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Wassersicherheit und soziale Entwicklung in Lateinamerika

von Lasse Schulz
Wassersicherheit und soziale Entwicklung in Lateinamerika sind eng miteinander verbunden. Der Zugang zu sauberem Trinkwasser bildet nicht nur die Grundlage für sozioökonomische Entwicklung und politische Stabilität, sondern ist darüber hinaus auch ein Indikator für soziale und strukturelle Ungleichheit. Wassernutzungskonflikte in Lateinamerika bewegen sich heutzutage in einem komplexen Spannungsfeld zwischen Wirtschaftswachstum, Klimawandel und Ressourcenpolitik sowie den (Land)Rechten ländlicher und indigener Bevölkerungsgruppen.

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Wassersicherheit ist ein drängendes politisches Thema in Lateinamerika. Der Zugang zu Wasser ist entscheidend für die sozioökonomische Entwicklung und die Stabilität vieler Staaten in der Region. Wird der Zugang eingeschränkt, kommt es schnell zu hochemotionalen und hochsensiblen Konflikten. Solche Wasserverteilungskonflikte spielen sich meist auf lokaler und regionaler Ebene unter Beteiligung mehrerer Akteure mit widerstreitenden, häufig vitalen Interessen ab. Sie fügen sich hierbei in größere Konfliktkonglomerate ein und verschärfen vorhandene, oft ethnisch geprägte Auseinandersetzungen um Land(rechte) und Rohstoffe. Dabei kommt es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.

Weltweit sind heutzutage ca. 1,9 Milliarden Menschen von Wasserknappheit bedroht und bis 2050 könnte diese Zahl auf 3 Milliarden steigen. Über 31 Prozent der Süßwasserressourcen der Erde lagern in Südamerika, wodurch die Region über die weltweit größte Wasserverfügbarkeit pro Kopf verfügt. Doch auch hier haben nur 64 Prozent der Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser. Hinzu kommen große Unterschiede in der Wasserversorgung sowohl zwischen den einzelnen Ländern als auch zwischen urbanen und ländlichen Gebieten. Während in Chile und Argentinien nahezu 100 Prozent der Stadt- und Landbevölkerung Zugang zu Trinkwasser haben, liegen diese Werte für Peru bei 89 Prozent (Stadt) und 60 Prozent (Land)*. Schlusslicht in dieser Statistik ist zurzeit Bolivien, wo nur 39 Prozent der ländlichen Bevölkerung mit Trinkwasser versorgt werden kann.

Die Sicherheit der Wasserversorgung in Südamerika ist eng mit den Auswirkungen des Klimawandels verbunden. So sind sich Experten einig, dass die schmelzenden Gletscher und die Desertifikation drastische Veränderungen für die Wasserversorgung mit sich bringen. Aber nicht nur der Klimawandel, sondern auch strukturelle Defizite in der Wasserinfrastruktur sowie der Schutz der Trinkwasserreservoirs vor Verschmutzung durch Industrie- und Infrastrukturprojekte stellen die Politik schon heute vor große Herausforderungen.

Wasser und Konflikt – sozioökonomisches, -ökologisches und -kulturelles Dreieck

Fehlende soziale Mobilität sowie strukturelle Benachteiligungen der ländlichen Bevölkerung und indigener Gruppen tragen heutzutage dazu bei, dass der Gini-Index in Lateinamerika mit 41.0 deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 31.8 liegt. Insbesondere die ländliche und städtische Entwicklung gehen hierbei seit Jahren stetig auseinander, wobei unter anderem die großen regionalen Unterschiede in der Qualität der Wasserversorgung die sozioökonomische Entwicklung in den ländlichen Regionen hemmen. In Verbindung mit weiteren strukturellen Defiziten in Bildung und Infrastruktur ergibt sich in vielen Ländern ein deutlich höheres Armutsrisiko für die ländliche Bevölkerung. Dies lässt sich an den aktuellen Zahlen aus Kolumbien sehen, wo laut Staatlichem Bundesamt für Statistik (DANE) rund 40 Prozent der ländlichen Bevölkerung in Armut leben. In urbanen Regionen lag diese Zahl demgegenüber bei 18 Prozent. Der sozioökonomische Fortschritt der letzten Jahre geht somit an manchen Regionen fast vollständig vorbei. Die Folge hieraus ist mangelnde Perspektive und ein Gewinner-Verlierer-Denken, was zu einem gesteigerten Konfliktpotenzial führt.

Verschärft wird diese Situation durch die klimatischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, denn die Folgen des Klimawandels treffen die ländlichen Regionen, in denen Landwirtschaft und Fischerei nach wie vor eine große Rolle spielt, besonders hart. Die Bekämpfung des Klimawandels hat demnach eine hohe Priorität, doch auch hier kommt es oft zu schwer lösbaren Interessenskonflikten. Staatliche Energieprojekte werden verstärkt in den ländlichen Regionen umgesetzt und stoßen dort auf großen Widerstand der lokalen Bevölkerung, die ihr Land und ihre Lebensgrundlage in Gefahr sehen. Hinzu kommt, dass trotz steigender Urbanisierung heutzutage noch über 50 % der indigenen Bevölkerung auf dem Land leben. Die durch die zunehmende wirtschaftliche und energetische Nutzung beeinträchtigten Ökosysteme sind für viele indigene Gruppen nicht nur wichtige Elemente traditioneller Wirtschaftskreisläufe, sondern darüber hinaus auch entscheidend für ihre kulturelle Identität. Sozioökonomische und sozioökologische Konflikte werden somit noch um eine soziokulturelle Komponente erweitert und dadurch ethnisch und ideologisch aufgeladen.

Aktuelle Wassernutzungskonflikte und ihre Ursachen

Wasserverteilungskonflikte in Lateinamerika bewegen sich in einem komplexen Spannungsfeld zwischen Wirtschaftswachstum, Klimawandel und Ressourcenpolitik sowie den (Land)Rechten ländlicher und indigener Bevölkerungsgruppen. Vor diesem Hintergrund lassen sich die meisten Wasserverteilungskonflikte in vier Kategorien unterteilen: (i) Bergbau, (ii) illegaler Bergbau, (iii) strukturelle Ursachen und illegale Müllentsorgung sowie (iv) Wasserkraft.

In Südamerika lagern enorme Rohstoffvorkommen, deren Abbau entscheidend für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Volkswirtschaften ist. So stellt der Bergbausektor in Peru nicht nur 15 Prozent des BIPs, sondern ist darüber hinaus auch für 50 Prozent des Exportvolumens verantwortlich. Vor dem Hintergrund der hohen Weltmarktpreise für Rohstoffe wurden in den letzten Jahren auch solche Regionen interessant, die lange Zeit als unprofitabel beziehungsweise nur schwer erschließbar galten. Die Folge war ein regelrechter Investitionsboom, der dazu führte, dass etwa in Kolumbien die vom Staat vergebenen Bergbaukonzessionen von 200 im Jahre 2002 auf über 9600 im Jahre 2016 angestiegen sind. Bergbauunternehmen haben somit einen großen Einfluss auf Politik und Regierungen. Gerade in Steuer- und Konzessionsfragen machen die transnationalen Unternehmen (TNUs) diesen Einfluss auch immer wieder geltend. Die Konsequenz sind Schürfrechte in Regionen, die entweder mit Landrechten der ländlichen und indigenen Bevölkerung kollidieren oder die Umwelt beeinträchtigen.

In diesem Zusammenhang finden sich auf der einen Seite die sogenannten (i) offiziellen Bergbaukonflikte wieder, bei denen sich die legalen Interessen transnationaler Unternehmen und der Umweltschutz sowie der Schutz indigener Rechte gegenüberstehen. Dieser Konflikttyp ist sehr gut dokumentiert, da heutzutage die Aktivitäten der TNUs besonders im Bereich des Umweltschutzes verstärkt im internationalen (medialen) Fokus stehen. Hinzu kommt, dass die Unternehmen im Normalfall den Regierungen umfangreiche Analysen vorlegen müssen, in denen evaluiert wird, inwiefern sich der Abbau auf die Umwelt und die lokale Bevölkerung auswirkt. Den Anwohnern wird dann zumeist die Möglichkeit gegeben hierzu Stellung zu nehmen, wobei häufig auch NGOs und andere Initiativen involviert sind. Dementsprechend entfällt der Großteil der aktuellen Wasserverteilungskonflikte auf diese Kategorie.

Auf der anderen Seite stehen Konflikte, die sich aus dem (ii) illegalen Bergbau ergeben. Insbesondere die Aussicht auf schnellen Reichtum durch Gold- und Silberabbau zieht neben der lokalen Bevölkerung selbst auch die organisierte Kriminalität an. Gerade in abgelegenen Gebieten, aus denen sich die staatlichen Organe quasi gänzlich zurückgezogen haben, liegt das Gewaltmonopol bei kriminellen Gruppierungen. Der Bergbau dient diesen Gruppen als willkommene Möglichkeit zur Generierung von finanziellen Mitteln und zur Geldwäsche.

Trotz der hohen Anzahl an Konflikten im legalen Bergbausektor, ergibt sich aus dem illegalen Bergbau wohl die größere Bedrohung für die Wassersicherheit. Zum einen sind die Statistiken schon allein durch die Dokumentationslage verzerrt sind, wodurch von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden muss. Zum anderen zeigte sich im Rahmen der Recherche, dass offizielle Bergbaukonflikte meist nach kurzer Zeit wieder gelöst werden können. So sind von rund 50 Bergbaukonflikten in Peru im Jahre 2014 heutzutage nur noch 13 aktiv. Neben staatlicher Vermittlung und Aufsicht tragen auch Geld- und Entschädigungszahlungen sowie Anpassungen bei den vorgelegten Plänen zur Reduzierung der schädigenden Umweltbelastungen zu einer Lösung der Konflikte bei.

Im Gegensatz dazu sind die Akteure im illegalen Bergbausektor weder an Vorgaben zum Umweltschutz gebunden, noch werden die Konflikte von staatlichen Behörden begleitet. Somit fehlen der lokalen Bevölkerung häufig die Mittel, um gegen die Kontaminierung der Gewässer mit Schwermetallen und Chemikalien vorzugehen.

Besseres Wassermanagement und stärkere Kontrollen durch den Staat sind auch Teil der dritten Kategorie. Strukturelle Ursachen (iii) beschreiben hier eine Form des Staatsversagens, wie sie zurzeit unter anderem in Venezuela wiederzufinden ist. Der Staat vermag es hierbei nicht, für eine ausreichende Infrastruktur zur Wasserverteilung zu sorgen. Darüber hinaus führen fehlende Kontrollen dazu, dass bestehende Wasserressourcen durch Industrieabwässer und illegale Müllentsorgung verseucht werden. Strukturelles Versagen kann jedoch auch schon in der Planungsphase beginnen, zum Beispiel wenn nur unzureichende Versorgungspläne für die Wasserversorgung in Trockenperioden vorliegen.

Ein Thema mit unverändert hoher Relevanz ist die Energiegewinnung aus Wasserkraft (iv). Grundsätzlich hat die Energiegewinnung aus erneuerbaren Energien in Anbetracht der starken Auswirkungen des Klimawandels eine hohe Priorität in vielen lateinamerikanischen Ländern. Doch obwohl Wasserkraft zu den erneuerbaren Energien zählt, ist diese Methode der Energiegewinnung nicht unumstritten. Zu stark seien die Auswirkungen auf Ökosysteme und Biodiversität. Des Weiteren zwingen die großen Staudammprojekte häufig ganze Ortschaften zur Umsiedlung und kollidieren so mit Land- und Wassernutzungsrechten.

Fazit

Zwar sind heutzutage noch ausreichend Wasserressourcen auf dem lateinamerikanischen Subkontinent verfügbar, doch angesichts der Auswirkungen des Klimawandels und großflächiger Wasserverschmutzung ist die Wassersicherheit bedroht. Der Wasserbedarf wird im Zuge der wachsenden Bevölkerungsanzahl sowie des steigenden Wasserverbrauchs, den die wirtschaftliche Entwicklung mit sich bringt, weiter ansteigen. In Anbetracht der strukturellen und sozialen Ungleichheit zwischen der ländlichen/ indigenen und urbanen Bevölkerung, ergibt sich hieraus ein Konfliktpotenzial mit großer sozialer Sprengkraft.

Welche Intensität diese Konflikte erreichen können, ist schon heute in anderen Regionen der Erde zu beobachten, wobei echte Wasserkriege aus heutiger Sicht in Lateinamerika noch als eher unwahrscheinlich gelten. Nichtsdestotrotz sind die lateinamerikanischen Regierungen dazu angehalten, das Konfliktpotenzial durch die Bekämpfung der sozialen Ungleichheit sowie der strukturellen Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen zu mindern. Mittelfristig bedarf es hierzu nicht nur eines weiteren Ausbaus der Wasserinfrastruktur und einer Verbesserung des Wassermanagements, sondern auch weiterer Maßnahmen zur Reduzierung der Wasserverschmutzung in den ländlichen Regionen. Darüber hinaus gilt es, durch starke lokale und regionale Präsenz sowie strenge Umwelt- und Wasserschutzauflagen weiterhin zur Lösung bestehender Konflikte beizutragen.

➞ *„Land“ bezieht hier auch auf die Bevölkerung in den Dschungel- und Amazonasgebieten.

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