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Veranstaltungsberichte

Integraciones diversas

von Frank Priess

Experiencias de intercambio cultural, político y económico entre América Latina con Europa y Norteamérica

Aktuellen Fragen von Migration und Integration widmete sich ein gemeinsames Seminar der Konrad Adenauer Stiftung mit der Stiftung „Rafael Preciado Hernandez“ und der PAN, das am 22. Februar in der mexikanischen Hauptstadt stattfand. Experten aus Lateinamerika, Europa und den USA diskutierten intensiv über eine den heutigen Notwendigkeiten angemessene Migrationspolitik und die Frage, welche Lehren gerade Lateinamerika aus Integrationsinitiativen in anderen Teilen der Welt ziehen kann.

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Präsentiert wurden dabei auch interessante Zahlen, u.a. von Jorge Peraza Breedy von der „Organización Internacinoal de Migraciones“. 87 Prozent der Wanderungen in Lateinamerika, so Peraza Breedy, sei Süd-Nord-Migration mit dem Hauptziel USA, wo die Menschen lateinamerikanischen Ursprungs bereits 2004 zur größten Minderheit geworden seien. Vier Prozent der lateinamerikanischen Bevölkerung lebe außerhalb der Grenzen ihres Heimatlandes. Der Migrationsdruck halte dabei ungedämpft an. In Ländern wie El Salvador gebe mehr als die Hälfte der Bevölkerung bei Befragungen den Wunsch an, ihr Land zu verlassen, in Ländern wie Peru sind es immer noch zwischen 40 und 50 Prozent. Mittlerweile entstünden „transnationale Gesellschaften“ zwischen Heimat und Diaspora, so der Experte. Dies werfe Fragen bezüglich Integration und Assimilation, Staatsbürgerschaftsrechten und Wahlbeteiligungen auf.

Eneas Biglione vom „Hispanic American Center for Economic Research“ in Miami wies nach, dass bisher durch die Migration kein Arbeitsmarktnachteil für US-Bürgern in den USA entstanden sei, im Gegenteil. Viele Migranten zahlten zwar in die bestehenden Steuer- und Sozialsysteme der USA zwangsweise ein, erhielten daraus aber keine Leistungen. Auch suchten zahlreiche US-Firmen händeringend nach Arbeitskräften, vor allem in der Landwirtschaft.

Alfredo Gonzaléz Reyes vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (PNUD) schilderte die aktuellen Entwicklungen der Migrationskonequenzen in und für Mexiko. Ein Grund für die anhaltenden Wanderungsbewegungen seien auch die enormen Unterschiede in Mexiko selbst. So habe die Hauptstadt ein der Tschechischen Republik vergleichbares Entwicklungsniveau, Bundesstaaten wie Chiapas bewegten sich auf einer Ebene wie die Kapverden. Die Einnahmen aus den Überweisungen der Auslandsmexikaner in ihr Heimatland, die sogenannten remesas, beliefen sich mittlerweile auf 57 Prozent der Summe, die Mexiko aus seinen Ölverkäufen erziele. Die Konsequenzen der Migration seien unterschiedlich: individuelle und gesellschaftliche Folgen könnten durchaus unterschiedlich sein.

Ein weiteres Panel widmete sich den Erfahrungen der Europäischen Union und ihrer möglichen Beispielwirkung für Lateinamerika. Die Freihandelszone NAFTA, so COLMEX-Experte Gustavo Vega, sei allerdings einer ganz anderen politischen Kultur geschuldet als die Gründung der EU. Auch habe das Thema einer NAFTA-Vertiefung nach dem 11. September 2001 eine „Migrationisierung“ erfahren, die aktuell Veränderungen chancenlos mache. Er könne sich aber vorstellen, dass die aktuell diskutierte „Initiativa Mérida“ Elemente enthalte, die auch seitens der USA über rein ökonomische und unmittelbare Sicherheitsfragen hinausgehe.

Kritisch viel die Analyse aus, die Alicia Puyana von FLACSO zu Kooperationsprojekten Lateinamerikas mit den USA anstellte. Die Vorteile seien in der Vergangenheit sehr ungleich verteilt gewesen, so die Professorin. Auch seien Präferenzen, die LA-Länder von den USA eingeräumt bekommen hätten, durch Freihandelsabkommen des Partners im Norden mit Ländern aus anderen Teilen der Welt stark entwertet worden. Märkte, so Puyana, seien eben nicht auf Dauer garantiert. Insgesamt habe es für die Lateinamerika weder ein nennenswertes Mehr an Arbeitsplätzen noch insgesamt einen dauerhaften Mehrwert gegeben. Nötig sei ein spezielle Förderungspolitik für bestimmte Sektoren, die Entwicklung strategischer Produkte, eine starke Ausweitung von Infrastrukturinvestionen sowie eine verbesserte vertikale Integration der verschiedenen Wirtschaftssektoren und eine Erhöhung von Ausgaben in Forschung und Entwicklung.

Lorena Ruana von der Universität CIDE und Stephan Sberro vom ITAM erläuterten den Zuhörern Möglichkeiten und Grenzen der Europäischen Integration. Die EU, so Ruana, erscheine nach außen viel eher als homogener Block als dies durch die reale Kooperationssituation gerechtfertigt sei. Diese lasse häufig für die Mitglieder ein „Europa a la carte“ mit „opt out“-Möglichkeiten zu. Auch gebe es viele nicht-integrierte Politikbestandteile. Stephan Sberro schilderte die Geschichte der EU-Lateinamerika-Gipfel, deren vierte Auflage jetzt im Mai in Lima/Peru bevorstehe. Hier, so Sberro, sei aus der Vergangenheit gelernt und eine vergleichsweise konkrete Agenda erarbeitet worden. Die Uneinigkeit innerhalb Lateinamerikas aber habe in der Vergangenheit sehr dazu beigetragen, bessere Ergebnisse zu verhindern. Der Gipfel in Wien 2006 etwa sei ein absoluter Tiefpunkt in dieser Hinsicht gewesen.

Ergänzt wurden diese Betrachtungen durch den Deutschen Botschafter in Mexiko, Dr. Roland Michael Wegener. Er empfahl anhand von fünf Achsen der Europäischen Integration ein Nachdenken in Lateinamerika: Die Müdigkeit nach gewaltsamen Konflikt sei in Europa ebenso ein Integrationsmotor gewesen wie die enge deutsch-französische Zusammenarbeit auf der Basis ganz konkreter Interessen. Nach und nach sei ein tragfähiges Netzwerk von Interdependenzen entstanden, die auch die Bereitschaft partieller Souveränitätsübertragung seitens der Mitgliedsstaate gefördert habe. Nicht zuletzt aber habe es europäische Führungspersönlichkeiten gegeben, die auch vor zeitweilig in ihren eigenen Ländern unpopulären Entscheidungen nicht zurückgeschreckt wären und diese gegen Widerstände auch durchgesetzt hätten.

Gegensätzlich waren die Zukunftsperspektiven von Tomás Jocelyn Holt von der chilenischen PDC und des mexikanischen Publizisten Macario Schettino. Auch wir, so Holt, „können EU sein“ – es fehle in Lateinamerika nicht an Ressourcen, sondern vor allem an einem entsprechenden politischen Willen. Er ärgere sich geradezu über die permanenten „kulturellen Inferioritätsgefühle“ der Lateinamerika. Fundamental für eine entsprechende Entwicklung sei aber eine Achse Mexiko-Brasilien – bestehe diese, wären konträre Wünsche anderer Staaten eher „peanuts“. Für Schettino hingegen sei die kulturelle Integration innerhalb bestimmter Nationalstaaten, allen voran Mexiko, noch nicht abgeschlossen. „Haben wir überhaupt Nationen, die sich mit anderen integrieren könnten“, fragte er provokativ und meinte, es gäbe in Lateinamerika wenig originäre Nationalstaaten, vielmehr aber von den ehemaligen Kolonialmächten willkürlich gezogene bürokratische Grenzen. Eher der Zusammenhalt nach innen nicht gestärkt und erreicht werde, sei darüber hinausgehende Integration schwierig. Für Mexiko sei der „Lateinamerikadiskurs“ derzeit nicht sehr relevant. Nötig sei eine zeitgemäße Aktualisierung der mexikanischen Institutionen, die „comunidad imaginaria“ des Landes müsse neu konstituiert werden.

In ihren Schlussbetrachtungen sahen sowohl PAN-Senatorin Teresa Ortuño als auch der Parlamentsabgeordnete Rogelio Carbajal zahlreiche Anknüpfungspunkte für die praktische Politik. Mexiko, so Carbajal, müsse natürlich seine Hausaufgaben machen, u.a. auf dem Gebiet der Sicherheit, aber auch denen von Kultur und Umwelt. Ortuño ihrerseits riet dem Land vor allem zu mehr “gelassenem Selbstbewusstsein. Mexiko sei sicher das Land mit den meisten internationalen Kooperationsabkommen – politische Führung aber sei erforderlich, um ihr Gewicht voll zum Tragen zu bringen. Nicht zuletzt die Kooperationsverträge mit der EU seien bisher nicht hinreichend genutzt.

Die Veranstaltung war sicher insgesamt der Auftakt zu einem vertieften Dialog über Fragen, die sowohl diesseits wie jenseits des Atlantiks auf der politischen Tagesordnung weit oben stehen. Die exzellenten Beiträge der Experten lieferten dabei nicht nur den rund 100 unmittelbaren Zuhörern aus Politik, Wirtschafts, Wissenschaft und Medien eine gute Diskussionsbasis.

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