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Länderporträt Griechenland

Politischer Extremismus in Griechenland

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von Susanna Vogt und Jeroen Kohls

Die griechische Geschichte der jüngsten Vergangenheit ist von vielerlei Arten der Extreme geprägt: das Land mit der höchsten Staatsverschuldung Europas; das Land mit der höchsten Arbeitslosigkeit in der EU; die meisten Streiks und Protestkundgebungen; die meisten Angestellten im öffentlichen Sektor im OECD-Vergleich und andere Superlative mehr. Diese Kennzahlen aus dem Höhepunkt der Krise bilden den Kontext, in dem sich die neuesten politischen Entwicklungen abspielen: der Zulauf zu extremistischen Positionen – am linken wie vor allem auch am rechten Rand des politischen Spektrums. Es war die ökonomische Krise, die das Land ab 2009 erfasste, die den Nährboden für konstanten Zulauf zu extremistischen Ideologien und parteipolitischen Formationen lieferte. Den vorläufigen Höhepunkt der politische Extreme schien die Regierungsbildung der linkspopulistischen SYRIZA mit der rechtspopulistischen ANEL im Januar 2015 zu bilden (s. Länderbericht KAS Athen). Doch zur Überraschung vieler und Enttäuschung mancher musste sich auch diese Koalition der Extreme der griechischen Realität stellen und schwenkte nach spektakulären sechs populistischen Monaten auf einen deutlich gemäßigteren Regierungskurs ein.

Die politische Kultur und Entwicklung der Parteienlandschaft in Griechenland befinden sich in einem ebenso tiefen Umbruch, wie ihn die Wirtschaft und Gesellschaft des Landes erleben. Dieser Wandel vollzieht sich vor dem Hintergrund Jahrhunderte dauernder Fremdherrschaft und einer von politischen Extremen geprägten Geschichte. In einer chronologisch geprägten Betrachtung vollziehen wir diese Entwicklungen im links- wie im rechtsextremen Spektrum der griechischen politischen Landschaft nach.

Von Kriegen und fremder Einflussnahme

Die Geschichte des selbständigen, modernen griechischen Staates ist eine kurze: Nach Jahrhunderte andauernder Herrschaft der Osmanen über das Land sicherten sich westliche Schutzmächte lange Zeit Einflusszonen und politische Mitsprache in Griechenland und leiteten eine Phase von Monarchie und wechselnden Diktaturen ein – mit omnipräsenten klientelistischen Strukturen. Auseinandersetzungen zwischen Royalisten und Republikanern, die später im Kampf zwischen Kommunisten und Anti-Kommunisten ihre Fortsetzung fanden, waren über Jahrzehnte virulent und spalteten das Land. In der Zeit zwischen den Weltkriegen prägte das totalitäre Regime von Ioannis Metaxas die Politik mit einem System des monarchischen Faschismus, in dem Zensur, Verhaftungen und Verbannungen bis hin zu Folter an der Tagesordnung waren. Die fortgeführten Auseinandersetzungen zwischen linken Partisanen und rechten Royalisten mündeten später in einen Bürgerkrieg, der das Land – nach dem Zweiten Weltkrieg ohnehin bereits tief gezeichnet – wirtschaftlich und politisch zu Boden warf. Schikane gegen linke Kräfte, Terror und Todesurteile prägten die politische Tagesordnung.

Nach Ende des Bürgerkrieges wurde Griechenland demokratisch verfasst, doch die sogenannten „steinernen Jahre“ waren durch die Dominanz von Polizei, Militär, Gendarmerie und Geheimdiensten geprägt, die eng im Parakrátos („Nebenstaat“) kooperierten. Den demokratischen Tiefpunkt erreichte diese Entwicklung mit der Militärdiktatur zwischen 1967 und 1974, in der unter der Obristen-Junta politische Repressionen und die Unterdrückung demokratischer Bestrebungen in staatlichem Terror von Gleichschaltungen, Ausnahmezuständen, Massenverhaftungen und -deportationen in Lager kulminierten.

Allein in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Militärputsch lösten sich 42 Regierungen in Griechenland ab. Diese schwierigen Phasen der Extreme prägen die politische Kultur des Landes in ihrer Entwicklung bis heute.

Stabiles Zweiparteiensystem

Mit der sogenannten Metapolítefsi setzte der gemeinhin als gelungen angesehene Übergang Griechenlands von der Diktatur zurück zur Demokratie ein. Damit verbunden waren erhebliche politische und soziale Errungenschaften sowie wohlfahrtsstaatliche Zugewinne. Mit der Demokratisierung nach Ende der Junta 1974 und den ersten Wahlen nach 7 Jahren sehnte sich die griechische Bevölkerung nach Stabilität. Diese boten vor allem die neu gegründeten Parteien der Mitte, die an Vorgängerorganisationen aus der Zeit vor der Militärdiktatur anknüpften: die konservative Nea Dimokratia (ND) und die sozialdemokratische Panellínio Sosialistikó Kínima (PASOK). Fortan wurde die griechische Parteiengeschichte von einem ausgeprägten Dualismus geprägt: Dikomatismós beschreibt dieses faktische Zweiparteiensystem.

Die ND wurde am 4. Oktober 1974 gegründet. Erster Präsident der Partei war Konstantinos Karamanlis, der das Amt des Ministerpräsidenten von 1955 bis 1963 bekleidete und bis heute – überparteilich – als unbestrittene Symbolfigur der demokratischen Legitimität in Griechenland angesehen wird. Die ersten freien Parlamentswahlen nach dem Ende der Militärdiktatur gewann die ND mit einer absoluten Mehrheit von gut 54 Prozent. In der Folge ging die Karamanlis-Regierung den Weg einer klar pro-westlich und pro-europäisch orientierten Außenpolitik: vorrangiges Ziel war die europäische Integration Griechenlands. Ideologisch profilierte sich die ND als Partei des “radikalen Liberalismus”, welcher Regeln des freien Marktes mit entscheidenden Eingriffen des Staates zugunsten eines sozialen Ausgleichs zu verbinden suchte. Dennoch schreckte man nicht vor protektionistischer Wirtschaftspolitik zurück. Als die Volkspartei des Mitte-Rechts-Lagers sprach die ND allerdings auch immer wieder Minderheiten mit teilweise extremen rechtspopulistischen Ideen an, die sie auch in den Parteistrukturen tolerierte.

Die PASOK wurde nach der Militärdiktatur als Nachfolgerin der linksbürgerlichen Zentrums-Union ins Leben gerufen. Nach den Jahren des rechten politischen Terrors traten der Bewegung viele Intellektuelle, Künstler und Aktivisten der 1968er Jahre bei. Insbesondere unter dem mächtigen Parteivorsitzenden und späteren Ministerpräsidenten Andreas Papandreou bediente sich die Partei aber zusehends radikaler außenpolitischer Positionen und einer ausgeprägten Polemik gegen Europa und die USA. So formulierte Andreas Papandreou im Wahlkampf 1981: „EG und NATO, dasselbe Syndikato“. Diese Strategie stieß beim Wahlvolk auf Zuspruch, wollte man sich doch möglichst wenig auf weitere Einmischung von außen in die griechische Politik einlassen. So sehr man sich zunächst gegen den EG-Beitritt Griechenlands wandte, so gerne nahm später gerade die PASOK die Gelder aus Brüssel zur Bindung ihrer Klientel an. Insbesondere unter Papandreou wurden Polarisierungen und Populismus – gepaart mit verantwortungsloser Verausgabung öffentlicher Mittel – im Zentrum der griechischen Parteienlandschaft als gängiges Instrument etabliert und auch die übrigen Parteien schwenkten strategisch auf diesen Kurs ein.

Jenseits der beiden großen Parteien, die sich ab 1974 in der Regierungsverantwortung abwechselten, fanden sich in Griechenland stets zahlreiche kleine Parteien an den Rändern des politischen Spektrums – wie so oft in Ländern mit derart ausgeprägtem parteipolitischem Dualismus. Zum Teil konnten diese Klein(st)-Parteien mit erstaunlich kontinuierlichem Zuspruch auf niedrigem Niveau rechnen, damit aber selten den Sprung in das Parlament oder gar in die Regierungsverantwortung schaffen. Vor allem Parteien mit ausgeprägt linken Positionen sind über die Jahrzehnte immer mit großer Kontinuität darunter zu finden gewesen.

Linksextremistische Kontinuitäten mit schwacher politischer Bedeutung

Die 1918 in Folge sozialer Unruhen nach dem Ersten Weltkrieg gegründete Kommunistische Partei (Kommounistikó Kómma Elládas, KKE) ist bis heute eine der griechischen Parteien mit der höchsten inhaltlichen Konsistenz. KKE verfolgt ein starres ideologisches Programm und hält auch an einer rigiden internen Organisationsstruktur fest. Der Zuspruch der Wähler liegt kontinuierlich bei um die fünf Prozent. Dieser gründet sich zum einen auf dem Prestige des Widerstandskampfes gegen die Nazis während der deutschen Okkupation, andererseits auf der charismatischen Führung der Partei durch Aleka Papariga, langjährige Parteivorsitzende der KKE. Sie hat die orthodox marxistische Partei, die auch überzeugte Stalinisten in ihren Reihen versammelt, von 1991 bis 2013 geführt. Ziel der Partei ist nicht der Klassenkampf, sondern die griechische nationale und soziale Befreiung. Die stark nach Moskau orientierte KKE hatte ihr Zentralkomitee zwischen 1949 und 1974 in Bukarest angesiedelt. Heute ist die Partei wohlhabend und besitzt Immobilien in Athen, mit Rizopástis eine eigene Zeitung, bis vor kurzem sogar Rundfunk- und Fernsehstationen sowie einen starken Einfluss auf die von der KKE kontrollierte Gewerkschaft PAME, inklusive dort zu vergebender Posten. Doch ihre politische Bedeutung ist, jenseits der historischen, die ihr nach wie vor zugestanden wird, gering. Dazu trägt auch das Bündnis der radikalen Linken SYRIZA bei, inzwischen der entscheidende Akteur im politischen Linksspektrum Griechenlands.

Vom Rand an die Spitze

Im Zuge der Spaltung der Kommunisten während der Militärdiktatur entstand 1968 der eurokommunistische Flügel mit der KKE-Essoterikoú – der Inlands-KKE. Ihre Kader saßen zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis oder waren im Untergrund aktiv. Aus dieser Bewegung ging dann nach dem Sturz der Obristen die Enomeni Aristera – Union der Linken – hervor. Dem waren Jahre ständig wechselnder Allianzen und Namensänderungen zwischen kleinen und kleinsten linken Parteien vorausgegangen – und 1989/90 der vergebliche Versuch, die gesamte Linke zu vereinen. Das Synaspismós Rizospastikís Aristerás, das Bündnis der radikalen Linken SYRIZA, war schließlich das Ergebnis. Der weniger dogmatische, intellektuelle Flügel der griechischen Linken, mit vielen ehemaligen KKE-Mitgliedern in den eigenen Reihen, wurde in dem Bündnis vereint. Dennoch umfasst SYRIZA bis heute ein breites Spektrum linker und linksextremer Vertreter von Trotzkisten und Maoisten bis zu gemäßigten Sozialisten.

Lange bewegte sich SYRIZA bei Wahlen in Griechenland bei Werten um die 5 Prozent. Mit den Parlamentswahlen 2012, die den Absturz der PASOK einleiteten, änderte sich dies: SYRIZA wurde mit knapp 17 Prozent zur zweitstärksten Partei nach der ND. Linksextreme Positionen wurden plötzlich zur möglichen Regierungsfähigkeit erhoben. Radikal waren die Positionen der SYRIZA insbesondere im Hinblick auf die zwischen Griechenland und den internationalen Kreditgebern vereinbarten Spar- und Reformmaßnahmen, die im sogenannten „Memorandum“ fixiert wurden: SYRIZA drohte nach dem ersten Parlamentswahlgang 2012 konkret damit, die Kreditvereinbarung einseitig aufzukündigen, um dem „Spardiktat“ der ausländischen Unterstützer aus dem Wege zu gehen. Der Austritt Griechenlands aus der Eurozone war zu diesem Zeitpunkt sehr greifbar und führte beim zweiten Wahlgang im Juni 2012 schließlich zu einer proeuropäisch geprägten Wahlentscheidung der Griechen, die ND und PASOK, gemeinsam mit den gemäßigten Linken der Dimar, in die Regierungsverantwortung einer Koalition hob.

Nach dem Gewinn der Parlamentswahlen im Januar 2015 versuchte die SYRIZA den schwierigen Spagat zwischen linksextremen Positionen und unrealistischem, EU-kritischem und doch vermeintlich pro-europäischem Bekenntnis zu vollziehen. Dabei schaffte es die Partei, linksbürgerliche Kreise ehemaliger PASOK-Wähler zu gewinnen. Der Aufstieg der SYRIZA unter ihrem jungen, charismatischen Parteivorsitzenden Alexis Tsipras war beachtlich. Doch die faktische Regierungsfähigkeit blieb, trotz wachsender Wählerzustimmung, sehr niedrig. So versuchte Tsipras in den ersten sechs Monaten seiner Regierungszeit vergeblich, eine Regierung zu bilden, die die verschiedenen Flügel der SYRIZA repräsentieren sollte.

Dies führte zu einem starken Mehrheitsblock mit Ministern, die sich rund um den Premier scharten und seiner Führung folgten. Darüber hinaus gab es eine starke Gruppe von Ministern einer ex-kommunistischen Fraktion – vor allem durch den Umwelt- und Energieminister Panagiotis Lafazanis, den stellv. Minister für Soziale Sicherheit Dimitris Stratoulis sowie den stellv. Verteidigungsminister Kostas Isychos repräsentiert – die den Kernideen der SYRIZA aus der Oppositionszeit weiterhin anhingen, d.h. vor allem eine ausgeprägtem „Anti-Memorandums“-Kurs gegen die mit den internationalen Kreditgebern vereinbarten Reformmaßnahmen. Hinzu kamen einzelne politische Strategen, die nicht klar einer der genannten Fraktionen zuzuordnen waren, die aber auf massiven Konfrontationskurs mit den europäischen Partnern gingen – wie beispielsweise Finanzminister Yanis Varoufakis und die Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou. Dennoch veränderte sich nach dem Referendum über die Sparauflagen Anfang Juli 2015 der Kurs der Regierung radikal: In einem Manöver, das das politische Umfeld in Griechenland erneut stark verändern sollte, sagten sich die radikalen Gruppierungen aus der beschriebenen Konstellation los und gründeten mit der neuen Partei „Volkseinheit“ (LAE) eine eigene Bewegung, die es bei den im September folgenden Wahlen nicht mehr in das Parlament schaffte. Dies bedeutete zugleich das Ende der von SYRIZA auf linkpopulistische Weise propagierten Idee, unter den gegebenen Umständen einen Kurswechsel der in Europa verfolgten Politik gegenüber Griechenland und anderen Ländern des Südens bewirken zu können. Stattdessen investierte SYRIZA in der Folge sichtbar stärker in alte Machtmechanismen des unter dem Dikommatismós bekannten Klientelismus. KKE verbleibt nach diesem „Häutungsprozess“ der SYRIZA die einzige wirklich linke Partei im griechischen Parlament.

Linksextremismus mit historischen Wurzeln

Gewaltanwendung von Vertretern aus dem linken oder autonomen Spektrum haben in Griechenland nach der Militärdiktatur sehr stark Fuß gefasst. Erstaunlich ist die hohe gesellschaftliche Akzeptanz sowie der öffentliche Bewegungs- und Artikulationsspielraum für diese Gruppierungen. So befindet sich Athen jedes Jahr am 17. November und am 6. Dezember im Ausnahmezustand, wenn Studenten und Gewerkschaften an zwei wichtige Ereignisse der jüngeren Vergangenheit erinnern: am 17. November 1973 wurde der Studentenaufstand am Polytechnio, der technischen Universität Athens, gegen das Regime der Militär-Junta brutal niedergeschlagen. Dabei kamen mindestens 24 Menschen ums Leben. Und am 6. Dezember 2008 wurde der 16-jährige Alexis Grigoropoulos im Zuge einer gewaltvollen Auseinandersetzung zwischen der Polizei und einer Gruppe Autonomer von einem Polizisten in Athen erschossen. Daran knüpfen bis heute in der Regel von gewaltvollen Auseinandersetzungen mit der Polizei geprägte Demonstrationen und Ausschreitungen an.

Als „Erben“ des Polytechnio-Aufstandes sahen sich auch die Mitglieder der zwischen 1975 und 2002 über 25 Jahre aktiv wirkenden Terrorzelle „Revolutionäre Organisation 17. November“. Auf das Konto der marxistischen, antikapitalistischen Terrorgruppe gingen 103 Anschläge und 23 Morde, zunächst an Mitgliedern der Junta sowie Unterstützern derselben. Geheimdienstmitarbeiter, Diplomaten, Politiker, Bankiers, Unternehmer und andere als „Repräsentanten des Kapitalismus“ eingestufte Opfer folgten. Der Gruppe des 17. November fiel auch der Ehemann von Dora Bakoyannis, ehemalige griechische Außenministerin und Bürgermeisterin von Athen, zum Opfer. 2002 wurde die Organisation zerschlagen und die Haupttäter zu langen Haftstrafen verurteilt. Doch mit der Flucht ihres prominentesten Mitglieds, dem Kopf der Zelle Christodoulos Xiros, Anfang des Jahres 2014 ist die Gruppe erneut in die Schlagzeilen geraten. Dies umso mehr, als jüngste, brutal ausgeführte Anschläge wie auf die Residenz des deutschen Botschafters sowie der Bombenanschlag auf die griechische Nationalbank im Vorfeld des Besuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel im April 2014 auch im Milieu von Xiros verortet werden. Xiros bewegt sich dabei in einem Umfeld von insgesamt 87 Terrororganisationen, die es derzeit im linken politischen Spektrum in Griechenland gibt. Zu ihnen zählen Gruppierungen wie die „Volksrächer“ oder die „Militanten Revolutionären Volkskräfte“. Letztgenannte bekannten sich Ende 2013 zum Mord an zwei Mitgliedern der rechtsradikalen Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte). Auf das Konto der linken Terrorgruppen gehen darüber hinaus – weitgehend von der Öffentlichkeit unbeachtet – zahlreiche Bomben- und Gaskartuschenanschläge im griechischen Alltag, die sich zum Glück meist auf Sachschäden beschränken. Bombendrohungen gehen in diesem Kontext bis heute regelmäßig an Vertreter von Banken, Journalisten und andere prominente Repräsentanten des „Systems“.

Erheblich gestärkte Kräfte am rechten Rand

Rechtsextreme Parteien haben, auch vor dem Hintergrund der sehr präsenten Erinnerungen an die Schrecken der Militärdiktatur, in Griechenland lange eine untergeordnete Rolle gespielt. Lange Zeit schaffte keine der Parteien, die rechtsextremes Gedankengut vertreten, den Sprung aus der Bedeutungslosigkeit. Dies änderte sich erstmals, als 2007 mit 3,8 Prozent der Wählerstimmen zehn Abgeordnete der nationalistisch und fremdenfeindlich aufgestellten Laikós Orthódoxos Synagermós (L.A.O.S., Völkische Orthodoxe Sammlung) in das griechische Parlament einzogen. Die damit geschaffene öffentliche Plattform für rechtsextremes Gedankengut war für Griechenland ein Novum. Dennoch konsolidierte sich dieser Weg mit dem Zugewinn von weiteren fünf Abgeordneten für L.A.O.S. bei den Parlamentswahlen 2009. 2011 bis 2012 beteiligte sich die Partei kurzzeitig an der technokratischen Regierung unter Ministerpräsident Loukas Papadimos, bevor sie sich aus Protest gegen die von der Regierung verfolgte Sparpolitik zurückzog. Damit war das Terrain für einen noch tieferen Bruch im für Griechenland und seine Parteienlandschaft sehr bedeutenden Wahljahr 2012 geebnet: Im ersten Parlamentswahlgang Anfang Mai 2012 zog mit knapp 7 Prozent die rechtsradikale Partei Chrysi Avgi in das griechische Parlament ein.

Die 1983 gegründete, neofaschistische Partei „Goldene Morgenröte“ stieg aus völliger Bedeutungslosigkeit plötzlich als politisch relevante Kraft auf. Die Vorbereitung dafür erfolgte in intensiver lokaler Arbeit, in der die Partei suggerierte, die „Ordnung“ wiederherzustellen, die der Staat durch seinen krisenbedingten Rückzug vernachlässigt habe. Dies betraf vor allem die hohe Präsenz von Chrysi Avgi in prekären Stadtteilen Athens, in denen sich – auch krisenbedingte – soziale Probleme von Arbeitslosigkeit und irregulärer Zuwanderung ballten. Die Rechtsradikalen zeigten Präsenz in Form von Bürgerwehren und Schlägertrupps, die vor tätlichen Angriffen gegen Migranten und Linke nicht zurückschreckten. Mehrere Morde gehen seit 2012 auf das Konto von Chrysi Avgi. Einen vorläufigen Höhepunkt fand diese Entwicklung im September 2013, als der in der linken Musikszene beliebte Rapper Pavlos Fyssas in Perama, einem von hoher Arbeitslosigkeit betroffenen Stadtteil Athens, von einem Parteimitglied der Chrysi Avgi mit mehreren Messerstichen getötet wurde. Die Situation eskalierte und tagelange Proteste aus dem linken, aber auch aus dem bürgerlichen politischen Spektrum folgten. Die Justiz wurde in der Folge aktiv und leitete gegen über 20 Parteimitglieder der Chrysi Avgi, darunter neun Parlamentsabgeordnete, ein Verfahren wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung ein. Die Beschuldigten sitzen seitdem in Untersuchungshaft, das Verfahren ist aufgrund seiner Komplexität und da es einen Präzedenzfall darstellt, noch anhängig. Ein Verbotsverfahren gegen Parteien ist in der griechischen Verfassung nicht vorgesehen. Trotz der andauernden Prüfung wurde Chrysi Avgi gemäß Beschluss des Staatsrates vom Mai 2014 zu den Europawahlen zugelassen und erzielte mit 9,38 Prozent weitere Zugewinne in der Wählergunst. Und bei den zeitgleich durchgeführten Kommunalwahlen bestätigte sich die lokale Verankerung dieser neofaschistischen Partei, die gezielte Kampagnen im Umfeld von Schulen, Sportvereinen und Gangs durchführt: vor allem in Athen und dem Großraum Attika konnte Chrysi Avgi weiteren Zuspruch sicherstellen. So erhielt der in Untersuchungshaft befindliche Bürgermeisterkandidat für Athen, Ilias Kasidiaris, 16 Prozent der Wählerstimmen. Bei den folgenden Parlamentswahlen konnten die rechtsradikale Partei ihre Ergebnisse weiterhin als drittstärkste Kraft im Parlament konsolidieren und scheint nun vorläufig als feste Größe im griechischen Parlament etabliert.

Mit der Stärkung der Chrysi Avgi und der Schwächung der L.A.O.S. gingt im rechtspopulistischen Spektrum zudem der Ausbau des Einflusses von ANEL einher. Die seit 2015 an der Regierungskoalition mit SYRIZA beteiligte Partei der „Unabhängigen Griechen“ (ANEL) wurde im Wesentlichen von ehemaligen ND-Parteimitgliedern gegründet, die die Partei 2012 unter der Führung von Panos Kammenos verlassen hatten und mit einer starken antideutschen und antieuropäischen Agenda den Einzug in das Parlament wiederholt sicherstellen konnten. Nach der ersten, für viele überraschenden Koalitionsbildung mit SYRIZA konnte die Perspektive auf eine Fortsetzung dieser Koalition ANEL in ihren Wahlergebnissen noch stärken. Dabei scheiterte die Partei de facto in allen Wahlversprechen: sowohl in ihrem strikten Anti-Memorandums-Kurs, indem sie gemeinsam mit SYRIZA im August 2015 ein drittes Rettungspaket im Parlament verabschiedete, als auch in ihrer rechtspopulistisch aufgestellten Migrationspolitik, die dennoch der Einleitung einer deutlich liberalisierten Migrationsagenda unter SYRIZA nicht im Wege stand.

Umbrüche und Radikalisierungen im Zeichen der Krise

Die erheblichen wirtschaftlichen Umbrüche in Griechenland zeigen seit den Parlamentswahlen 2012 auch sehr deutliche politische Konsequenzen. Diese haben mit der Verschuldungskrise des Landes einen Auslöser gefunden, die eigentlichen Ursachen liegen jedoch in der besonderen politischen Kultur Griechenlands, in der sich lange historische Linien von Fremdbestimmung und internen Konflikten finden lassen. Darüber hinaus war ein über die letzten Jahrzehnte erstarrtes System zweier abwechselnd herrschender Parteien inhaltlich, strategisch und personell der Krisensituation des Landes nicht gewachsen: ND und PASOK verloren Zustimmung von gemeinsamen 77,5 Prozent bei den Wahlen 2009 auf zusammen 32 Prozent im Jahr 2012. Insbesondere der Niedergang der PASOK – von einer absoluten Mehrheit bei den Parlamentswahlen 2009 kommend – auf gut sechs Prozent für das neue sozialdemokratische Bündnis, verleiht dem deutlichen Ausdruck. Der Wähler hat die Funktionalitäten des klassischen Zweiparteiensystems umgestürzt und neue Akteure in den Ring gehoben. Dabei sind jüngst insbesondere die extremen Ränder bei den letzten Wahlen gestärkt worden, da die politische Antwort aus der Mitte oder auch alternative Angebote zu den traditionellen Volksparteien sowie deren inhaltliche und personelle Neuaufstellung zum Teil noch ausstehen. Bis dahin bewegt sich Griechenland nach wie vor merklich in einer prekären Umbruchphase politischer Instabilität, die das Wahlvolk oftmals ratlos an die Urnen treten lässt. Der Trend zur Stärkung von Bewegungen, die immer seltener auf Politiker in der personellen Aufstellung setzen und sich „antisystemisch“ positionieren, ist dabei ebenfalls bedenklich. Dies ist der ideale Nährboden für den weiteren Zugewinn für extremistische Positionen – sei es am linken oder rechten Rand.

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