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UN-Dringlichkeitssitzung zur Lage in der Ukraine

von Andrea Ellen Ostheimer

Weltgemeinschaft verurteilt die Invasion Russlands mit überwältigender Mehrheit

Nach dreitägiger Beratung verurteilte die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 2. März 2022 mit der Resolution (A/ES-11/L.1) den Angriff Russlands auf die Ukraine und damit die Verletzung der von der UN-Charta zu schützenden Prinzipien der staatlichen Souveränität, der territorialen Integrität sowie der Unabhängigkeit. 141 Mitglieder traten für die Werte und Prinzipien der Vereinten Nationen ein und stellten sich solidarisch hinter die Ukraine. 35 enthielten sich der Stimme und 5 stimmten gegen die Resolution der Generalversammlung.

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Am 27. Februar 2022 hatte der UN-Sicherheitsrat, blockiert durch das Veto Russlands, mit Resolution 2623 (2022) zu einer Dringlichkeitssitzung der UN-Generalversammlung aufgerufen.

Damit berief man sich auf das „Uniting for Peace“ Instrument, welches mit Resolution 377 (A) vom 3. November 1950 genau für einen solchen Fall der Blockade des Sicherheitsrates geschaffen worden war.

Mit der am 2. März verabschiedeten Resolution verurteilte die Weltgemeinschaft nicht nur die Verletzung des Artikels 2 (4) der Charta:

„…all member states shall refrain in their international relations from the threat or use of force against the territorial integrity or political independence of any state, or in any other manner inconsistent with the purposes of the UN. “
[Art. 2(4) UN Charta]

Man forderte Russland zur Einstellung der Kampfhandlungen und zum sofortigen Rückzug aller Truppen auf. Scharf verurteilte man die veranlasste Alarmbereitschaft der russischen Nuklearstreitkräfte.

Besorgt zeigte man sich über die sich rapide verschlechternde humanitäre Lage, bedingt durch gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung. Auch die Unterstützung Russlands durch Belarus wurde von der Generalversammlung kritisiert und man forderte eine Rückkehr zu den Minsker Abkommen. In dieser als ersten Schritt zu sehenden Resolution der UN-Generalversammlung steht die Rückkehr zu diplomatischen Verhandlungen und Dialog an erster Stelle. Man forderte den Generalsekretär wie auch die Mitgliedstaaten, die OSZE und andere Regionalorganisationen auf, auf eine Deeskalation der Lage hinzuwirken, die humanitäre Lage zu adressieren und den flüchtenden Ukrainern die dringend benötigte Hilfe zu geben.

Russland findet sich weitgehend isoliert in den Vereinten Nationen

Bereits 94 Staaten hatten die Ausarbeitung der Resolution zur Verurteilung der russischen Aggression als „co-sponsors“ unterstützt. In der Abstimmung selbst stimmten 141 Staaten dafür - eine überwältigende Botschaft der Gemeinschaft der 193 Staaten in den Vereinten Nationen. Nicht wirklich überraschend kamen die 5 Nein-Stimmen von Russland, Belarus, Eritrea, Nord-Korea und Syrien.

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die sich zuvor die noch im Sicherheitsrat, in dem sie seit Januar nichtständiges Mitglied sind, der Stimme enthalten hatten, stimmten in der UN-Generalversammlung nun dafür. Allerdings hatten die VAE auch einen Tag zuvor einen Etappensieg in eigener Sache errungen, als die USA die Houthi-Rebellen erneut als terroristische Organisation einstuften.

Auch Staaten, wie Serbien, die unter starkem russischen Einfluss stehen, stellten sich mit ihrer Ja-Stimme hinter die Ukraine.

Die weitgehende Isolation Russlands wird auch an einigen Stimmenthaltungen von bislang Gleichgesinnten deutlich. Hierzu zählt an erster Stelle China, Cuba, Iran, Laos, Nicaragua, Venezuela und Vietnam. Auch Staaten in der unmittelbaren Nachbarschaft und mit sowjetischer Vergangenheit wie Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan zogen es vor, sich entweder der Stimme zu enthalten oder gar nicht erst zur Abstimmung zu erscheinen.

In einer Situation, in der Enthaltungen und Abwesenheiten im besten Fall als Resultat bestehender und weitgehender Abhängigkeiten im schlimmsten Fall als stille Unterstützung eines Aggressors und Autokraten interpretiert werden können, fällt das Abstimmungsverhalten einiger Staaten besonders ins Auge.

Indien, welches noch immer den Ruf einer der größten Demokratien besitzt, enthielt sich bereits im Sicherheitsrat wie auch nun in der Generalversammlung. Das Land versucht nicht nur, sich einer geopolitischen Neutralität zu verschreiben; Russland ist ein langjähriger Verbündeter Indiens im Bereich der Militärhilfe und in der diplomatischen Unterstützung im Sicherheitsrat beim Kaschmirkonflikt mit Pakistan, weshalb Indien Russland nicht verprellen will. Insbesondere der Besuch des pakistanischen Premierministers Imran Khan in Moskau zum Zeitpunkt der Invasion in die Ukraine führte zu verstärkter Nervosität auf indischer Seite. Darüber hinaus benötigt Indien die Unterstützung Russlands im Grenzkonflikt mit China.

Aber nicht nur Indien, auch Pakistan, Bangladesch und Sri Lanka enthielten sich in der Abstimmung der Generalversammlung.
 

Die Mehrzahl von Stimmenthaltungen kam vor allem von afrikanischen Staaten.

Darunter findet sich zum einen die Gruppe der Staaten des Südlichen Afrika, deren ehemalige Befreiungsbewegungen heute noch alle an der Macht sind und die in ihrem Unabhängigkeitskampf von der Sowjetunion militärisch unterstützt sowie deren Eliten und heutigen Regierungseliten zum größten Teil in der Sowjetunion ausgebildet worden waren: Angola, Namibia, Mosambik, Südafrika, Tansania, Simbabwe.

Mit Mali, Burkina Faso und der Zentralafrikanischen Republik enthielten sich aber auch Staaten der Stimme, die aktuell massive Militärhilfe durch Russland erhalten, zum Teil offiziell, zum Teil durch sogenannte private Militärfirmen wie die Kreml-nahe Wagner-Gruppe.

Weshalb sich allerdings Senegal, ein Land welches bislang konstruktiv mit dem Westen und Europa bei den sicherheitspolitischen Problemen in Westafrika zusammenarbeitete und das als eine der wenigen Demokratien auf dem afrikanischen Kontinent gilt, bei einer gravierenden Verletzung des Völkerrechts und der UN-Charta der Stimme enthält, ist nicht nachvollziehbar.

Allerdings sollten die Stimmenthaltungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es der UN-Generalversammlung gelang, eine weitgehende Geschlossenheit der Weltgemeinschaft in der Verurteilung der russischen Aggression zu erreichen.

Auch eine strafrechtliche Verfolgung durch den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) wurde am 2. März durch den Chefankläger Karim A.A. Khan eingeleitet, nachdem 39 Mitgliedsstaaten des IStGH einen Antrag für eine Untersuchung eingereicht hatten.

Ob dies wie auch die rechtlich nicht bindende Resolution der Generalversammlung Putin zu weitgehenden Zugeständnissen am Verhandlungstisch bringen wird, bleibt offen.

Sicherlich wird er, wenn er überhaupt ernsthaft an einer diplomatischen Lösung interessiert ist, zunächst versuchen, die Kontrolle über die eroberten Gebiete auszubauen und seine Position zu stärken.

Neben der Rolle des Mediators, des Verhandlungsführers und des Anklägers wird den Vereinten Nationen auch in diesem wie in vielen anderen Konfliktfällen vor allem die Verantwortung zufallen, das Leid der Zivilbevölkerung und der Flüchtlinge zu lindern, humanitäre Hilfe und zu einem späteren Zeitpunkt Wiederaufbauhilfe zu leisten.

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1. März 2022
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