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1918-1933: Die Entwicklung christlich geprägter Parteien in der Weimarer Republik

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Die Revolution vom 8./9. November 1918 löste bei den Anhängern aller bürgerlichen Parteien einen Schock aus. Dessen Folgen begleiteten viele von ihnen noch jahrelang wie ein Trauma und erschwerten es ihnen, sich mit der neuen Republik abzufinden. Gleichwohl regierten nach einer lähmenden Orientierungslosigkeit Politiker des Zentrums – der größten Partei, die sich zuerst und vor allem als eine christliche verstand – rasch, in der Verpflichtung, den „Revolutionssturm“ aufzufangen und an der Rettung des Vaterlandes mitzuwirken.

 

Neustrukturierung

Bereits am 10. November 1918 traten Zentrumspolitiker in die von Sozialisten geführten Landesregierungen in Baden – darunter Joseph Wirth –, Hessen und Württemberg ein. Sie stellten sich ohne Verzug auf den neuen Boden der von außen bedrohten und von innen gefährdeten Republik, oder, wie es wenig später distanzierter hieß, der neugeschaffenen Tatsachen. In der Folge wurde dieses Vorgehen durch Rückgriff auf die Staatslehre Leos XIII. legitimiert, wonach selbst eine aus revolutionärer Wurzel entstandene neue Staatsform gerechtfertigt ist, soweit sie Ordnung stiftet, das Gemeinwohl garantiert und das christliche Sittengesetz respektiert.

Noch bevor sich die vorübergehend führungslose Partei wieder zu Wort meldete, handelten Zentrumspolitiker (Georg Heim und Sebastian Schlittenbauer) in Regensburg. Sie verselbständigten dort am 12. November 1918 die bayerische Zentrumsorganisation. Die neue Bayerische Volkspartei (BVP) spaltete den politischen Katholizismus.

Im Winter 1918/19 gelang es dem Vorsitzenden der christlichen Gewerkschaften und Vorsitzenden des neu gegründeten christlich-nationalen Deutschen Gewerkschaftsbundes, Adam Stegerwald, aber auch einzelnen regionalen Zentrumsverbänden nicht, das weltanschaulich verfestigte Parteiensystem aufzubrechen und zu einer interkonfessionell-christlichen Volkspartei umzubauen. Der im Rheinland wie in Berlin vor der Wahl zur Verfassunggebenden Nationalversammlung (19. Januar 1919) dem Parteinamen beigefügte Zusatz „Christliche Volkspartei“ bzw. „Christlich-demokratische Volkspartei“ setzte sich nicht durch. Ein Christlich-Demokratischer Soldatenbund, der Ende 1918 in Berlin gegründet worden war, unterstützte die Propaganda des Zentrums vornehmlich in der Reichshauptstadt für die Wahlen zur Nationalversammlung und zur Preußischen Landesversammlung. Er zerfiel rasch wieder.

 

Undankbare Mitverantwortung

Unbeschadet unterschiedlicher Bezeichnungen und der für die Partei negativen Auswirkungen des neuen Verhältniswahlrechts gewannen Zentrum und BVP mit 19,7% der Wählerstimmen ein Plus gegenüber der Reichstagswahl von 1912, deren Ergebnis (16,4%) allerdings das schlechteste seit 1871 gewesen war. In Preußen hatte sich Kultusminister Adolf Hoffmann (USPD) durch seine antikirchliche Kulturpolitik („Berliner Bolschewismus“) als Retter der konfessionellen Milieupartei erwiesen. In deren Wählerschaft überwogen auch künftig Frauen. Sie wurden zur „Stabilitätsreserve“ der Partei (F. Walter).

Der von Zentrum und BVP gemeinsam gebildeten Fraktion in der Nationalversammlung (91 MdNV, darunter 18 der BVP), der auch Christine Teusch und Helene Weber angehörten, fiel es schwer, sich der von der SPD, der Partei des weltanschaulichen Materialismus, geführten „Weimarer Koalition“ (mit der DDP) der Fortsetzung des Interfraktionellen Ausschusses von 1917, anzuschließen. Die Zentrumspartei erhielt dadurch, als Dauerhypothek, undankbare Mitverantwortung für die Annahme des Versailler Vertrags („Diktat“), deren Folgen zur Instabilität der Republik beitrugen. Sie wurde allerdings gleichzeitig auch zum Mitschöpfer der Reichsverfassung von 1919, die die neue rechtstaatliche Demokratie legitimierte. Das ihr zugrundeliegende Prinzip der Volkssouveränität führte allerdings wenig später zu einem unliebsamen „Verfassungsstreit“, da sich „Rechtskatholiken“ mit einer „Verfassung ohne Gott“ nicht abfinden wollten.

Dabei erfüllten deren freiheitsverbürgende Garantien (Grundrechte, Autonomie der Kirchen, religiöse Toleranz) jahrzehntelang erstrebte Forderungen des katholischen Volksdrittels. Damit büßte aber auch die traditionelle kulturpolitische Einigungsformel des politischen Katholizismus ihren Stellenwert als wichtigstes innerparteiliches Bindeglied ein. So blieb vornehmlich die nicht erreichte Gleichstellung der Bekenntnisschule gegenüber der Gemeinschaftsschule ein Desiderat. Die Vorstellungen von christlicher Politik fanden ihren Bezugspunkt künftig im Begriff des „Gemeinwohls“.

 

Konfessionelle Ausrichtung

1920 scheiterte ein erneuter Versuch Stegerwalds, das zersplitterte und weltanschaulich verfestigte Parteiensystem umzuwandeln und die Republik durch eine große nationale, christliche, demokratische und soziale Volkspartei zu stabilisieren. Deren Kern sollten die von ihm geleiteten christliche Gewerkschaften bilden. An der Formulierung seines Essener Appells zur Sammlung (21. November) waren vor allem Heinrich Brauns und Heinrich Brüning beteiligt, sein Initiator allerdings nicht bereit, sich entschlossen an die Spitze der neuen Partei zu stellen. 1945 hat Stegerwald, als Mitgründer der CSU in Franken, an seinen Mahnruf von Essen erinnert.

Nach der programmatischen Selbstbestimmung des Zentrums in den „Richtlinien“ vom Januar 1922 war diese „christliche Volkspartei“ entschlossen, „die Grundsätze des Christentums in Staat und Gesellschaft, in Wirtschaft und Kultur zu verwirklichen“. Gleichzeitig sollte das Reich im Rahmen der erstrebten „christlichen Völkergemeinschaft“ den ihm gebührenden Platz, seiner „Weltgeltung“ entsprechend, erhalten. Die politische „Gesinnungsgemeinschaft“ bekannte sich zu einer in „christlich-sozialem Geiste“ geführten Wirtschafts- und Sozialpolitik (Solidarismus), zum Föderalismus – allerdings mit betontem Hinweis auf die Sicherung der Reichseinheit – und zur Politik der Völkerversöhnung. Mit dem Bekenntnis zum „Volksstaat“ blieb die strittige Frage der Staatsform offen. Für die Anhänger der „christlichen Volkspartei“ bildete die Verständigung auf die dehnbare Defensivformel „Verfassungspartei im deutschen Volksstaat“ und auf den Gedanken der „Volksgemeinschaft“ den kleinsten gemeinsamen Nenner. Dabei war offensichtlich, dass die unstrittige Treue zur Verfassung de facto auch der Republik galt.

Das seit Ludwig Windthorst nicht aus den Augen verlorene Fernziel, die konfessionspolitische Isolierung zu überwinden, blieb unerreichbar. Am 25. Juni 1922 warb ihr Vorsitzender, Wilhelm Marx, in einem vom Reichsparteivorstand verabschiedeten Aufruf vergeblich für die „große christliche Partei der Mitte“ als notwendig zur „Vereinfachung und Vereinheitlichung“ des weiterhin zersplitterten deutschen Parteiensystems. Selbst seiner Ankündigung, für die nächsten Wahlen eine größere Zahl von nichtkatholischen Zentrumskandidaten aufzustellen, folgten keine Taten. Ebenso wirkungslos erwies sich, wenige Wochen später, auf dem Katholikentag in München, ein Appell Konrad Adenauers zur politischen Zusammenarbeit der christlichen Kräfte. Andererseits scheiterten auch wiederholte Bemühungen evangelischer Persönlichkeiten, im eigenen, politisch diffusen Lager Bundesgenossen für einen Anschluss an das Zentrum zu finden, ebenso wie eine von Joseph Wirth angestrebte linksdemokratische „Christliche Volkspartei“. Zu seinen Mitstreitern zählten die von Friedrich Dessauer unterstützte Redaktion der „Rhein-Mainischen Volkszeitung“ in Frankfurt/Main und ein Kreis katholischer Intellektueller (Ernst Michel, Karl Neundörfer, Theodor Steinbüchel, Walter Dirks).

Der im Vorfeld der Reichspräsidentenwahl von 1925 gegen den Kandidaten des Volksblocks, Wilhelm Marx, entfachte furor protestanticus, den der Evangelische Bund zur Wahrung deutsch-protestantischer Interessen wachhielt, machte die Grenzen interkonfessioneller Zusammenarbeit deutlich. Der 1922 in den Parteivorstand des Zentrums gewählte evangelische Soziologe Alfred von Martin (München) trat wieder aus. Ein 1925 von Oberst a. D. Rudolf Bornemann, Zentrumsmitglied in Berlin, begonnener und von Heinrich Brauns unterstützter Versuch, einen evangelischen Zentrumsflügel zu schaffen, endete 1928 ohne Ergebnis. Eine 1924 in Hessen gegründete „Evangelische Volksgemeinschaft“ schloss sich 1928 dem Christlich-Sozialen Volksdienst (CSVD) an. Zu diesem Zeitpunkt hatte auch eine 1926 in Berlin gegründete und von Eduard Hemmerle, einem Redakteur der „Germania“, geleitete „Monatsschrift zur Pflege der Deutschen Eintracht“ unter dem Titel „Der Zusammenschluß“ ihr Erscheinen wieder eingestellt. Ein seit 1927 bestehender Paritätischer Ausgleichsausschuss innerhalb der „Partei der Mitte“ blieb ein unverbindliches Gesprächsforum. Nach dem späteren Urteil von Joseph Joos ist in Gesprächen mit „evangelischen Zentrumsfreunden“ die Frage einer politischen Zusammenarbeit „ernsthaft erörtert“ worden.

 

Regierungsverantwortung

Die auf (nahezu) ausschließlich katholische Wähler strukturell begrenzte und vom katholischen Vereinsmilieu (als Organisationsersatz) fundierte Integrationspartei wurde durch ihre Funktion als unentbehrliches Scharniergelenk überfordert. Sie beteiligte sich, als einzige, 1919 bis 1932 an allen 13 Koalitionsregierungen – überwiegend Minderheitskabinette – und stellte vier der neun Reichskanzler und von 1920 bis 1928 durchgängig den Reichsarbeitsminister. Dadurch erhielt das Zentrum zwar einen über seinen Mandatsanteil hinausgehenden Einfluss, aber mehr noch überproportional hohe Mitverantwortung für die Belastungen und die Krisenabfolge der instabilen Republik, begleitet vom Vorwurf der „Grundsatzlosigkeit“. Er galt insbesondere für die Dauerbeteiligung auch an den von der SPD geführten bzw. mitgetragenen Regierungen vor allem in Preußen, aber ebenso in Baden und Hessen. Nur in Württemberg hielt das Zentrum 1924 bis 1933 an einer Rechtskoalition fest. Die ungewöhnliche Kompromissfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft der pragmatisch agierenden Minderheitspartei galt jedoch in den eigenen Reihen keineswegs als Möglichkeit zur erstrebten Teilhabe an „Macht“, sondern – im Gegenteil – als eine unpopuläre, aus sittlicher Verpflichtung übernommene Bürde, wenn nicht gar als „Opfer“ im Dienst am Vaterland. (Die Bilanz ihres zehnjährigen „Wirkens in der deutschen Republik“ zog das Zentrum 1929 in einem Sammelband unter dem bezeichnenden Titel „Nationale Arbeit“. Ihm vorangestellt war ein Porträt Windthorsts.) Aber auch unter dem „Opfergedanken“ gelang es je länger je weniger, wachsende wirtschaftliche und soziale Divergenzen innerhalb der weiterhin heterogen zusammengesetzten Mitglieder- und Wählerschaft zu überbrücken, am ehesten noch durch berufsständisch aufgefächerte Beiräte zu neutralisieren.

 

Außenpolitik

Die „Richtlinien“ des Zentrums erlaubten eine pragmatische Mitarbeit auch in der Außenpolitik, ohne darin eigene Akzente zu setzen. Neben einem gequälten Bekenntnis zur Reparations-„Erfüllung“ des „Friedensdiktats“, das vielfach als „zweite Reichsverfassung“ galt, verblieb die Forderung nach dessen materieller wie territorialer Revision, auch nach der der Ostgrenzen (kein „Ost-Locarno“). Das Zentrum unterstützte das als „Verständigungspolitik“ umschriebene Bestreben nach Wiedergewinnung einer Großmachtstellung in Mitteleuropa, eingeschlossen eine rasche Wiederaufrüstung bis hin zur militärischen Gleichberechtigung. Die bis 1926 zwischen Ost und West ausbalancierte nationale Revisionspolitik forcierte Brüning bis zur Einstellung der Reparationen.

Adenauer hatte schon 1925 die „Schaukelpolitik“ Gustav Stresemanns verurteilt und bereits 1922, auf dem erwähnten Katholikentag in München, die französischen Katholiken eingeladen, „gemeinsam einen Weg zu suchen, der unseren beiden Ländern hilft“, und seitdem ein e deutsch-französische Verständigung angestrebt. Zu deren Vorkämpfern zählten auch Joseph Joos und Helene Weber sowie der Bonner Romanist Hermann Platz, ferner der 1918 gegründete, aber politisch bedeutungslos gebliebene Friedensbund Deutscher Katholiken und der seit 1924 bestehende, ebenfalls wirkungslos gebliebene Reichs- und Heimatbund Deutscher Katholiken (Benedikt Schmittmann). Der Europagedanke besaß im politischen Katholizismus allerdings wenig Zugkraft. Er blieb durch die erzwungenen Gebietsabtretungen von 1919 ebenso belastet wie durch das Verbot eines Anschlusses von Österreich und die Verweigerung des politischen Selbstbestimmungsrechts.

Trotz Matthias Erzbergers frühem Einsatz für den Völkerbund (1918) hielt der Katholizismus ihm gegenüber zunächst Distanz, da er als Garant des Friedensvertrags galt. Diese Haltung änderte sich nach dem vom Zentrum mitunterstützten Beitritt Deutschlands (1926), der als moralische Rehabilitierung galt. Der Weg über den Völkerbund erwies sich als hilfreich auch bei der vom Zentrum forcierten Auslandskulturpolitik (Georg Schreiber) zugunsten katholischer Minderheiten.

 

Internationale Kooperationen

Seit 1925/26 bestand ein lockerer Zusammenschluss verschiedener europäischer „demokratischer Parteien aus christlichem Geist“. An deren jährlichen Veranstaltungen nahmen jeweils einige Zentrumspolitiker teil, auch Vertreter der inzwischen verbotenen Partito Popolare Italiano (PPI). Deren Gründer Don Luigi Sturzo (seit 1924 im Exil) war bereits 1921 mit einer Delegation seiner Partei – u.a. Alcide De Gasperi – in Berlin und Köln auch mit Zentrumspolitikern, darunter Adenauer, zusammengetroffen. Die Aktivitäten der „Christlichen Internationale“ blieben allerdings in der Hochphase des europäischen Nationalismus ohne Einfluss auf die Politik der beteiligten Staaten. Das galt auch für die 1920 bis 1926 jährlich stattfindenden Konstanzer Treffen südwestdeutscher Zentrumspolitiker mit Gesinnungsfreunden aus Österreich („Bodensee-Konferenzen“).

Wichtiger als das zeitgenössische Echo dieser Begegnungen wurden deren politische Fernwirkungen. So konnten nach dem 2. Weltkrieg Unionspolitiker sofort an den Tagungen der 1946 gegründeten Nouvelles Équipes Internationales (NEI) teilnehmen und an frühere Bestrebungen zur europäischen Einigung anknüpfen. Angesichts zunehmender Flügelbildung und existenzgefährdender Richtungskämpfe im Zentrum, die de facto zum Sturz ihres Vorsitzenden Marx führten, fiel die Wahl seines Nachfolgers 1928 auf einen Verlegenheitskandidaten, Prälat Ludwig Kaas, gegen Joos und Stegerwald. Allein ein interessenunabhängiger Geistlicher schien noch die in einer Zerreißprobe befindliche „christliche und soziale Volkspartei“ durch die Betonung ihres tradierten religiös-weltanschaulichen Integrationselements stabilisieren zu können. Inzwischen wurden bereits die meisten Landesverbände des Zentrums von Geistlichen geführt, in Preußen dann ab 1931. In dieser ungewöhnlichen Klerikalisierung spiegelte sich die strukturelle Problematik der Konfessionspartei.

 

Am Ende der Weimarer Republik

Trotz des beachtlichen Anteils christlicher Politiker an „verantwortlichster Stelle“ im Dienst der Republik ist es weder gelungen, eine „christliche Demokratie“ zu verwirklichen, noch die von Ludwig Kaas 1927 geforderte „seelische Einheitsfront“ im Katholizismus. Die Mitarbeit im dezidiert republikanischen „Reichsbanner“ blieb auf einzelne Zentrumspolitiker Joseph Wirth, Joseph Joos, Heinrich Krone) beschränkt. Um in der Staats- und Wirtschaftskrise ab 1930 die Substanz der längst ausgehöhlten Verfassungsordnung zu retten, wurde die Überwindung der „Formaldemokratie“ durch eine eher autoritäre Demokratie erstrebt. Sie schien mit Hilfe einer befristeten (Not-)Verordnungsdiktatur unter Reichskanzler Brüning erreichbar zu sein, vermochte aber den weiteren Aufstieg des Nationalsozialismus, dieser als „große Versuchung“ vom Zentrum zwar bekämpften, aber gleichwohl unterschätzten Massenbewegung und ihrer von der katholischen Kirche abgelehnten neuheidnischen Irrlehre, nicht zu verhindern. Keinen Anklang fanden Vorschläge für eine ständisch ausgefächerte Parteibildung. Die durch Brünings Einsatz im Frühjahr 1932 erreichte Wiederwahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten auch durch das Zentrum bestätigte dessen Rechtsschwenkung.

Nach dem Sturz des Reichskanzlers, Ende Mai 1932, strebte das Zentrum, aus Furcht vor einer von Reichskanzler Franz von Papen („Verräter“) erwarteten diktatorischen Verfassungsänderung, vergeblich eine regierungsfähige Mehrheit mit den Nationalsozialisten an. Eine als befristet gedachte „nationale Sammlung“ zur Überwindung der Staatskrise kam am 30. Januar 1933 unter anderen Vorzeichen als denen zur Verteidigung des Verfassungsstaats zustande. Die hilflose Antwort der verunsicherten und ausmanövrierten christlichen Politiker auf die zielbewusste Machtbefestigung Hitlers bestand in Reminiszenzen an die eigene vaterländische Arbeit in der Vergangenheit und Bekundungen zu partieller Mitarbeit in einer wahrhaft „nationalen Sammlung“, verbunden mit Kritik an Ausschreitungen der NSDAP. Die bei der Reichstagswahl vom 5. März 1933 auf 11,2% der Wählerschaft reduzierte Zentrumspartei erhoffte ein Auslaufen der revolutionären Welle und eine Wirkung des „Zähmungskonzepts“. Dafür stimmten ihre Abgeordneten – im Vertrauen auf rechtsstaatliche Garantien des Reichskanzlers, aus Furcht vor einer Verschärfung des Terrors und, nicht zuletzt, unter massivem Druck – am 23. März 1933 geschlossen dem Ermächtigungsgesetz zu.

Diese historische Fehlentscheidung war ein verzweifelter nationaler Anpassungsversuch des bereits wieder in die Defensive abgedrängten, aber gleichwohl weiter kompromissbereiten politischen Katholizismus, der rasch zerfiel. Im Endstadium des am 5. Juli 1933 erzwungenen Auflösungsprozesses der von Kaas im Stich gelassenen und von Brüning nur noch formal geführten Zentrumspartei, der durch Meldungen über den bevorstehenden Abschluss eines (während der eigenen Regierungszeit erfolglos erstrebten) Reichskonkordats begleitet und belastet war, kamen Züge einer Selbstpreisgabe zum Vorschein. Sie schlossen, unabhängig von anderen Faktoren, jede Art von illegaler Weiterarbeit aus.

Die Angehörigen der konfessionellen Minderheitspartei gehörten, wegen ihrer Milieu-Resistenz, für das Hitler-Regime zu ihren Gegnern, die überwacht, bedrängt und verfolgt wurden. Beim Neuaufbau des politischen Lebens 1945 optierten die „Noch einmal Davongekommenen“ der ehemaligen Politiker des Zentrums nahezu geschlossen dafür, eine interkonfessionelle, christlich-demokratische bzw. christlich-soziale Volkspartei zu errichten.

 

Die Bayerische Volkspartei

Die agrarisch-mittelständisch geprägte, antisozialistische und extrem föderalistische Bayerische Volkspartei (BVP), seit Januar 1920 vom Zentrum getrennt, blieb die einzige Landespartei in der Reichspolitik. Sie bekannte sich zur „christlichen Weltanschauung“, wurde aber fast ausschließlich von Katholiken gewählt und repräsentiert. Die BVP hielt betonte Distanz zur Republik. Ab Mitte der 1920er Jahre suchte sie die inzwischen als Rettungsanker entdeckten föderalistischen Positionen der Reichsverfassung gegen eine fortschreitende Unitarisierung zu verteidigen. Ihre Fraktionen im Reichstag (Vorsitzender 1920-1933: Domkapitular Johann Leicht) und im bayerischen Landtag (1924-1933: Prälat Georg Wohlmuth) leiteten geistliche Parlamentarier. Mit der Führung des Zentrums kam es wiederholt zu Zusammenstößen.

Die der Monarchie nachtrauernde und von berufsständischen Organisationen geprägte BVP schaffte es trotz ihrer Regierungsführung in München in permanenten Rechtskoalitionen (seit 1924 unter Heinrich Held) nicht, als konservative „Staatspartei“ die in der „Ordnungszelle Bayern“ starken nationalistischen Kräfte zu neutralisieren. Die vom föderalistischen Sonderbewusstsein dominierte Regionalpartei trug 1925 mit ihren Stimmen dazu bei, dass der Kandidat des preußisch-protestantischen Rechtsblocks, Paul von Hindenburg, als „Ersatzmonarch“ gegen den von der SPD unterstützten Republikaner (und Vorsitzenden des Zentrums) Wilhelm Marx zum Reichspräsidenten gewählt wurde. Der BVP-MdR Major a. D. Martin Loibl hatte den Exmarschall für die Kandidatur gewonnen. Auch soweit sich die Partei, ab 1925, an den weiterhin rasch wechselnden Koalitionen im Reich beteiligte, blieb sie vornehmlich darauf bedacht, weitere Abstriche von der bayerischen Eigenstaatlichkeit zu verhindern. 1927 kam es zu einer Wiederannäherung an das Zentrum, auch über eine gegenseitige Abgrenzung in der Pfalz, wo beide Parteien konkurrierten. 1933 stimmte ihre Reichstagsfraktion, wie die des Zentrums, dem Ermächtigungsgesetz zu. Von den führenden Persönlichkeiten der BVP spielte 1948/49 im Parlamentarischen Rat in Bonn Anton Pfeiffer eine herausgehobene politische Rolle, anschließend der frühere Landesvorsitzende (1929-1933) Fritz Schäffer sowie der Landesführer der Jugendorganisation „Bayernwacht“, Hans Ritter von Lex. Die CSU hat vom Erbe der BVP deren Selbständigkeit als Landespartei übernommen.

 

Christliche Kräfte innerhalb der Deutschnationalen Volkspartei

Die bereits im November 1918 gegründete DNVP blieb ein Sammelbecken konservativ-antirepublikanischer Kräfte. Sie gewann aber auch große Teile des christlich-sozialen Protestantismus, ohne sich jedoch mehrheitlich an christliche oder gar evangelisch-kirchliche Zielsetzungen zu binden. Zudem vertrat die DNVP antisemitisches Gedankengut. Ein im Dezember 1918 innerhalb der Partei gebildeter „Ausschuss für die evangelische Kirche“ suchte evangelische Kreise für die Wahl zur Nationalversammlung zu aktivieren. Ihm gehörten, insbesondere in Teilen Westfalens, ehemals Christlich-Soziale wie Reinhard Mumm, Franz Behrens und Margarete Behm an, aber auch der Hof- und Domprediger (seit 1914) Bruno Doehring und der Theologe Reinhold Seeberg. Die indirekte Fortsetzung dieses Gremiums nach der Wahl 1919 bildete ein „Ausschuss für die evangelische Pfarrerschaft“, zunächst geleitet von Otto Dibelius, später von Carl Gunther Schweitzer. Dieses Gremium versuchte nicht, „Fragen der Weltanschauung“ (Kirche und Schule) innerhalb der Partei durchzusetzen.

Größere Bedeutung erlangte der im September 1920 konstituierte Reichskatholikenausschuss (RKA) der DNVP, der seit April 1921 ein regelmäßig erscheinendes „Katholisches Korrespondenzblatt“ herausgab. Die konservativen Katholiken grenzten sich betont von interkonfessioneller Zusammenarbeit ab und bekämpften vornehmlich das Zentrum. Zu ihren Initiatoren gehörten die Brüder Alfred und Engelbert Freiherr von Landsberg-Vehlen, die Brüder Ferdinand und Hermann von Lüninck sowie, ebenfalls aus dem früheren Zentrum, Paul Lejeune-Jung, ferner der frühere Kölner Oberbürgermeister Max Wallraf. Größere Publizität fand der Reichskatholikenausschuss, nachdem im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit dem „Erzbergertum“ im September 1921 Martin Spahn zur DNVP übergetreten war und bald darauf die Leitung des Ausschusses übernommen hatte. Seine christlich-konservativen Pläne für einen Neuaufbau von Staat und Gesellschaft vermochte er jedoch nicht durchzusetzen. Auch kam es nicht zu der von Spahn erwarteten Abwanderung größerer Teile der katholischen Arbeiterschaft. Bei den Reichstagswahlen ab 1924 fielen der DNVP bis etwa 12% katholische Wählerstimmen zu. Von ihren Reichstagsabgeordneten waren jeweils etwa 10% katholisch. Die „Rechtskatholiken“, vornehmlich Akademiker, zählten im innerkatholischen „Verfassungsstreit“ der Republik mit pseudotheologischen Argumenten zu den integralistischen Gegnern der „Verfassung ohne Gott“. Auch wenn der RKA, neben dem noch eigene Ausschüsse bei den Landesverbänden der DNVP bestanden, in der DNVP seine Paritätsforderungen nicht durchsetzen konnte, so trug er zur Verunsicherung im katholischen Volksteil bei. Die von Spahn seit 1926 herausgegebene Wochenschrift „Das deutsche Volk“ musste 1929 ihr Erscheinen wieder einstellen. Der Ausschuss geriet 1929, nach dem Abschluss des preußischen Konkordats, in Turbulenzen. Da die DNVP-Führung auf der Ablehnung des Vertrags bestand, schied der katholische Abgeordnete Franz Goldau aus der Fraktion aus. Acht führende katholische Mitglieder traten mit Engelbert Freiherr von Landsberg-Vehlen aus dem RKA aus, Lejeune-Jung kehrte zum Zentrum zurück. Viele Rechtskatholiken mit Spahn an der Spitze sympathisierten 1933 zunächst mit dem Nationalsozialismus.

Als eine quasi „Gegengründung“ gegen den RKA bestand seit Oktober 1921 ein „Evangelischer Reichsausschuss“ der DNVP. Er trat mit dem Anspruch auf, die „kulturelle Hegemonie“ in der Partei wahrzunehmen. Diesem Ausschuss gehörten zahlreiche Theologen an, auch die Christlich-Sozialen Margarete Behm und Reinhard Mumm, ferner Otto Dibelius, Magdalena von Tiling und der Präses der Generalsynode und spätere Vorsitzende (1924-1926) der DNVP, Friedrich Winckler.

 

Kleine christliche Parteien

Eine Christliche Volkspartei (CVP) sui generis entstand im April 1920, mit Nachhilfe der BVP, im Kölner Raum. Trotz geistlicher Repräsentanten wie der Pfarrer Bertram Kastert und Eduard Kruchen in Köln und des Bonner Kirchenhistorikers Heinrich Schroers besaß sie außer im städtischen Mittelstand in Köln Anhänger vornehmlich in der rheinischen Landwirtschaft. Die CVP erzielte bei den Reichstagswahlen von 1920 als Christlich-föderalistische Partei im Wahlkreis Koblenz-Trier nur ein einziges Mandat für ihren Vorsitzenden, den Kölner Studienrat Bernhard Deermann, der dann bei der BVP-Fraktion hospitierte. Die CVP verschwand rasch wieder von der politischen Bühne.

Eine Außenseiterrolle spielte auch die von Vitus Heller, dem Herausgeber der Wochenschrift „Das neue Volk“ in Würzburg, ins Leben gerufene und von ihm geführte Christlichsoziale Partei (CSP). Sie verstand sich zunächst als Gegengründung gegen die vom Zentrum abgespaltene BVP – deswegen zunächst mit dem Zusatz: Bayerisches Zentrum –, rückte aber bald nach links. Die CSP, seit 1926 Christlich-Soziale Reichspartei, vertrat einen radikalen christlichen Sozialismus und Pazifismus. Sie erhielt auch nach dem Beitritt einer Christlich-sozialen Volksgemeinschaft (1922, Franz Hüskes) und einer Großdeutschen Volksgemeinschaft (1928, Ernst Thrasolt und Nikolaus Ehlen) mit 0,4% der Wählerstimmen (1928: 0,8%) kein Reichstagsmandat und nur 1924 einen Sitz im bayerischen Landtag. Die „Heller-Bewegung“ ging 1931 in der Arbeiter- und Bauernpartei Deutschlands/Christlich-radikale Volksfront auf. Der katholische Sozialpädagoge Ehlen hatte Kontakte zur demokratisch-pazifistischen Bewegung von Marc Sangnier. Er betätigte sich nach 1945 von Velbert (Rheinland) aus an Diskussionen der Boden- und Siedlungsreform in Nordrhein-Westfalen („Siedlungsvater“).

 

Evangelisch-konfessionelle Gruppierungen

Die 1928 aus regionalen Organisationen des Reichslandbunds in Weimar entstandene Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei (CNBL), der schon einige Jahre ältere, aus dem württembergischen Pietismus entstandene Christliche Volksdienst (CVD, 1927; ab 1929 Christlich-Sozialer Volksdienst (CSVD) und die 1928 von der DNVP abgespaltene Christlich-Soziale Reichsvereinigung (CSRV) unter Führung von Gustav Hülser, Walter Lambach und Emil Hardwig blieben evangelisch-konfessionelle Gruppierungen national-konservativer Provenienz mit unterschiedlichem sozialen Profil. Der vor allem in ländlichen Wahlkreisen in Mitteldeutschland verbreitete CNBL (1928: 10 MdR, darunter Hans Schlange-Schöningen; 1930: 19 MdR) blieb eher (groß-)agrarischen Interessen verhaftet, konnte sich aber gegenüber dem radikaler auftretenden Reichslandbund nicht durchsetzen. 1929 schlossen sich CVD und CSRV mit weiteren Abgeordneten aus der Reichstagsfraktion der DNVP (Reinhard Mumm, Franz Behrens) zum Christlich-Sozialen Volksdienst (CSVD) zusammen.

Er verstand sich als evangelische Bewegung – mit einem überproportional hohen Anteil weiblicher Wähler – auf der Grundlage der Reichsverfassung und wies sozialreformerische Züge auf. Die vom CSVD und CNBL gebildete Reichstagsfraktion (21 MdR) war in der Regierung Brüning (1930 als christlich-protestantische Bewegung: 14 MdR) mit Martin Schiele – der von der DNVP zum CSVD gekommen war – und Hans Schlange-Schöningen vertreten. Eine Rolle spielte auch Günther Gereke. Während der CNBL bereits 1932 wieder von der politischen Bühne verschwand, behielt der CSVD noch vier Abgeordnete, unter ihnen Paul Bausch und Wilhelm Simpfendörfer. Sie gelangten 1933 als CSVD (Evangelische Bewegung) durch Wahlbündnis mit anderen Splittergruppen erneut in den Reichstag und stimmten dem Ermächtigungsgesetz zu.

 

Literatur:

  • R. Morsey, Die Deutsche Zentrumspartei 1917-1923 (1966);
  • G. Opitz, Der Christlich-Soziale Volksdienst (1969);
  • K. Schönhoven, Die Bayerische Volkspartei 1924-1932 (1972);
  • R. Morsey, Der Untergang des politischen Katholizismus. Die Zentrumspartei zwischen christlichem Selbstverständnis und „Nationaler Erhebung“ 1932/33 (1977);
  • G. Grünthal, „Zusammenschluss oder „Evangelisches Zentrum“? Ein Beitrag zur Geschichte der Deutschen Zentrumspartei in der Weimarer Republik, in: W. Pöls (Hg.), Staat und Gesellschaft im politischen Wandel (1979);
  • H. Hömig, Das Preußische Zentrum in der Weimarer Republik (1979);
  • G. Clemens, Martin Spahn und der Rechtskatholizismus in der Weimarer Republik (1983);
  • U. von Hehl, Die Zentrumspartei – Ihr Weg vom „Reichsfeind“ zur parlamentarischen Schlüsselstellung in Kaiserreich und Republik, in: H. W. van der Dunk / H. Lademacher (Hg.), Auf dem Weg zum modernen Parteienstaat (1986);
  • W. Becker, Grundzüge der programmatischen Entwicklung des deutschen politischen Katholizismus zu Interkonfessionalismus und Demokratie, in: A. Portmann-Tinguely u.a. (Hg.), Kirche, Staat und katholische Wissenschaft in der Neuzeit (1988);
  • K. Ruppert, Der Einfluss christlich-demokratischer wie christlich-sozialer Ideen und Parteien auf Geist und Politik in der Weimarer Zeit, in: W. Becker / R. Morsey (Hg.), Christliche Demokratie in Europa (1988);
  • K. Ruppert, Im Dienst am Staat von Weimar. Das Zentrum als regierende Partei in der Weimarer Demokratie 1923-1930 (1992);
  • W. Zimmermann, Die Wehrpolitik der Zentrumspartei in der Weimarer Republik (1994);
  • N. Friedrich, „Die christlich-soziale Fahne empor!“ Reinhard Mumm und die christlich-soziale Bewegung (1997);
  • U. von Hehl, Staatsverständnis und Strategie des politischen Katholizismus in der Weimarer Republik, in: K. D. Bracher u.a. (Hg.), Die Weimarer Republik 1918-1933 (3. Auflage, 1998);
  • F. Walter, Katholisches Milieu und politischer Katholizismus in säkularisierten Gesellschaften: Deutschland, Österreich und die Niederlande im Vergleich, in: P. Lösche (Hg.), Solidargemeinschaft und fragmentierte Gesellschaft (1999);
  • G. Müller / V. Plichta: Zwischen Rhein und Donau. Abendländisches Denken zwischen deutsch-französischen Verständigungsinitiativen und konservativ-katholischen Integrationsmodellen 1923-1957, in: Zeitschrift für Geschichte der Europäischen Integration 5 (1999);
  • K. Ruppert, Protestantismus und Katholizismus in der Weimarer Republik, in: Bayerische Landeszentrale für politische Bildung (Hg.), Kirchen und Staat (2000);
  • Ders.: Die weltanschaulich bedingte Politik der Deutschen Zentrumspartei in ihrer Weimarer Epoche, in: Historische Zeitschrift 285 (2007);
  • W. Becker, Die Deutsche Zentrumspartei gegenüber dem Nationalsozialismus und dem Reichskonkordat 1930-1933, in: HPM 7 (2000);
  • L. E. Jones, Catholic Conservatives in the Weimar Republic. The Politics of the Rhenish-Westfalian Aristocracy, 1918-1933, in: German History 18 (2000).

 

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