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Die Lehren des Rückzugs

KAS-Projekt erforscht die Bedeutung des Gaza-Rückzugs für Israels zukünftige Politik

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Am 15. Oktober trat erstmals die von der Konrad-Adenauer-Stiftung initiierte Forschungsgruppe zum Thema „Auswirkung des Gaza-Rückzugs auf die israelische Gesellschaft“ zusammen. Dieses Forschungsprojekt wurde von der KAS zusammen mit dem „Tami-Steinmetz-Zentrum“ der Universität Tel Aviv und dem „Jerusalem-Institut für Israel-Forschung“ ins Leben gerufen, um die Durchführung und die Auswirkungen dieses bedeutenden politischen und gesellschaftlichen Ereignisses interdisziplinär zu analysieren und daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen. Die Ergebnisse werden auch für zukünftige Rückzüge, wie beispielsweise den von Ministerpräsident Olmert geplanten Abzug aus weiten Teilen des Westjordanlandes, von Bedeutung sein. Das Projekt trägt dazu bei, zukünftige Lösungsmodelle zu diskutieren, welche im im inner-israelischen Diskurs von Bedeutung sind.

Wie wichtig es ist, dieses Thema in den öffentlichen Diskurs in Israel einzubringen, zeigt die zwei Tage zuvor in der Wochenendausgabe von Israels meistgelesener Tageszeitung „Yediot Achronot“ veröffentlichte Kolumne von Yair Lapid. Der Autor schreibt darin:

„Ein Jahr nach dem israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen verschwanden die Ereignisse aus den Augen – und den Herzen – der Mehrheit der israelischen Bürger. (…) Man bekommt den Eindruck, als ob es allen – einschließlich den Rechten - völlig egal wäre. (…) Das ist trotz allem verwunderlich. Es handelt sich ja um ein einflussreiches Ereignis, das uns – zum ersten Mal seit der „Altalena-Affäre“ – fast zum Bürgerkrieg führte. Wie kann es sein, dass uns das schon nach einem Jahr gar nicht mehr interessiert?“

Lapid erläutert seine These und behauptet, dass die nicht-religiöse israelische Bevölkerung immer noch Wut gegen die Siedler hege, die den Staat so viele Jahre lang ausgenutzt hätten und dabei immer stärker geworden seien. Der Rückzug war laut Lapid nicht so sehr politisch motiviert, sondern hatte vielmehr zum Ziel, den Siedlern eine Lektion zu erteilen und ihre übermächtige Kraft einzuschränken.

Der Psychologe der Forschungsgruppe, Dr. Baruch Cahana, zeigte sich anderer Meinung. Er sieht das Schweigen zum Thema als ein Zeichen von Verleugnung, was in der psychologischen Forschung als typische Stufe eines Traumaprozesses diagnostiziert wird.

Dass es den aus dem Gazastreifen abgezogenen Siedlern noch immer schlecht geht und dass sie vom Staat nicht pfleglich behandelt worden sind, ist kein Geheimnis. Aus den Ergebnissen seiner Forschung und aus seinen Erfahrungen mit der alltäglichen klinischen Behandlung dieser Bevölkerungsgruppe berichtete der Psychologe von mehreren psychischen Problemen, die vor allem bei Jugendlichen auftauchten. Sie fühlten, dass sie nicht nur ihr Zuhause verloren haben, sondern auch ihre Ideologie, welche ihrer Ansicht nach den Staat Israel retten sollte.

Viel wurde bei diesem Treffen über die Führungskräfte der Siedler und ihr Verhalten während des Kampfes gegen den Rückzug diskutiert. Deren Anführer, meistens Rabbiner, befanden sich in einem großen Dilemma: Die Gänze des Landes Israel (Eretz Israel) oder die Einheit des Volkes und des Staates Israel (Medinat Israel) standen auf dem Spiel. Widersprüchliche Aussagen, innerer Zwist und der blinde Glaube, dass das israelische Volk immer an ihrer Seite bleiben werde, schwächten die Führungskräfte der Siedler, so dass der damalige Premierminister Ariel Sharon (ausgerechnet ihr langjähriger Verbündeter) den Rückzugsplan ohne große Schwierigkeiten durchziehen konnte.

Die Soziologin der Forschungsgruppe, Amalia Oliver, und ihr Kollege, der Sozialpsychologe Yuval Kalish, analysierten auch die organisatorische Seite der Anführer und die Ergebnisse ihres Kampfes mit Hilfe der berühmten „Spieltheorie“.

Der rechtliche Aspekt wurde ebenfalls erforscht, da die Siedler auch auf juristischem Wege versuchten, ihren Kampf auszufechten: Sie reichten eine Klage beim israelischen Obersten Gerichtshof ein. Diese Klage wurde jedoch mangels Zuständigkeit abgewiesen, erklärte die Rechtsanwältin Talia Sasson (berühmt für ihren im Auftrag von Ariel Scharon erstellten Bericht zum Status illegaler Siedlungen), denn laut der Genfer Konvention dürfe keine zivile Bevölkerung des Besatzungsstaates in den besetzten Territorien wohnen. Das israelische Gesetz konnte also in diesem Fall nicht angewandt werden.

Die Medien-Expertin der Forschungsgruppe, Anat First, analysierte die Fernsehberichte während des Rückzugs in den drei wichtigsten israelischen Kanäle (1, 2 und 10) und stellte fest, dass die Medien eine sehr regierungsnahe Linie verfolgten und somit die Legitimation der Regierungsbeschlüsse in der israelischen Öffentlichkeit verstärkte.

Und was meinte das israelische Volk zum Gaza-Rückzug? Laut der Umfragen von Prof. Tamar Hermann, einer der Leiterinnen der Forschungsgruppe, war die Meinung des Volkes seit dem ersten Auftauchen der Rückzugsidee und bis zu ihrer Ausführung 50:50 geteilt. Nach der erfolgreichen Ausführung des Plans im August 2005 war die Mehrheit der Israelis jedoch der Meinung, dass die Siedlungen ein Fehler gewesen seien. „Ein Erfolg ändert die Meinung“, kommentierte Hermann den Befund.

„Politisch gesehen führte der Rückzug zu einer neuen politischen Ordnung in Israel, die sich in der Kadima-Partei manifestiert“, sagte der Politikwissenschaftler der Gruppe, Asher Cohen von der Bar-Ilan- Universität. Mit Kadima sei eine Partei des Zentrums entstanden, die eine eindeutige Kombination der Stimmen der Rechten und der Linken vereinige. Die Siedler und ihre Unterstützer nannten die Kadima-Partei zynisch „Rückzugspartei“, um zu betonen, dass der Rückzugsplan deren einzige Plattform sei.

In der letzten Zeit wird in Israel oft die Behauptung aufgestellt, dass der Rückzug nicht aus außenpolitischen, sondern aus innenpolitischen Gründen durchgeführt worden sei, also nicht, um Frieden herbeizuführen, sondern um die demografischen Probleme Israels zu lösen. Prof. Bar-Siman-Tov, Leiter der Forschungsgruppe und ein Experte im Bereich Konfliktresolution, hält diese These für nicht ganz falsch. Der Rückzug aus dem Gazastreifen habe nicht nur nichts zum Friedensprozess mit den Palästinensern beigetragen, sondern auch dafür gesorgt, dass die Palästinenser durch die Einseitigkeit der Durchführung den Eindruck bekommen haben, dass sie keine Rolle mehr spielen. Die Aussage von Prof. Bar-Siman-Tov, der Rückzug stelle einen historischen Verlust für Israel dar, mit dem Israel nichts erreicht und lediglich Geld verschwendet habe, entfachte eine ebenso intensive wie konstruktive Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Mitgliedern der Forschungsgruppe. Dabei entstanden zahlreiche Anregungen für die weitere Arbeit.

Die Forschungsgruppe wird ihre Untersuchungen in den nächsten Monaten fortsetzen und ihre Ergebnisse im März kommenden Jahres bei einer öffentlichen Konferenz im Konrad-Adenauer-Zentrum in Jerusalem präsentieren.

Palina Kedem

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