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"Alltagsfotografie ist spannend, weil sie langweilig ist."

Im Gespräch mit David Carreño Hansen über Baustellen in Deutschland und die Magie des Alltags

Der Fotograf David Carreño Hansen spricht über seine Faszination für deutsche Baustellen, die Schönheit des Alltags und warum er seine Werke nicht im Netz zeigt. Ein Gespräch über Bilder, die mehr erzählen, als man auf den ersten Blick sieht.

David Carreño Hansen hat in seinen fotografischen Arbeiten schon häufig Baustellen dokumentiert. Deutschlands öffentliche Räume bieten dafür reiche Jagdgründe. Dort, wo andere höchstens gezwungenermaßen verweilen, bleibt er stehen und fängt die Magie der Orte ein. In einem Land voller Baustellen, die uns meist mehr das Versäumnis als den Fortschritt vor Augen führen, schenken uns seine Bilder den anderen Blick auf unseren Alltag.

Wer mehr über Ihre Bilder erfahren möchte, stolpert über Ihre, der Öffentlichkeit nicht zugängliche, Instagram-Seite. Ein mutiger Schritt den Blick auf Ihre Werke zu verwehren. Wieso diese Entscheidung?

David Carreño Hansen: Bilder, insbesondere Fotografie, sind im Internet inflationär vertreten und konsumierbar. Der Kontakt zum Betrachter geht völlig verloren. Der Austausch mit dem Künstler ist obsolet geworden. Dagegen stelle ich mich. Ich will einen Anfang machen: Die Wertschätzung für unsere Bilder können wir nur zurückholen, wenn sie weniger gezeigt werden. Auch wenn Abgrenzung der Reichweite schadet. Außerdem verlieren Bilder, die nur digital konsumiert werden, ihre Authentizität, ihren Kontext. Nur analog betrachtet kann man die intendierte Größe erfassen, das Material auf dem gedruckt wurde, den vollen Umfang ihrer Aussagekraft.

Ihre Bilder von Reinigungsarbeiten im Hamburger Miniaturwunderland reihen sich ein in Ihre Beobachtungen vom Alltag der Menschen. Wie kamen Sie auf die Idee für diese Bildstrecke?

David Carreño Hansen: Ich habe Fotojournalismus studiert und uns wurde die Aufgabe gestellt, eine Bildstrecke zum Thema Schrebergärten zu machen.  Ich wollte etwas anderes machen als die klassischen Fotos und entdeckte die vielen Schrebergärten, die von den Gestaltern des Miniaturwunderland Hamburg angelegt worden waren.

Die Idee war, die Instandhaltungsarbeiten in den Gartenparzellen im Miniaturwunderland als Parallele zu den Schrebergärtnern zu dokumentieren. Quasi die Essenz des Schrebergärtnerns in liebevoll kuratierten Einzelszenen zusammengestellt.

Eine ganze Fotostrecke über das Reinigen von Modellbauten überrascht. Zumal Sie an anderer Stelle auch schon eine Ausstellung über „Kriegsgefangenschaft im deutschen und russischen Gedächtnis“ gemacht haben. Eindringliche Bilder vom Gulag, die keinerlei Verbindung zur Leichtigkeit des jetzt Gezeigten haben. Wie passt das zusammen?

David Carreño Hansen: Als Journalist interessiert mich zunächst einmal alles. Ich bin offen für alle Themen, egal ob ernsthaft oder eher banal. Und natürlich unterliege auch ich unternehmerischen Zwängen. Ich habe international fotografiert. Aber mein persönliches Interesse gilt dem Alltäglichen: Alltagsfotografie ist spannend, weil sie langweilig ist.

Ein Magazin brauchte mal eine Fotostrecke zu den üblichen Abläufen in Finanzämtern. Ich habe mich als einziger auf die Ausschreibung gemeldet. Und mir hat die Aufgabe große Freude gemacht. Eine Beamtenanstalt wie aus dem Lehrbuch von innen zu dokumentieren, Klischees bestätigt zu finden, aber auch Unerwartetes zu entdecken. Das ist die Magie des Alltags, nach der ich suche. Besonders gern in Deutschland.

Auch Ihr aktuelles Buch „Heiter bis wolkig. Eine Deutschlandreise“ (Hatje Cantz Verlag 2020), dass Sie zusammen mit Christian A. Werner und Sven Stolzenwald veröffentlicht haben, versammelt Alltagsszenen. Es geht um das Gewöhnliche, das Banale, wie Sie selbst schreiben. Es geht um Heimat, Leitkultur und die sogenannten typisch deutschen Normen und Werte. Sie haben aber auch viele Individualporträts geschaffen. Auch in diesen Close-ups versuchen Sie, Gesicht, Seele und Passion einer Person zu fassen.

David Carreño Hansen: Ästhetik ist manchmal auch eine Sache des Zufalls. Einige Porträts von Prominenten sind in fünf Minuten entstanden. Weil der Porträtierte zu spät kommt oder nicht viel Zeit hat. So sieht der Alltag eines Auftragsfotografen eben auch aus.

„Heiter bis wolkig“ wiederum ist innerhalb von acht Jahren und mit großer persönlicher Leidenschaft für das Thema entstanden. Natürlich zeigen die Bilder nicht alle Facetten des deutschen Alltags – was auch kritisiert wurde. Es ist ein persönlicher Einblick, der kann nie vollständig sein. Und dennoch meine ich, dass Deutschland immer als Deutschland erkennbar ist. Sogar über Grenzen der Bundesländer hinweg, die sich ihrer Verschiedenheit rühmen. Ich habe weniger ein Land der Kontraste dokumentiert, bestimmte Aspekte habe ich immer wieder gefunden. Dazu gehört auch ein gewisses Spießertum. Und auch in Großstädten findet sich immer wieder Provinzielles. Das mag der Struktur des Landes geschuldet sein, die sich von zentralisierteren Ländern, wie Frankreich oder Spanien unterscheidet.

„Diese Bilder sind keine Reportage, sondern als globales Essay zu verstehen. Es reicht zu sehen, dass jemand unter den Tisch kriecht, egal wer. Was gemacht wird ist wichtiger als die individuelle Persönlichkeit, die es tut.“

David Carreño Hansen

Die Bilder aus dem Miniaturwunderland zeigen immer wieder eine Reinigungskraft, einmal auch nur ihre Füße, die unter einem Tisch hervorschauen. Auch in ihrem Fotobuch „Heiter bis wolkig“ haben sie eine Reinigungskraft porträtiert, die das Geschehen in einem bayerischen Festzelt aus dem Abseits betrachtet. Woher rührt Ihr Interesse an Menschen in Ihren Bildern?

David Carreño Hansen: In meinen Bildern sind Menschen zu sehen, aber sie sind nicht identifizierbar. Diese Bilder sind keine Reportage, sondern als globales Essay zu verstehen. Es reicht zu sehen, dass jemand unter den Tisch kriecht, egal wer. Was gemacht wird ist wichtiger als die individuelle Persönlichkeit, die es tut. Zudem kann diese gewisse Verallgemeinerung den Betrachter zu weiterem Nachdenken über die Person anregen.

In der Politischen Meinung findet sich gleich vornean, neben dem Editorial ein Bild mit einem Wirrwarr aus Absperrgittern. Ist es für den Bildband „Heiter bis wolkig“ entstanden?

David Carreño Hansen: Ja, es ist für „Heiter bis wolkig“ entstanden. Es ist sehr deutsch. Man versucht es allen recht zu machen. Aber eben auch alles richtig zu machen. Am Ende wirkt es schlampig. Der trübe Himmel unterstreich die Tristesse nur noch. Dem Bild wohnt eine Hässlichkeit inne. Der Kontrast könnte nicht größer sein: die Akkuratesse der vorstädtischen Siedlung und das Chaos aus Absperrgittern. Und das Ganze auf einer schlammigen, aufgerissenen Straße.

Sie sind in Madrid geboren. Sie kennen Spanien gut. Stellen wir uns in Deutschland vielleicht ein bisschen an mit unseren Baustellen?

David Carreño Hansen: Ich habe mein halbes Leben in Spanien verbracht. Da geht es schon etwas anders zu. Natürlich gibt es nicht das eine Spanien, wie auch nicht das eine Deutschland. Aber Baustellen werden in Spanien anders gehandhabt. Es geht schneller – und dafür nicht ganz so penibel. Baustellen ploppen einfach so auf, das überrascht einen immer wieder. Schilder werden über Nacht aufgestellt, die Genehmigungsverfahren sind kürzer. Wahrscheinlich ist man nicht so damit beschäftigt, es allen recht machen zu wollen.

David Carreño Hansen, geboren 1978 in Madrid, ist Fotograf und lebt in Norddeutschland. Er arbeitet vor allem für redaktionelle und Unternehmensmagazine, verfolgt aber auch freie Projekte. Gemeinsam mit Sven Stolzenwald und Christian A. Werner entwickelte er das Projekt „Heiter bis wolkig – eine fotografische Deutschlandreise“, das als Fotobuch erschien und in mehreren Ausstellungen gezeigt wurde, u. a. im Haus der Geschichte in Bonn. Seine Arbeiten wurden international veröffentlicht, ausgezeichnet und ausgestellt. 2017 erhielt er für sein Exposé „Technological Advancements in Everyday Technologies“ das acatech Fotostipendium im Rahmen des PUNKT-Journalistenpreises.
www.carrenohansen.com

Das Interview führte Antonella Schuster am 08.05.2025.

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