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Das neue Waldschutzgesetz

von Marc Bürgi

Eine Präsidentin versucht den Balanceakt

Am 25. Mai 2012, knapp einen Monat vor der UN-Nachhaltigkeitskonferenz „Rio +20“, hat die Brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff Teile des neuen Waldschutzgesetzes zurückgewiesen. Das Veto richtet sich gegen 12 Artikel. Bei 32 weiteren der insgesamt 84 Artikel nahm die Regierung Änderungen vor.

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Der Entscheid überrascht nicht. Das Abgeordnetenhaus hatte das bislang gültige Waldschutzgesetz im legislativen Prozess stark verändert. Umweltschützer hatten die neue Version des Gesetzes kritisiert und die Regierung stark unter Druck gesetzt, den Text zurückzuweisen.

Dilmas Veto betrifft vor allem die Naturschutzzonen (APP) für ökologisch wichtige Gebiete neben Flüssen und Seen oder auf Hügeln. Nun müssen alle gerodeten APP zumindest teilweise aufgeforstet werden, und sie gelten weiterhin für Hügel und Hänge. Zudem führte die Regierung wieder klare Vorgaben für den Umfang dieser APP an Flussufern ein. Diese drei Punkte im Text der Abgeordneten standen im Fokus der Kritik von Umweltschützern.

Das Gesetz tritt nun für 60 Tage provisorisch in Kraft (verlängerbar um weitere 60 Tage). Der Kongress muss dann das Gesetz verabschieden. Um die Änderungen der Regierung zu widerrufen, ist eine absolute Mehrheit der Stimmen beider Parlamentskammern nötig.

Mit ihrem Teilveto ging die Regierung aus Sicht von Beobachtern einen Kompromiss ein. Dilma wurde gleich von zwei Seiten unter Druck gesetzt. Umweltschützer hatten eine Medienkampagne geführt, um ein Veto zu erwirken. Auch wissenschaftliche Einrichtungen, verschiedene politische Parteien und die katholische Kirche kritisierten das Gesetz der Abgeordneten.

Andererseits ist die Regierung auf die Unterstützung der Agrarlobby angewiesen, die „Ruralistas“, die im Parlament stark vertreten ist. Brasiliens ländliche Regionen sind traditionell von Großgrundbesitzern regiert worden und deren Einfluss ist bis heute groß. Die „Ruralistas“ bilden im brasilianischen Parlament den größten Interessenblock, der Abgeordnete sowohl aus dem Regierungslager wie auch aus der Opposition umfasst. Bei künftigen Abstimmungen kann deren Haltung zur Präsidentin also ausschlaggebend sein.

Die Regierung wollte wohl vermeiden, dass der von der Abgeordnetenkammer verabschiedete Gesetzestext vor der UN-Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung in Kraft tritt. Dies hätte zu einem Gesichtsverlust Brasiliens auf der internationalen Bühne führen können, wo es sich als Vorreiter unter den BRICS-Staaten in Sachen Umwelt- und Klimaschutz präsentiert. Gerade im Vorfeld der Konferenz „Rio +20“, die vom 20. bis 22. Juni in Rio de Janeiro stattfinden wird, ist Brasiliens Umweltpolitik in den Fokus internationaler Medien gerückt.

Ein Gesetz mit langer Geschichte

Die Geschichte des „Código Florestal“ ist geprägt durch den Widerspruch zwischen wirtschaftlichen Interessen und den Interessen von Naturschützern, ihr Ursprung jedoch liegt anderswo. Als unter der Regierung Getúlio Vargas (1930-45) das Gesetz erstmals aufgesetzt wurde, ging es um den Schutz der Energiezufuhr. Zu dieser Zeit wurde die überwältigende Mehrheit der Energie für Haushalte aus Holz und Kohle gewonnen. Die stadtnahen Wälder wurden für die Energiegewinnung genutzt. Doch als Brasilien in den 1930er Jahren einen Boom der Kaffeeindustrie im hoch bevölkerten Südosten des Landes erlebte, wurden stadtnahe Wälder zugunsten von Kaffeeplantagen abgeholzt. Dadurch verlängerten sich die Transportwege des für die Energiezufuhr der Städte nötigen Holzes. Dies führte zum Anstieg der Holzpreise in den urbanen Gebieten. Daher wurde ein Gesetz verabschiedet, um die Wälder – und somit auch die Energiezufuhr – nahe den Städten zu sichern. Das Gesetz besagte, dass ein Viertel allen Landes, das ein Bürger besitzt, seine ursprüngliche Vegetation zu behalten habe. Falls der Landbesitzer seinen Boden für die Holzproduktion benutzte, musste dieser mit heimischen Bäumen wiederbepflanzt werden.

In den 1960er Jahren gab es dann Diskussionen um die Änderung dieses Gesetzes, angetrieben durch Ängste, der brasilianische Staat könnte seinen Anspruch auf das Amazonasgebiet verlieren. Gekoppelt war dies mit Bestrebungen nach Erschließung des Regenwaldes und Sicherung der Grenzen im Norden. Die Quote des zu erhaltenden Landes wurde erhöht. Bis zur Hälfte der Fläche eines Landgutes stand damals unter Naturschutz (Reserva Legal). Die Regierung rechnete damit, dass Grundbesitzer so mehr Land erwerben würden, um ihre Nutzfläche gleich groß zu belassen. Dies würde dann effektiv die Landfläche in Besitz von Brasilianern vergrößern und so die damals verwaschenen Staatsgrenzen etablieren. In diesem überarbeiteten Gesetz fanden sich aber auch erstmals „echte“ Naturschutzregeln, wie der Einführung von „Áreas de Prevervação Permanente“ (APP).

In den 1980er und 1990er Jahren wurden weltweit die Rufe nach Umweltschutzmaßnahmen lauter. Auch der Weltgipfel zur nachhaltigen Entwicklung in Rio de Janeiro (ECO92) brachte die Frage des Naturschutzes auf die Agenda der brasilianischen Politik.

Bestrebungen, das Gesetz zu ändern, gab es schon in den 1990er Jahren. Involviert waren Vertreter der Ministerien für Landwirtschaft, Umwelt und Entwicklung. Da jedoch auch nach Jahren kein Konsens gefunden werden konnte, wurde das Komitee 2009 aufgelöst. Ein Jahr später gründete der „Ruralista“ Moacir Micheletto eine neue Gruppe, die einen Gesetzesentwurf erstellen sollte. Das neue Gesetz basiert auf der Arbeit dieser Gruppe.

Geringere Quoten für den Naturschutz

Die „Ruralistas“ sehen im alten Gesetzesentwurf einen Einschnitt in ihre Eigentumsrechte. Das Hauptproblem hier sind die „Reservas Legais“, Schutzgebiete, welche im Gegensatz zu APP auf Privatgrund liegen und in denen strikte Naturschutzregeln gelten. Nach dem alten Gesetz müssen 80% der Oberfläche eines Grundstücks im Amazonasgebiet in der natürlichen Form belassen werden und dürfen nicht bewirtschaftet werden. In der Savannenlandschaft Cerrado betrug die Quote 35% und im Rest des Landes 20%. Der neue Gesetzesentwurf reduziert diese Quoten im Amazonas mehrheitlich auf 50% und im Cerrado auf 20%. Den Landwirten mit bis zu vier „módulos fiscais“ wird die Quote komplett erlassen, sofern sie die Anforderung schon seit mindestens Mitte 2008 nicht erfüllen („módulos fiscais“ sind Einheiten zur Bemessung landwirtschaftlicher Nutzflächen, die je nach Region zwischen 5 und 110 Hektar betragen). Rund 90 Prozent der Bauernbetriebe in Brasilien haben bis zu vier „módulos fiscais“, sie bewirtschaften aber nur 24 Prozent der Landwirtschaftsfläche.

Kleinbauern unterstützten die tieferen Quoten für Schutzgebiete. Sie argumentieren, dass viele Bauern, insbesondere im Amazonasgebiet, zu arm seien, um so viel Land brach liegen zu lassen. Viele Menschen in dieser Region sind selbstversorgende Landwirte, für die es oftmals eine Frage des Überlebens ist, wie viel Ertrag sie einfahren. Das Statistikamt IBGE (Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística) hat vor kurzem neue Daten veröffentlich, die besagen, dass noch immer 30% aller Brasilianer unter der Armutsgrenze leben, ein überproportionaler Teil davon im Amazonasgebiet.

Zahlreiche Landwirte hielten sich in der Vergangenheit nicht an die gesetzlichen Vorschriften für Naturschutzzonen (APP) und Landreserven (Reservas Legais). Dies machte laut Bauernvertretern eine Reform des Gesetzes nötig: Das alte Gesetz habe Kleinbauern zu Gesetzesbrechern gemacht, weil es unrealistische Vorgaben gestellt habe.

Die Gesetzesversion des Abgeordnetenhauses sah denn auch vor, dass Strafen, die für Verstöße vor Mitte 2008 erlassen worden waren, nicht bezahlt werden müssen. Einzige Vorgabe war, dass die Bauern sich verpflichteten, die Rodungen teilweise rückgängig zu machen. Für Landwirte mit bis zu vier „módulos fiscais“ galten Sonderregeln: Sie hätten Aktivitäten in Naturschutzzonen (APP) weiterführen können und hätten auch nicht ihre Quote für Landreserven erfüllen müssen.

Gegner des Gesetzes sprachen von einer Amnestie. Dilmas Veto macht einige dieser Punkte rückgängig. Kleinbauern sind jedoch weiterhin von der Quote befreit.

Regenwald in Gefahr

In ihrem Bericht zum „Código Florestal“ nennt die Naturschutzorganisation WWF die wichtigsten Kritikpunkte am neuen Gesetz: Die Reduktion der „Reservas Legais“ und der APP, das Erlassen der Schutzquoten für kleine Landwirtschaftsbetriebe mit bis zu vier „módulos fiscais“ und die Regel, dass abgeholzte Gebiete in anderen Bundesstaaten und hydrographischen Becken kompensiert werden können. Bereits unter dem alten Gesetz konnten Landwirte Flächen in anderen Gebieten aufforsten, um Rodungen auf dem eigenen Land zu kompensieren. Die Vorgaben, wo diese Kompensation erfolgen kann, sind nun aber breiter definiert. Dies schafft die Möglichkeit, große Landstriche mitten im Regenwald abzuholzen und die Aufforstung an Orten mit nährstoffärmeren Böden und unterschiedlicher Flora durchzuführen. Somit würde keine ökologische Äquivalenz erreicht und bislang unberührter tropischer Regenwald gefährdet.

Die Quote für Kleinbauern berücksichtigt laut WWF nicht den sozioökonomischen Hintergrund der Landwirte, sondern wird dazu führen, dass Großgrundbesitzer ihr Land fragmentieren. Sie würden ihren Familienmitgliedern oder Geschäftspartnern Teile ihres Guts überschreiben um so den Quoten zu entgehen. Als Schätzung der Verluste von „Reservas Legais“ nennt der WWF 30 Millionen Hektar Land, von denen 20 Millionen im Amazonasgebiet lägen.

Kritiker befürchten also, dass mit dem neuen Gesetz noch mehr tropischer Regenwald verschwindet. Eine dramatische Prognose machte die Umweltschutzorganisation Greenpeace: Rund 80 Prozent des Waldes werde mit dem neuen „Código Florestal“ für die Abholzung freigegeben.

Selbst unter dem alten Gesetz wurden jedes Jahr riesige Gebiete abgeholzt, auch wenn in letzter Zeit weniger gerodet wurde. Zwischen August 2010 und Juli 2011 wurden 6.238 Quadratkilometer Wald zerstört, dies entspricht einem Rückgang von 11 Prozent im Vergleich zur Vorperiode. Im Zeitraum 2004-2005 war beispielsweise noch eine Fläche von 18.846 Quadratkilometer gerodet worden.

Beobachter befürchten jedoch, dass die Forschritte mehr mit der Weltwirtschaftskrise und der einhergehenden verringerten Nachfrage nach Soja und anderen Produkten zu tun hatte, als mit der Politik des Landes. Brasilien hat sich als Ziel gesetzt, die Rodungen um 80% bis 2020 zu verringern (Im Vergleich zur Periode 1996-2005).

Rund 30% des tropischen Regenwalds weltweit befinden sich im Brasilianischen Amazonasgebiet. Der Schutz dieses Waldes ist offenkundig wichtig für das globale Klima. Laut Zahlen des UNEP (United Nations Environment Programme) und des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung sind im Amazonasbecken rund 120 Milliarden Tonnen CO2 gespeichert. Das entspricht mehr als dem 100-fachen der jährlichen CO2-Emissionen in Deutschland. Dieses CO2 würde, dem Institut zufolge, durch die Rodung freigesetzt.

2009 sagte Brasilien zu, seine CO2-Emissionen bis 2020 um bis zu 39% zu verringern. Allerdings nicht gegenüber eines fixen Wertes eines bestimmten Referenzjahres, sondern gegenüber dem Wert aus einer „business-as-usual“ Modellrechnung. Dennoch muss das Land den Kahlschlag im Amazonasgebiet verringern, um dies zu bewerkstelligen, denn bis zu drei Viertel der Emissionen Brasiliens sind direkt oder indirekt Folge von Rodungen. Die IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) nennt Rodung zusammen mit Verbrennung fossiler Brennstoffe als die wichtigsten Faktoren der Erderwärmung. Der Rodung kommen 17,4% der weltweiten CO2-Emissionen zu.

Schwieriger Balanceakt

Der „Código Florestal“ stellt die Brasilianische Regierung vor einen schwierigen Entscheid. Sie muss versuchen, zwei Gruppen mit entgegen gesetzten Interessen zufriedenzustellen. Außerhalb Brasiliens wird das Waldschutzgesetz mit dem Schutz des Amazonas-Regenwalds gleichgesetzt. Deshalb wird die Gesetzesreform international stark beachtet. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass die UN-Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung in diesem Jahr in Brasilien stattfinden wird.

Die brasilianischen Medien haben im Vorfeld von „Rio +20“ Umweltschutzorganisationen und deren Kampagnen gegen das Gesetz viel Raum gegeben. Es ist aber eine offene Frage, wie groß die Teile der brasilianischen Gesellschaft tatsächlich sind, die sich durch diese Organisationen vertreten fühlen. Die Landwirtschaft wiederum ist einer der zentralen Sektoren und Stützpfeiler der brasilianischen Wirtschaft. Vertreter des Landwirtschaftsektors haben eine entsprechend starke Stimme in der Politik.

Das neue Gesetz wird keine der beiden Interessengruppen – weder die Vertreter der Landwirtschaft und noch die Umweltschutzverbände – zufriedenstellen. Wichtig für den Naturschutz ist aber auch die praktische Umsetzung des Gesetzes. In der Vergangenheit wurde das Gesetz oft nicht eingehalten – und zwar nicht nur von kleinen Bauernbetrieben. Der größte Teil dieser Fälle wurden nicht strafrechtlich verfolgt. Gemäß einer Studie von Forschern der Universität São Paulo (USP) wurde mindestens 43 Millionen Hektar Land gerodet, das eigentlich als APP geschützt sein müsste. Bei den „Reservas Legais“, der Quote für natürliche Vegetation, beträgt das geschätzte Defizit 42 Millionen Hektar.

Teile des Textes sind übernommen aus einer Publikation zum Thema aus dem August 2011, die hier abrufbar ist.

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29. August 2011
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