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Veranstaltungsberichte

VERNETZUNG UND STROMSICHERHEIT IN LATEINAMERIKA

von Marie Rittich

Internationales Seminar

Internationales Seminar des Regionalprogramms Energiesicherheit und Klimawandel in Rio de Janeiro vom 24. bis zum 26. August 2016.

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“Wenn Lateinamerika ein einziges Land wäre, so würde es über genügend Ressource verfügen, um nicht vom Rest der Welt abhängig zu sein.“ Dieses Zitat von Jerson Kelman und Sinval Gama brachte anschaulich auf den Punkt, was Experten und Politiker für zwei Tage in Rio de Janeiro diskutierten. Doch tatsächlich handelt es sich bei Lateinamerika nicht um ein einziges Land. Vielmehr reden wir von einem Kontinent, welcher gut zwei Dutzend unterschiedliche Staaten beherbergt und eine Vielzahl an unterschiedlichen politischen und ökonomischen Konzepten aufweist. Diese Vielfalt wirkt sich auch auf die Energiesicherheit in der Region aus und stellt die effiziente, regionale Nutzung von Ressourcen vor großen Herausforderungen.

Aus diesem Grund organisierte das Regionalprogramm Energiesicherheit und Klimawandel in Lateinamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. (EKLA-KAS) in Zusammenarbeit mit GESEL, einer Studiengruppe der Universidade Federal do Rio de Janeiro (UFRJ) zum Elektrosektor, das internationale Seminar „Vernetzung und Stromsicherheit in Lateinamerika“, welches Energieexperten aus Politik und Wirtschaft der verschiedenen Länder zusammenbrachten und einen Erfahrungs- und Meinungsaustausch ermöglichte.

Im ersten Block des Seminars ging es vor allem um die politisch-diplomatischen Aspekte der regionalen Stromnutzungsintegration. Christian Hübner, Leiter EKLA ging schon in seiner Eröffnungsrede auf die Bedeutung einer klimafreundlichen und nachhaltigen Energiepolitik mit Blick auf den anhaltenden politischen Prozess der Strommarktvernetzung ein. Auch David Kupfer, Direktor des Instituts für Wirtschaft der UFRJ betonte, dass die Energieintegration in Lateinamerika in den kommenden Jahren eine der groβen Aufgaben des Kontinents sein würde.

Das Lateinamerika tatsächlich über ausreichend Energiereserven verfügt wurde in den zahlreichen Präsentationen deutlich: Den Anfang machte Joaquin Rodriguez, bolivianischer Vizeminister für Energie, welcher die Potenziale seines Landes im Strombereich vorstellte. Bolivien, welches zurzeit der Hauptexporteur für Erdgas in Lateinamerika ist, möchte seine Stellung als Energielieferant für die südamerikanischen Länder weiter stärken und plant den Export von Strom nach Brasilien und Argen-tinien, auβerdem finden Gespräche mit Peru und Paraguay statt. Um den Stromexport sicherstellen zu können möchte Bolivien besonders die bisher ungenutzten Potenziale in der heimischen Wasserkraft aktivieren.

Auch in Brasilien machen Erneuerbare Energien, allen voran Wasserkraft, längst einen bedeutenden Anteil am Energiemix aus. Doch gerade die Erneuerbaren Energien sind zumeist mit Unbeständigkeit behaftet, wie Nivalde de Castro, Koordinator von GESEL in seinem Vortrag deutlich machte. Gerade dies macht eine Integration mit den Nachbarländern der Region umso wichtiger, denn nur so kann die wechselhafte Versorgungslage durch Erneuerbare Energien ausgeglichen werden. Gleichzeitig betont Castro, dass es sich bei Brasilien um eines „der am besten vernetzten Länder Südamerikas handelt“.

Das energierohstoffarme Chile dagegen hat andere Erfahrungen in der Energieintegration gemacht, wie Ricardo Raineri, Präsident der International Association for Energy Economics und Ex-Energieminister Chiles, aufzeigt. Nach einer starken Konzentration im Wasserkraftsektor hat Chile Ende der 90er damit begonnen, seinen Energiemix zu diversifizieren, unter anderem auch durch Gasimporte aus Argentinien. Diese schon recht frühe internationale Kooperation hat sich über den Verlauf der Zeit durch zahlreiche politische Entwicklungen als nicht immer ganz einfach erwiesen. In den letzten Jahren findet wieder eine Annäherung zwischen den beiden ökonomisch starken Staaten ganz im Süden des lateinamerikanischen Kontinentes statt. Gleichzeitig sucht Chile aber auch seine Nachfrage durch Importe über LNG-Terminals von auβerhalb des südamerikanischen Kontinentes zu sättigen. Durch den technischen Fortschritt im Sektor der Erneuerbaren Energien und den damit verbundenen Preisverfall kann aber gleichzeitig eine erhöhte Konkurrenz zum Gassektor festgestellt werden, was sich vor allem in den neu eingeführte Auktionen zeigt und den erneuerbaren Sektor nachhaltig stärken könnte.

Als Vergleich und vielleicht auch als mögliches Vorbild wurde die Energieintegration auf dem europäischen Kontinent von Jorge Sousa, Professor am Instituto Superior de Engenharia de Lisboa (ISEL), und Philipp Offenberg, Energieexperte des European Centre for Energy and Resource Security (EU-CERS) des King‘s College vorgestellt. Deutlich wurde dabei, dass die Integration in Europa „a story of success“ ist. Trotz allem ist der Prozess noch nicht abgeschlossen. Damit ein einheitlicher Strommarkt in der EU entstehen kann, muss die Integration regionaler Energiemärkte weiter forciert werden, sodass Strom ungehindert flieβen kann. Auf diesem Weg könnten in der EU einheitliche Strompreise geschaffen werden.

Dass die Energieintegration sowohl in Europa als auch in Lateinamerika nicht problemlos verläuft, zeigte der Vortrag von Arturo Alarcón, Energieexperte der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB). Er nannte Probleme technischer, geografischer, politisch-historischer, sozialer, normativer, ökonomischer und institutioneller Natur als mögliche Hindernisse eines Voranschreitens der Integration in Südamerika. Auβerdem müssten die Eigenheiten der einzelnen Länder beachtet werden: „Die bilateralen Beziehungen zwischen Brasilien und Argentinien unterscheiden sich grundlegend von denen zwischen Brasilien und Paraguay oder Brasilien und Bolivien.“, betont José Luiz Alquéres, Präsident des Verwaltungsrates von Eletrobras. „Es gibt keine one-size-fit’s-all-Lösung für Lateinamerika“, macht auch Alarcón deutlich. Trotz allem muss besonders im politischen Ressort noch viel getan werden. „Die wesentlichen Wiederstände sind nicht infrastruktureller Natur.“

Doch es gibt auch zahlreiche gelungene Projekte, die auf eine erfolgreiche Integration hoffen lassen: So etwa Itaipú, das binationale Wasserkraftwerk an der brasilianisch-paraguayanischen Grenze. „Um Itaipú zu realisieren mussten wir politische Widerstände in Argentinien überwinden, auβerdem unterschied sich die Vorstellung Paraguays von dem Projekt grundlegend von der unseren“, erzählt Luiz Augusto de Castro Neves, Ex-Direktor von CEBRI sowie ehemaliger brasilianischer Botschafter in Paraguay. „Was wir in Itaipú gesehen haben war eine ingenería diplomática, eine diplomatische Ingenieurswissenschaft“, sagt José Luiz Alquéres. Die Hoffnung, den Erfolg von Itaipú mit weiteren Projekten, etwa der geplanten Kooperation zwischen Brasilien und Bolivien am Río Madeira, wiederholen zu können, ist groβ.

Denn gerade die Erneuerbaren könnten eine entscheidende Rolle bei der Integration spielen: „Noch ist Öl der König unter den Energieformen. Der Gassektor wächst schneller als die Erneuerbaren Energien. Es werden viele schöne Worte gemacht um die Integration, aber tatsächlich stehen wir noch ganz am Anfang des Weges.“, sagt Manlio Coviello von CEPAL. Gleichzeitig stellt er aber heraus, dass das Potenzial für Erneuerbare Energien besonders in den Grenzregionen Südamerikas hoch ist. So befindet sich die Region mit der höchsten Sonnenintensität zwischen Peru, Bolivien, Chile und Argentinien und die Hotspots für Geothermie finden sich zwischen Argentinien und Chile.

Am Nachmittag des ersten Seminartages fokussierte die Debatte dann mehr auf die Finanzierung von Integrationsprojekten und Infrastruktur. Schon durch die Vielfalt der Vertreter wurde deutlich, dass Lateinamerika durchaus über verschiedene Finanzierungsplattformen verfügt, so etwa die Inter-amerikanische Entwicklungsbank (IDB), die Brasilianische Entwicklungsbank (BNDES), sowie die Entwicklungsbank für Lateinamerika (CAF), die teilweise schon erfolgreich den Integrationsprozess unterstützt haben. Hamilton Moss, Vizepräsident für Energie in der CAF, betonte aber gleichzeitig, dass Jahr für Jahr hohe Investitionen nötig seien, um den Integrationsprozess fortsetzen zu können.

Als Bestandteil des internationalen Seminars “Vernetzung und Stromsicherheit in Lateinamerika”, welches durch die EKLA-KAS in Kooperation mit GESEL veranstaltet wurde, wurden zwei Memorandum of Unterstanding unterzeichnet: Einmal zwischen der Universidade Federal do Rio de Janeiro (UFRJ) und dem Insitute for Advanced Sustainability Studies (IASS) – Potsdam, sowie ein weiteres mit dem Instituto Superior de Engenharia de Lisboa (ISEL) – Portugal. Ziel des MoU ist es, die Forschung auf dem Gebiet der technologischen Innovation und im Elektrosektor weiter zu fördern. Durch die beiden MoUs soll der Austausch von Dozenten, Forschern und Studenten ermöglicht, gemeinsame wissenschaftliche Seminare und Veranstaltungen durchgeführt sowie eine Zusammenarbeit bei der Veröffentlichung von Artikeln und Publikationen etabliert werden.

Am zweiten Seminartag konzentrierte sich die Diskussion auf zwei wesentliche Themen: Arturo Iporre, ENDE Transmisión Bolivien, Dorel Ramos von der Universität von São Paulo und Benjamin Bayer vom Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam erörterten die Optimierungsmöglichkeiten für die Nutzung von Energieressourcen. Dabei wurden unterschiedliche Ansätze aus Bolivien, Brasilien und Deutschland präsentiert, in denen deutlich wurde, dass man auf beiden Kontinenten grundsätzlich mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat.

Das letzte Panel des Tages behandelte den sich schnell entwickelten und unumkehrbaren Innovationsprozess im Energiesektor sowie die damit einhergehenden technischen Veränderungen. Amílcar Guerreiro, Direktor des brasilianischen staatlichen Energieunternehmens EPE, die Professorin der Universität FGV von Rio de Janeiro Joisa Dutra sowie Djalma Falcão von der UFRJ stellten das groβe Potenzial für den Integrationsprozess dar.

Dass es sich bei all diesen Gesprächen und Diskussionen über die Notwendigkeit der Integration und Kooperation nicht nur um leere Worte handelte wurde gleich zu Anfang der Veranstaltung deutlich, als die Universidade Federal do Rio de Janeiro (UFRJ) ein Memorandum of Understanding mit dem IASS Potsdam, sowie der ISEL aus Lissabon, einem von Portugals führenden Instituten für Ingeni-eurswissenschaften, unterschrieben (für nähere Informationen zum MoU siehe Infokasten). Dieser wissenschaftliche Austausch scheint unbedeutend zu wirken angesichts der Anstrengungen, die Lateinamerika unternehmen muss, will es seine vielfältigen Ressourcen endlich nachhaltig nutzen, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Denn, so Alarcón: „Es ist wie in Back to the Future: Wir befinden uns in einer Zukunft, die wir nicht erwartet haben und müssen mit dem arbeiten, was wir vorfinden.“

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Karina Marzano Franco

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