Bayerische Volkspartei (BVP) - Geschichte der CDU
Bayerische Volkspartei (BVP)
Die 1869 gegründete Bayerische Patriotenpartei schloss sich 1887 als Bayerisches Zentrum dem deutschen Zentrum an. Trennungsabsichten äußerte Sebastian Schlittenbauer angesichts des „Linkskurses“ von Matthias Erzberger und der Friedensresolution vom Juli 1917. Die Abneigung gegen den kriegsbedingten Zentralismus erhielt neue Nahrung durch die Parlamentarisierung vom Oktober 1918, die den Reichstag und seine zentrale Stellung gegenüber den Ländern aufwertete. Vollends nach dem Ausbruch der Revolution hielt Georg Heim eine Neubildung der Parteienlandschaft für unumgänglich. Auf der von ihm und Schlittenbauer einberufenen Gründungsversammlung vom 12. November 1918 in Regensburg (mit 121 Mitgliedern) konstituierte sich die BVP. Ihr schloss sich am 15. November in München die Führung des bisherigen Bayerischen Zentrums trotz anfänglichen Widerstrebens der christlichen Arbeiterschaft unter Carl Schirmer an, um die Einheit der katholischen Wählerschaft nicht zu gefährden, nachdem der mächtige Bauernflügel vollendete Tatsachen geschaffen hatte.
Gemäß ihrem Gründungsprogramm (15. November 1918) erstrebte die „Verfassungspartei“, die sich überkonfessionell zur „christlichen Weltanschauung“ bekannte, aber nur sehr wenige Protestanten gewinnen konnte, eine konstituierende Nationalversammlung Bayerns, die die Staatsform festlegen sollte, sowie das „parlamentarische Regierungssystem“ mit Einführung des Plebiszits und des Frauenwahlrechts. Weitere Programmpunkte waren die Hebung der Stellung der Frau im öffentlichen Leben, die ausgeglichene Förderung der Interessen aller Berufsgruppen, angefangen mit den Bauern, eine Agrarreform, der entschieden föderalistische Aufbau Deutschlands mit Aufhebung der „preußischen Vorherrschaft“. Der Wunsch nach dem Anschluss Österreichs oder Tirols wurde rasch durchkreuzt von der realistischen Einsicht in dessen Unausführbarkeit und diente auch Plänen einer föderativen Entflechtung Deutschlands, zwecks Eindämmung der in der Ländereinteilung der unitarischen Weimarer Republik beibehaltenen preußischen Hegemonie (S. Schlittenbauer). Etwas zweckoptimistische Vorstellungen hegten Anton Pfeiffer und Fritz Schäffer über den allgemeinen „Siegeszug“ des Föderalismus in der Welt.
Der ursprüngliche Plan, die Partei auf den „ständischen Organisationen“ aufzubauen, auch um sie finanziell schlagkräftig zu machen, ließ sich nicht verwirklichen. Der zugrunde liegende korporative Gedanke fand allerdings eine Realisierung in der Gründung einer Berufsvertretung der Landwirtschaft (Bauernkammer), die als Baustein für die Einrichtung einer Vertretung der Berufsstände und für die Schaffung einer zweiten gesetzgebenden Körperschaft, einer aus berufsständischen Wahlen hervorgehenden Arbeits- und Wirtschaftskammer, gedacht war. Laut Parteisatzung musste die Hälfte aller Vorstands- und Ausschussmitglieder sowie der Kandidaten für den Landtag und den Reichstag aus Angehörigen der angeschlossenen Organisationen bestehen, die so innerhalb der Partei weitgehende Sonderrechte erhielten. Inklusive des „Pfalzverbands“ bestanden seit 1921 elf gemäß den Regierungsbezirken errichtete Kreisverbände mit den drei Großstädten München, Augsburg und Nürnberg. Die Führungsfunktionen nahmen neben dem Vorstand ein ca. 200 Mitglieder umfassender Landesausschuss, die jährlich zusammentretende Landesversammlung und der Wirtschaftsbeirat wahr. In den Führungspositionen behaupteten sich der katholische Klerus und Adel neben dem allerdings überwiegenden mittleren Bürgertum. Aus Führungskreisen des früheren Zentrums stammten der 1. Vorsitzende Regierungsdirektor Karl Friedrich Speck (1918–1929; danach Fritz Schäffer) und der Fraktionsvorsitzende (1919–1924), dann Ministerpräsident Heinrich Held (1924–1933).
Offiziöses Organ war die „BVP-Korrespondenz“. Den zentralen Zeitungen „Bayerischer Kurier“, „Bayerische Staatszeitung und Staatsanzeiger“ traten Regionalblätter mit einer Auflage über 20.000•(„Augsburger Postzeitung“, „Fränkisches Volksblatt“ in Würzburg, „Regensburger Anzeiger“ u.a.) zur Seite.
Die BVP blieb von 1919 (35%) bis 1932 (32,6%) die Partei mit dem höchsten Stimmenanteil in Bayern. Bei den Reichstagswahlen errang sie im Durchschnitt 18–20 Mandate (Mai 1924: 16; Juli 1932: 22) und 3–3,5% der Stimmen. Prälat Johann Leicht führte die Reichstagsfraktion von deren Verselbständigung 1920 (wegen Erzbergers Rede zur unitarischen Finanzreform) bis zur Auflösung 1933. Die Regensburger Vereinbarungen von 1927 zwischen der BVP und dem Zentrum sahen wieder eine enge Zusammenarbeit ihrer beiden Fraktionen im Reichstag und bei Wahlen, daneben eine Abstimmung ihrer Presseorgane und einen paritätischen Ausschuss vor.
In Bayern regierte die BVP seit dem durch eine Staatsstreichdrohung erzwungenen Rücktritt der sozialdemokratischen Regierung Johannes Hoffmann meist mit Unterstützung des Bauernbunds und der Deutschnationalen von März 1920 bis März 1933 (1920–1921 Gustav von Kahr; 1921–1922 Hugo Graf von Lerchenfeld; 1922–1924 Eugen von Knilling; 1924–1933 Heinrich Held). Im Reich war sie immerhin an den Kabinetten Wilhelm Cuno (1922/23), Wilhelm Marx und Hans Luther (1923/24; 1925–1926), der Großen Koalition (1928–1930) und Heinrich Brüning (1930–1932) – meist mit dem Reichspostministerium – beteiligt. Indes zeigten sich zumal die ersten Beamtenkabinette in Bayern, deren Ministerpräsidenten aus Karrieren des Kaiserreichs stammten, von Kahr bis Knilling (1920–1924), dem Ansturm der Einwohnerwehren, der vaterländischen Verbände und nationalistischen Einflüsse bis zum Hitlerputsch 1923 nicht gewachsen. Auch der höhere Justizdienst und die Polizeidirektion München (mit Ernst Pöhner und Wilhelm Frick) erhielten zuviel Spielraum für ihr republikfeindliches und undemokratisches Treiben. Solche Kräfte wurden durch die jahrelangen intensiven Streitigkeiten mit der Reichsregierung begünstigt. Im Namen des Föderalismus wiesen BVP-Regierungen das Republikschutzgesetz wegen unitarischer Tendenzen zurück, verlangten mehr eigene Steuerrechte und überhaupt eine Verfassungsreform. Noch im Banne von Befürchtungen gegenüber einer angeblich drohenden zentralistischen Revolution von sozialistischer Seite stehend, versagte die BVP allerdings gegen vereinzelten Jugend-Widerspruch in den eigenen Reihen dem Zentrumskandidaten Marx bei den schicksalhaften Reichspräsidentenwahlen von 1925 die Gefolgschaft und empfahl im 2. Wahlgang den „Sieger von Tannenberg“, Paul von Hindenburg. Ausgesprochen gefährliche Konsequenzen hatten die Betrauung des Deutschnationalen Franz Gürtner (Bayerische Mittelpartei) mit dem bayerischen Justizministerium (ab 1922) und die milde Bestrafung Hitlers durch nationalistisch statt demokratisch gesinnte, letztlich aber außer Kontrolle der BVP stehende Staatsanwälte und Richter. Immerhin erhielt Hitler 1925–1927 Redeverbot in Bayern. Gegen dessen Bürgerkriegstruppen mobilisierte die BVP die Jugendorganisation „Bayernwacht“ unter dem Landesführer (seit 1931) Regierungsrat Hans Ritter von Lex.
Prekär wurde die Situation in Bayern seit April 1932, als die NSDAP bei den preußischen Landtagswahlen 163, bei den bayerischen Landtagswahlen 43 Sitze (gegen immer noch 45 der BVP) errang. Die BVP verweigerte sich Koalitionsverhandlungen mit der NSDAP sowie einem „Rechtsblock“ trotz des Werbens der Nationalsozialisten, die je nach Taktik auch zu zerstörerischer Agitation im Landtag übergingen. Bei abwartender Haltung der SPD war die parlamentarische Lage so unbefriedigend, dass das Kabinett Held, auf Tolerierung angewiesen, geschäftsfähig weiter amtieren musste. Auch gegenüber dem nun von „rechts“; kommenden Zentralismus bewahrte es nach dem „Preußenschlag“ Franz von Papens am 20. Juli 1932 seine föderalistische Haltung. Sandkastenspiele über eine grundlegende Verfassungsreform – mit Stärkung des Reichsrats – vermochten nichts gegen die im Reich und in Preußen grundlegend gewandelte Situation. Nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933, in der die BVP ihren Wählerstamm in etwa erhalten konnte (1,07 Mio. Stimmen; 6. November 11.1932 1,09 Mio.), bestimmte Reichsinnenminister Wilhelm Frick am 10. April 1933 den General Franz Xaver von Epp zum Reichsstatthalter von Bayern. Der SA-Chef Ernst Röhm und der Münchener Gauleiter Adolf Wagner verabredeten die brutale Überrumpelung der Staatsregierung. Ministerpräsident Held wurde schimpflich aus seinem Amt verjagt. Vergeblich beschwerte er sich bei Hindenburg, der in grober Verkennung der Lage die nationale Stunde der endgültigen Einigung Deutschlands gekommen sah. Viele führende Mitglieder der BVP, unter ihnen Sebastian Schlittenbauer, wurden über Nacht verhaftet und teilweise schwer misshandelt. Am 4. Juli 1933 schritt die BVP zur Selbstauflösung. Ein besonderer Leidensweg erwartete manche ihrer geistlichen Mitglieder und führenden Parlamentarier (J. Leicht); ihre Anhänger- und Wählerschaft bildete 1933–1945 trotz anfänglicher Anpassungstendenzen ein durchaus resistentes Milieu.
Literatur
- K. Schwend: Bayern zwischen Monarchie und Diktatur (1954);
- Ders., in: E. Matthias/R. Morsey (Hg.): Das Ende der Parteien 1933 (1960);
- H. Fenske: Konservativismus und Rechtsradikalismus in Bayern nach 1918 (1969);
- K. Schönhoven: Die BVP 1924–1932 (1972);
- Ders.: Zwischen Anpassung und Ausschaltung. Die BVP in der Endphase der Weimarer Republik 1932/33, in: Historische Zeitschrift 224 (1977);
- F. Breitling: Georg Wohlmuth. Geistlicher, bayerischer Politiker und Kirchenkämpfer aus Eichstätt zwischen Königreich und Republik (1987);
- C. Maga: Prälat Johann Leicht 1868–1940 (1990);
- W. Becker: Neue Freiheit vom Staat – Bewährung im Nationalsozialismus 1918–1945, in: W. Brandmüller (Hg.): Handbuch der bayerischen Kirchengeschichte, 3 (1991);
- B. Höpfl: Katholische Laien im nationalsozialistischen Bayern (1997);
- R. Probst: Die NSDAP im Bayerischen Landtag 1924–1933 (1998);
- B. Sack: Die weiblichen Reichs- und Landtagsabgeordneten des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei (1919-1933). Eine Kollektivbiographie (1998);
- R. Höpfinger: Die Gründung der BVP. Anmerkungen zu Sebastian Schlittenbauer, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 63 (2000).
Vorsitzende | |
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1918-1929 | Friedrich Speck |
1929-1933 | Fritz Schäffer |
Generalsekretär | |
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1918-1933 | Anton Pfeiffer |
Parteiprogramme, Satzungen und Leitsätze | |
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Nov. 1918 | Allgemeines Parteiprogramm |
1920 | Föderalistisches Programm (Bamberger Entschließung) |
1922 | Bamberger Programm |