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„Die Krim ist Geschichte...“

Diskussion über das Verhältnis der NATO und Russlands

„Die Krim ist Geschichte...“ Das meint Dr. Anna Rose von der Moskauer Zeitung Rossijskaja gaseta. Im Rahmen des Internationalen Filmfests Potsdam organisierte das Politische Bildungsforum Brandenburg auch in diesem Jahr eine Podiumsdiskussion zu aktuellen politischen Fragen. Das Thema des Filmfests lautet „Freundschaft und Verrat“, und daran knüpfte die Diskussion an. Im Zentrum der kontroversen Diskussion vor 130 Gästen stand Dr. Anna Rose, die die russische Position erläuterte.

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Rose betonte in ihrem einführenden Beitrag, der Konflikt in der Ukraine sei nicht von Russland provoziert worden, es handele sich um seit langem bestehende Probleme der Ukraine. Der Versuch des Westens, in der Ukraine eine Demokratie nach westlichem Vorbild zu etablieren, sei gescheitert. Ein Fehler des Westens sei die europäische Nachbarschaftspolitik und der Versuch der Ausdehnung des Einflussbereichs gewesen. Sie vermutet in diesem Zusammenhang, daß die Proteste auf dem Maidan-Platz in Kiew und anderen Orten durch die CIA und andere Organisationen wesentlich beeinflusst worden seien. Russland habe den Moment der Krise in der Ukraine ausgenutzt und mit der Krim „zurückerobert", was zu Russland gehöre. So habe es auch Helmut Schmidt bereits bewertet. Die weitere Entwicklung habe die russische Regierung nicht gewollt und nicht voraussehen können, sie habe aber vielleicht zu voreilig agiert. Im Kreml gebe es kluge Köpfe, auf die der russische Präsident höre. Die Mehrheit der Russen sei der Ansicht, daß die Krim als Teil Russlands angesehen werden müsse. Wladimir Putin folge mit seiner Politik lediglich dieser Haltung.

Deutschland stehe nicht im Mittelpunkt des Konfliktes, Russland wünsche gute Beziehungen zu Deutschland und Europa. Bezüglich der USA sei die Wahrnehmung anders. Die meisten Russen glaubten, daß die USA gegen Russland eine aggressive Politik betreiben, die Kontrolle über Bodenschätze gewinnen wollen u.a. Die Militärausgaben der NATO seien zudem sehr viel höher als die Russlands.

Die Krim „Geschichte“?

Die „Krim sei Geschichte“, man müsse nach vorne in die Zukunft blicken. Weitere Annexionen, so Rose, seien nicht zu erwarten. Die Angst vor russischer Aggression im Baltikum oder in Polen werde in Berichten oft übertrieben. Sie habe zahlreiche Bekannte in diesen Ländern, die Russland keineswegs fürchteten. Russland bedrohe niemanden. Die Sowjetunion habe zwar nach dem Zweiten Weltkrieg „unschöne, brutale“ Sachen zu verantworten, für die sich Russland bislang nicht entschuldigt habe. In Afghanistan habe die Sowjetunion 1978 auf Bitten von Afghanen interveniert, dort habe ohnehin jede Interventionsmacht die gleichen Probleme. Aber viele Vorwürfe seien Teil antirussischer Vorurteile, die sehr verbreitet seien. Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder könne als erster gelten, der sich gegen die russlandkritische Politik gestellt habe. Russland wolle Frieden bringen, und es sei unverständlich, warum dies in Deutschland viele Menschen nicht verstünden. Vor allem die USA hätten doch in den vergangenen Jahrzehnten Kriege geführt. Offenbar seien die Deutschen in ihren Ansichten stark beeinflusst, etwa durch die Hilfe des Marschallplanes nach dem Krieg und der folgenden Entwicklungen.

Russland will Frieden

Rose betonte, auch in Russland gebe es unterschiedliche Ansichten zum Konflikt in der Ukraine, manche seien für, andere gegen den Kurs Waldimir Putins. Dieser würde in einigen Zeitungen oder in Internetblogs als Verbrecher beschimpft. Im Gegensatz zu westlichen Berichterstattern seien jedoch viele russische Journalisten direkt vor Ort und könnten sich ein unmittelbares Bild von der „komplexen“ Lage machen. Sie gab zu bedenken, daß eine Abtrennung der Ukraine von ihren Beziehungen zu Russland erhebliche wirtschaftliche Probleme aufwerfen könnte. Zu den Sanktionen sagte sie, daß die wirtschaftliche Lage Russlands schon vor der Ukraine-Krise schlecht gewesen sei. Teile der russischen Regierung würden diese Situation nun mit der Krise und den Sanktionen verknüpfen, das sei „bequem“. Aber auch der Westen leide, das sollte nicht übersehen werden, an den Sanktionen. Am wenigsten würden die USA davon spüren, so Rose. Zu lösen wäre die Situation zwischen der NATO und Russland mit Hilfe eines Wandel durch Annäherung und Förderung von Rechtsstaatlichkeit.

Keine Einflussnahme des Westens

Dr. Karl-Heinz Kamp von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik erläuterte, daß die NATO zahlreiche Maßnahmen zur Anpassung an das veränderte Verhältnis zu Russland treffe. Bei den aktuellen Forderungen und sehr vielfältigen Vorstellungen müsse aber grundsätzlich berücksichtigt werden, daß die NATO kein Bündnis zur „Beglückung der Welt“ sei, sondern klar umgrenzte Ziele als Verteidigungsbündnis verfolge. Er wies „Verschwörungstheorien“ zurück, der Westen wolle die Ukraine in seinen Einflussbereich ziehen. Dafür gebe es allein bereits zu viele Probleme in der Region. Die Krim sei abhängig von der Stromversorgung durch die Ukraine, die derzeit auch noch gewährt werde. Ein wichtiges Problem sei zudem, daß in der Ostukraine die Motoren russischer Panzer und Hubschrauber produziert werden, deren Produktion unter russischer Kontrolle erfolge.

Russland produziert Instabilität

Er wies zudem darauf hin, daß die Angst vor russischer Aggression in osteuropäischen Ländern im Gegensatz zu den Behauptungen Roses verbreitet sei. Zahlreiche Verträge habe Russland in jüngster Zeit gebrochen, etwa den KSZE-Vertrag, die NATO-Russland-Akte und vor allem das Budapester Memorandum von 1994, das der Ukraine territoriale Integrität und Souveränität zusichert. Russland habe Grenzen geändert und dadurch die Grundlagen der Sicherheitspolitik. Kamp bezeichnete diesen Umgang mit völkerrechtlichen Verträgen als „game change“, als Veränderung der Spielregeln in der Politik. Die Ziele dieser russischen Politik seien ohnehin unverständlich. Denn Russland habe lediglich Instabilität an seiner Grenze zur Ukraine produziert. Innerhalb der NATO würden die Sanktionen gegen Russland unterschiedlich bewertet. Für Estland sei dies eine wichtigere Frage als etwa für Portugal. Bislang sei ihre Wirksamkeit aber schwer einzuschätzen. Allerdings seien die wirtschaftlichen Folgen spürbar, zumal Russland auch die Versorgung der Krim bewältigen müsse. Russland sei von einem politisch-ökonomischen Minderwertigkeitskomplex geprägt, auf den Weltmärkten sei es inzwischen nur für wenige Produkte und Rohstoffe noch wesentlich, etwa für Waffen und Öl.

Die derzeitige Konfrontation mit Russland schließe eine Zusammenarbeit in Einzelfällen zukünftig nicht aus. Allerdings, das machte er deutlich, sei es mit der „strategischen Partnerschaft“ zwischen NATO und Russland für lange Zeit vorbei. Innerhalb der NATO müsse überlegt werden, ob das sich erweiternde Spektrum der Sicherheitspolitik durch immer weniger Mittel abgedeckt werden könne. So weiter gehen wie bisher könne es jedenfalls nicht.

Gemeinsame Projekte liegen auf Eis

Der stellvertretende Generalinspekteur der Bundeswehr, Generalleutnant Peter Schelzig, wies darauf hin, daß derzeit innerhalb der NATO eine Abstimmung über die angemessene Reaktion auf die aktuellen Entwicklungen laufe. Denn das Verhalten Russlands bedeutet eine „strategische Überraschung". Dabei konkurrieren auch in der NATO unterschiedliche Ansichten miteinander. Niemand wünsche sich, so formulierte er in Anknüpfung an ein Buch des amerikanischen Schriftstellers Tom Clanceys, in dem er einen konventionellen Krieg zwischen der NATO und Russland beschreibt, einen „Red Storm Rising“.

Von der NATO gehe keinerlei Gefahr für Russland aus. Und das lasse sich in mehrfacher Hinsicht zeigen. So habe es bisher keine großen Mannöver gegeben, die mit denen Russlands in grenznahen Räumen, unter Einschluss nuklearer Strategien, vergleichbar wären. Die gemeinsamen Projekte mit Russland, wie etwa die Lieferung eines Gefechtsübungszentrums, seien gestoppt. Wie es mit der Stationierung von NATO-Truppen in Osteuropa aussehe, müsse nun überlegt werden. Es stehe zu hoffen, daß Russland bald wieder als Partner mit dem Westen zusammenarbeiten werde. Müsse nun eine Aufrüstung erfolgen? Das sieht der Generalleutnant kritisch. Die NATO könne über 3,5 Millionen Soldaten verfügen, Russland über eine Million. Es sei deshalb erforderlich, eine richtige politische Antwort auf die Entwicklung zu finden. Zur Frage der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr verwies Generalleutnant Schelzig auf die erfolgreichen Auslandseinsätze der vergangenen Jahre. Dabei sei die Bundeswehr als kompetenter Partner anerkannt. Vieles müsse noch effizienter werden, aufgrund der Einsparungen der letzten Jahre mussten bestimmte Projekte allerdings über mehrere Jahre gestreckt werden. Die Bundeswehr im Bündnis der NATO und Europas könne auf jede Bedrohung reagieren. Auch die Wiedereinführung der ausgesetzten Wehrpflicht sei zweifellos denkbar, er sieht aber derzeit nicht, daß es dazu in absehbarer Zeit kommen werde.

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