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Länderberichte

Ärger im Paradies

von Elias Marini Schäfer

Die Beziehung der Malediven und Indiens im Zwiespalt zwischen Freundschaft und Antipathie

Der folgende Länderbericht bildet den zweiten Teil der dreiteiligen Länderberichtsreihe unter dem Titel: „Indien und seine Nachbarn.“ Vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse wie dem EU-Indien-Gipfel, der den Weg für eine verstärkte strategische Partnerschaft zwischen Indien und den EU-Mitgliedsstaaten ebnete, zielt die Serie darauf ab, geopolitische Herausforderungen, Zusammenarbeit, Sicherheit und andere rechtsstaatliche Faktoren innerhalb der Asien- und Pazifikregion aus der Perspektive des indischen Subkontinents zu beleuchten.

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Bekannt für zuckerweiße Sandstrände, schimmerndes türkisfarbenes Wasser und luxuriöse Inselresorts, heißen die Malediven jedes Jahr Hunderttausende von Touristen auf der sogenannten „Sonnenseite des Lebens“ willkommen. Im Jahr 2018 folgten rund 110.000 deutsche Touristen diesem Lockruf in das Inselparadies, das aus einer Ansammlung von 1.190 Inseln mit einer Gesamtfläche von 300km² besteht und von etwa einer halben Million Menschen bewohnt wird.[1] Deutsche Touristen stellten damit das zweitgrößte Besucherkontingent, lediglich übertroffen durch chinesische Besucher, die im besagten Jahr mit etwa 280.000 Besuchern 19 % des gesamten touristischen Marktanteils auf den Malediven ausmachten.[2]

In der jüngsten Vergangenheit wurde die „Sonnenseite des Lebens“ jedoch zunehmend von alarmierenden Wolken klimatologischer und geopolitischer Natur überschattet. So sind die Malediven als das am tiefsten gelegene Land der Welt - die höchste Erhebung des Landes liegt nur 1,8 Meter über dem Meeresspiegel - vom fortschreitenden Klimawandel akut bedroht.[3] Experten gehen davon aus, dass der Indische Ozean bis zum nächsten Jahrhundert den Löwenanteil des Inselstaates verschlucken wird.[4]  

Als kleiner Inselentwicklungsstaat, der von internationalen Entwicklungshilfegeldern abhängig ist, wurden die Malediven zuletzt immer stärker in den aufkommenden Strudel eines regionalen Großmachtwettbewerbs hineingezogen, dessen zentrale Protagonisten Indien und China darstellen. Sowohl Neu-Delhi als auch Peking lechzen danach, die Malediven für ihre strategischen Interessen zu mobilisieren, da der Inselstaat ein zentrales strategisches Puzzleteil im Wettstreit zwischen den beiden asiatischen Bevölkerungsriesen um die Kontrolle über die Region des Indischen Ozeans bildet. Die besondere strategische Bedeutung der Malediven steht hierbei in direktem Zusammenhang mit der eigenen geografischen Lage, denn wie der indische Politikwissenschaftler Mohan Guruswamy feststellte, ist der Inselstaat „die Manifestation eines 960 km langen, von Norden nach Süden verlaufenden unterseeischen Rückens, der quasi eine Art Mauer für die Schifffahrt von der Ostseite des Indischen Ozeans bis zur Westseite bildet.“[5]

Darüber hinaus muss die strategische Relevanz der Malediven im Kontext jüngster geopolitischer Entwicklungen betrachtet werden, wobei der Indische Ozean erheblich an Bedeutung gewonnen hat und die dort gelegenen Inseln ihre historische Stellung im Zusammenhang des Wettbewerbs zwischen Großmächten wiedererlangt haben. Im deutlichen Gegensatz zu ihrem historischen Status als koloniale Außenposten haben sich diese Inseln im 21. Jahrhundert zu souveränen Nationen mit eigenständigen strategischen, wirtschaftlichen und politischen Prioritäten gewandelt. Heute können die Regierungen der Inselstaaten, von Malé bis Colombo, das globale Sicherheitsklima durch ihre außenpolitischen Entscheidungen erheblich verändern. Daher könnte eine feindlich gesinnte Regierung auf den Malediven Indiens strategische und sicherheitspolitische Prioritäten im Indischen Ozean erschweren und sogar in Frage stellen, was Neu-Delhi vor nicht zu unterschätzende Herausforderungen im chinesisch-indischen Wettbewerb stellt.

Historisch betrachtet konnte Indien - die den Malediven am nächsten gelegene Militärmacht - stets den größten Einfluss auf das Land ausüben.[6] Doch die Inselkette befindet sich nicht mehr unter Indiens alleiniger strategischer Vorherrschaft. Mit dem Vordringen Chinas in den Indopazifik wurden die Malediven in das „Great Game“ zwischen Neu-Delhi und Peking verstrickt. Die gespaltene politische Elite des Landes hat sich unlängst an die „neue“ regionale Supermacht gewandt, um finanzielle Unterstützung zu erhalten.

So hat sich Peking in weniger als einem Jahrzehnt zu einem ernsthaften Herausforderer Indiens in dessen eigener Nachbarschaft gemausert, in einem Land, in dem China bis 2011 nicht einmal eine Botschaft unterhielt.[7] Indien hingegen, dass 1976 als erstes Land eine Auslandsvertretung in Malé eröffnete[8], investiert seit 2018 in großem Stil und mit gewissem Erfolg, um seine absolute Vormachtstellung über die „Zollschranke“ zum Indischen Ozean zurückzugewinnen.

Dabei steht für Indien viel auf dem Spiel in einer aufkommenden post-pandemischen Welt, in der das politische Handeln der maritimen Nachbarländer Indiens die geopolitische Rolle Neu-Delhis auf dem Globus definieren wird.

 

Malé und Neu-Delhi: ziemlich beste Freunde?

Den besonderen Stellenwert, welchen Neu-Delhi den Malediven beimisst, wird seit 2018 von indischen Regierungsvertretern mantraartig wiederholt. So auch von Premierminister Modi, der die Malediven symbolträchtig für seinen allerersten bilateralen Besuch nach seiner zweiten Regierungsübernahme im Jahr 2019 auserkoren hatte.[9]  Dort beschrieb er in einer Rede vor dem maledivischen Parlament die Priorität, die der Inselstaat im Rahmen der „Neighbourhood first policy“ [1] seiner Regierung genießt, als natürlich und verwies auf die tiefen historischen und kulturellen Bindungen, die die beiden Länder miteinander verbindet.[10]  

In der Tat sind Modis Worte nicht nur als rhetorische Plattitüde zu deuten: Malé und Neu-Delhi sind nicht nur aufgrund ihrer geografischen Nähe miteinander verbunden, sondern vor allem wegen der großen indischen Diaspora, einer engen bilateralen Verteidigungspartnerschaft und der historischen Tatsache, dass Indien stets die erste Anlaufstelle für Hilfeersuche der Malediven war. So entsandte Neu-Delhi 1988 in Reaktion auf einen Putschversuch seine Spezialeinheiten und bewahrte damit die Regierung des damaligen maledivischen Präsidenten Maumoon Abdul Gayoom vor dem Sturz.[11]

Jahrzehntelang sorgten diese freundschaftlichen Beziehungen für politisches Vertrauen, wirtschaftliche Zusammenarbeit und eine kohärente sicherheitspolitische Ausrichtung zwischen den beiden Nachbarstaaten. Dies sollte sich jedoch nach dem Sturz des pro-indischen Präsidenten Mohamed Nasheed im Jahr 2012 schlagartig ändern, woraufhin sich ein komplexes Machtspiel zwischen Peking und Neu-Delhi um den Einfluss auf die Inselkette entfaltete.

 

Der chinesische Entwicklungstraum

Unter Nasheeds Nachfolger Abdulla Yameen Abdul Gayoom kehrte sich die pro-indische Politik seines Vorgängers zu Gunsten einer pro-chinesischen Politik um, womit das „Reich der Mitte“ die Möglichkeit erhielt, in der Peripherie des Indischen Ozeans als Schlüsselakteur Fuß zu fassen. Diese politische Neuausrichtung wurde mit einem Paukenschlag eingeläutet, als die Regierung Yameen den 511 Millionen US-Dollar schweren Auftrag an die indische GMR-Gruppe für den Ausbau des internationalen Flughafens von Malé rückgängig machte.[12]  

Der Auftrag war 2010 unter Nasheeds Präsidentschaft an das indische multinationale Konglomerat vergeben worden und wurde seinerzeit innerhalb des Subkontinents als neues erfolgversprechendes Modell Neu-Delhis für ausländisches Engagement tituliert. Doch so schnell wie sich diese Erwartungen aufgebaut hatten, so schnell verflüchtigten sie sich auch wieder, als die neue maledivische Regierung der GMR-Gruppe den Zuschlag 2012 mit der Begründung entzog, er sei „unter dubiosen Umständen“ zustande gekommen.[13]  Der Auftrag ging anschließend für rund 800 Millionen Dollar an ein chinesisches Unternehmen[14], sodass es Verdachtsmomente gibt, dass Peking im Vorfeld Einfluss auf die Entscheidung genommen hatte, der GMR-Gruppe den Auftrag zu entziehen.

Das Ende des GMR-Kapitels sollte den Beginn eines regelrechten chinesischen Investitionsbooms auf den Malediven darstellen, der ein Kraftwerksprojekt, mehrere Straßenbauprojekte und eine chinesisch-maledivische Freundschaftsbrücke mit sich brachte. Das Flaggschiffprojekt dieser Partnerschaft - die Freundschaftsbrücke - gekrönt von einem hohen blauen Torbogen, schlängelt sich auf einer Länge von 2 km über den Indischen Ozean und verbindet die maledivische Hauptstadt Malé mit ihrem internationalen Flughafen und der künstlichen Insel Hulhumalé.[15] Yameen dankte Peking für die Investitionen, indem er 2015 im Parlament eine Verfassungsänderung durchsetzen ließ, die ausländischen Landbesitz auf dem Inselstaat erlaubte und damit die Tür für chinesische Landkäufe aufstieß.[16]  Ebenso kontrovers war die Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens mit China, das Yameen im Schnellverfahren durch das Parlament jagte, ohne der Opposition die Möglichkeit zu geben, die Bedingungen des umfangreichen Dokuments zu überprüfen.[17] 

Dabei war Yameens Politik der Annäherung an China von einem großen Finanzierungsbedarf seiner ambitionierten Pläne für den Großraum Malé geprägt und hatte nur am Rande mit sicherheitspolitischen Erwägungen zu tun. Yameen vertrat seit Beginn seines Amtsantrittes die These, dass es für seine Regierung nicht machbar sei, alle rund 200 bewohnten Inseln des Landes mit angemessenen öffentlichen Dienstleistungen zu versorgen und dass es daher wesentlich praktikabler sei, den Großteil der Bevölkerung des Landes in das Ballungsgebiet der Hauptstadt Malé umzusiedeln.[18] 

In Yameens Siedlungsplan spielte die künstliche Insel Hulhumalé eine Schlüsselrolle. Diese war schrittweise seit 1997 auf Befehl von Yameens Halbbruder Maumoon Abdul Gayoom - der die Malediven einst 30 Jahre lang als Diktator regierte - durch das Aufschütten einer Korallenlagune in der Nähe von Malé entstanden.[19] Yameen drängte auf eine Verdreifachung der Größe der künstlichen Insel, um 240.000 Einwohner[20] - fast die Hälfte der derzeitigen Gesamtbevölkerung des Landes - unterzubringen. Für dieses Vorhaben waren umfangreiche Finanzmittel erforderlich, zu deren Bereitstellung Indien offenbar nicht gewillt oder fähig war.

 

Die Malediven im Strudel des Großmachtwettbewerbs

 

Für China hingegen, dass 2013 seine Belt and Road Initiative (BRI) vorgestellt hatte, boten die Malediven aufgrund der ehrgeizigen Vorhaben Yameens ein verheißungsvolles Investitionsziel. Für Yameen wiederum boten chinesische Investitionen angesichts des Umfangs und des Kapitals, das mit Projekten der BRI verbunden ist, eine lukrative Gelegenheit, seine Zukunftsvision für die „Sonnenseite des Lebens“ schnellstmöglich in die Realität umzusetzen. Diese scheinbar vollkommene Interessenübereinstimmung bewegte 2014 sogar Xi Jinping dazu, den Malediven einen Besuch abzustatten, eine Premiere für einen chinesischen Präsidenten seit der Unabhängigkeit des ehemaligen britischen Protektorats im Jahr 1965.[21]

Angesichts der zentralen Stellung des Tourismus für die maledivische Wirtschaft versprachen chinesische Vertreter zu diesem Anlass, ihre Landsleute zu Besuchen auf den Malediven zu ermutigen[22], was anschließend zu einem stratosphärischen Anstieg der chinesischen Besucherzahlen führte. Im Gegenzug erklärte sich die Regierung Yameen bereit, sich aktiv an der chinesischen Initiative zur Schaffung einer Schifffahrtsroute von China nach Europa über Westafrika zu beteiligen.[23] Auf diese Weise wurde einmal mehr deutlich, dass China unter Xi Jinping mehr als jedes andere Land in der Lage zu sein scheint, mit der Bereitstellung von Entwicklungshilfegeldern neue territoriale Arenen zu betreten. Es verschiebt damit die Machtdynamik zu seinen eigenen Gunsten, indem es sich selbst zum Mittelpunkt der strategischen und wirtschaftlichen Aktivitäten des auserkorenen Landes erhebt. 

All diese Entwicklungen wurden in Indien mit Besorgnis beobachtet, zumal die politischen Eliten in Neu-Delhi zunehmend ohnmächtig zusehen mussten, wie ihre Fähigkeit, die regionale Sicherheit im indo-pazifischen Raum ganzheitlich zu steuern, nach jeder chinesischen Investition auf den Malediven immer weiter schwand. Diese Sorgen dürften sich weiter verstärkt haben, als elf Schiffe der Marine der Volksbefreiungsarmee 2018 offenbar in südasiatischen Hoheitsgewässern zu operieren begannen, angeblich um die Regierung Yameen sicherheitspolitisch zu unterstützen.[24]  

Solche Muskelspiele offenbarten jedoch auch die zu vermutende Langzeit-Strategie Pekings, welche darauf abzielte, die eigene Militärmacht im indopazifischen Raum zu etablieren, indem man die Regierungen strategisch bedeutsamer Länder in der Region für sich gewann und so die Kontrolle über die wichtigsten Schifffahrtsrouten vom Südchinesischen Meer bis zum Indischen Ozean zu erlangen.

 

Aufblühende Beziehungen auf Bergen von Schulden

Was zunächst den Anschein eines stetig wachsenden wirtschaftlichen, strategischen und politischen Einflusses Pekings auf die Malediven erweckte, fand jedoch ein jähes Ende. Nur zwei Wochen, nachdem die ersten Autos über die chinesisch-maledivische Brücke der Freundschaft rollten, wurde Yameen im November 2018 nach einer Wahl, bei der die negativen Seiten der chinesischen Kreditvergabe an den Inselstaat in den nationalen Fokus geriet, von der Macht verdrängt.[25] Die neue Regierung verkündete eine „India first“ [2] -Politik und entzog China den Status eines vorrangigen Entwicklungspartners[26], was die sicherheitspolitische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Malé und Neu-Delhi wiederbelebte.

Dieses Wiederaufblühen der indisch-maledivischen Beziehungen erfolgte jedoch vor dem Hintergrund einer potenziellen Schuldenkrise. Nachdem der neue Präsident Ibrahim Mohamed Solih versprochen hatte, alle früheren chinesischen Investitionen und Kredite unmittelbar nach seinem Amtsantritt überprüfen zu lassen, zeigte sich, dass sich die unter der Regierung Yameen angehäuften Schulden bei China auf bis zu 3 Milliarden Dollar summieren könnten.[27]  In Anbetracht des Bruttoinlandsprodukts der Malediven aus dem Jahr 2020, das sich auf 4,03 Milliarden US-Dollar belief [28], bedeutet dieser prognostizierte Schuldenumfang eine kaum bezahlbare Summe. Solihs Regierung ersuchte umgehend Hilfe von Seiten Indiens, um den gigantischen Schuldenberg abzutragen.

Ein weiteres erhebliches Problem entstand dadurch, dass viele chinesische Kredite während der Regierungszeit Yameens mit einer weitreichenden Vertraulichkeitsklausel ausgestattet wurden, die eine Geheimhaltung der Bedingungen oder sogar der Existenz der geleisteten chinesischen Kredite vorschrieb. Bis heute ist das Ausmaß der Verschuldung unklar und auch wenn China zu Beginn der COVID-19-Pandemie die Rückzahlung einiger Kredite an die Malediven teilweise für vier Jahre aussetzte, steht fest, dass die Malediven ihre Verbindlichkeiten schnellstmöglich zurückzahlen sollten, um ein Kompromittieren der eigenen territorialen Souveränität gegenüber China abzuwenden. Was solche Verluste beinhalten könnten, wurde am Beispiel des regionalen Nachbarn Sri Lanka deutlich, der in die chinesische Schuldenfalle geriet und dessen strategisch wichtiger Hafen Hambantota von Peking „annektiert“ wurde.

Die unter der Regierung Solihs neu aufgenommene Partnerschaft mit Indien ist daher auch unter einem rein pragmatischen Betrachtungswinkel zu bewerten, da Entwicklungshilfe und Gelder aus Indien eine der wenigen Optionen darstellten, die der neuen maledivischen Regierung zur Verfügung standen, um den chinesischen Schulden zu entfliehen oder diese zumindest zu minimieren. Neu-Delhi wiederum war stark darauf bedacht, den einstigen sicherheitspolitischen Einfluss auf das Land zurückzugewinnen; so wurden im Jahr 2018 und 2019 mehrere bilaterale Abkommen unterzeichnet, die den Weg für zahlreiche Entwicklungsprojekte ebneten, die auf den Malediven mit Hilfe indischer Kreditlinien in Höhe von 1,4 Milliarden US-Dollar durchgeführt wurden. [29]

In den Folgejahren unterzeichneten Indien und die Malediven zudem diverse sicherheitsbezogene Kooperationsvereinbarungen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Kontext, dass die Malediven Ende 2020 nach einer sechsjährigen Abstinenz erneut an den zwischen Indien, Sri Lanka und den Malediven geführten Gesprächen auf nationaler Sicherheitsberaterebene teilnahmen.[30]  Hierbei beschlossen die drei Nachbarstaaten, eine Sicherheitskonklave in Colombo einzurichten, in deren erster Sitzung vier Hauptpfeiler der Zusammenarbeit in Bezug auf gemeinsame Sicherheitsbedrohungen festgelegt wurden: „Sicherheit im Seeverkehr“; „Terrorismus und Radikalisierung“; „Menschenhandel und organisierte Kriminalität“; sowie „Cybersicherheit“.[31]  Dies bestätigte unmissverständlich die Unterstützung Malés für Neu-Delhis wiedererlangte strategische Position als primärer regionaler Sicherheitsanbieter.

 

Fazit

Wenngleich Indien unter der Regierung Solihs ihren einstigen Einfluss über die Malediven zum Großteil wiedererlangt hat, sind in der verhältnismäßig kurzen Zeit, in der die Malediven von Yameen verwaltet wurden, tief liegende Missstände und Herausforderungen zutage getreten, die bis heute keineswegs als überwunden anzusehen sind. Auch in Zukunft muss sich Neu-Delhi darüber im Klaren sein, dass benachbarte kleine Entwicklungsländer weiterhin für chinesische Zuwendungen empfänglich sein könnten, um anderweitig unerschwingliche Entwicklungsvorhaben auf den Weg zu bringen. Die beste Antwort auf solche chinesischen Verlockungen dürfte eine indische Politik sein, die äußerst sensibel auf die Entwicklungsbedürfnisse der Malediven eingeht und nicht vor einer Erhöhung der bilateralen Ausgaben in diesem Bereich zurückschreckt. In dieser Hinsicht könnte die harmonische Umsetzung der „Neighbourhood first policy“ der Regierung Modi bereits eine solche unabdingbare Politik verkörpern.

Doch selbst wenn dies perfekt umgesetzt werden sollte, wird die Beibehaltung der strategischen Führungsposition Indiens auf den Malediven auch stark von den innenpolitischen Vorstellungen und Prozessen des Inselstaates abhängen.  Man könnte argumentieren, dass dieses Bündnis nur in dem Maße tragfähig ist, solange die politischen Visionen beider Staaten übereinstimmen und konsistent bleiben. Hierbei ist eine Intensivierung der Verteidigungszusammenarbeit zwischen Malé und Neu-Delhi wohl nur insofern gewährleistet, als die politischen Ziele und Entscheidungen der maledivischen Regierung eine regionale Agenda erfordern, die Indiens Bemühungen zur Eindämmung der chinesischen Expansion aktiv unterstützt.

In dieser Hinsicht könnte ein möglicher künftiger Regierungswechsel oder ein lokales politisches Umdenken auf den Malediven einen passiveren Ansatz für die regionale Sicherheitszusammenarbeit mit sich bringen. Die neue Regierung könnte sich stärker auf die Entwicklungszusammenarbeit konzentrieren, wie es während der Amtszeit von Präsident Yameen der Fall war. Yameens politischen Vorstellungen förderten die nationalen Entwicklungsziele der Malediven, deren grundlegende Aspekte sich auch im aktuellen politisch-ökonomischen System nicht verschoben haben. In diesem Fall könnten die umfangreicheren Entwicklungsgelder Chinas zu einem erneuten Politikwechsel Malés hin zu den Interessen des „Reichs der Mitte“ führen.

Darüber hinaus haben jüngste Entwicklungen wie die im letzten Jahr initiierte „India out“[3] -Kampagne gezeigt, dass anti-indische Ressentiments auf den Malediven großen Anklang bei einem erheblichen Teil der Bevölkerung finden. In diesem Zusammenhang stellt sich die berechtigte Frage, ob Indien trotz der nach wie vor guten Aussichten auf eine sich stetig verstärkende bilaterale Zusammenarbeit in der Zukunft auch in der Lage sein wird, neu aufkeimende Herausforderungen mit dem Optimismus neuer Kooperationsmöglichkeiten zu überwinden. Eine eindeutige Antwort auf diese Frage wird jedoch wohl auf die nächsten Präsidentschaftswahlen des Inselstaates im Jahr 2023 warten müssen, bis dahin wird ein Verhältnis der Freundschaft beider Staaten zweifellos über jegliche Antipathie triumphieren.

 

Begriffserklärungen

[1] „Neighbourhood First“ nennt sich eine Form der Außenpolitik, die Indien seit 2014 verfolgt. Sie besagt, dass die indische Regierung den Beziehungen zu den unmittelbaren Nachbarstaaten im direkten Vergleich zu anderen strategischen Partnern Vorrang einräumt. In diesem Zusammenhang hat die Regierung Modi wiederholt den Slogan „Neighbourhood First“ bemüht, um ihre außenpolitische Haltung zu bekräftigen.

[2] Die „India First“-Politik ist von politischen Vorstellungen über die Stärkung der historisch und geografisch bedingten nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern geprägt, um eine bilaterale und regionale Zusammenarbeit zu fördern, bei der Indien stets als vorrangiger Partner der Malediven in wirtschaftlichen, strategischen und sicherheitsrelevanten Fragen berücksichtigt wird.

[3] Die Kampagne begann im Jahr 2020 und ist nach wie vor auf den Malediven sehr populär. Sie umfasst sowohl Protestveranstaltungen als auch soziale Medienaktionen, die sich gegen jegliche Form von indischer Militärpräsenz auf den Malediven richten. Obwohl die Organisatoren der Kampagne stets betonten, dass es sich um eine friedliche und themenbezogene Bewegung handelt, hat die Kampagne auch vermehrt Gewaltandrohungen hervorgebracht. So kam es zu Protesten vor dem indischen Hochkommissariat in Malé, und in jüngster Zeit wurden in einigen Online-Posts unter dem Hashtag „India out“ sogar Bombendrohungen gegen das Hochkommissariat geäußert.

 

Quellen

[1] World Population Review (2021): Maldives Population 2021, in: https://bit.ly/3oJuXuX [20.10.2021].

[2] Ebd. N. 1.

[3] Deborah Byrd (2014): Places to go: Maldives is the world’s lowest country, EarthSky, in: https://bit.ly/3ENzOB1 [21.10.2021].

[4] WION News (2021): This country could be underwater by the end of the century, in: https://bit.ly/3IIScx2 [21.11.2021].

[5] Mohan Guruswamy (2018): India’s dilemma in the Maldives: is it time to deal with Chinese influence?, South China Morning Post, in: https://bit.ly/3yd9Hks [08.11.2021].

[6] The Economic Times (2020): India’s relations with Maldives a model for ties with other neighbours, in: https://bit.ly/3ygWWVR [12.11.2021].

[7] The President’s Office Republic of Maldives (2011): Chinese Embassy opened in Maldives, in: https://bit.ly/3lVclGm [12.11.2021].

[8] Manoj Kumar (2019): Winds of Change: India and the Maldives, Future Directions international, in: https://bit.ly/3dJ11Jg [12.11.2021].

[9] Ministry of External Affairs Government of India (2019): India-Maldives Joint Statement during the State Visit of Prime Minister to Maldives, in: https://bit.ly/3GzfWC5 [18.11.2021].

[10] Ministry of External Affairs Government of India (2019): Translation of Prime Minister’s Address to the People's Majlis during his State Visit to Maldives, in:  https://bit.ly/3oKnrAb [18.11.2021].

[11] Firstpost. (2018): Maldives crisis: All you need to know about 1988's Operation Cactus, when New Delhi rescued Male from a coup, in: https://bit.ly/3pNrgUn [12.11.2021].

[12] Rajeev Sharma (2012): India, Maldives Row Over Airport Contract, The Diplomat, in: https://bit.ly/3IGdefL [24.11.2021].

[13]  India TV (2012): India unhappy as Maldives cancels GMR airport contract, in: https://bit.ly/3s0zmM2 [24.11.2021].

[14] The Guardian (2016): Maldives airport to be expanded with controversial $800m China contract, in: https://bit.ly/3EQUIPB [24.11.2021].

[15] Anbarasan Ethirajan (2020): China debt dogs Maldives' 'bridge to prosperity', BBC News, in:  https://bbc.in/3yg7AfC [24.11.2021].

[16] BBC News (2015): Maldives foreign land ownership reform bill is approved, in: https://bbc.in/3IBCFPT [25.11.2021].

[17] Reuters (2017): Maldives rushes through trade pact with China despite opposition, in: https://reut.rs/3EL7D5y [25.11.2021].

[18] Natasha Turak (2017): Shifting sands: will Hulhumalé project ease pressure on the Maldives?, fDi Intelligence, in: https://bit.ly/3ENomp0  [1.12.2021].

[19] Simon Mundy & Kathrin Hille (2019): The Maldives counts the cost of its debts to China, Financial Times, in: https://on.ft.com/3EPb4br [1.12.2021].

[20] Ebd. N. 20.

[21] Times Now News (2017): Maldives inks Free Trade Agreement with China, catches India off guard, in: https://bit.ly/3IEw9HW [2.12.2021].

[22] Embassy of the People’s Republic of China in the Republic of Maldives (2014): H.E. Ambassador Zhang Lizhong's Speech delivered on Forum on China-Maldives Tourism Cooperation, in: https://bit.ly/3rWpOSd [2.12.2021].

[23] AP News (2014): Maldives supports China’s modern ‘Silk Road’ plan, in: https://bit.ly/3pNJpBt [2.12.2021].

[24] Engen Tham & Ben Blanchard & Wang Jing & Shihar Aneez (2018): Chinese warships enter East Indian Ocean amid Maldives constitutional crisis, Independent, in: https://bit.ly/3oGUxki [8.12.2021].

[25] BBC News (2018): Maldives election: Opposition defeats China-backed Abdulla Yameen, in: https://bbc.in/3yh3tA2 [15.11.2021].

[26] Nayanima Basu (2019): India relieved as President Solih’s party wins Maldives polls, but shadow of China remains, The Print, in: https://bit.ly/3IDdJr3 [7.12.2021].

[27] India Today (2018): What is the Maldives economic crisis and why did India announce $1.4 billion aid to the island nation?, in: https://bit.ly/3ICifpM [7.12.2021].

[28] Trading Economics (2021): Maldives GDP, in: https://bit.ly/3pLCnxc [7.12.2021].

[29] Zee News (2018): India and Maldives sign 4 agreements, here's the list, in: https://bit.ly/3oHN8kM [7.12.2021].

[30] The Wire (2020): After Six Years, India, Maldives and Sri Lanka to Revive Trilateral Maritime Security Forum, in: https://bit.ly/3IGgqIs [9.12.2021].

[31] Amb Gurjit Singh (2021): Colombo Security Conclave Emerges ,Vivekananda International Foundation, in: https://bit.ly/3yeLVVj [9.12.2021].

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