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Länderberichte

Ein neuer Dialog? Vom richtigen Umgang mit dem Diktator

von Dr. Alexander Brakel, Dr. Alexander Brakel

Die Frage, wie die EU mit Minsk umgehen soll, spaltet die belarussische Opposition

Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Belarus stecken seit über zwei Jahren in einer Sackgasse. Nicht nur in Brüssel wird um den richtigen Umgang mit dem Regime Lukaschenko gerungen, auch die belarussische Opposition macht sich darüber Gedanken.

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In die Diskussion über das richtige Verhalten der Europäischen Union gegenüber Belarus ist Bewegung gekommen. Auf eine Phase gegenseitiger Annäherung in den Jahren 2008 bis 2010 folgte eine neue Eiszeit. Damit reagierte die EU auf die Niederschlagung der Demonstrationen am 19. Dezember 2010, dem Tag der Präsidentschaftswahlen, sowie auf die darauffolgenden massenhaften Repressionen. Einvernehmlich haben sich die europäischen Regierungen darauf geeinigt, die Freilassung und Rehabilitierung sämtlicher politischer Gefangener zur Voraussetzung einer Wiederaufnahme des Dialogs zu machen. Diese Bedingungen hat Minsk bis heute nicht erfüllt. Zwar sind die meisten der damals zu Haftstrafen Verurteilten inzwischen wieder auf freiem Fuß, aber noch immer befinden sich neun Personen ausschließlich aus politischen Gründen hinter Gittern. In den vergangenen Monaten ist kein einziger politischer Gefangener entlassen worden. Die europäisch-belarus-sischen Beziehungen stecken in einer Sackgasse.

Vor diesem Hintergrund haben nun Teile der belarussischen Opposition einen Vorstoß zur Wiederaufnahme des Dialogs unternommen. Am 8. April 2013 veröffentlichten die Vorsitzenden der Bewegung „Für die Freiheit“, Alexander Milinkiewitsch, der Kampagne „Sag die Wahrheit“, Vladimir Niklajew, und der Belarussischen Volksfront, Alexej Janukewitsch ein Memorandum unter dem Titel „Mehr Europa für Belarus“. Darin wird die EU aufgerufen, schon jetzt unilateral wichtige Schritte zur weiteren Öffnung des östlichen Nachbarlandes zu unternehmen, etwa durch Erleichterung des kleinen Grenzverkehrs und der Visavergabe oder durch Ausweitung des ERASMUS-Programms. Nach Freilassung der politischen Gefangenen sollte dann ein deutlich weitergehender politischer Dialog zwischen Minsk und Brüssel begonnen werden.

In seiner Stellungnahme vor dem Europaparlament ging Milinkiewitsch noch weiter und erklärte, nicht Sanktionen, sondern nur der Dialog führe zur Freilassung der politischen Gefangenen. Auch wenn er offiziell an der bekannten Forderung festhielt, kündigte er damit indirekt den Konsens auf, der nicht nur zwischen den europäischen Regierungen, sondern auch innerhalb der belarussischen Opposition bestand und der die Freilassung und Rehabilitierung der aus politischen Gründen Einsitzenden zur conditio sine qua non gemacht hatte.

Die ablehnenden Reaktionen anderer Oppositionsvertreter ließen nicht lange auf sich warten. Anatolij Lebedko, Vorsitzender der Vereinigten Bürgerpartei, erklärte, nicht nur die Freilassung der politischen Häftlinge, sondern auch die Abhaltung freier und fairer Wahlen seien die Voraussetzung, unter denen ein neuerlicher Dialog überhaupt nur sinnvoll sei. Auch die Belarussischen Christdemokraten sprachen sich deutlich gegen eine Wiederannäherung an das Regime zum jetzigen Zeitpunkt aus.

Am schärfsten äußerte sich Andrej Sannikov, der Vorsitzende der Bewegung „Europäisches Belarus“ aus seinem Londoner Exil gegen den Vorstoß. Statt einer Versöhnungsgeste an das offizielle Minsk forderte er von Brüssel eine härtere Gangart. Die Europäische Union solle sämtliche Gespräche mit dem Regime einstellen und die Einfuhr belarussischer Güter verbieten. Der Verlust des wichtigsten Absatzmarktes für seine petrochemischen und Kaliprodukte werde die Freilassung der Gefangenen innerhalb kurzer Zeit erzwingen.

Außer in der unterschiedlichen Bewertung darüber, wie sich Lukaschenko zu humanitären Zugeständnissen bewegen lasse, unterscheidet die beiden gegensätzlichen Positionen ihre Einschätzung zur Auswirkung der europäischen Politik auf die belarussische Souveränität.

Die Befürworter eines Dialogs begründen ihre Haltung unter anderem mit der Sorge, Sanktionen könnten die belarussische Wirtschaft weiter von Europa entfernen und somit den russischen Einfluss erhöhen.

In der Tat ließe sich diese Gefahr bei wirtschaftlichen Sanktionen nicht ausschließen, weshalb auch die Befürworter scharfer Sanktionen sich genaue Gedanken über derartige etwaige Folgen machen sollten. Mit der jetzigen Situation hat die Befürchtung jedoch wenig zu tun: Die EU hat bisher keinerlei Sanktionen gegen Belarus verhängt. In Kraft sind lediglich Einreisebeschränkungen für gut 200 Vertreter des Regimes. Westliche Firmen können ungehindert Handel mit Belarus treiben, Firmen eröffnen und sich an dortigen Unternehmen beteiligen. Das niedrige Niveau etwa der westlichen Direktinvestitionen zeigt aber, dass hieran nur ein geringes Interesse besteht. Die Gründe hierfür dürften wahrscheinlich in der Wirtschaftspolitik des Regimes bestehen. So verweigert Lukaschenko die Privatisierung großer Staatsunternehmen, die interessante Objekte auch für westliche Investoren sein könnten. Die Bedingungen zur Privatisierung auch kleinerer Unternehmen sind denkbar unattraktiv, und die Renationalisierung einiger großer Firmen (zum Beispiel der Süßwarenfabriken „Komunarka“ und „Spartak“) in jüngster Zeit dürften die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Belarus zumindest nicht erhöht haben.

Das spricht nicht gegen die erwähnten unilateralen Schritte, die im wesentlichen darauf gerichtet sind, den Kontakt der belarussischen Bevölkerung zu den europäischen Nachbarländern zu verbessern. Im Gegenteil: Eine Erleichterung des Visa-Regimes (nicht zwingend seiner Abschaffung) etwa könnte ein wichtiger Baustein sein, um das Land zu „öffnen“. Die erfolgreiche wirtschaftliche und politische Transformation anderer Staaten des ehemaligen „Ostblocks“ könnte auch der belarussischen Bevölkerung vor Augen führen, dass Demokratie und Marktwirtschaft attraktive Alternativen zum autoritären Lukaschenko-Regime darstellen.

Dagegen bleibt unklar, was ein erneuter Dialog mit dem Regime bringen sollte. Es ist mehr als zweifelhaft, dass eine solche Wiederannäherung in einer nachhaltigen Liberalisierung und Demokratisierung von Belarus führen könnte. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen: Alexander Lukaschenko zeigte auch während der letzten „Tauwetterperiode“ 2008 bis 2010 keinerlei Interesse an einer wirklichen Demokratisierung. Zwar ging die Zahl der Verhaftungen und Repressionen zurück, wenn sie auch nie vollständig verschwanden, und auch der Wahlkampf 2010 konnte unter verhältnismäßig liberalen Bedingungen durchgeführt werden. Als der Präsident aber angesichts der Massendemonstrationen am Abend der Wahl das Gefühl hatte, die Liberalisierung sei zu weit gegangen, beendete er sie unverzüglich. Wieso sollte er seine Meinung geändert haben? Mehr noch, es erscheint unwahrscheinlich, dass Lukaschenko noch einmal einen so hohen Grad an Freiheit zulassen würde wie in der Zeit des letzten Dialogs mit der Europäischen Union. Haben ihm doch die für ihn in ihrem Ausmaß offensichtlich unerwarteten Protestkundgebungen am 19. Dezember 2010 die Gefährlichkeit einer zu weit gehenden Liberalisierung deutlich vor Augen geführt.

Auf diese Fragen sollten die Befürworter eines Dialogs zunächst eine überzeugende Antwort geben. Hinter der Forderung nach scharfen Wirtschaftssanktionen bleiben jedoch ebenfalls viele Fragezeichen. Ohne die entscheidenden Schritte aus Minsk kann Brüssel kaum etwas tun, um die gegenseitigen Beziehungen aus der Sackgasse zu führen.

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