Asset-Herausgeber

EPP / flickr / CC BY 2.0

Länderberichte

Reaktionen aus Ungarn auf die Suspendierung von Fidesz

von Frank Spengler, Bence Bauer, LL.M
Die mit Spannung erwartete Entscheidung der „politischen Versammlung“ der Europäischen Volkspartei (EVP) am 20. März 2019 brachte einen für alle Seiten akzeptablen Kompromiss. Die EVP und Fidesz „anerkennen gemeinsam, dass Fidesz seine Mitgliedschaftsrechte bis zur Fertigstellung des Berichts der Evaluierungskommission suspendiert“.

Asset-Herausgeber

Pressekonferenz des Ministerpräsidenten

Sofort nach Beendigung der EVP-Sitzung gab Ministerpräsident Viktor Orbán eine internationale Pressekonferenz. Er erklärte, dass es in den letzten Wochen und auch bei der gerade zu Ende gegangenen Versammlung um die Zukunft der EVP gegangen sei. Die EVP sei eine große Sammlungsbewegung, die von linken und liberalen Parteien bis hin zu konservativen wie Fidesz reiche. Dies sei ein großes Wagnis, da sie viele heterogene Parteien in einer Gemeinschaft zusammenhalte, was in Zeiten von Helmut Kohl und Wilfried Martens auch ganz gut gelungen sei. 13 Parteien des linken und liberalen Flügels hätten nunmehr Fidesz als den bestimmenden Teil des konservativen Flügels angegriffen und ausschließen wollen, so Orbán. Das Besondere an diesem Disput sei, dass dieser am Vorabend eines EP-Wahlkampfes erfolge und dies ein Wahlgeschenk für den politischen Gegner darstelle. Das einheitliche Auftreten der EVP sei für ihn die große Herausforderung gewesen. Er habe daher erfolglos versucht, dass der Ausschlussantrag zurückgenommen werde.

Ziel von Fidesz sei es, dass die EVP die stärkste politische Kraft in Europa bleibe und die Parteienfamilie den EP-Wahlkampf gemeinsam bestreite. Im Sinne der Einheit hätte sich die Partei auf die im Jahre 2000 bereits erprobte „österreichische Formel“ geeinigt. Diese sähe die Einrichtung einer Evaluierungskommission mit Herman van Rompuy, Dr. Hans-Gert Pöttering und Dr. Wolfgang Schüssel vor. Was im Jahre 2000 gut für Österreich gewesen sei, könne nun auch gut für Ungarn sein, so Orbán. Er erinnerte daran, dass seinerzeit die ÖVP darauf bestanden hätte, nicht ausgeschlossen oder suspendiert zu werden. Genauso sei Fidesz als Gewinnerin von vier Parlamentswahlen und drei Europawahlen nicht bereit gewesen, einen Ausschluss oder eine Suspendierung zu akzeptieren. Fidesz verzichte deshalb von sich aus auf die Ausübung der Mitgliedschaft. Er kündigte an, dass Fidesz eine Kommission mit den Staatssekretärinnen Katalin Novák und Judit Varga sowie dem langjährigen Europaabgeordneten József Szájer als Ansprechpartner für die Dreiergruppe einrichten werde. Diese Gruppe solle nach den EP-Wahlen auch darlegen, wie sich Fidesz die Zukunft in der EVP vorstelle.

Die EVP hätte, so Viktor Orbán, eine gute Entscheidung getroffen, da sie ihre Einheit bewahrt hätte, es einen einheitlichen gemeinsamen Wahlkampf gäbe und Manfred Weber als Spitzenkandidaten die volle Unterstützung bekäme. Es sei auch deshalb eine gute Entscheidung, da nichts ausgeschlossen worden sei. Sowohl EVP als auch Fidesz könnten völlig eigenständig über die künftigen Beziehungen entscheiden.

In Ungarn sei die Unterstützung der EU mit am höchsten und dies sei auch der Fidesz-Regierung zu verdanken, so der Ministerpräsident. Orbán betonte, dass er weiterhin eine starke EU wolle, aber in Fragen der Migration keinerlei Veränderungsbereitschaft zeige und bei der Bewahrung der christlichen Identität und Kultur keine Kompromisse schließen könne. Über einen eventuellen negativen Ausgang der Verhandlungen mit der Expertenkommission wolle er nicht spekulieren. Ziel sei es, in der EVP zu bleiben, so die Abschlussworte Viktor Orbáns.

Die erste Frage bezog sich auf mögliche Zugeständnisse und die „Anti-Juncker-Plakate“. Der Ministerpräsident erklärte, dass es keine Anti-Juncker-Kampagne gegeben hätte, sondern eine Informationsoffensive der ungarischen Regierung über zukünftige Pläne der EU. Diese Informationskampagne sei aber schon beendet worden, so Orbán.

In Bezug auf Salvini wies Orbán darauf hin, dass sowohl die Italiener als auch die Ungarn bewiesen hätten, dass die Migration nach Europa gestoppt werden könne - sowohl auf dem Land als auch auf dem Meer. Bezüglich der Migrationsproblematik betonte er die breite Zustimmung der Bevölkerung sowie die Tatsache, dass seine Partei die Meinung seiner Wählerschaft vertrete.

Die sich auf den Verbleib der CEU in Ungarn gestellte Frage, beantwortete er kurz mit der Feststellung, dass mit der bayerischen Regierung ein neuer „Spieler“ beteiligt sei, mit dem man nun kooperieren würde.

Bezüglich der Fraktionswahl von Fidesz nach der EP-Wahl erklärte Orbán, dass diese Frage noch völlig offen sei, nannte jedoch Bedingungen, die über die Fraktionsmitgliedschaft entscheiden würden: Die Fraktion müsse eindeutig gegen Einwanderung sein, für die christliche Kultur einstehen und keine Geheimabsprachen mit dem politischen Gegner treffen. Die wesentlichen Entscheidungen seien also nach der Wahl zu treffen. Die EVP, das sind wir, so Orbán.

Auf eine Frage nach George Soros antwortete er, dass alle Ungarn von den Machenschaften des US-Milliardärs wüssten. Eine sachgerechte Debatte über die Rolle von Soros sei aber in Brüssel nicht möglich, daher habe er in der Sitzung auf diesen Themenkomplex verzichtet.

Hinsichtlich möglicher Allianzen beispielsweise mit der italienischen Lega erklärte Orbán, dass die Frage möglicher Koalitionen nach der Wahl auch von der EVP beantwortet werden müsste. Das Votum der Menschen sei bedeutsam und müsse beachtet werden. Aufgrund des Wahlkampfes könne er diese Frage aber derzeit nicht beantworten.

Auf die Einrichtung der EVP-Evaluierungs-kommission freue er sich, denn endlich gäbe es Menschen, die sich für die Fakten interessierten: „Welcome“, so Orbán. In diesem Zusammenhang unterstrich er, dass beispielsweise im Medien- oder Justizbereich bereits vor Jahren die noch von Barroso geleitete Europäische Kommission zum Schluss gekommen sei, dass die ungarischen Regelungen in Ordnung seien. Er fügte an, dass viele Länder, aus denen die Kritiker stammten, in Rechtsstaatsfragen nicht besser dastünden als Ungarn. Dies könne nunmehr auch belegt werden. Auf Nachfrage bezüglich der Mitgliedschaft der ungarischen KDNP wies der Ministerpräsident darauf hin, dass diese nicht auf der Tagesordnung stand.

Reaktionen der Parteien

Der Fraktionsvorsitzende von Fidesz in der Ungarischen Nationalversammlung, Máté Kocsis, erklärte, dass der Versuch der migrationsfreundlichen Kräfte, Fidesz aus der EVP auszuschließen, misslungen sei. Er unterstrich, dass Fidesz von sich aus entschieden hätte, sich nicht mehr an der Arbeit der EVP zu beteiligen.

Seitens der Opposition erklärte der Jobbik-Vorsitzende Tamás Sneider, dass Orbán von Europa die eindeutige Botschaft erhalten hätte, dass man nicht länger die „verlogene, korrupte, janusköpfige“ Politik hinnehmen wolle. Der stellv. Parteivorsitzende der Jobbik, Márton Gyöngyösi, interpretierte die Situation als den ersten Schritt eines kommenden EU-Austritts Ungarns. Bertalan Tóth, Vorsitzender der MSZP, schrieb auf seiner Facebook-Seite, dass Fidesz die Fähigkeit verloren hätte, die nationalen Interessen zu artikulieren. Nun sei es an der MSZP, Ungarns Interessen zu vertreten. Der DK-Vorsitzende Gyurcsány merkte an: „Orbán wurde des Saales verwiesen“. Die Vorsitzende der Partei Dialog erklärte, Orbán wolle mit der extremen Rechten Europa und die gemeinsamen europäischen Werte zerschlagen, um Putins Interessen zu bedienen. Die EVP hätte Orbán etwas entgegengesetzt, aber dieser Schritt sei nicht ausreichend. Die EVP solle im nächsten Schritt Orbán zur Seite drängen, so die Ko-Vorsitzende Tímea Szabó.

Die grün-liberale LMP bezeichnete es als irrelevant, was die EVP und Fidesz miteinander ausmachen würden. Fidesz hätte mehrmals bewiesen, dass sie in Europa nicht die Interessen der ungarischen Menschen vertrete. Die EVP ihrerseits könne ihre eigenen Sorgen nicht lösen und hätte jahrelang der Regierungspolitik der Fidesz tatenlos zugesehen. Daher könne man das Schicksal Europas nicht der EVP überantworten.

Reaktionen der Medien

Die führende Tageszeitung im Regierungslager, Magyar Nemzet, unterstreicht in ihrem Leitartikel, dass sie sich in der letzten Zeit gegen eine EVP-Mitgliedschaft von Fidesz ausgesprochen hätte. Der vom Chefredakteur verfasste Artikel betont, dass sich die EVP grundsätzlich gegen Fidesz und ihr früheres Selbstverständnis richten würde. Er bezweifelt, dass die EVP in den nächsten zwei Monaten ihre Politik gegenüber Fidesz ändern würde. Fidesz dürfe auch nicht das kleinste Eingeständnis mehr machen.

Die ebenfalls regierungsnahe Tageszeitung Magyar Hírlap erinnerte in ihrem Leitartikel daran, dass nur vordergründig die Frage des Ausschlusses oder des Verbleibs von Fidesz behandelt worden sei. In Wahrheit ginge es darum, die Einheit der EVP zu bewahren. Mit dem Ausschluss des konservativen, christlich-demokratischen Flügels wäre die linksliberale Schiene gestärkt worden. Der Autor stellt klar, dass Fidesz einem starken Europa und einer einheitlichen, erfolgreichen EVP verpflichtet sei und daher die Kompromisslösung akzeptiere. Betont wird auch hier, dass die Suspendierung von Fidesz durch diese selbst erfolgt sei.

Seitens der linksliberalen Népszava wird herausgestellt, dass die Entscheidung von den Beteiligten unterschiedlich interpretiert werde. Während der EVP-Fraktionsvorsitzende und EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber verkünde, dass die EVP Fidesz suspendiert hätte, spreche Ministerpräsident Viktor Orbán davon, dass Fidesz dies aus eigenem Entschluss getan hätte. Die Wortwahl des verabschiedeten Beschlusses spreche für die Version von Orbán, so Népszava. Die in letzter Minute vorgenommene Textänderung sei die Voraussetzung dafür gewesen, dass Fidesz nicht ausgetreten sei, so die Tageszeitung. Im Weiteren wird objektiv über die Geschehnisse des Tages ohne eigene Stellungnahmen berichtet.

Eine fundierte Analyse wurde vom führenden unabhängigen Online-Magazin index.hu vorgelegt. Der EU-Korrespondent beschreibt unter der Überschrift „Quadratur des Kreises“, dass es einen politischen Kompromiss gegeben hätte, der ein „brillantes Zeugnis der Flexibilität der Politik“ sei, da beide Seiten kommunikativ zurecht ihre Sichtweise vertreten könnten. Der Artikel analysiert vier Herausforderungen, die es zu bewältigen galt. Erstens musste die EVP beweisen, dass sie gewillt sei, ernsthafte Schritte gegenüber Fidesz zu unternehmen. Zweitens musste die Einheit der Parteienfamilie sichergestellt und die EVP als wählbare politische Kraft dargestellt werden. Drittens sei es notwendig gewesen, Fidesz innerhalb der Parteienfamilie zu halten, so dass diese nicht außerhalb der EVP als europakritische Kraft auftreten könne. Und schließlich musste eine auch für Fidesz gesichtswahrende Lösung gefunden werden, die unterstreichen würde, dass sich die Partei nicht von der EVP „herumschubsen“ lässt. Der Artikel untersucht die vier Bedingungen und kommt zu dem Schluss, dass diese im Ergebnis weitgehend erfüllt würden und alle Beteiligten mit der Lösung gut leben könnten.

Das linke Internetportal 444.hu berichtet objektiv mit dem Titel „Fidesz wurde bestraft, aber die Möglichkeit der Aussöhnung offengelassen“ und stellt in der Analyse fest, dass letztlich alles nach der Europawahl entschieden und hierbei die Arithmetik eine große Rolle spielen werde. Auch wird erwähnt, dass eine bis zur Konstituierung des neuen Europäischen Parlaments andauernde Suspendierung eigentlich auch zur Folge haben müsste, dass bei der Verteilung der Posten im EP Fidesz nicht berücksichtigt werde. Interessant ist, dass einzig das LMP nahestehende Portal azonnali.hu die Lage von KDNP treffend beschrieb. Es wird berichtet, dass bezüglich KDNP keine Entscheidung angestanden hätte und deren Vollmitgliedschaft unangetastet bleibe.

Asset-Herausgeber

comment-portlet

Kommentare

Bitte melden Sie sich an, um kommentieren zu können

Asset-Herausgeber

Bereitgestellt von

Auslandsbüro Ungarn

Asset-Herausgeber

Über diese Reihe

Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist in rund 110 Ländern auf fünf Kontinenten mit einem eigenen Büro vertreten. Die Auslandsmitarbeiter vor Ort können aus erster Hand über aktuelle Ereignisse und langfristige Entwicklungen in ihrem Einsatzland berichten. In den "Länderberichten" bieten sie den Nutzern der Webseite der Konrad-Adenauer-Stiftung exklusiv Analysen, Hintergrundinformationen und Einschätzungen.