Asset-Herausgeber

Veranstaltungsberichte

Virtuelle Demokratie – Megaphon des Volkes

von Gregory Ryan, Susanne Friedl

In Zusammenarbeit mit der ESPM

Seit der Erfindung des Buchdrucks Mitte des 15. Jahrhunderts hat kein Paradigmenwechsel die Kommunikation so nachhaltig geprägt, wie die Erfindung des Internets. Mit der raschen Verbreitung des Netzwerkes auf der ganzen Welt hat sich auch die Dimension Öffentlichkeit verändert. Diese wurde erweitert um den digitalen Raum. Die neuen Möglichkeiten der rasanten Nachrichten- und Meinungsdiffusion haben dazu beigetragen, dass auch die Strukturen der politischen Partizipation darauf drängen neu definiert zu werden.

Asset-Herausgeber

Das Internet wird gerne als dritte Öffentlichkeit beschrieben, die den Charakter einer naiven Naturgewalt besitzt. Die Kräfte, die dieses Netzwerk entfalten kann, zeigten sich in jüngster Zeit anhand der Twitter-Revolution im Nahen Osten, den Occupy-Bewegungen in Europa und anderen Teilen der Welt, sowie an den über soziale Netzwerke organisierten Protesten in der Türkei und Brasilien. Dies lässt den Schluss zu, dass sich die Kräfte innerhalb dieses neuen öffentlichen Bereichs immer mehr steigern. Doch auch die Reaktionen der etablierten politischen Klasse sind vielschichtig. Wegen der weitverbreiteten Wahrnehmung des Internets als rechtfreien Raum, bewegt sich weltweit die Politik zwischen Schaffung von Rechtssicherheit im Netz und Überwachungsstaat.

Aufgrund dieser Spannungen in Gesellschaft und Politik organisierte die Konrad Adenauer Stiftung Brasilien am 15. August 2013 ein Veranstaltung zum Thema „Virtuelle Demokratie“ in Rio de Janeiro. Gerade in Brasilien gewinnt das Thema der virtuellen Vernetzung und die Auswirkungen auf den politischen Prozess an Bedeutung, da das Land einerseits im Jahr 2011 bereits drittgrößter Markt für PCs und Mobiltelefone gewesen ist und andererseits im gleichen Jahr Software im Wert von 2,5 Milliarden US-Dollar exportiert hat. Auch die Sozialproteste in den großen Städten Brasiliens im Juni 2013 offenbarten das gewaltige Potenzial der Sozialen Netzwerke in dem südamerikanischen Staat, da vorwiegend in diesen die Massenproteste organisiert wurden. Die Worte der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff, dass das Internet ein Instrument zur sozialen Integration und Grundlage zur Ausübung von Bürgerrechten sei, erwecken den Anschein, dass die brasilianische Politik die Bedeutung des neuen Mediums erkannt hat. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die neuen Möglichkeiten einer virtuellen Partizipation des Volkes am politischen Entscheidungsprozess noch nicht umgesetzt wurden.

Zu Beginn der Veranstaltung, die in Kooperation mit der Marketinghochschule ESPM in Rio de Janeiro stattfand, betonte der Leiter des Auslandbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Brasiliens, Felix Dane, dass es dich bei dem Thema virtuelle Demokratie noch um ein hybrides Thema handle, sowohl in den Bereichen Wissenschaft, Gesellschaft als auch Politik. Dane zeigte sich froh über die gemeinsame Organisation des Events, da seiner Meinung nach die Phänomene Internet und Soziale Netzwerke noch nicht ausreichend analysiert und genutzt würden. Die Veranstaltung solle dazu beitragen, dass virtuelle Netzwerke als Werkzeuge für den Austausch zwischen Bürger und Staat dienen und nicht zur Modeerscheinung degradiert werden. Denn auch in Zukunft wird die Bedeutung von Facebook, Twitter und Co. nicht abnehmen, sondern im Gegenteil noch anwachsen.

Während der Veranstaltung an der Marketinghochschule ESPM in Rio de Janeiro, konnten die Teilnehmer die Podiumsdiskussion direkt über Twitter kommentieren. Die Tweets wurden zeitgleich auf Bildschirmen im Raum visualisiert. Dieses Live-Twitter-Konzept wurde über die Hashtags #kas #demo0101 #espm e #DemocraciaVirtual organisiert.

Ruf nach mehr politischer Mitbestimmung – Digitale Netzwerke schaffen größeres politisches Bewusstsein in Brasilien

Vinicius Braz, Begründer und netweaver der P2P Foundation Brasil Glocal Initiative, machte in seinem Vortrag deutlich, dass das Phänomen der Netzwerke, die sich aus Individuen zusammensetzen, kein neues sei, schon immer habe das Prinzip des „swarmings“, das Weitertragen von Informationen von Person zu Person, bestanden und funktioniert. Die Neuerung heute bestehe darin, dass sich der Kreis der Akteure nicht auf eine kleine Gruppe beschränkt, sondern, dass gerade durch die Sozialen Netzwerke Informationen generell zugänglich sind und Beteiligung theoretisch für jeden möglich ist. Die enormen technologischen Fortschritte haben bewirkt, dass die modernen Netzwerke gigantische Ausmaße angenommen haben und das Internet die Vernetzung rund um den Globus möglich macht. Die neue Hauptdynamik sieht Braz darin, dass die traditionell bestehenden Vernetzungen auf lokaler und globaler Ebene verschmelzen. Globale Entwicklungen inspirieren die lokalen Netzwerke, die neue Verbindungen und Ideen reproduzieren. Letztendlich nehmen dann die neuen lokalen Phänomene wiederum Einfluss auf die globale Struktur der Netzwerke. Braz versuchte, die Bedeutung der neuen Zirkulation innerhalb des Mediums Internet hervorzuheben.

Doch genau diese Informationszirkulation berge sowohl in Brasilien, als auch in globaler Perspektive, Herausforderungen, da das Internet für die Regierungen meist eine unverstandene, undurchsichtige Kraft darstelle. Die Gesellschaftsstruktur in Brasilien sei traditionell sehr hierarchisch geprägt und das Monopol der Informationsverbreitung habe lange in den Händen von organisierten Interessen und des Staates gelegen. Mit der Erfindung des Internets wurde in Brasilien eine Welle der Innovationen ausgelöst, die den hierarchischen Charakter der politischen Struktur in Frage stellt, so Braz. Die Brasilianer hätten gelernt, sich horizontal zu organisieren und fordern die Demokratisierung des Informationsaustausches auch deutlich ein. Das Internet bietet ihnen die Möglichkeit als Kollektiv zu diskutieren und die politische Themensetzung mitzubestimmen. Dass Unzufriedenheit mit dem politischen System besteht ist kein rein brasilianisches und kein neues Problem, jedoch besteht durch die technologische Revolution die Möglichkeit, dass sich die Bürger auf horizontaler Ebene direkt über ihren Unmut austauschen und sich organisieren können und ihrer Meinung somit schneller und effektiver Bedeutung zukommt. Da die brasilianische Politik, laut Braz, noch nicht verstanden habe diese neuen Entwicklungen zu nutzen und den Forderungen Rechnung zu tragen, entstünde eine gewaltige Kluft zwischen Volk und Politik. Diese latente Spannung zwischen noch bestehender hierarchische Organisation des Staates und seiner Institutionen auf der einen Seite und dem raschen technologischen Fortschritts auf der anderen, stellt für Braz den Katalysator für die Wut gegen den Staat und seiner Akteure dar. Dazu kommt die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Qualität der öffentlichen Dienstleistungen, der schwachen Wirtschaftsleistung trotz großen Potenzials und der Korruption innerhalb der politischen Riege. Dieser Unmut entlädt sich aktuell in den Sozialprotesten in den brasilianischen Großstädten.

Weltweite Revolutionen organisiert über Netzwerke

Grosse Anspannung und Wut ist aber nicht nur in Brasilien zu vernehmen. Ricardo Gomes, Professor für Politikwissenschaft an der Marketinghochschule ESPM, beleuchtete in seinem Vortrag die global aufflammende Protestkultur, die seiner Meinung nach eng mit der technologischen Entwicklung und den neuen Medien zusammenhängt, die die aufgestaute Wut des Volkes an die Oberfläche transportiert haben. Gomes forderte, den Blick auf die Theorie nicht zu vernachlässigen, um die globalen Phänomene angemessen analysieren und Vergleiche ziehen zu können. Dadurch werde klar, dass die enorme Anzahl an Protesten der letzten Jahre sich nicht gegen Ideologien richtet, sondern auf der auffallenden Unzufriedenheit der Gesellschaft mit dem politischen System, das es nicht schafft die offensichtlichen sozialen Unterschiede und Probleme zu beheben, basiert.

Dieses Phänomen wäre vor 10 Jahren noch undenkbar gewesen. Den Anstoß zu den flächendeckenden Protesten stellte der Arabische Frühling 2011 da. Gründe für das Aufbegehren war zum einen das Fehlen eines funktionierenden Rechtsstaats, da viele Menschen in der Arabischen Welt staatlichen Repressionen und bis hin zu Folterungen ausgesetzt waren. Diese negativen Erfahrungen konnten die Bürger aber nicht nach außen tragen, weil die Informationsflüsse durch die Machthaber der Regime, die mit Propaganda und Unterdrückung jeglicher Kritik arbeiteten, kontrolliert wurden. Diese Anstauung von Wut wurde noch dadurch verstärkt, dass die Region von einer großen Jugendarbeitslosigkeit geprägt ist. Vor allem gut ausgebildete junge Akademiker sahen sich mit einer tristen Perspektivenlosigkeit konfrontiert. Während den Protesten war diese Bevölkerungsgruppe die Führungsrolle innerhalb der Protestbewegungen ein. Der Selbstmord des jungen Tunesiers Mohamed Bouazizi, der sich aufgrund fehlender Zukunftsaussichten, Frustration über staatliche Willkür und das Fehlen eines funktionierenden Rechtsstaats selbst anzündete, bewirkte, dass sich all die aufgestaute Wut entlud. Gomes betonte, die neue Technologie mit Internet und Sozialen Netzwerken haben dazu beigetragen, dass sich die Menschen aus der eisernen Faust der staatlichen Reglimentierung befreien, sich organisieren, sich austauschen und Kritik üben konnten. Die Sozialen Netzwerke wie Twitter und Facebook haben also, wie fälschlicherweise oft behauptet, keinen inhaltlichen Einfluss auf die Revolutionen gehabt, sondern waren vielmehr das Werkzeug, um die Kettenreaktion anzustoßen.

Braz und Gomes beschrieben aus einer allgemeinen Perspektive, wie der rasante Siegeszug des Internets und die damit verbundene Etablierung von Sozialen Netzwerken die Gesellschaft und die Kommunikation veränderten. Im Gegensatz dazu beleuchteten die Vorträge der anderen beiden Referenten, wie die Politik auf die Entwicklungen reagiert und mit welchen Herausforderungen sie sich konfrontiert sieht.

Die Beteiligung der Regierung an den Sozialen Netzwerken

Der Austausch zwischen Bürger und Regierung stand beim Vortrag von Fabio Steibel, Professor an der Marketinghochschule ESPM in Rio de Janeiro und Spezialist für Soziale Medien, im Fokus. Das Phänomen, dass die Regierungen noch keine Konzepte haben, wie sie die Sozialen Netzwerke für sich nutzen können und wie sie auf die Forderungen der Bürger, die über diese Kanäle an die herangetragen werden, reagieren sollen, ist laut Steibel weltweit spührbar. Als deutliches Gegenbeispiel nannte er die Volksrepublik China, wo sich die Regierung deutlich positioniert habe und die Nutzung der Netzwerke einschränke, kontrolliere und nicht als Kanal für die Kommunikation zwischen Staat und Bürger betrachte. Persönlich sehe er den Ausbau des Internets und die Kommunikation über die Netzwerke als enorme Bereicherung, so Steibel. So konnte er die jüngsten Sozialproteste in Brasilienhautnah mitverfolgen, obwohl er sich in Ostasien befand und musste sich nicht auf langsam gefilterte Nachrichten verlassen. Dem Medienspezialisten zufolge besteht noch ein großer Lernbedarf, da diese Informationsrevolution im Stillen losgetreten wurde und Dynamiken ausgebildet hat, die die Gesellschaft und Politik schon verändert haben und in Zukunft auch noch weiter tun werden. Auch weil der Faktor der Kommunikation mit dem Bürger, der auch Wähler ist, einen zentralen Stellenwert in der Politik einnimmt, muss sich diese den neuen Kommunikationskanälen stellen, um einen funktionierenden Meinungsbildungsprozess gewährleisten zu können. Traditionell birgt die mediale Kommunikation zwischen Wähler und Volksvertretern ein hohes Missbrauchspotenzial. Die sozialen Netzwerke bieten die Chance, dass beide Akteure in direkten Kontakt treten, jedoch stellt dieses ungefilterte Austauschen von Informationen noch keine nachhaltige Option für Entscheidungsfindungen dar.

Prinzipiell stehen sich laut Steibel drei verschiedene Funktionslogiken gegenüber, die der Regierung beziehungsweise des politischen Systems, die klassischen Medien und die neuen Sozialen Netzwerke. In Brasilien seien grundsätzlich alle Kommunikationskanäle für Partizipierende offen, jedoch ist das Zusammenspiel der verschiedenen Designs noch ungewiss. Ein Hindernis für die Politik ist es, dass die Diskussion um die Nutzung der Sozialen Medien vor allem auch in jenen stattfinden, die Regierung aber nicht über die Ressourcen wie fachkundiges Personal verfügt, um die Meinungen zu filtern und auszuwerten.

Darin sieht Steibel auch die größte Herausforderung für die Politik, den Überfluss an Meinungen zu bündeln und konkrete Forderungen zu erkennen und diese auch umsetzen zu können. Der Wissenschaftler machte mit seinen Grafiken deutlich, dass Politik und Netzwerke mit unterschiedlichen Werkzeugen arbeiten und diese konfiguriert werden müssen, um eine Zusammenarbeit zu ermöglichen. Das Drängen auf ein Plebiszit zu einer umfassenden politischen Reform der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseffs im Zuge der Sozialproteste im Juni 2013 war eine direkte Reaktion auf die Unmutsbekundungen auf den Strassen und in den Sozialen Netzwerken. Jedoch wurde auch schnell deutlich, dass diese überhetzt war, weil das Plebiszit eben nicht das adäquate Instrument darstellt, um der Unzufriedenheit der Bürger Rechnung zu tragen. So wird es die zentrale Aufgabe der aktuellen und neu zu wählenden Regierung nächstes Jahr in Brasilien sein, die neuen Informations- und Kommunikationsmittel mit denen des politischen Systems zu einem funktionierenden Uhrwerk zusammenzubringen.

Der Ball liegt nun bei der Politik

Die Spezialistin für Kommunikation am Institut für Sozial- und Politikwissenschaft in Rio de Janeiro, Alessandra Aldé, pflichtete ihrem Vorredner bei, dass die Reaktion der Politik auf die Forderungen aus den Sozialen Netzwerken, eine der spannendsten Fragen in Brasilien und der restlichen Welt in den nächsten Jahren sein wird. Für die Akademikerin geht die Entwicklung der Sozialen Netzwerke mit einem Demokratisierungsprozess einher, der so seit dem Ende der Militärdiktatur nicht verzeichnet wurde. In Bezug auf die Sozialproteste in Brasilien betonte Aldé die Bedeutung von Facebook, welches diese zu einem landesweiten Phänomen werden ließ. Für sie fand damit auch eine Politisierung von Facebook selbst statt, da dort die Strasse und ihre Forderungen virtuell abgebildet wurden. Das Signifikante an der Struktur des Protestverlaufs in dem Sozialen Netzwerk war, dass sich keine Leader herausbildeten sondern nur „Hubs“ entstanden, also Personen und Institutionen verknüpft aber nicht angeführt oder gar manipuliert wurden. Darüber hinaus sieht sie in Facebook die Chance passive und politisch desinteressierte Menschen zu informieren und gegebenenfalls auch zu aktivieren. Gleichzeit birgt es auch für die Regierung die Chance aus ihrer Apathie zu erwachen und auf den Bürger zuzugehen. Die Expertin betonte zudem, dass die Netzwerke in gewisser Weise eine Konkurrenz zu den etablierten Medien darstellen. Durch sie kann das Monopol auf die Entscheidung, über was in welchem Maße berichtet wird, welches bisher eindeutig bei den übermächtigen Medienkonzernen lag, aufgeweicht werden. Sowohl die politische Kultur als auch die Medienlandschaft werden sich in der nahen Zukunft noch mehr verändern, so Aldé.

In der Abschlussdiskussion der Referenten mit dem interessierten Publikum wurde deutlich, dass Brasilien über eine sehr junge Protest kultur verfügt und gleichzeitig eine rasch anwachsende Partizipation in den Sozialen Netzwerken verzeichnet. Das größte Problem sahen das Publikum und die Experten darin, die Forderungen des Volkes ohne Gewaltausbrüche zu artikulieren. Doch sowohl auf der Seite der Demonstranten als auch auf staatlicher sind keine konkreten Regeln und Rechte festgelegt, so dass immer wieder Polizei und Vandalen auf den Strassen zusammenstoßen, was den bemerkenswerten Erfolg des Demokratisierungsprozesses im Netz und auf Strasse überschattet.

Asset-Herausgeber

Kontakt

Gregory Ryan

RAisa Gaio von der Universität ESPM KAS
Felix Dane, Alessandra Aldé und Fabro Steibel KAS
Felix Dane, Alessandra Aldé und Fabro Steibel KAS
Gregory Ryan, Vinicius Braz und Ricardo Gomes KAS
Vinicius Braz KAS

comment-portlet

Asset-Herausgeber