Litauens Demokratie vor einer Bewährungsprobe - Auslandsbüro Baltische Staaten
Einzeltitel
Litauens Demokratie vor einer Bewährungsprobe
Der Staatspräsident gerät ins Zwielicht
Im Mai dieses Jahres hatte die litauische Bevölkerung mit über 90 Prozent für
den Beitritt zur Europäischen Union gestimmt. Dieses Ergebnis hatte selbst
Optimisten positiv überrascht. Es bestand zu diesem Zeitpunkt kein Zweifel mehr
daran, dass Litauen seinen Weg zu einer stabilen Demokratie geht und den
Beitritt in die westliche Wertegemeinschaft ohne große Schwierigkeiten meistert.
Litauen wurde von vielen Politikern und Beobachtern auf Grund der hohen
Zustimmung für den EU- Beitritt als Vorbild auch für andere Beitrittsländer
herausgestellt.
Doch ein halbes Jahr später fallen Schatten der Vergangenheit auf dieses Land,
das sich eben doch noch nicht vollständig aus alten Strukturen und dubiosen
Verbindungen lösen konnte.
Was ist geschehen?
Rolandas Paksas, zweimaliger Bürgermeister von Vilnius und ebenfalls für zwei
kurze Perioden Ministerpräsident Litauens, trat zu Beginn des Jahres 2003 als
Kandidat für das Amt des Präsidenten gegen den Amtsinhaber Adamkus an. Der
Präsident wird nach der litauischen Verfassung vom Volk gewählt. Zur
Überraschung vieler Beobachter überflügelte Paksas, der einen sehr
populistischen Wahlkampf führte, seinen Konkurrenten und wurde am 5. Januar
2003 mit 54,15 Prozent zum Präsidenten Litauens gewählt.
Paksas trat als Präsident nicht nur in der Außenpolitik sehr aktiv in Erscheinung
sondern er versuchte auch, in der Innenpolitik Akzente zu setzen und seine
Befugnisse zulasten des Ministerpräsidenten Brazauskas auszuweiten.
Während der Kampagne zum EU- Referendum im Frühjahr diesen Jahres setzte
er sich- nach anfänglichem Zögern- vehement für den EU- Beitritt seines Landes
ein und empfing eine Reihe hochrangiger Politiker aus Westeuropa. Aber er stand
auch in gutem Kontakt zu einer Reihe von Politikern aus den Nachbarstaaten der
ehemaligen Sowjetunion.
In den politischen Zirkeln von Vilnius gab es über den Präsidenten und seine
Umgebung aber seit seinem Amtsantritt Gerüchte, Vermutungen und Zweifel.
Diese bezogen sich insbesondere auf die Frage, wie der Präsident seinen sehr
aufwendigen Wahlkampf finanzieren konnte. Außerdem wurde mit Verwunderung
zur Kenntnis genommen, mit welchen Beratern und Freunden sich der Präsident
umgab, so z.B. mit einer Wahrsagerin aus Georgien, Lena Lolischwilli, mit der er
in engen Kontakt stand.
Gut zehn Monate nach seinem Amtsantritt kamen die Fragen zur Finanzierung
seines Präsidentschaftswahlkampfs und zu seinen Kontakten mit dubiosen
Beratern und Geldgebern unerbittlich an die Öffentlichkeit. Offensichtlich ist
soviel belastendes Material zusammen getragen worden, dass eine große
Mehrheit der Abgeordneten des litauischen Parlaments bereit war, ein
Amtsenthebungsverfahren in Gang zu setzen. Sie befürchten eine Bedrohung der
nationalen Sicherheit, wenn der Präsident weiter im Amt bleibt.
Die Ergebnisse der parlamentarischen Untersuchungskommission
Im Einzelnen hat eine vom Parlament eingesetzte Kommission folgende Punkt
aufgelistet:
- Die in Russland registrierte Firma Almax, von der vermutet wird, dass sie für den russischen Geheimdienst arbeitet, versucht Einfluss auf das Präsidentenamt zu nehmen, um die Zusammensetzung und die Struktur des Präsidialamtes zu verändern und die politischen Prozesse in Litauen zu beeinflussen.
- Der Präsident hat besondere Beziehungen zu dem russischen Unternehmer Yuri Borisov, dem wichtigsten Geldgeber von Paksas während des Präsidentenwahlkampfes. Borisov versuchte für seine eigenen wirtschaftlichen und politischen Ziele und mit Unterstützung der Firma Almax auf die Entscheidungen des Präsidialamtes und des Präsidenten selbst Einfluss zu nehmen.
- Personen mit zweifelhaftem Ruf und Verbindungen zu kriminellen Gruppen und zur Schattenwirtschaft nahmen Einfluss auf das Präsidialamt und versuchten, Personalwechsel an der Spitze wichtiger staatlicher Institutionen des Landes herbei zu führen.
- Der Präsident und seine Berater versuchten, Privatisierungsmaßnahmen und andere wirtschaftliche Geschäfte in unangemessener Weise mit zu steuern.
- Die Berater des Präsidenten dehnten Ihre Machtbefugnisse unangemessen aus, indem sie in die Entscheidungen anderer staatlicher Institutionen eingriffen.Dies wurde vom Präsidenten geduldet.
- Vertrauliche Informationen wurden über den Präsidenten und seine Berater an Personen weitergegeben, für die sie nicht bestimmt waren. Es wurde auch solche Personen mit vertraulichen Informationen versorgt, gegen die wegen vermuteter Rechtsvergehen ermittelt wurde.
Dem Präsidenten wurde inzwischen von vielen Seiten der Rücktritt nahe gelegt,
um Schaden vom Land abzuwenden. Inzwischen hat auch Ministerpräsident
Algirdas Brazauskas, der anfangs hinter Paksas stand, seinen Rücktritt gefordert.
„Wenn ich Präsident wäre, würde ich zurücktreten“ (Brazauskas hatte das
Präsidentenamt von 1993- 1998 inne).
Der Präsident weist aber nach wie vor alle Aufforderungen zum Rücktritt zurück.
Er bereist das Land und beteuert beim Volk seine Unschuld, indem er sich als
Opfer eines großangelegten Komplottes ansieht. Hingegen haben mittlerweile
fast alle seine Berater ihren Posten verlassen. Einige wurden von Paksas
entlassen, die meisten aber haben von sich aus ihren Rücktritt erklärt.
Offene Fragen
Zu den offenen Fragen, die noch nicht beantwortet wurden, gehört, warum die
Anschuldigungen gegen Paksas zu diesem Zeitpunkt in die Öffentlichkeit kommen
und wer die Diskussion in Gang gesetzt hat. Zwar ist bekannt, dass der aus
seinem Amt scheidende Chef des Geheimdienstes sich mit einem Dossier an den
Parlamentspräsidenten Paulauskas gewandt hat und damit den Stein ins Rollen
brachte. Aber es bleibt offen, ob er dies aus eigener Verantwortung oder auf
Bitten Dritter getan hat.
In diesem Zusammenhang ist zudem die Frage aufzuwerfen, ob die Methoden,
mit denen die Kontakte des Präsidenten und seiner Mitarbeiter zu dem
russischen Geschäftsmann Borisov und einigen weiteren dubiosen
Persönlichkeiten beobachtet wurden, rechtsstaatlichen Prinzipien entsprachen.
Neben Hausdurchsuchungen in einigen Büro- und Privatwohnungen wurden die
Telefongespräche selbst des Präsidenten vom Geheimdienst abgehört. Sie
wurden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und konnten Wort für Wort in der
Presse nachgelesen werden. In der litauischen Presse wurde darüber diskutiert,
ob damit nicht der Schutz der privaten Sphäre in unangemessener Weise verletzt
wurde.
Die positive Rolle der Medien
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Presse und Fernsehen ausführlich und
weitgehend unabhängig über den Skandal, seine Hintergründe und seine
Auswirkungen berichten können. Presse und insbesondere das staatliche
Fernsehen berichten fair und journalistisch gut. Dies ist sicherlich ein ganz
wichtiger Baustein für demokratischer Entwicklung in Litauen.
Ein schwieriger Weg steht bevor
Die Mehrheit der Parlamentsabgeordneten hat einem Verfahren zu
Amtsenthebung des Präsidenten zugestimmt. Es wurde eine 12köpfige
Parlamentskommission ins Leben gerufen, die aus sechs Parlamentariern und
sechs Juristen besteht. Sie soll die Vorwürfe gegen Paksas untersuchen und hat
zu Beginn des Jahres mit dem Verfahren zur Amtsenthebung des Präsidenten
begonnen. Allerdings hat sich Paksas bisher geweigert, vor der
Parlamentskommission zu erscheinen. Damit ist ein zusätzlicher
Verfassungskonflikt entstanden.
Litauen hat in diesem Jahr, in dem es in die EU und die NATO aufgenommen wird
und in mit der 1.Europawahl und der Wahl zum nationalen Parlament zwei
wichtige Entscheidungen bevorstehen, einen mühsamen Weg vor sich. Das Land
steht in seiner jungen demokratischen Geschichte vor einer schweren
Bewährungsprobe.