auf die Zustimmung der Koalitionsparteien der sogenannten „Area Popolare“ (AP; u.a. NCD und UDC) zählen, nicht jedoch auf die ungeteilte Zustimmung seiner eigenen Partei, dem „Partito Democratico“ (PD). Die sogenannte „linke Minderheit“ innerhalb der PD hat sich unter der Führung von Stefano Fassina für ein „großzügiges Memorandum“ ausgesprochen und hofft am kommenden Sonntag auf ein „Nein“ von Seiten der griechischen Bevölkerung.

Opposition zählt auf Stimmenzuwachs

Die rechtspopulistische Partei Lega Nord als auch die Fünf-Sterne-Bewegung „Movimento Cinque Stelle“ (M5S) rechnen nun mit einem erneuten Stimmenzuwachs aufgrund der Griechenlandkrise. Die Anhänger Beppe Grillos, die selbst ein Referendum zum Austritt aus dem Euro in Italien befürworten, sagten nach Angaben der Tageszeitung „La Repubblicca“ (Dienstag, 30.06.2015): „Griechenland fordert die Blindheit der Euro-Bürokraten heraus und bereitet sich auf einen historischen Schritt in Richtung Demokratie vor“.

Auch Matteo Salvini von der Lega Nord äußerte sich deutlich gegen eine europäische Lösung: „Wenn ich in Griechenland wäre, würde ich mit nein stimmen – um somit die Souveränität und die freie Wahl zu bekunden“, so Salvini.

Die Forza Italia ist gespalten in der Sorge um Griechenland. Silvio Berlusconi, der sich am Wochenende mit Wladimir Putin über die Entwicklungen in Europa austauschte, äußerte nach Angaben der Tageszeitung „Il Giornale“ Sorgen über einen möglichen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone. Laut Berlusconi müsse Italien die Rolle als Mediator übernehmen und alle Kräfte mobilisieren, um einen Bankrott Griechenlands zu verhindern. Dieses Ziel werde von der Regierung Renzis komplett verfehlt, so das hauseigene Blatt Berlusconis.

Auch der italienische Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani, äußerte sich kritisch gegenüber der griechischen Regierung. Den politischen Führungsstil Alexis Tsipras bezeichnete er als „altkommunistische Politik“. Laut dem Forza Italia Mitglied Antonio Tajani müsse Grexit unbedingt verhindert werden und damit ein „traumatischer Ausstieg Griechenlands aus der Europäischen Union und dem Euro“.

Nicht die gesamte Forza Italia ist jedoch mit der Linie der Parteispitze einverstanden. Der Fraktionsvorsitzende der Forza Italia in der italienischen Abgeordnetenkammer, Renato Brunetta, sprach sich mit „Viva Tsipras“ deutlich für die Entscheidung des griechischen Premiers aus und bedauerte, dass seine Partei im November 2011 – als die Regierung unter Berlusconi den Druck der europäischen Märkte nicht mehr standhalten konnte - die EU eine „demokratisch gewählte Regierung“ aushebelte.

Wirtschaftliche Auswirkungen der Griechenlandkrise in Italien

Andrea Montanino, ehemaliger geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) sieht aufgrund der Griechenlandkrise keine „ansteckende“ Gefahr für Italien. Laut Montanino könnte der Spread bis 200 ansteigen und Turbulenzen einsetzen. Aber, so Montanino: „Das Land ist stark“. Italien habe durch die letzten drei Regierungen schmerzhafte aber notwendige Reformen auf den Weg gebracht. Außerdem verfüge das Land über politische Stabilität und gesunde Unternehmen. Europa sei Dank des Quantitative Easings oder des Staatenrettungsfonds stärker und in der Lage, einen möglichen Schock der Märkte abzuwenden.

Auch der italienische Finanzminister Pier Carlo Paduan vertraut auf die eingeführten Mechanismen und den Schutz der Europäischen Zentralbank durch den Aufkauf von Staatsanleihen. Dies sei der entscheidende Unterschied zum Jahr 2011. Damals hatte man Angst, der Renditeaufschlag zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen, der sogenannte „Spread“, erreiche die 600 Punkte-Marke.

Seither hat Italien verschärft auf Reformen gesetzt und eine Renten, -Arbeitsmarkt und Wahlrechtsreform verabschiedet. Wirtschaftliche Schwachpunkte des Landes bleibt die hohe Staatsverschuldung mit 132,1 Prozent und das italienische Bankensystem, das mit „faulen Krediten“ zu kämpfen hat, die es nicht durch eine staatlich eingesetzte Bad Bank wie Deutschland oder Spanien aushebeln kann.

Keine Achse Athen-Rom

Bereits bei dem Antrittsbesuch von Alexis Tsipras im Februar machte der italienische Premier deutlich, dass Italien zwar ein offenes Ohr für die Probleme der Griechen habe, es jedoch aus italienischer Sicht an den Spielregeln der EU nichts zu rütteln gebe: Griechenland müsse einen grundlegenden Reformprozess anstoßen, so Renzi, auch wenn er sich – ähnlich wie Tsipras – als Gegner einer rigorosen Sparpolitik in Europa sieht.

Eine weitere Gemeinsamkeit entdeckten Alexis Tsipras und Matteo Renzi in ihrem eher legeren Umgang mit Gepflogenheiten im Politikgeschäft. Doch Matteo Renzi schenkte seinem griechischen Counterpart und Krawattengegner Tsipras im Februar einen italienischen Schlips – mit der Hoffnung auf bessere Zeiten. Gut vier Monate später hat sich Renzis Ton gegenüber Griechenland verschärft und die scherzhafte Geste ist einem deutlichen Aufruf zur Ernsthaftigkeit gewichen. Für Schlauberger sei in der Gemeinschaft der Europäischen Union kein Platz. Euro oder Drachme. Das ist für Renzi die entscheidende Frage der kommenden Tage.

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Mateo Renzi und Pier Carlo Padoan | Foto: dpa dpa

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