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Veranstaltungsberichte

Junge Nachwuchskräfte suchen politischen Konsens

von Katja Tsafrir
Vom 6.–7. November, 2009 widmeten 45 junge Nachwuchskräfte von den Jugendorganisationen der Parteien in Regierung und Opposition ein ganzes Wochenende dem Unterfangen, trotz ihres vielfältigen politischen Hintergrundes einen gemeinsamen Nenner für brisante politische Fragen zu finden. Die Konrad-Adenauer-Stiftung und ihr Partner Heskem organisierten dieses Seminar, um in pluralistischen Auseinandersetzungen schwierige innen- und außenpolitische Fragen mit den Personen zu diskutieren, die später auch in der Knesset Entscheidungen treffen werden.

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Das Seminar fand an dem geschichtsträchtigen Ort Ramat Rachel statt, einem Kibbutz im Süden Jerusalems. Dieser Kibbutz wurde in den Jahren 1929 bis 1967 dreimal zerstört und war 1967 Ziel intensiven Artilleriebeschusses von jordanischer Seite.

Das Seminar bestand aus Vorträgen von Experten mit unterschiedlichem politischem Hintergrund, welche Impulse für die anschließenden Diskussionen vermittelten. Die Diskussionen fanden sowohl im Plenum als auch in partei-internen Arbeitsgruppen statt. Eröffnet wurde das Seminar von den Organisatoren, Dr. Lars Hänsel, Leiter der KAS Jerusalem und Gadi Baltiansky, Direktor von Heskem und ehemaliger Sprecher des Premierministers Barak, sowie Berater in Camp David II. Dr. Hänsel wies u.a. auf die jüngsten Ereignisse hin – der Fund von immensen Waffenmengen, die per Schiff nach Gaza geschmuggelt werden sollten und die neue Reichweite von Kassamraketen bis Tel Aviv – und stellte fest, dass unter den gegebenen Umständen Mut gefordert sei, um über Frieden zu sprechen. Herr Baltiansky appellierte an die Teilnehmer, sich den Staat Israel entsprechend ihren Vorstellungen in zwanzig Jahren auszumalen und das richtige zu tun, um einen solchen Staat zu schaffen.

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Der Vorsitzende des jungen Likud Hermelin erläutert seine Erwartungen an das Seminar

Kernfragen waren die Sicherheit Israels und demographische Faktoren. Brigadegeneral (Res.) Ya’akov Amidror referierte zu Israels Herausforderungen gegenüber den Arabern und der muslimischen Welt. Er wies auf die diversen Asymmetrien hin, mit denen Israel zu kämpfen habe: geographisch ein sehr kleiner Staat, demographisch stünden ca. sieben Millionen Einwohner Israels 300 Millionen Arabern in der arabischen Liga gegenüber, Israels Stand im UN Sicherheitsrat und letztlich die Mittel, die Israel bereit sei anzuwenden (keine Zivilisten anzugreifen). Diese Asymmetrien könne man auch nicht beseitigen. Seiner Ansicht nach sei ein Staat Israel in den Grenzen von ’67 schlichtweg nicht verteidigungsfähig, da Israel dann an seiner schmalsten Stelle lediglich 12 km breit sei. Israel drohe in diesem Falle das Gleiche von der Westbank, was heute in Gaza geschehe. Der einzige Grund, dass keine Raketen von Qalqilya (Westbank) abgefeuert würden, liege in Stationierung der israelischen Armee dort.

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Shaul Arieli erläutert die historischen Grenzverläufe

Anderer Ansicht bzgl. der Verteidigungsfähigkeit Israels war Oberst (Res.) Shaul Arieli, führender Spezialist in Grenzfragen. Sein Vortrag konzentrierte sich auf einen möglichen Grenzverlauf bei einer verhandelten Zweistaatenlösung. Er gab einen historischen Abriss mit genauen Einwohnerzahlen und Grenzverschiebungen von 1948 bis heute. Er wies darauf hin, dass in der Westbank 127 Siedlungen existierten, wobei sich 40 % der Siedler sich auf drei Siedlungen konzentrierten: Ma’aleh Adumim, Beitar Illit und Modi’in Illit. Für die großen Siedlungsblöcke könne ein Gebietsaustausch verhandelt werden. Seinen Schätzungen nach wäre in 2050 in den ‘67er Grenzen immer noch ein 2/3 jüdische Mehrheit zu erwarten.

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Prof. Arnon Soffer gibt einen demographischen Abriss Israels

Auf die demographischen Entwicklungen konzentrierte sich der Vortrag von Prof. Arnon Soffers, Professor für Geographie an der Universität Haifa. Demographische Entwicklungen seien in der ganzen Welt eine der größten Herausforderungen, aber gerade in Israel brenne das Haus an zu vielen Stellen. Die Beduinen seien die Bevölkerungsgruppe mit dem größten Wachstum in der ganzen Welt. Seinen Angaben zufolge seien heute 30% der Juden im Kindesalter, 45% der Araber und 63% der Beduinen Kinder. Israel sei im Jahr 2000 schon dichter besiedelt gewesen als die am dichtesten besiedelten Länder wie Holland, Belgien oder Japan. Wenn man die Negevwüste nicht hinzurechne sogar doppelt so dicht besiedelt wie diese. Politisch bestehe hier höchster Handlungsbedarf, auch um die Bevölkerungskonzentration in Tel Aviv aufzulockern und Jerusalem zu stärken. Die Bevölkerungszahl auf palästinensischer Seite sei schwierig zu bestimmen, da 1967 die letzte offizielle Volkszählung stattfand. Seinen Quellen zufolge gebe es heute in Gaza und Westbank inkl. Ostjerusalem ca. vier Millionen Palästinenser. Für die Palästinenser sei es am vorteilhaftesten, sich in Geduld zu üben und abzuwarten, bis sie zahlenmäßig überlegen seien. Mit den Worten „Jeden Morgen an dem ich aufwache und König Abdullah und Mubarak noch leben freue ich mich, dass ich noch einen Tag gewonnen habe” drückte er seinen Pessimismus aus. Er warf die Frage auf, was Israel durch Nichthandeln zu gewinnen habe.

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RA Danny Seidman diskutiert mit den Teilnehmern den zukünftigen Status von Jerusalem

Auf die Bedeutung Jerusalems für die Friedensverhandlungen und ihre demographische Entwicklung ging Anwalt Danny Seidman, Experte für Jerusalemfragen ein. Ob es einen Friedensvertrag geben werde, könne man nicht sagen. Es sei aber mit Sicherheit zu sagen, dass es keinen Friedensvertrag geben werde ohne die Frage Jerusalems geklärt zu haben. Anders als die arabischen Israelis/Palästinenser, die im Zentrum Israels leben und israelische Staatsbürgerschaft besitzen würden, hätten die Ostjerusalemer Palästinenser nur eine Jerusalemer Identitätskarte und sähen sich nicht als Israelis sondern als Palästinenser. Viele Israelis verträten die Ansicht, dass Jerusalem nicht geteilt werden dürfe. Dies sei tatsächlich eine Möglichkeit. Die Frage sei aber, wie hoch der Preis hierfür sei. Seiner Meinung nach würde es mit dem momentanen Verlauf des Trennzauns eine palästinensische Mehrheit in Jerusalem geben bevor die Seminarteilnehmer das Pensionsalter erreicht hätten. Der Grenzzaun habe ¼ Million Palästinenser von der Westbank auf israelischer Seite abgeschnitten. Die Situation in Ostjerusalem sei momentan aufgrund der starken Präsenz des Shabak stabil. Man habe aber bereits mit dem Traktoranschlag vor einem Jahr das Gewaltpotential sehen können. Für eine Teilung Jerusalems stellte er verschiedene Lösungsansätze vor. Es seien allein zur Teilung Jerusalem 84 verschiedene ernstzunehmende Initiativen vorgestellt worden. In jedem Fall befürworte er nur solch eine Lösung, bei der kein Israeli an einem palästinensischen Polizisten vorbei müsse und umgekehrt.

Zur Frage der Fortführung des Status Quo, eines bilateralen Friedensvertrages oder eines einseitigen Rückzugs referierten Yoram Ettinger, Inhaber verschiedener offizieller Positionen und heute politischer Berater sowohl in Israel und USA sowie Mossi Raz, ehemaliger Knessetabgeordneter und Friedensaktivist. Herr Ettinger führte andere Bevölkerungsentwicklungszahlen an und sagte im Gegensatz zu Prof. Soffer einen Rückgang des arabischen Bevölkerungswachstums voraus. Seinen Zahlen entsprechend beträgt die Anzahl der in Gaza und Westbank lebenden Palästinenser 2,7 Millionen. Das demographische Argument werde gerne ins Feld geführt, um Panik zu verbreiten. Er argumentierte, dass es in den letzten 1.400 Jahren keinen Frieden unter den Arabern gegeben habe und es nicht eine einzige Demokratie gebe. Es existiere auch keinen Vertrag, an den man sich gehalten habe. Die Frage sei nicht, ob ein Friedensvertrag geschlossen werden könne, sondern ob die darin festgelegten Vereinbarungen eingehalten würden und die Grenzen aufrechtzuerhalten seien. Letztendlich ginge der Streit nicht um die Größe Israels sondern um seine Existenz per se. Seiner Ansicht nach müsse Israel die militärische Hoheit über das gesamte Gebiet westlich des Jordans behalten; die Palästinenser sollten zivilrechtliche und wirtschaftliche Autonomie erhalten.

Mossi Raz setzte dem entgegen, dass die Verträge mit Ägypten und Jordanien bis dato eingehalten worden seien, weil es gute Verträge seien und alle Seiten ein Interesse an ihrer Einhaltung hätten. Er kritisierte, dass sich kein israelischer Politiker bereit erklärt habe, mit den arabischen Nachbarn über die Initiative der arabischen Liga zu sprechen. Man könne nicht mit 1,5 Milliarden Arabern auf Ewigkeit im Streit liegen; auch ein Besatzungszustand sei nicht ewig aufrechtzuerhalten. Verträge lösten zwar nicht alle Probleme, aber sie seien ein Weg, die Existenz Israels zu bewahren.

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Der Vorsitzende der jungen Kadima umreißt parteipolitische Ziele

Im letzten Panel ging Dr. Beilin, ehemaliger Justizminister und stellvertretender Außenminister, auf das Problem der De-Legitimierung Israels in der Welt und die damit verbundenen politischen und wirtschaftlichen Nachteile ein. Mit Verweisen auf geschichtliche Ereignisse schilderte er die enge Verbundenheit Israels mit den USA und betonte die Wichtigkeit auch des transatlantischen Verhältnisses für die Zukunft dieser Region.

Die Vorträge waren Grundlage für intensive Diskussionen. Die Teilnehmer einigten sich auf einen allgemeinen Leitsatz, den alle Parteien unterschreiben könnten: „Israel wird ein jüdisch demokratischer Staat mit festgelegten verteidigungsfähigen Grenzen sein, der in Frieden mit seinen Nachbarn lebt.” In partei-internen Arbeitsgruppen wurde dieser Satz noch weiter spezifiziert. Hierbei häuften sich die gegenläufigen Vorstellungen. Für jüdische demokratisch konnten weitere gemeinsame Ausführungen gefunden werden, wie etwa in der Unabhängigkeitserklärung Israels: Der Staat gewährt allen seinen Bürgern, unabhängig von Religion, Rasse oder Geschlecht, volle soziale und politische Gleichberechtigung, sowie Freiheit in Religion, Gewissen, Sprache, Erziehung und Kultur. Bei der Charakterisierung „jüdisch” entflammten jedoch heftige Diskussionen mit den arabischen Nachwuchskräften von Kadima. Auch bei den weiteren Charakterisierungen gingen die Meinungen auseinander.

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Junge Nachwuchskräfte von Kadima und Avoda

Trotz aller Widersprüchlichkeiten konnten durch dieses gemeinsame Wochenende wichtige Kontakte und Freundschaften unter den Teilnehmern unabhängig ihrer politischen Couleur geschlossen werden. Alle eint das Bemühen, auch in schwierigen Zeiten Antworten zu finden, die Israel dem Frieden mit seinen Nachbarn näher bringen und die Zukunft des Staates in Sicherheit ermöglichen. In weiteren Treffen wollen die jungen politischen Nachwuchskräfte weiter an gemeinsamen Aussagen arbeiten, welche später auch öffentlich propagiert werden sollen.

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