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Litauen - Die Ergebnisse der Parlamentswahlen vom 10. Oktober 2004

von Dr. Andreas von Below

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- Nach der Auszählung der Wählerstimmen in allen 2031 Wahllokalen des Landes ging die neu gegründete Arbeitspartei unter der Führung des aus Russland stammenden Millionärs Viktor Uspaskich mit fast 30 % als Sieger aus der ersten Wahlrunde hervor.

- Die in einem Bündnis zusammengeschlossenen Regierungsparteien der Sozialdemokraten und Sozialliberalen mußten eine starke Niederlage hinnehmen. Sie verloren mehr als 20 % der Stimmen im Vergleich zu den Wahlen vor vier Jahren.

- Die oppositionelle Vaterlandsunion (Konservative) schnitt mit einer überraschend guten Plazierung ab und konnte über 5 % hinzu gewinnen.

- Die christdemokratischen Parteien scheiterten an der 5%-Klausel.

- Die Frage der Regierungsbildung steht noch offen und wird sich erst nach der 2. Wahlrunde in zwei Wochen entscheiden.

- Die Wahlbeteiligung war äußerst gering und lag bei unter 50 %.

Nach den Wahlen zum Europäischen Parlament und der Wahl des Staatspräsidenten, die im Juni stattfanden, wählte Litauen am 10. Oktober 2004 sein nationales Parlament (Seimas). Um die 141 Sitze bewarben sich insgesamt 1523 Kandidaten, die von insgesamt 20 politischen Parteien und 2 Koalitionen aufgestellt wurden.

Das litauische Parlament wird nach einem gemischten Wahlrecht gewählt. 70 Parlamentarier werden über die Kandidatenlisten der politischen Parteien nach dem Verhältniswahlrecht und die restlichen 71 als Direktkandidaten nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt. Für den Einzug ins Parlament ist für die einzelnen Parteien eine Wahlhürde in Höhe von 5% vorgesehen. Für die politischen Bündnisse und Koalitionen beläuft sich diese auf 7%. Bei der Aufteilung von Direktmandaten gilt derjenige Kandidat als gewählt, der in der ersten Wahlrunde mehr als 50% der abgegebenen Wählerstimmen auf sich vereinigt hat. Falls dies nicht der Fall ist, gibt es eine Stichwahl zwischen den zwei im jeweiligen Wahlkreis am besten abgeschnittenen Kandidaten. Zum Wahlsieger wird derjenige Kandidat erklärt, dem die Wähler ihr größeres Vertrauen entgegen gebracht haben unabhängig von der Höhe der Wahlbeteiligung (einfache Mehrheit).

Die vorläufigen Wahlergebnisse

Die vorläufige Auszählung der nach Verhältniswahlrecht abgegebenen Wählerstimmen ergab sechs folgende politische Parteien und Koalitionen, die nach dem jetzigen Stand den Einzug in den litauischen Seimas bereits geschafft haben:

Partei, Koalition, Abgegebene Wählerstimmen in %, Sitze im Parlament

Arbeitspartei, 28.60%, 22

Algirdas Brazauskas und Arturas Paulauskas Koalition

„Arbeit für Litauen“, 20.66%, 16

Vaterlandsunion, 14.58%, 11

Rolandas Paksas Koalition

„Für Ordnung und Gerechtigkeit“, 11.42%, 7

Liberale und Zentrumsunion, 9.13%, 7

Union der Bauernpartei und Neuer Demokratie, 6.60%, 5

Was die Ergebnisse der restlichen Parteien anbelangt, so konnte die die polnische Minderheit repräsentierende Wahlaktion der Polen Litauens 3,85% der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Zwei christdemokratische Parteien Christlich Konservative Soziale Union unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Vagnorius und die Litauischen Christdemokraten unter dem Bürgermeister der Stadt Moletai Stundys erhielten lediglich jeweils 1,96% und 1,36% der abgegebenen Stimmen. Die Hoffung auf Direktmandate, deren Aufteilung am 24. Oktober endgültig entschieden wird, bleibt für diese Parteien die einzige Möglichkeit im Parlament vertreten zu werden.

Die restlichen zu den Wahlen zugelassenen Parteien erhielten weniger als 1% der Wählerstimmen und waren für die Ergebnisse aus dieser Wahlrunde von geringer Bedeutung.

Bei der Wahl von Direktkandidaten konnten am 10. Oktober nur 5 die absolute Mehrheit bekommen. 3 Mandate erhielten die regierenden Sozialdemokraten und jeweils ein Mandat ging an die Arbeitspartei und die Wahlaktion der Polen Litauens.

Bewertung und Koalitionsaussichten

Der litauische Staatspräsident Adamkus äußerte seine Besorgnis im Zusammenhang mit der niedrigen Wahlbeteiligung. „Die Wahlen bieten den Bürgern die Möglichkeit, das Schicksal ihres Landes selber zu bestimmen. Ich bedauere, daß ein großer Teil der Wähler das Parlament nicht wählen wollte, dem wir die Zukunft unseres Landes anvertrauen werden“, so Adamkus.

Für die niedrige Wahlbeteiligung von 44,31% (im Jahr 2000 – 58,63%), werden von Politikwissenschaftlern verschiedene Ursachen angeführt. Einerseits sei sie durch die allgemeine Enttäuschung der Bevölkerung über die Politiker und die Politik zu erklären, die bereits während der Europawahl am 13. Juni deutlich zum Vorschein kam. Auch an dieser Wahl beteiligten sich weniger als 50% der potentiellen Wähler. Zudem hätten die Bürger mittlerweile mehr Selbstvertrauen gewonnen, so dass sie bereit seien, ihr Leben selbständig zu meistern. Sie erhofften sich von der Politik keine Verbesserung ihrer Lebensqualität und interessierten sich dem entsprechend auch weniger für die Wahlen.

Vor dem Hintergrund der Wahlergebnisse sehen führende litauische Politologen mehrere Möglichkeiten für die Bildung der künftigen Regierungskoalition. Laut dem Politikexperten aus dem Institut für Internationale Beziehungen und Politikwissenschaften, Alvidas Lukosaitis, wäre eine große Koalition zwischen den Sozialdemokraten, Sozialliberalen, Konservativen, Liberalen und der Bauernpartei begrüßenswerter und besser für Litauen als eine Koalition unter der Beteiligung der Arbeitspartei. Lukosaitis schließt aber auch die Möglichkeit einer Koalition zwischen der heutigen sozialdemokratischen und sozialliberalen Mehrheit und der Arbeitspartei nicht aus. Aufgrund der heftigen gegenseitigen Kritik zwischen diesen zwei politischen Kräften wäre ein solches Gebilde allerdings weniger wahrscheinlich.

Der politische Beobachter Lauras Bielinis ist ebenfalls der Meinung, dass die Arbeitspartei nicht mit der Regierungsbildung betraut werden sollte. Darüber hinaus prognostiziert er, dass ein Teil der Mitglieder der Arbeitspartei im litauischen Seimas in den nächsten sechs Monaten zu den anderen politischen Parteien überlaufen werde. Sie werden das wahre Gesicht ihres populistischen Parteivorsitzenden Uspaskich erkennen, der seine Programmvorstellungen unmöglich umsetzen könne. Dies werde sie früher oder später dazu veranlassen, die Fraktion von Uspaskich zu verlassen, so Bielinis.

Die politischen Parteien und ihre Führungen sind mittlerweile dabei, ihre potentiellen Partner für die voraussichtlichen Koalitionsbildungen auszuloten. Die konservative Vaterlandsunion unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Kubilius signalisiert ihre Bereitschaft, sich an der großen Koalition mit den anderen traditionellen Parteien gegen die Arbeitspartei zu beteiligen. Die Konservativen konnten im Vergleich mit den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2000, wo sie lediglich 9% der Wählerstimmen und 9 Sitze im Seimas bekamen, diesmal ihr Ergebnis überraschend verbessern.

Die anderen führenden Politiker sind in ihren Aussagen vorsichtiger. Es ist aber seitens der etablierten Parteien eine deutlich ausgeprägte allgemeine Bestrebung zu verspüren, die neu gegründete Arbeitspartei und ihren Vorsitzenden von der Regierungsverantwortung fern zu halten. Ob es ihnen gelingt, werden aber erst die Ergebnisse der zweiten Wahlrunde zeigen. Angesichts des aktuellen Kräfteverhältnisses ist es jedoch offensichtlich, daß für die Bildung der künftigen litauischen Regierung eine Einigung von mindestens drei politischen Gruppierungen herbeigeführt werden muß. In diesem Zusammenhang gewinnen die Mandate der Koalition Für Ordnung und Gerechtigkeit unter dem abgesetzten Staatspräsidenten Paksas sowie die der Bauernpartei von Paksas-Anhängerin Kazimira Prunskiene am zusätzlichen politischen Gewicht. Sie könnten das „Zünglein an der Waage“ werden.

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