Schreiber, Wilfrid
Schreiber, Wilfrid
Ohne Zweifel gehört Schreiber zur Gruppe der profiliertesten wissenschaftlichen Sozialpolitiker der Nachkriegsjahrzehnte. Schon vor seiner Berufung hat er als Verbandsgeschäftsführer, aufbauend auf der katholischen Soziallehre, zu Fragen des Familienlastenausgleichs, der Mitbestimmung, der Politik der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand und insbesondere zur Reform der Rentenversicherung Stellung genommen.
Seine wissenschaftlich bedeutendste
Leistung ist die Entwicklung des
„Schreiber-Planes“. Die Grundidee:
Aus dem Arbeitseinkommen der Erwerbstätigen
wird einerseits den
noch nicht erwerbsfähigen und -tätigen
Kindern und Jugendlichen (als
Jugendrente) und andererseits den
nicht mehr Erwerbstätigen (als Altersrente)
ein „maßgerechter Anteil“ zugesichert.
Die Höhe der erstmals festgesetzten
Altersrenten soll durch das
jeweils erreichte Niveau der Arbeitseinkommen
und die Beitragsleistung
der Versicherten während ihres Erwerbslebens
bestimmt werden, die
sog. Bestandsrenten sollen jährlich an
die Entwicklung der Arbeitseinkommen
angebunden werden. Durch
diese „Dynamisierung“ der Renten
werden auch die nicht mehr Erwerbstätigen
an der Wohlstandsentwicklung
beteiligt.
Neue Aktualität gewinnt Schreibers
bereits 1951 vorgetragene Idee einer
Jugendrente. Sie beruht auf der Einsicht,
dass eine Gesellschaft nicht nur
die nicht mehr Erwerbstätigen, sondern
auch die noch nicht Erwerbsfähigen
und -tätigen versorgen muss.
Der Vorschlag Schreibers, nicht nur
die Eltern, sondern die gesamte Gesellschaft
an der Finanzierung der
Versorgung nachwachsender Generationen
zu beteiligen, wurde nicht verwirklicht.
Dieses politische Versäumnis
musste letztlich die langfristige finanzielle
Stabilität der Rentenversicherung
in einer Gesellschaft
untergraben, in der wegen der Erhöhung
der Lebensdauer einerseits und
eines starken Geburtenrückgangs andererseits
immer weniger Erwerbstätige
immer mehr Rentner versorgen
müssen. In einer Gesellschaft, in der
diejenigen, die keine Kinder versorgt
haben, unter sonst gleichen Umständen
gleich hohe Renten erhalten wie
diejenigen, die Kinder erzogen und
versorgt haben, wird die soziale Gerechtigkeit gravierend verletzt. Zu
recht betonte Bundeskanzler Kiesinger
in der unten erwähnten Festschrift,
dass Schreiber „durch seine
wissenschaftliche Forschung, sein gesellschaftspolitisches
Engagement im
Bund der Katholischen Unternehmer
und durch seine Beratung der Bundesregierung
in sozialpolitischen Fragen
zur Entwicklung unserer Gesellschaftspolitik
einen bedeutenden Beitrag
geleistet“ hat.
Wissenschaftlicher und beruflicher Werdegang
Schreiber war nach dem Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (Köln) , der Ingenieurwissenschaften (TH Aachen und München) sowie der Mathematik und der Physik (Köln) in den Jahren 1922 bis 1930 und von 1931 bis 1947 als Journalist tätig, studierte 1947 an der Universität Bonn erneut wirtschaftliche Sozialwissenschaften und wurde 1948 bei Erwin von Beckerath promoviert. 1955 wurde er habilitiert. 1949 bis 1959 war er Geschäftsführer des Bundes Katholischer Unternehmer. 1960 wurde er auf einen Lehrstuhl für Sozialpolitik an der Universität zu Köln berufen. 1972 wurde er emeritiert.
Literaturhinweise:
- o.V. (1969), Schriftenverzeichnis zu Schreiber, in: Greiß F./ Herder-Dorneich, P./ Weber, W. (Hrsg.), Der Mensch im sozioökonomischen Prozess, Festschrift für Wilfrid Schreiber zum 65. Geburtstag, Berlin;
- SCHREIBER, W. (1955), Existenzsicherheit in der industriellen Gesellschaft. Vorschläge zur Sozialreform, in: Schriftenreihe des Bundes Katholischer Unternehmer, Köln;
- DERS. (1951), Kinderzulage für alle Arbeitnehmer, in: Rheinischer Merkur vom 21.09.1951.