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Nach den Kommunalwahlen ist vor den Präsidentschaftswahlen

Aus europäischer Sicht hat die Regierung in Minsk einen weiteren ernsthaften Test in diesem Jahr nicht bestanden: Trotz einer im Januar in Kraft getretenen und auch international positiv bewerteten Wahlgesetzänderung unterschied sich der Verlauf der weißrussischen Kommunalwahlen am 25. April in keiner Weise von fast allen Abstimmungen in den letzten vierzehn Jahren.

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Erstaunlich war allenfalls, wie wenig Mühe sich die Behörden gaben, die eklatanten Wahlfälschungen zu kaschieren. Auf jeden Fall hat Lukaschenko mit dem Urnengang deutlich gemacht, dass er weder zu Zugeständnissen gegenüber der demokratischen Opposition bereit ist noch daran denkt, sich europäischen Forderungen nach demokratischen und rechtsstaatlichen Veränderungen im Land zu beugen. Die Kommunalwahlen sind auch als ein negatives Signal mit Blick auf die in weniger als einem Jahr stattfindenden Präsidentschaftswahlen in Weißrussland zu werten.

Die Ergebnisse sprechen für sich: Nach vorläufigen Angaben sind unter den 21.293 Ende April gewählten lokalen Abgeordneten lediglich neun Vertreter demokratischer Parteien. Keinem der Kandidaten der Bewegung für die Freiheit von Oppositionsführer Alexander Milinkiewitsch, der Vereinigten Bürgerpartei oder der Belarussischen Volksfront ist es gelungen, als Abgeordneter in einen der lokalen Räte einzuziehen. Eine wichtige Rolle beim Zustandekommen dieses Ergebnisses spielte erneut die sog. vorfristige Stimmabgabe, die vom 20. – 24. April möglich war und von der etwa 30% der Wähler Gebrach machten – 5% mehr als bei den letzten Kommunalwahlen 2007. In den meisten Fällen, bei denen demokratische Kandidaten gegen Vertreter des Regimes antraten, waren erhebliche Unterschiede zwischen den Ergebnissen der „Briefwahl“-Stimmen und der Abstimmung am 25. April zu verzeichnen. In mehreren Gebieten gingen die Kandidaten der Opposition bei der vorfristigen Stimmabgabe komplett leer aus. Wie schon bei den Parlamentswahlen 2008 wurden somit die nicht am Wahltag abgegebenen Stimmen ganz offensichtlich dazu verwendet, das Ergebnis im Sinne der Behörden zu manipulieren. Darüber hinaus gab es nach Angaben der Organisation „Menschenrechtler für freie Wahlen“ auch dieses Mal wieder die staatlich organisierten Urnengänge in Unternehmen, geschlossenen Wahlbezirken (z.B.Kasernen) oder Studentenwohnheimen, Festnahmen von oder Hausdurchsuchungen bei unabhängigen Kandidaten vor den Wahlen sowie massive Manipulationen während des Wahltages selbst. Insbesondere die Auszählung der Stimmen verlief nicht einmal dem Anschein nach transparenter als bei den international nicht anerkannten Parlamentswahlen 2008.

„Wahlen sind nie steril“

Nichtsdestotrotz zeigten sich die offiziellen Vertreter nach dem Urnengang zufrieden. „Wahlen sind nie steril“, erklärte Lidija Jermoschina, die Leiterin der zentralen Wahlkommission auf einer Pressekonferenz in Minsk. Zwar habe es eine Reihe kleinerer Fehler gegeben, es sei aber nicht zu ernsthaften Unregelmäßigkeiten gekommen. Dass sie sich angesichts des Wahlverlaufs zu der Aussage verstieg, die Europäer hätten viel von Weißrussland zu lernen, klingt insbesondere vor dem Hintergrund absurd, dass Jermoschina nach den flagranten Fälschungen der letzten Präsidentschaftswahlen 2006 zusammen mit 35 weiteren weißrussischen Offiziellen von der EU mit einem Einreiseverbot belegt worden war und auch nach einer partiellen Aussetzung des Visabanns weiterhin nicht in die EU einreisen kann.

Die Beteiligung an den Kommunalwahlen in Weißrussland lag nach offiziellen Angaben bei 79,5% und damit etwa auf dem Niveau der letzten Wahlen von 2007. Vor dem Hintergrund, dass gut 80% der Weißrussen die Arbeit der lokalen Abgeordneten als vollkommen irrelevant für das eigene Leben betrachten, sind auch diese Angaben erheblich in Zweifel zu ziehen.

Wahlen? Was für Wahlen?

Alle führenden Vertreter der demokratischen Opposition in Weißrussland kritisierten die Kommunalwahlen heftig und riefen dazu auf, die Ergebnisse nicht anzuerkennen. Alexej Janukiewitsch, Vorsitzender der Belarussischen Volksfront, erklärte, was am 25. April ablief, habe nicht nur nichts mit freien und fairen Wahlen zu tun, es verdiene nicht einmal die Bezeichnung von Wahlen. Alle Wahlgesetzänderungen hätten sich als eine schamlose Verhöhnung der Bevölkerung erwiesen. Auch Oppositionsführer Milinkiewitsch konnte dem Wahlausgang nichts Positives abgewinnen: „Die Wahlen waren gefälscht, es gab keine Wahlen.“ Dennoch meint Milinkiewitsch, die Opposition habe ihr Ziel erreicht. Ihre Teilnahme an den Wahlen erhöhe die politische Kultur der Bürger im Land, während ein Boykott zu Apathie führe. „Wir arbeiten mit den Menschen und nicht für die Prozentpunkte, die die Regierung festlegt.“

EU enttäuscht

Die EU reagierte in ersten zurückhaltenden Stellungnahmen enttäuscht auf den Ablauf der Kommunalwahlen. Der litauische Abgeordnete Justas Paleckis, Mitglied der Delegation für die Beziehungen zu Belarus im Europäischen Parlament, sah die Hoffnung der EU enttäuscht, dass die Kommunalwahlen ein Schritt in Richtung Demokratisierung in Weißrussland bedeuten könnten.

Es ist damit zu rechnen, dass Verlauf und Ergebnis der Kommunalwahlen die seit Ende 2009 bereits stark belasteten Beziehungen zwischen Weißrussland und der EU weiter negativ beeinflussen wird. Einen Vorgeschmack bot in der letzten Woche eine mit großer Mehrheit angenommene Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, in der die vorläufige Aussetzung aller hochrangiger politischer Kontakte mit Weißrussland beschlossen wurde. Als Gründe wurden die Repressionen gegen unabhängige Medien, die Zivilgesellschaft, Oppositionsgruppen und die polnische Minderheit im Land sowie die Vollstreckung von zwei Todesurteilen im März genannt. Der Ablauf der Kommunalwahlen wird in Brüssel als ein weiteres Zeichen der fehlenden Bereitschaft von Lukaschenko zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der EU und dem Europarat gewertet werden.

Vor den Präsidentschaftswahlen

Nach der misslungenen Generalprobe richten sich jetzt alle Augen auf die Präsidentschaftswahlen, die entweder Ende des Jahres oder Anfang 2011 stattfinden werden. Alle Beobachter gehen davon aus, dass Lukaschenko versuchen wird, die Wahlen nach demselben Muster wie den Urnengang im April abhalten zu lassen: Die Ergebnisse werden vom Regime am grünen Tisch festgelegt, die Wahlen selbst sind lediglich ein mehr oder weniger gut inszenierter Legitimierungsversuch.

Dennoch scheint der Ausgang der Präsidentschaftswahlen offener als noch zu Beginn des Jahres. Die systematische Manipulation der Kommunalwahlen ist auch ein Zeichen dafür, dass sich die Situation für die Machthaber in Minsk zuspitzt: Es ist zu erwarten, dass sich der wirtschaftliche Druck im Laufe des Jahres erheblich erhöht und der politische Handlungsspielraum für Lukaschenko weiter einengt. Immer offensichtlicher wird, dass neben der EU auch Russland die Geduld mit ihm zu verlieren scheint und anders als noch 2006 nicht mehr bereit ist, Lukaschenko für eine weitere Amtszeit zu unterstützen. Ein Indikator dafür sind die Ereignisse in Kirgistan im April, die Lukaschenko offensichtlich auch als ein Warnsignal an seine eigene Adresse interpretiert hat. Öffentlich zog er Parallelen zu den Ereignissen in Bischkek: „Wenn so etwas in meinem Land passieren würde und jemand es wagte, die Menschen zu einem gewaltsamen Sturm zu führen, wird die Antwort nicht schwach sein. Eine Regierung, die sich nicht selbst zu verteidigen weiß, ist wertlos.“ Indem Lukaschenko Mitte April dem abgesetzten kirgisischen Präsdenten Bakijew seinen Schutz antrug und nach Minsk einlud, setzte er sich zwischen alle Stühle. Es ist zu erwarten, dass sowohl Russland als auch der Westen auf eine Auslieferung Bakijews nach Bischkek drängen wird, eine Forderung, die Lukaschenko kategorisch abgelehnt hat.

Auch Milinkiewitsch sieht Parallelen zwischen der Situation in Kirgistan Anfang April und den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Weißrussland: Die Kommunalwahlen hätten die Engstirnigkeit der weißrussischen Regierung gezeigt, erklärte er am Montag nach den Wahlen. Die Regierung „versteht einfach nicht, dass ganz andere Szenarien denkbar sind, wenn du keine Zugeständnisse machst und einen Dialog mit der Opposition beginnst, etwa Straßenproteste, gewaltsame Auseinandersetzungen und, Gott bewahre, Blutvergießen.“ Am 03. Mai hat Milinkiewitsch erklärt, dass er bei den nächsten Präsidentschaftswahlen wieder antreten werde. 2006 war er das Symbol des gescheiterten Protestes gegen die Wahlfälschung, 2010 scheinen die Chancen gestiegen zu sein, dass er zum Symbol eines demokratischen Wandels im Land wird.

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