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Im Süden der Philippinen eskaliert Gewalt gegen Journalisten

Das Massaker von Maguindanao auf der philippinischen Insel Mindanao ist nicht nur das schlimmste politisch motivierte Verbrechen in der Geschichte der Philippinen; weltweit markiert es auch für die Medien einen traurigen Rekord: Niemals zuvor kamen innerhalb eines Tages mehr Journalisten bei der Arbeit ums Leben als am Montag (23.11.2009) in der südphilippinischen Provinz. Internationale Medienverbände fordern die rückhaltlose Aufklärung des Verbrechens. Dabei schwingt die Angst mit, dass die philippinische „Kultur der Straflosigkeit“ in anderen Ländern Südostasiens Schule machen könnte.

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Nachdem zunächst von 21 Toten die Rede war, gehen die Behörden nach neuen Leichenfunden seit Mittwoch von 57 Ermordeten aus, darunter nach bisherigen Meldungen mehr als ein Dutzend Journalisten. Die Suche nach weiteren Opfern hält an.

Die Medienvertreter begleiteten eine Wagenkolonne mit Anhängern des stellvertretenden Bürgermeisters von Buluan, Ismael Mangudadatu, auf dem Weg in die Provinzhauptstadt. Die Aktion war als Demonstration zu Unterstützung der Kandidatur des Politikers bei der nächstjährigen Gouverneurswahl bestätigen. Mangudadatu fuhr nach Morddrohungen selbst nicht mit; stattdessen führte seine Frau den Konvoi an.

Nach Angaben der Überlebenden wurde die Wagenkolonne von rund 100 Bewaffneten in der Nähe von Ampatuan gestoppt. Ein Teil der Gruppe, in der Mehrzahl Frauen, wurde auf der Stelle erschossen, der Rest entführt und später in der näheren Umgebung auf bestialische Weise ermordet. Für die Presse deutet alles darauf hin, dass die Täter zur „Privatarmee“ des politischen Gegners gehören.

„Öffentlichkeit“ kein Schutz vor Gewalt

Der Philippine Daily Inquirer meldete am Montag, dass sich insgesamt 37 in der Region ansässige Journalisten dem Konvoi angeschlossen hätten. Noch ist unklar, wie viele davon überlebt haben. Die nationale Journalistengewerkschaft (NUJP) geht davon aus, dass die Zahl der ermordeten Medienvertreter auf bis zu 20 ansteigen könnte. Der Inquirer-Korrespondent Aquiles Zonio, ursprünglich selbst für den Konvoi angemeldet, schreibt von 32 Medienvertretern, die dem Massaker zum Opfer gefallen seien.

Den Bewaffneten war allem Anschein nach sehr wohl bewusst, dass die Wagenkolonne von einer großen Zahl an Journalisten begleitet wurde. Zonio berichtet, dass ihn die Mitarbeiter des Hotels, in dem die Medienvertreter übernachtet hatten, auf zwei Motorradfahrer aufmerksam gemacht hätten. Die beiden Männer wollten von der Rezeption die Namen der mitreisenden Journalisten erfahren. Die Unbekannten seien verschwunden, nachdem ihnen das Hotel die Angaben nicht liefern wollte. Zonio und zwei seiner Kollegen entschieden sich nach dem Vorfall, den Konvoi vorsichtshalber nicht zu begleiten und stattdessen nach Buluan zurückzukehren. Das rettete ihnen wohl das Leben.

Nur kurze Zeit später und 50 Kilometer entfernt haben die Bewaffneten alle Hoffnung darauf, dass Journalisten im Süden der Philippinen einen gewissen Schutz vor Gewalt genießen oder Gewalt durch ihre Anwesenheit sogar verhindern helfen, brutal zerstört. Die Angst vor der „Öffentlichkeit“ ihres Handelns im Beisein so vieler Medienvertreter spielte für die Täter im Kugelhagel keine Rolle. Es ging allein darum, Zeugen zu beseitigen.

Verbreitete „Kultur der Straflosigkeit“

Das Center for Media Freedom and Responsibility (CMFR) in Manila bezeichnete die Philippinen als den “gefährlichsten Ort für Journalisten nach dem Irak und den mörderischsten Ort für Journalisten weltweit“. Das war bereits vor gut einem Jahr! Die International Federation of Journalists (IFJ) hat den traurigen Spitzenplatz des Inselstaates diese Woche bestätigt.

Nach den Statistiken des CMFR kamen dort seit 2001 – das Massaker von Maguindanao nicht mitgerechnet – 42 Medienvertreter gewaltsam ums Leben. Damit entfallen auf die Regierungszeit von Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo (seit 2001) mehr Gewalttaten gegen Journalisten als während der drei vorausgegangenen Regierungen unter den Präsidenten Estrada (1998-2001), Ramos (1992-1998) und Aquino (1986-1992) zusammen.

Das in New York ansässige Committee to Protect Journalists (CPJ) sieht einen der Gründe für die immer hemmungslosere Gewalt gegen Medienvertreter in einer „Kultur der Straflosigkeit“ auf den Philippinen. In diesem Punkt sei der Inselstaat mit Russland zu vergleichen. Wer Journalisten bedrohe oder ermorde, könne damit rechnen, ungeschoren davonzukommen. Die Zeugen der Anklage würden bestochen, eingeschüchtert oder ebenfalls ermordet. Spuren am Tatort würden entweder „übersehen“ oder manipuliert, um von den Hintermännern der Verbrechen abzulenken.

Zwar existiert für die Aufklärung von politisch motivierten Gewalttaten, darunter auch Verbrechen gegen Medienvertreter, seit 2006 die nationale Spezialeinheit USIG. Nach einem CPJ-Bericht vom August 2009 kann das Team bis jetzt aber nur in drei, nach anderen Quellen in vier Fällen auf eine Verurteilung verweisen.

„Ansteckungsgefahr“ für die Region

Für die Philippinen ist das Massaker von Maguindanao ein Schock. Die Morde vom Montag stellen alles bisher Dagewesene in den Schatten. Staats- und Regierungschefin Macapagal-Arroyo steht nach dem Massaker außen- wie innenpolitisch unter Druck. 2010 finden auf den Philippinen nicht nur Gouverneurs-, sondern auch Präsidentschaftswahlen statt. Die Medien werden die Entschlossenheit der Regierung im Vorgehen gegen politisch motivierte Gewalt bis dahin auf der Agenda behalten.

Auf der internationalen Bühne geht die Angst um, dass die philippinische „Kultur der Straflosigkeit“ Schule machen könnte, wenn sich Polizei und Staatsanwaltschaft nach einem Verbrechen dieser Tragweite jetzt nicht sehr schnell als entschlossene und wirksame Instrumente der Strafverfolgung herausstellen sollten.

UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon äußerte entsprechend die Hoffnung, dass „für die Gerechtigkeit keine Anstrengungen gescheut und die Täter verurteilt würden“. EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner begrüßte ausdrücklich die Beteuerungen von Präsidentin Macapagal-Arroyo für eine vorbehaltslose Aufklärung des Verbrechens.

Bereits im März waren Spitzenvertreter von Journalistenverbänden aus Thailand, Indonesien, Kambodscha und Malaysia nach Manila gereist, um in einer öffentlichen Erklärung vor der möglichen „Replizierung“ der „auf den Philippinen tief verwurzelten Kultur der Straflosigkeit“ in ihren Ländern zu warnen. Gewalt gegen Journalisten und die politische und juristische Einflussnahme auf die Medien seien auch in ihrer Heimat auf dem Vormarsch. Deshalb kommt der erfolgreichen und vorbehaltslosen Ahndung politisch motivierter Gewalt auf den Philippinen eine hohe symbolische Bedeutung auch für die weitere Entwicklung der Medienfreiheit in anderen südostasiatischen Staaten zu.

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Torben Stephan

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