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Europäisches Forum in Minsk

Am 14. November fand in Minsk das Europäische Forum statt, eine Initiative der „Bewegung für die Freiheit“, die von den Belarussischen Christdemokraten, Teilen der Belarussischen Volksfront und von zahlreichen unabhängigen Jugendorganisationen unterstützt wurde. Insgesamt knapp 1000 Delegierte nahmen an dem Kongress teil, darunter zahlreiche prominente Gäste aus Europa wie Jacek Protasiewicz, der Vorsitzende der Delegation für Beziehungen mit Belarus des Europäischen Parlaments. Aus Deutschland waren Georg Milde und Carsten Harms von der Jungen Union nach Minsk gereist.

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Am 14. November fand in Minsk das Europäische Forum statt, eine Initiative der „Bewegung für die Freiheit“ von Alexander Milinkiewitsch, die von den Belarussischen Christdemokraten, Teilen der Belarussischen Volksfront und von zahlreichen unabhängigen Jugendorganisationen unterstützt wurde. Nach einem in Weißrussland üblichen Ritual erhielten die Veranstalter erst im letzten Moment eine Zusage für Räumlichkeiten, in denen das Forum abgehalten werden konnte. Insgesamt knapp 1000 Delegierte nahmen an dem Kongress teil, darunter zahlreiche prominente Gäste aus Europa wie Jacek Protasiewicz, der Vorsitzende der Delegation für Beziehungen mit Belarus des Europäischen Parlaments. Aus Deutschland waren Georg Milde und Carsten Harms von der Jungen Union nach Minsk gereist. Das Forum diente einer weiteren Konsolidierung der pro-europäischen demokratischen Kräfte im Land, die sich wenige Wochen zuvor zu einem "Belarussischen Unabhängigkeitsblock" zusammengeschlossen hatten. Außerdem wurden die Grundzüge einer Agenda dieser Koalition für das nächste Jahr und für die Präsidentschaftswahlen Anfang 2011 verabschiedet.

Es ist unstrittig, dass Weißrussland historisch und politisch schon immer eng mit der europäischen Geschichte verbunden war: 1517 druckte der große Humanist und Aufklärer Francysk Skaryna aus Polozk die Bibel in weißrussischer Sprache. Damit erhielten die Weißrussen als dritte Nation in Europa nach den Deutschen und den Tschechen die Bibel in ihrer Muttersprache. Im Jahr 1588 wurde das dritte Statut des Großfürstentums Litauen veröffentlicht, ein gesamtstaatliches Gesetzbuch für unterschiedliche Rechtsbereiche, das von einer reifen Rechtskultur zeugte. Das Statut war in Weißrussisch abgefasst und stellte damals die einzige vollständige Zusammenführung von Gesetzen in Europa nach römischem Recht bis zum Napoleon-Kodex dar. Skorina und das Litauische Statut waren nur zwei Bezugspunkte, die ein Redner auf dem Forum anführte, um den Zuhörern die europäischen Wurzeln von Weißrussland in Erinnerung zu rufen. Pawel Severinets, Ko-Vorsitzender der Belarussischen Christdemokraten, sagte mit Blick auf die zentrale Rolle, die die christdemokratische Bewegung beim europäischen Einigungsprozess gespielt hat: Es könne kein vereintes Europa geben „bez Biblii, bez Boga i bez Belaru-si“ (Ohne die Bibel, ohne Gott und ohne Belarus).

Europäische Agenda in Minsk: Konkretisierung der EU-Programme, Einbeziehen der Zivilgesellschaft

Die Ziele des bemerkenswert gut organisierten Europäischen Forums waren im Vorfeld präzise formuliert worden: Die Veranstaltung sollte der Startpunkt einer Kampagne sein, bei der im nächsten Jahr landesweit über die Perspektiven einer europäischen Ausrichtung von Weißrussland diskutiert wird. Die Bevölkerung soll im Zuge dieser Kampagne ausführlich über die Europäische Nachbarschaftspolitik und die Östliche Partnerschaft informiert werden. Im Hinblick darauf wurde bereits im Vorfeld des Forums umfangreiches Informationsmaterial gedruckt, in dem die Vorteile der relevanten EU-Programme für einzelne Bevölkerungs- und Berufsgruppe spezifiziert und somit für die Bürger fass- und verstehbarer gemacht werden. Das Europäische Forum hatte sich zudem zum Ziel gesetzt, die Zivilgesellschaft in den an Intensität und Substanz gewinnenden Dialog zwischen der EU und Weißrussland einzubinden und zu verhindern, dass die Kontakte zu Europa von der Regierung in Minsk monopolisiert würden. Die Veranstaltung sollte deshalb auch dazu beitragen, eine enge partnerschaftliche Beziehung zwischen den pro-europäischen politischen und zivilgesellschaftlichen Kräften in Weißrussland mit den verschiedenen europäischen Institutionen zu etablieren.

Milinkiewitsch erklärte am Samstag noch einmal, er plädiere für einen wirtschaftlichen und politischen Dialog mit Lukaschenka und zwar sowohl von Europa als auch seitens der demokratischen Opposition im Land. Unumstößliche Bedingung eines solchen Dialogs müsse allerdings die Demokratisierung von Weißrussland und die Gewährung von grundlegenden wirtschaftlichen und politischen Freiheiten sein. Für diese Haltung erntete er von Teilen der Opposition harsche Kritik: Auf der Homepage der Vereinigten Bürgerpartei wurde den Veranstaltern des Europäischen Forums vorgeworfen, die Teilnehmer lediglich darin schulen zu wollen, wie mit der Regierung zu verhandeln sei. Die „höfliche Beziehung zum belarussischen Regime“, die in den politischen Erklärungen des Forums zu beobachten sei, wurde scharf verurteilt wie auch die Tatsache, dass in den Dokumenten nicht von „Regime, Diktatur oder autoritärer Regierung“ die Rede sei. Am gefährlichsten – so die Bürgerpartei – sei die Forderung der Veranstalter, dass zwischen Weißrussland und der EU ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen unterzeichnet werden solle.

Insgesamt scheint diese sehr polemisch vorgetragene Kritik bewusst außer Acht zu lassen, dass Milinkiewitsch keinen Dialog mit Lukaschenka um jeden Preis fordert, sondern ihn abhängig macht von einer Respektierung demokratischer Werte.

Weißrussische Agenda in Brüssel: Visumsgebühren und Sanktionsaussetzung

Zwei sich ergänzende politische Botschaften hatte Europa den Teilnehmern am Forum mitgebracht. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei, die niederländische Abgeordnete Corien Wortmann-Kool, erklärte es zum Hauptziel der EU, Weißrussland Demokratie und die Achtung der Menschenrechte zu bringen. Für die EU seien nicht nur wirtschaftliche Zusammenarbeit, sondern auch gemeinsame Werte wichtig. Europa lasse sich von reinen Verlautbarungen nicht blenden, sondern beobachte genau, welche konkreten Veränderungen es im Land gebe. Von wirklich engen Beziehungen zwischen der EU und Weißrussland könne erst dann gesprochen werden, wenn die weißrussischen Bürgerinnen und Bürger in Freiheit lebten. Diese Position ist zwar landläufig bekannt, zugleich lohnt es aber, sie sowohl der Regierung in Minsk immer wieder ins Stammbuch zu schreiben als auch den Oppositi-onsgruppen, die Europa bevorzugt für seinen Dialog mit dem „Regime Lukaschenka“ kritisieren.

Der Beitrag von Jacek Protasiewicz ging stärker auf tagespolitische Aspekte ein: Protasiewicz kündigte an, dass in der nächsten Woche Verhandlungen zwischen Minsk und Brüssel über die Senkung der Visumsgebühren von 60 auf 35 Euro beginnen würden. 35 Euro ist der Preis, den die Bürger der Ukraine und der Russischen Föderation für ein Schengen-Visum zu zahlen haben, und es wird seit langem sowohl von der weißrussischen Regierung als auch von der Opposition gefordert, die Visagebühren für Weißrussen zu senken. Zudem äußerte sich Protasiewicz zur Frage der Sanktionen. Die EU hatte vor einem Jahr das Einreiseverbot für Lukaschenko und 35 weitere Offizielle zunächst für sechs Monate ausgesetzt und diese Aussetzung im Frühjahr noch einmal um neun Monate verlängert. Am 17. November werden die EU-Außenminister erneut über die Sanktionen zu entscheiden haben. Protasiewicz erklärte, das europäische Parlament plädiere für eine nochmalige Verlängerung der Sanktionsaussetzung. Im April 2010 sind Kommunalwahlen in Weißrussland, und sollten diese Wahlen halbwegs demokratischen Ansprüchen genügen, könnte in der Folge die vollständige Aufhebung der Sanktionen beschlossen werden.

Wahljahr 2010/2011

Auch wenn außenpolitische Fragen im Mittelpunkt des Europäischen Forums standen, hatte die Veranstaltung zudem deutlich innenpolitischen Indikationen: Am Rande des Kongresses erklärte Milinkiewitsch seine Bereitschaft, an den Präsidentschaftswahlen 2011 teilzunehmen. Er sprach sich gegen einen Boykott sowohl der Präsidentschafts- wie auch der Kommunalwahlen im April 2010 aus. Den Menschen werde durch einen Boykott die Hoffnung genommen, durch Wahlen im Land etwas ändern zu können. Der vor einigen Wochen gegründete „Belarussische Unabhängigkeitsblock“ und das Europäische Forum seien die Vorform einer zukünftigen Koalition der pro-europäischen demokratischen Kräfte in Weißrussland und dienten auch dazu inhaltlich zu präzisieren, worauf sich ein Präsidentschaftskandidat der demokratischen Opposition im nächsten Jahr stützen werde. Mit Blick auf die von Teilen der Opposition geäußerte Kritik am Forum und seinen Positionen erklärte Milinkiewitsch, er sehe kein Problem darin, dass es 2011 möglicherweise zwei oder mehrere Oppositionskandidaten bei den Präsidentschaftswahlen geben werde.

Mit dem Europäischen Forum wurde ein wichtiges Etappenziel auf dem Weg zur Stärkung des Demokratisierungsprozesses in Weißrussland erreicht. Milinkiewitsch ist es gelungen, einen Großteil der demokratischen Opposition hinter einer Losung zu vereinen und diese Losung inhaltlich überzeugend zu füllen. Anders als die künstliche Koalition der Vereinigten demokratischen Kräfte vermochte er mit der Vision des europäischen Wegs von Weißrussland ein politisches Bündnis auf einer gemeinsamen Wertegrundlage zu schmieden. Sollte sich Weißrussland tatsächlich – wie von Milinkiewitsch beabsichtigt – „europäisieren“, würde das zwangsläufig dazu führen, dass im Land die grundlegenden bürgerlichen Freiheiten sowie demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien zunehmend respektiert werden. Allerdings erfolgt eine europäische Ausrichtung Weißrusslands nicht von allein und über Nacht, sondern macht eine langfristige Arbeit von vielen Akteuren insbesondere in der Breite erforderlich, damit alle Menschen im Land auf dem Weg nach Europa mitgenommen werden. Ob Milinkiewitsch das gelingt, werden die nächsten Monate zeigen. Europa ist aufgerufen, ihn dabei zu unterstützen.

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