Asset-Herausgeber

Der Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933

von Sven Felix Kellerhoff

Die Verzweiflungstat eines Einzelnen.

Unmittelbar nach dem Brand nutzten die Nationalsozialisten das Ereignis zur Festigung ihrer Macht. Mit der sogenannten Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 wurden die wichtigsten Bürgerrechte der Weimarer Reichsverfassung aufgehoben, darunter das Recht auf persönliche Freiheit, die Presse- und Meinungsfreiheit, das Versammlungsrecht und das Postgeheimnis. Die Frage, wer die Verursacher des Brandes waren, löste eine langanhaltende Kontroverse aus.

Asset-Herausgeber

Der Ton war rau in diesem Wahlkampf. Mit dem Slogan „Jeder Groschen ein Schuss gegen Adenauer“ warben SA-Leute Ende Februar 1933 auf den Straßen Kölns um Spenden für die NSDAP. Am 5. März sollte ein neuer Reichstag gewählt werden, zum dritten Mal binnen gut acht Monaten, eine Woche später stand die reguläre Kommunalwahl in ganz Preußen an. Erst am Morgen des Sonntags, dem 26. Februar, war Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer aus Berlin zurückgekehrt, wo er erfolglos versucht hatte, in seiner Funktion als Vorsitzender des Preußischen Staatsrates die Rücknahme einiger besonders weitgehender Erlasse der seit knapp vier Wochen amtierenden Regierung Hitler zu erreichen, insbesondere des „Schießerlasses“ des kommissarischen Innenministers Preußens, des Nationalsozialisten Hermann Göring, der bereits zu Gewaltexzessen in Arbeitervierteln der Reichshauptstadt geführt hatte.

Am Rhein herrschte zu Wochenbeginn ein anderer, fröhlicher Ausnahmezustand: Es war Rosenmontag. Wann und wie genau Adenauer erfuhr, dass in der Reichshauptstadt am Abend dieses 27. Februar 1933 der Sitz des Parlaments, das Reichstagsgebäude, durch vorsätzlich gelegtes Feuer ausgebrannt war, ist unbekannt. Die Radiosender informierten ihre Hörer in den Nachrichten um Mitternacht über diesen Anschlag als Spitzenmeldung, doch ob der Oberbürgermeister in dieser Nacht vor einem Empfänger saß, ist nicht dokumentiert. Spätestens las er am Dienstag, dem 28. Februar 1933, in der Morgenausgabe der Kölnischen Zeitung davon. Das bürgerlich-liberale Blatt brachte wortgetreu den Text des Wolff’schen Telegraphen-Bureaus als Aufmacher der Titelseite – mit der Schlagzeile: „Der Reichstag in Flammen – Holländischer Kommunist als Täter verhaftet“.

Was war geschehen? Am 27. Februar 1933 wurde kurz nach 21 Uhr im Restauranttrakt des Berliner Reichstagsgebäude Feuer gelegt, anschließend an verschiedenen Stellen im Sockelgeschoss. Spätestens um 21.22 Uhr brannten auch Stoffbahnen im Plenarsaal. Fünf Minuten später wurde im Bismarcksaal des Reichstages ein halbnackter junger Mann festgenommen – es stellte sich heraus, dass es der Anarchist Marinus van der Lubbe aus Leiden war.

Etwa zur selben Zeit weitete sich der Brand im Sitzungsraum des deutschen Parlaments schlagartig aus. Seine Gewalt wurde so groß, dass auch Feuerwehrleute aus gleich 15 Revieren nichts mehr gegen die Flammen ausrichten konnten. Als sie gegen 23 Uhr das Feuer endlich unter Kontrolle bekamen, war der Plenarsaal völlig ausgebrannt, andere Teile des Baus wie die Wandelgänge und das Abgeordnetenrestaurant waren schwer beschädigt.

 

Anhaltender Streit um die Täterfrage

Mehr als diese dürren Fakten kann man über die spektakulärste Brandstiftung der deutschen Geschichte nicht feststellen, ohne sich mitten in einem mit äußerster Schärfe geführten Streit wiederzufinden. Seit inzwischen 90 Jahren wird erbittert um die Täterfrage gerungen, und kein einigermaßen runder Jahrestag vergeht ohne wüste Polemik meist in Medien von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung über die Tageszeitung bis zum Freitag und dem Neuen Deutschland. Dabei ist jede Kontroverse überflüssig, denn die Wiedervereinigung Deutschlands hat den Zugang zu den 207 Bänden Originalakten des Oberreichsanwaltes über den Reichstagsbrand ermöglicht, die nach 1945 erst in der Sowjetunion und seit 1982 in der DDR das Material unter Verschluss lagen. Längst können Historiker diese rund 50.000 Seiten auswerten, und das Ergebnis ist eindeutig: Allein Marinus van der Lubbe legte das Feuer, und er hatte dabei keine Hilfe, von wem auch immer.

Die in dem Konvolut vollständig erhaltenen Ermittlungsakten des Polizeipräsidiums Berlin lassen keinen anderen Schluss zu, allen immer wieder verbreiteten anderslautenden Behauptungen zum Trotz. Dafür sprechen erstens van der Lubbes wiederholte Geständnisse, zweitens die Feststellungen der Brandermittler am Tatort und drittens die Aussagen der Feuerwehrleute, die gegen die Flammen kämpften. Dagegen erweisen sich alle Einwände bei genauerer Betrachtung als unzutreffend.

In seinen Vernehmungen schilderte der Niederländer den Ablauf seiner Tat stets stringent: „Ich habe im Feuer der Portieren einen großen Kuppelraum gesehen, der wie eine Kirche aussah, vorn waren die Pulte niedriger und hinten höher“, sagte er beispielsweise in der Nacht zum 1. März 1933: „Am schnellsten zündeten die Portieren vor dem Plenarsaal; diese brannten wie Zunder hoch und standen in wenigen Augenblicken in Flammen, das Holz brannte langsam nach.“ Das stimmte genau mit den Wahrnehmungen von Zeugen überein, die wie der Hausinspektor des Reichstages und ein Schutzpolizist noch vor der ruckartigen Ausweitung des Feuers in den Plenarsaal geschaut hatten.

Gegenüber den psychiatrischen Gutachtern äußerte sich van der Lubbe ähnlich: „Er bestritt aber von Anfang an und blieb dabei, dass außer ihm noch irgendjemand mit der Ausführung der Tat in Verbindung stehe“, notierte Berlins führender Nervenarzt Karl Bonhoeffer nach einem ausführlichen Gespräch: „Er habe die Tat alleine ausgedacht und habe sie alleine ausgeführt.“

Auch konnte der auf frischer Tat ertappte junge Mann auf einem Plan des Reichstagsgebäudes ziemlich genau den Weg einzeichnen, der er von seiner kriminalistisch wie durch Augenzeugen eindeutig festgestellten Einstiegsstelle in die Belletage des Parlaments hinab in das Sockelgeschoss und wieder hinauf in den Plenarsaal, schließlich durch die Wandelgänge zum Bismarcksaal genommen hatte. An mehreren von ihm bezeichneten Stellen konnten die Ermittler Spuren misslungener Brandstiftungen sicherstellen.

Ein einziges Flammenmeer

Gleich vier Feuerwehrleute sagten aus, wie sie den Moment der Durchzündung erlebt hatten. Ein Oberbrandmeister berichtete, dass nach dem Öffnen der Tür zum Plenarsaal erst Hitze hinausschlug, sich dann jedoch der Luftzug schlagartig umkehrte; dann sah er eine Flamme, die „zur Kuppel empor“ brauste. Von einem Moment auf den anderen war der zentrale Raum „ringsherum von oben bis unten und in der Mitte ein einziges Flammenmeer“, in dem eine „sehr große strahlende Hitze“ herrschte. Ein Kollege, ebenfalls erfahrener Zugführer, schilderte, wie sich die Flammen blitzschnell ausweiteten: „Ich sah, wie es hinter der Milchglasscheibe, durch die ich zunächst hindurch gesehen hatte, feuerrot wurde.“ Ein weiterer Feuerwehrmann sagte bei der Polizei aus, „derartiges von Luftzug bei einem Brande noch nicht erlebt“ zu haben; er musste sich „förmlich festhalten, um nicht in die Flamme gerissen zu werden“. Wieder ein anderer fühlte sich an ein „angefachtes Schmiedefeuer“ erinnert; auch er spürte nach dem Öffnen der Tür die plötzliche Umkehrung des Luftzuges. Unmittelbar darauf kam es zur Zündung, einem „hörbaren Puff“.

Daher war das Fazit der beiden federführenden Ermittler der Abteilung IA der Berliner Polizei unmissverständlich: „Die Frage, ob van der Lubbe die Tat alleine ausgeführt hat, dürfte bedenkenlos zu bejahen sein. Die Ermittlungen, der objektive Tatbestand und die genauen Feststellungen des Täters selbst beweisen dies“, hieß es im Abschlussbericht vom 3. März 1933: „Die Schilderung des Tatortes und der Tatausführung hat van der Lubbe schon von der ersten Vernehmung an (also vor der Tatortbesichtigung selbst) genau mit allen Einzelheiten, Brandstellen, Beschädigungen und Spuren sowie des Weges, auf dem sie liegen, so angegeben, wie sie ihm noch in Erinnerung waren. Hierzu ist aber nur derjenige in der Lage, der die Tat selbst ausgeführt hat. Einer, der nicht dabei war, konnte dies alles, besonders die nicht planmäßig angelegten kleineren Brandstellen, nicht vorher schon beschreiben und nachher praktisch demonstrieren.“

Dieses kriminalistisch einwandfreie Ergebnis allerdings missfiel den seit dem 30. Januar 1933 amtierenden politisch Verantwortlichen. Neben das Fazit malte ein unbekannter Vorgesetzter der Ermittler, im Staatsdienst erkennbar an seinem blauen Buntstift, ein Fragezeichen: Offenbar widerstrebte  ihm der Schluss seiner Fachbeamten.

 

Das Werk von Kommunisten oder Anhängern Hitlers?

Wenig erstaunlich, denn während noch die Flammen den Plenarsaal verzehrten, hatte sich Hermann Göring in dem brennenden Gebäude gegenüber Hitler schon festgelegt: „Das ist zweifellos das Werk von Kommunisten, Herr Reichskanzler. Eine Anzahl kommunistischer Abgeordneter war hier im Reichstag, zwanzig Minuten bevor das Feuer ausbrach. Wir haben einen der Brandstifter festgenommen.“ Nach dem Zeugnis eines zufällig anwesenden britischen Journalisten antwortete Hitler: „Wenn, wie ich glaube, dieses Feuer sich als das Werk von Kommunisten herausstellt, dann wird es nichts mehr geben, was uns stoppen kann, diese Mörderpest mit eiserner Faust auszulöschen.“

Dazu passte das Ermittlungsergebnis – Marinus van der Lubbe, ein Einzeltäter ohne Helfershelfer – natürlich nicht. Fortan begannen Manipulationen. Um eine „Verschwörung“ nachzuweisen, wurden beispielsweise nachträglich angeblich Brandbeschleuniger „gefunden“, von denen im Tatortbericht keine Rede gewesen war, oder Gutachten vorgelegt, die über „selbstentzündliche Flüssigkeiten“ fabulierten, mit denen angeblich vorab im Plenarsaal verteilte Brandbeschleuniger genau zum richtigen Zeitpunkt gezündet worden seien. Nur gab es solche Geheimwaffen weder 1933 noch 90 Jahre später.

Diese Vorlage nahmen die schärfsten Feinde der Nationalsozialisten auf, die schon seit Wochen und mit der am Nachmittag des 28. Februar 1933 erlassenen Reichstagsbrandverordnung rücksichtslos wie nie zuvor verfolgten Kommunisten, drehten sie aber natürlich um: Ja, es handele sich beim Reichstagsbrand um eine Verschwörung, verbreiteten sie mit maximaler Lautstärke. Aber die Täter seien Hitler-Anhänger, die im Auftrag wahlweise Görings, des SA-Chefs Ernst Röhm oder des Berliner Gauleiters Joseph Goebbels gehandelt hätten. Als „Belege“ dafür wurde neben den manipulierten Beweisen noch angeführt, die „eigentlichen“ Brandstifter seien durch einen „Geheimgang“ aus dem Dienstgebäude des Reichstagspräsidenten, zum Zeitpunkt des Brandes praktischerweise in Personalunion ebenfalls Hermann Göring, ins Parlament eingedrungen. Nur war dieser Gang niemals geheim. Es handelte sich vielmehr um den Wartungsgang für die Heizungsrohre, durch die ein kleines Blockkraftwerk an der Spree aus beide Gebäude mit Wärme versorgte; auch wurde dieser Gang an jenem Abend eben nicht benutzt.

 

Ein scheinbar symbolischer Akt für die Errichtung der Diktatur

Der Brand des Reichstages am Abend des 27. Februar 1933, der mehr als jedes andere Gebäude ein Symbol der ersten Demokratie auf deutschem Boden war, musste besonders den politisch aufgeklärten und engagierten Beobachtern als Fanal erscheinen. Kurz nach der Übernahme der Kanzlerschaft durch Adolf Hitler und wenige Tage vor der letzten noch halbwegs freien Reichstagswahl, in einer emotional aufgepeitschten Stimmung, traute man den Nationalsozialisten eine solche politische Inszenierung jedenfalls zu. Der Dresdner Romanist Victor Klemperer notierte in sein Tagebuch: „Acht Tage vor der Wahl die plumpe Sache des Reichstagsbrandes – ich kann mir nicht denken, dass irgendjemand wirklich an kommunistische Täter glaubt, statt an bezahlte Hakenkreuz-Arbeit.“ Ähnlich wie der später als Jude diskriminierte und nur knapp der Deportation entgangene Klemperer sah es beispielsweise Wolfgang Stresemann, der Sohn des 1929 verstorbenen Außenministers, als er am folgenden Morgen vom Brand erfuhr: „Schon um sieben Uhr früh klingelte bei mir das Telefon. Mein Onkel war am Apparat: ,Stell’ Dir vor, die Nazis haben den Reichstag angezündet, das ganze Gebäude steht in Flammen.’ Meine Antwort: ,Nanu, steht denn ihr Wahlkampf so schlecht?’“ Der international bestens vernetzte Hitler-Gegner Harry Graf Kessler notierte am 28. Februar: „Niemand, den ich gesprochen habe, glaubt an eine ‚kommunistische Brandstiftung‘. Nebenbei muss die Zerstörung des verhassten Reichstages den NSDAP-Leuten, auch abgesehen von jedem politischen Zweck, sympathisch sein.”

Für Zeitgenossen der „nationalsozialistischen Revolution“, die ab dem 28. Februar 1933 mit ungeheurer Wucht durch Deutschland fegte, schien das unmittelbar einleuchtend. Eine wichtige Rolle spielte dabei die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933“, die bald als „Reichstagsbrandverordnung“ bekannt wurde. Um 11 Uhr kamen die Minister der Regierung Hitler in der Reichskanzlei zusammen, um über den eilig geschriebenen Entwurf zu beraten. Nach kurzer Diskussion wurden zwei Änderungen in Auftrag gegeben. Man vertagte sich auf den Nachmittag, um den Entwurf zu verabschieden; noch am selben Abend wurde die Notverordnung verkündet und trat damit in Kraft. Die Wirkung war erheblich: Der erste Paragraf hob die wichtigsten Bürgerrechte der Weimarer Reichsverfassung auf, darunter das Recht auf persönliche Freiheit, die Presse- und Meinungsfreiheit, das Versammlungsrecht und das Postgeheimnis. Die Paragrafen 4 und 5 sahen zudem drakonisch verschärfte Strafen vor, zum Beispiel für Hochverrat, Brandstiftung und weitere Straftaten.

Diese Verordnung blieb bis 1945 in Kraft und bildete die formalrechtliche Begründung für die Gewaltherrschaft.  Auch nach dem Ende dieser Katastrophe für Deutschland, Europa und die Welt hielt sich die Vorstellung vom Reichstagsbrand als inszeniertem Auslöser für die Errichtung der Hitler-Diktatur, für den Wandel eines autoritärem zu einem totalitären Regime.

Das änderte sich erst, als ausgerecht das Hamburger Magazin Der Spiegel 1959/60 in einer elfteiligen Serie gestützt auf Recherchen des Beamten Fritz Tobias aus Hannover die Geständnisse des 1934 hingerichteten Marinus van der Lubbe erstmals ernst nahm. Tobias hatte unter anderem die Auszüge aus den Ermittlungsakten benutzt, die der Verteidiger eines der im Reichstagsbrandprozess angeklagten, aber freigesprochenen Kommunisten angefertigt hatte – die originalen Papiere lagen unerreichbar in einem sowjetischen Sperrarchiv.

 

Anhaltender Streit um den Kriminalfall

Seither tobte die Deutungsschlacht um den Reichstagsbrand in Wellen. Mit (übrigens hanebüchen schlecht) gefälschten Dokumenten, Diffamierungen, Anzeigen und Klagen versuchen die Anhänger der These, die Nazis selbst hätten den Brand im Parlament gelegt, von der Widerlegung ihrer Behauptung abzulenken und die andere Seite mundtot zu machen.

Dabei ist kein Argument zu schlicht, kein „Zeuge“ zu unglaubwürdig. Erst im Juli 2019 behauptete ein Journalist der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, ein Zeugnis von 1955 gefunden zu haben, das die Täterschaft der SA belege. Die Linkspartei, nach Angabe eines eigenen Spitzenfunktionärs „rechtsidentisch“ mit der KPD, stellte daraufhin im Bundestag eine Kleine Anfrage, um die in Fachkreisen wegen der inzwischen zugänglichen Ermittlungsakten fast ausnahmslos akzeptierten Alleintäterschaft van der Lubbes zu diskreditieren.

Doch binnen weniger Wochen zeigte sich, dass dieses angebliche Schlüsseldokument alles Mögliche war, nur gewiss nicht zuverlässig. Der Urheber, eine früherer SA-Mann namens Martin Lennings, behauptete nämlich lediglich nach 22 Jahren, also jenseits aller irgendwie denkbaren Verjährungsfristen, er selbst habe van der Lubbe am Abend des 27. Februar 1933 zum bereits brennenden Reichstag gefahren.

Lennings allerdings war keineswegs vertrauenswürdig: Gleich zwei Gutachter hatten ihm 1936/37 attestiert, bei ihm handele es sich um einen „Psychopathen“. Er sei ein „unsteter, triebhaft unruhiger, schwindlerischer und lügnerischer“ Mensch, schrieb einer der beiden; der andere befand, man dürfe Lennings’ Angaben nicht trauen. Zwar sind medizinische, besonders psychiatrische Gutachten aus der NS-Zeit stets mit Vorbehalt zu betrachten. Doch in ganz anderem Zusammenhang hatte sich Lennings nachweislich ebenfalls fälschlich bezichtigt, einen Totschlag begangen zu haben. Auch sein Bruder, ein evangelischer Pastor, warnte, Martin sei ein „großer Fabulierer“, der gern „Räuberpistolen“ verbreite.

Die vermeintliche Sensation hatte sich damit erledigt. Aber man braucht nur wenig Talent zur Prophetie, um vorauszusagen: Es wird nicht das letzte „Dokument“ sein, das die Täterschaft des geständigen Marinus van der Lubbe „widerlegen“ soll. Wer allerdings die Originalakten kennt, die im Bundesarchiv Berlin zugänglich sind, wird darauf nicht hereinfallen.

Sven Felix Kellerhoff befasst sich seit 1991 mit den Ereignissen des 27. Februar 1933. Sein Buch „Der Reichstagsbrand. Die Karriere eines Kriminalfalls“ erschien 2008. Hauptberuflich arbeitet der Historiker und Journalist in der WELT-Redaktion und leitet dort das Geschichtsressort.

 

Asset-Herausgeber

Essay
akg-images / WHA / World History ArchWHAi
8. November 2023
Jetzt lesen
Essay
23. Juni 2022
Jetzt lesen