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Veranstaltungsberichte

Ein Land, zwei Staaten?

Alternativen zum Status quo

Zum monatlichen Treffen des Strategic Thinking and Analysis Team (STAT), das die Konrad-Adenauer-Stiftung Israel gemeinsam mit dem Israel/Palestine Center for Research and Information (IPCRI) veranstaltet, kamen am 31. Mai wieder israelische und palästinensische Vertreter aus Hochschulwesen, Wirtschaft, öffentlicher Verwaltung und verschiedener Nichtregierungsorganisationen zusammen.

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Das Thema des Treffens war diesmal der von vielen als gescheitert betrachtete Oslo-Friedensprozess und die daraus resultierenden Zukunftsaussichten für einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern. Wohin steuern Israel und Palästina angesichts des scheinbaren Versagens von Oslo? Die Teilnehmer erörterten die Möglichkeiten eines neuen Friedensprozesses und die Umsetzbarkeit verschiedener Lösungsansätze – von der Ein-Staaten-Lösung über die Zwei-Staaten-Lösung bis hin zu völlig neuen Alternativen. Dabei ging es auch um die Frage, wie die aktuellen politischen Verhältnisse – der sogenannte „Status quo“ – aufgebrochen werden können, um Raum für neue Bewegungen im Friedensprozess zu schaffen.

Ist Oslo tatsächlich passé?

Einig waren sich fast alle Teilnehmer in der Einschätzung, dass der Friedensprozess von Oslo gescheitert sei. Vor allem die junge Bevölkerung sei frustriert und habe den Glauben an ernsthafte Friedensbemühungen ihrer Regierungen verloren. Gegenwärtig finden keine Gespräche zwischen Vertretern der Konfliktparteien auf diplomatischer Ebene statt; zudem scheinen die Aussichten auf eine Zwei-Staaten-Lösung, wie im Oslo-Vertrag vorgesehen, zu schwinden. Die wachsende Anzahl der Siedler im Westjordanland und Ostjerusalem, der Bau der Schutzmauer durch palästinensisches Territorium und die Institutionalisierung von fast 100 israelischen Checkpoints, die die palästinensischen Gebiete in mehrere voneinander abgeschnittene Bereiche teilen, mindern die Aussichten auf einen funktionsfähigen palästinensischen Staat.

Viele der anwesenden Experten äußerten sich besorgt darüber, dass die gegenwärtigen politischen Entwicklungen gegen die Zwei-Staaten-Lösung arbeiteten. De facto lebten die Menschen in Israel und den Palästinensischen Gebieten unter einem „Ein-Staaten-Regime“, da die israelische Staatsgewalt sich auch über das palästinensische Territorium erstrecke. Eine Grenzziehung zwischen Israel und einem möglichen palästinensischen Staat sei daher inzwischen fast unmöglich, insbesondere im Hinblick auf Jerusalem, wo sich jüdische Siedlungen zunehmend auch auf den östlichen Teil der Stadt erstreckten. Somit scheint die Realisierbarkeit der Zwei-Staaten-Lösung im Sinne des Oslo-Friedensvertrags in immer weitere Ferne zu rücken. Von der festgefahrenen Situation profitierten die extremistischen Gruppen – die Hamas auf palästinensischer Seite und die radikalen jüdischen Siedler auf israelischer Seite.

Um wieder Bewegung in die Friedensbemühungen zu bringen, sei es – so meinten einige – notwendig, das „Gespenst von Oslo“ endgültig abzuschütteln und für gescheitert zu erklären. Nur wenn jeder verstehe, dass der Oslo-Prozess gestorben sei, könne man erfolgreich an einer neuen Zukunftsvision für den Frieden arbeiten. Wichtig sei es bei einem zukünftigen Friedensplan außerdem, genau festzulegen, wie man vom Status quo zum gewünschten End-Resultat komme. Das Fehlen verbindlicher Interpretations- und Schlichtungsverfahren ist nach Ansicht vieler Experten einer der Faktoren, die für das Stocken und schließlich Scheitern des Oslo-Prozesses verantwortlich sind.

Ein Staat für alle?

Wenn aber die Aufteilung des Gebiets zwischen Jordan und Mittelmeer in zwei unabhängige Staaten Israel und Palästina immer unwahrscheinlicher wird, ist die Ein-Staaten-Lösung eine echte Alternative? Die Teilnehmer des Treffens hatten unterschiedliche Meinungen zu dieser Frage.

Auch wenn die aktuelle Situation den Anschein erweckt, dass de facto bereits eine „Ein-Staaten-Realität“ unter israelischer Flagge existiert, wurden bei der Diskussion kritische Stimmen zu einer solchen Lösung laut. Ganz essentiell war dabei das Argument, dass ein Staat immer auch ein territorialer Ausdruck von Identität sei – sowohl Israelis als auch Palästinenser wollen einen Staat mit eigenem Territorium, an den sie ihre Identität als Nation knüpfen können. Dieser Wunsch hätte in einer Ein-Staaten-Lösung keinen Platz; wenngleich nicht praktisch greifbar, habe solch ein emotionaler Faktor einen großen Einfluss auf den Erfolg eines jeglichen Friedensvertrags.

Darüber hinaus berge die Ein-Staaten-Lösung ganz praktische Probleme; so sei es ungeheuer schwierig, zwei nationale politische Bewegungen und Entwicklungen zu einem großen Ganzen zu „fusionieren“. Dazu gehören Sprache, Religion, Geschichte und Kultur, ebenso wie die aktuellen wirtschaftlichen Disparitäten zwischen Israelis und Palästinensern. Zudem spielt die demographische Entwicklung eine große Rolle, die entscheidend auf die Kräfteverteilung in einem demokratischen bi-national israelisch-palästinensischen Staat einwirken würde. Aufgrund dieser nationalen Gegensätze sei damit zu rechnen, dass es bei der Umsetzung einer Ein-Staaten-Lösung viele Probleme geben würde, die sogar den Grundstein für einen neuen Konflikt legen könnten.

Ein Land – zwei Staaten? Die Suche nach Alternativen

Gibt es also eine Alternative zur Ein-Staaten- oder Zwei-Staaten-Lösung? Angesichts der Defizite beider Szenarien sprachen sich einige Teilnehmer für eine völlig neue Vision aus: Zwei Staaten in einem Land – „two states in one space“. Diese Alternative sieht die Schaffung einer israelisch-palästinensischen Konföderation vor, bestehend aus zwei eigenständigen souveränen Staaten, die jedoch nach dem EU-Modell in einer Art Konföderation eng miteinander verbunden wären. So würden beide Staaten eine Wirtschafts- und Währungsunion bilden und die Grenzen für die Bürger beider Länder öffnen. Dies würde bedeuten, dass die zurzeit auf palästinensischem Territorium lebenden jüdischen Siedler in ihren Wohnungen bleiben könnten, wenngleich unter palästinensischer Hoheit. Umgekehrt könnten genauso Palästinenser in Israel leben und arbeiten.

Die Befürworter dieses Vorschlags argumentieren, dass diese Lösung der tiefen Verflechtung beider Territorien sowie Jerusalems Rechnung tragen würde. Ihrer Ansicht nach könne man mit einer Konföderation das Problem der „Entflechtung“ lösen, welche die Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung so schwierig macht. Der Vorschlag betrachtet somit den Boden Israels und der Palästinensischen Gebiete als Einheit, erkennt jedoch gleichzeitig auch dessen bi-nationalen Charakter an. Als Beispiel für eine solche multi-nationale Konföderation könnte Bosnien-Herzegowina dienen. Andere Stimmen waren jedoch der Meinung, dass eine Israelisch-Palästinensische Union erst im zweiten Schritt, im Anschluss an die Schaffung zweier separater Staaten gegründet werden könne.

Auch wenn zurzeit völlig offen ist, welches der drei Szenarien das größte Potential zur Beilegung des Konflikts hat, so waren sich alle Beteiligten einig, dass jede Veränderung des Status quo mit großer Wahrscheinlichkeit die Auflehnung radikaler Fraktionen auf beiden Seiten hervorrufen würde. Sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite gebe es viele Kräfte, die von der aktuellen Situation profitierten und somit jeder Art von Veränderung feindlich gegenüberstünden. Daher hänge der Erfolg eines jeglichen Friedensprozesses davon ab, ob die Regierungen beider Seiten bereit sind, den Gegnern eines Kompromisses mutig entgegenzutreten und einen möglichen Friedensvertrag gegen solche Widerstände durchzusetzen. Entscheidend sei dabei neben dem eigenen Glauben an die Lösung auch die Fähigkeit, die Vorteile eines Friedens der breiten Bevölkerung auf beiden Seiten zu vermitteln.

In diesem Zusammenhang merkte eine Teilnehmerin an, dass besonders die Menschen auf palästinensischer Seite es satt hätten, immer nur über verschiedene politische Alternativen und Szenarien zu spekulieren; stattdessen wollen sie endlich ihre individuellen Rechte als Menschen und Bürger wahrnehmen können. Ein erfolgreicher Friedensprozess müsse daher genau dort, bei den Bedürfnissen der Menschen, ansetzen und die individuelle Menschenwürde und Menschenrechte in den Mittelpunkt aller Verhandlungen stellen.

Nach Ansicht der meisten Teilnehmer fehlen den Regierungen beider Seiten jedoch sowohl das Interesse an einer Veränderung des Status quo als auch die Fähigkeit, radikale Fraktionen innerhalb den eigenen Reihen auf einen Kompromisskurs zu führen. Alle Beteiligten waren sich daher einig, dass die Arbeit zivilgesellschaftlicher Akteure und das monatliche Treffen des Strategic Thinking and Analysis Team (STAT) unter der Leitung von IPCRI und der Konrad-Adenauer-Stiftung umso entscheidender seien, um einen Dialog der Konfliktparteien zu ermöglichen.

Motje Seidler

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