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Veranstaltungsberichte

Gemeinsame Geschichtsaufarbeitung als Basis für Vertrauen

KAS/IDC-Konferenz zur Bedeutung der Novemberpogrome

Die Ereignisse der Novemberpogrome von 1938, ihre Aufarbeitung und die Bedeutung für gegenwärtige politische Entwicklungen sowie für die israelisch-deutschen Beziehungen waren Thema einer ganztägigen internationalen Konferenz, die KAS Jerusalem jetzt gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Europäische Studien am Interdisciplinary Center Herzliya organisierte. Unter den mehr als 300 Zuhörern waren neben zahlreichen Zeitzeugen sowie israelischen und deutschen Studenten auch eine Reihe von europäischen Diplomaten. Der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Israel, Dr. Harald Kindermann, beteiligte sich mit einem Referat an der Konferenz. Über die Veranstaltung berichtete auch das israelische Fernsehen in einem ausführlichen Beitrag.

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Ziel der Konferenz war es, die Ereignisse des 9. November 1938 zum einen zu analysieren, Fakten zu schildern und die Rezeption der Pogrome durch verschiedene Akteure zu untersuchen. Zum anderen ging es vor allem auch darum, die Relevanz der historischen Begebenheiten für die Gegenwart aufzuzeigen und deren Bedeutung für die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland heute zu klären. Dieser doppelten Aufgabe widmeten sich insgesamt zehn Wissenschaftler aus beiden Ländern.

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Prof. Wolfgang Benz schildert die Ereignisse des 9. November 1938. Aufgrund des großen Publikumsinteresses wurden die Vorträge live per Video in einen weiteren Hörsaal übertragen.

Im ersten Teil der Konferenz, der der Darlegung der historischen Fakten und Hintergründe gewidmet war, schilderte zunächst Prof. Wolfgang Benz, Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, die Rolle der deutschen Öffentlichkeit während der Novemberpogrome: Die Bevölkerung sei geteilt gewesen in Bürger, die den Pogromen mit Abscheu gegenüberstanden und solchen, die sich an den Gewalttaten mit zuvor ungekannter Heftigkeit beteiligt hätten.

Prof. Moshe Zimmermann, Leiter des Minerva-Zentrums für Deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem, betonte, die „Kristallnacht“ sei kein Wendepunkt in der Politik des Dritten Reichs gegen die Juden gewesen, sondern vielmehr Teil einer Eskalation, deren Fortführung bereits drei Tage später bei einer Sitzung im Reichsluftfahrtministerium beschlossen wurde: So wurde den am 9. November angegriffenen deutschen Juden auferlegt, für die Schäden selbst aufzukommen und horrende Summen Reparationszahlungen zu leisten.

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Unter den rund 300 Teilnehmern waren Diplomaten, Zeitzeugen und Studenten aus Deutschland und Israel.

Professorin Ursula Büttner von der Universität Hamburg beleuchtete in ihrem Vortrag die Rolle der Kirchen – wo nur wenige Vertreter sich offen äußerten und fragten, wie die Kirche die Übergriffe zulassen konnte –, während Professor David Bankier, tätig an der Hebräischen Universität Jerusalem und in Yad Vashem, sich mit der Reaktion von Gegnern der Nazis beschäftigte: Demnach entwickelten allein die Kommunisten eine Position zu den Vorkommnissen, da sich die meisten anderen Oppositionellen wenig um die Situation der Juden kümmerten.

Im zweiten Teil der Konferenz wurden die Auswirkungen der Pogrome von 1938 bis in die heutige Zeit dargelegt und auch auf zukünftige politische Entwicklungen projeziert. In seinem Grundsatzreferat verknüpfte der renommierte Historiker Professor Yehuda Bauer (Hebräische Universität) Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in dem er die Rolle der Ideologie für die Vernichtungspolitik der Nazis aufzeigte und diese als singulär in der Geschichte der Genozide bezeichnete: Der Aufwand den die Nazis während des Krieges trieben, um Juden zu ermorden, sei unpragmatisch und nicht im Interesse des Regimes gewesen – und nur auf die frei erfundene NS-Ideologie zurückzuführen gewesen.

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Professor Jehuda Bauer erklärt die zentrale Bedeutung der NS-Ideologie für die Shoa.

Bauer betonte auch, dass die Shoa ohne den Zweiten Weltkrieg nicht möglich gewesen wäre. Der Historiker warnte, dass in diesen Tagen Juden erneut von einer totalitären Ideologie bedroht seien. Er mahnte dringend, die Drohungen und Rüstungsprojekte des iranischen Präsidenten Ahmadinejad ernst zu nehmen und ihnen entschieden entgegenzutreten.

Mit der Rezeption der Novemberpogrome im Yishuw, der jüdischen Gemeinde im vorstaatlichen Israel, beschäftigte sich anschließend Shulamit Volkov von der Universität Tel Aviv. Ihre Forschung ergab, dass weder die politischen Entscheidungsträger noch die Bürger des Yishuw die Tragweite der Entwicklungen erkannten. Viele hielten die Exzesse demnach lediglich für eine Fortsetzung jener Pogrome, die im 19. Jahrhundert in Osteuropa stattgefunden hatten.

In einem weiteren Vortrag thematisierte Professorin Trude Maurer, Universität Göttingen, die Wirkung der Ereignisse auf die in Deutschland verbliebenen Juden: Viele von Ihnen konnten sich selbst nach den Übergriffen nicht entscheiden, aus dem Land zu fliehen, das ihre Heimat war. Die Wirkung der "Kristallnacht" auf die jüdischen Gemeinden weltweit war schließlich das Thema von Professorin Dina Porat, Universität Tel Aviv.

Dass die deutsche Vergangenheitsbewältigung eine wichtige Grundlage für die guten deutsch-israelischen Beziehungen sei, betonte abschließend Botschafter Avi Primor in seinem Fazit und Ausblick. Die Zusammenarbeit zwischen Israel und Deutschland sei beispiellos und auf vielen Gebieten enger als mit allen anderen Nationen der Erde. Dies sei ursprünglich nur dadurch möglich geworden, dass die Deutschen ihre Geschichte und ihre Verantwortung angenommen hätten.

Um die besonderen Beziehungen zukunftssicher zu gestalten, gehe es nun darum, auch die jüngeren Generationen in den Dialog einzubinden – die Generation der Zeitzeugen trete ab und neuen Generationen müsse vermittelt werden, dass Deutschland und Israel mehr verbinde als eine gemeinsame Vergangenheit: nämlich gemeinsame Herausforderungen in der globalisierten Welt und gemeinsame Werte wie Demokratie und Freiheit. Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, machte der Konferenztag und der Rückblick auf die Ereignisse vor 70 Jahren überdeutlich.

Palina Kedem/Rolf Behrens

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