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Der Blick auf Belarus aus Russland

Medienspiegel, Folge 6/2018

Im Mai 2018 griffen die nationalistisch argumentierenden russischen Medien hauptsächlich das wiederkehrende Thema der angeblichen Anstiftung zu antirussischer Stimmung in Belarus auf und versuchten dem Leser zu suggerieren, dass in Belarus eine “Russland-Phobie” von der dortigen staatlichen Politik vorgegeben werde.

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Bild von Sowetskaja Belorussia zur Bebilderung von Belarus-Beiträge Frei verwendbar
Bild von Sowetskaja Belorussia zur Bebilderung von Belarus-Beiträge

Die Website der russischen Landsleute in Belarus Ross-Bel.ru bedauert, dass die Bank Belgazprombank – eine Tochterbank der russischen Gazprombank in Belarus – eine belarussische Auflage der Werke der einzigen belarussischen Nobelpreisträgerin, der auf Russisch schreibenden Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch, finanzieren würde. Bei genauerem Hinschauen auf den Artikel stellt man fest, dass dem Autor nicht die belarussische Sprache der künftigen Ausgabe Probleme bereitet, sondern die Art und Weise, wie die russischsprachige Schriftstellerin aus Belarus den „roten Menschen“ und die sowjetische Wirklichkeit darstellt und analysiert.

Das Thema der angeblichen Russland-Phobie, die in Belarus mit russischem Geld gefördert werde, setzt ein anderes nationalistisches russisches Massenmedium, die Informationsagentur REX, fort. Nach einer Nacherzählung in groben Zügen des obigen Beitrags der „russischen Landsleute“ wird man in diesem Falle persönlich. Im Beitrag der Agentur wird ein Vorstandsmitglied der Bank Belgazprombank für die Unterstützung von „nationalistischen und prowestlichen“ Persönlichkeiten in Belarus mit russischem Geld angegriffen. Es wird die für die nationalistischen russischen Medien übliche angebliche Verbindung zwischen pro-belarussischen und pro-westlichen Ansichten der angegriffenen Personen und der Kollaboration mit den Nationalsozialisten in Belarus im Zweiten Weltkrieg hergestellt. Der russische Energieriese Gazprom wird aufgerufen, auf die Situation mit seiner Tochterbank in Belarus Belgazprombank zu reagieren.

Der Medienbericht hierzu.

Das Portal EurAsia Daily glaubt sogar alle wichtigen Empfänger der russischen Unterstützung in Belarus aufgedeckt zu haben, die mit russischem Geld Russland-Phobie in Belarus anhetzen würden. Dies seien neben Alexijewitsch eine Reihe von Massenmedien und Verlagen mit russischer Beteiligung. Selbst die üblicherweise am Rande eines prorussischen Nationalismus balancierende „Nachrichtenagentur“ Sputnik Belarus wird einer probelarussischen Position beschuldigt. Verantwortlich dafür wird die „leichtfertige“ russische Außenpolitik Belarus gegenüber gemacht. Vor allem die fehlende Unterstützung für die prorussische Lobby in Belarus führe dazu, dass die Russland-Phobie in Belarus künftig zunehmen werde.

Der Medienbericht hierzu.

Einschätzung des Leiters des Auslandsbüros Belarus der Konrad-Adenauer-Stiftung, Dr. Wolfgang Sender:

Wie in unseren bisherigen Kommentaren zu den Themen “Nationale Identität” bzw. “Nationales Selbstbewusstsein” in Belarus mehrmals hingewiesen wurde, verursacht jede wenn auch minimal wahrnehmbare Intention des belarussischen Staates bzw. der belarussischen Zivilgesellschaft, eigenständige nationale Interessen und Identität zu artikulieren, die sich von der russischen außenpolitischen Linie abweichen bzw. auf die Ausweitung der Anwendung der belarussischen Sprache gerichtet sind, Empörungswellen in den nationalistischen Strukturen in Russland. Die Förderung der belarussischen kulturellen Projekte durch die Bank Belgazprombank setzt sich keinesfalls Russland-Phobie zum Ziel, sondern ist vor allem auf das Marketing der Bank selbst in Belarus gerichtet. Mit dem Namen der Nobelpreisträgerin Alexijewitsch in dem Land für das eigene Image in Belarus werben zu können erscheint nicht mehr als eine Werbestrategie. Wie eine Förderung belarussischer Kultur Phobien schüren könnte, erschließt sich nicht.

Im Kern zielen die verbalen Attacken auch nicht so sehr die Förderung der belarussischen Kultur, sondern wenden sich gegen Kritik an den sowjetischen Verhältnissen. Angriffe auf die Sowjetunion werden von russischen Nationalisten oft als Angriff auf das heutige Russland und seine Interessen wahrgenommen. Diese Kombination aus einer nichtdifferenzierten Verherrlichung des Sowjetischen und der rigorosen Verneinung des Rechtes auf nationale Selbstbestimmung und Staatlichkeit für andere Völker aus der Region, die Russland geopolitisch als seinen Einflussbereich sieht, scheint ein wesentliches Merkmal dieser Denkrichtung auszumachen.

Für die Kritik an angeblich russischen Medien in Belarus fehlt jede gesetzliche Grundlage. In Belarus kann es keine rein russischen Medien geben, da der Anteil der ausländischen Inhaber an belarussischen Medien per Gesetz auf maximal 20 Prozent beschränkt ist. Außerdem können auch die Medien mit russischer Beteiligung in Belarus nicht so explizit propagandistisch agieren, wie es ihre Kolleginnen und Kollegen aus russischen Medien tun. Der belarussische Staat wacht über den eigenen medialen Raum und verfolgt auch auf dem Rechtswege hetzerische antibelarussische Publikationen. Somit sind die in Belarus agierenden Massenmedien, sei es auch mit ausländischer Beteiligung, per se zu einer objektiven Position gegenüber Belarus verpflichtet.

Die nationalistischen Autoren müssen sich indes um das Ausbleiben prorussischer Propaganda in Belarus nicht zu sorgen: Das russische Fernsehen, das fast ohne Einschränkungen in Belarus sendet, bleibt in seinen Talkshows, die außer Anschuldigungen gegen den Westen und die Ukraine nur selten andere Themen kennen, nach wie vor klar und pointiert propagandistisch ausgerichtet. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass 60 Prozent der Belarussen das Vorgehen Russlans in der Ukraine für richtig halten. Verwunderlich ist eher eine verkrustete und schwerfällige Medien- und Informationspolitik des belarussischen Staates, der bis vor kurzem die nationale Identität auf Basis von ausschließlich prosowjetischen Idealen zu gestalten versuchte und somit die Verwässerung der nationalen Identität der eigenen Staatsangehörigen und auf diese Weise indirekt die Steigerung ihrer Loyalität gegenüber nationalistischen Ideen aus Russland förderte.

Der ausgewählte Blickwinkel – Belarus „mit russischen Augen“ anzusehen – bietet Informationen über die teils impliziten Spannungen in den Beziehungen zwischen Belarus und seinem engsten Verbündeten Russland. Diese Spannungsfelder bestimmen häufig den außen- und innenpolitischen Spielraum für Belarus.

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Dr. Wolfgang Sender

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