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Veranstaltungsberichte

China: "Koloss auf tönernen Füßen"

von Reinhard Wessel

Wintervortrag der Panzerlehrbrigade 9 und der KAS in Munster

Einen interessanten und spannenden Einblick in das innere Gefüge des Reichs der Mitte und eine fundierte Einschätzung der zukünftigen Entwicklung bot Prof. Dr. Eberhard Sandschneider, Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin.

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Eingangs wies der Referent auf ein interessantes Phänomen hin: Es gebe kaum ein politisches Gespräch unter Freunden, das nicht irgendwann zum „Thema China“ hinführe. Ungeachtet dessen befassen sich die Medien kaum mit diesem Land. Während der Wahlkampf um die US-Präsidentschaft in all seinen Verästelungen und Wirrungen thematisiert wurde, kam der 18. Parteitag der KPCH nur am Rande vor. Vor diesem Hintergrund bot Prof. Sandschneider einen „Innenblick“ auf einige der wichtigen Parameter der chinesischen Entwicklung in der über dreißigjährigen Reformphase des Landes.

Diese kannte in allen Bereichen nur eine Richtung: "Von unten links nach rechts oben" in den Charts. Das Wirtschaftswachstum betrug im Schnitt 10 Prozent p a. und liegt zur Zeit bei 7,5 Prozent. Das hat nicht nur die Deutschen schwer beeindruckt, zumal dies durch Kommunisten organisiert wurde, die normalerweise – siehe Zusammenbruch des Ostblicks – nur über rudimentäre wirtschaftspolitische Kompetenzen verfügten. Dieser rasanten positiven Entwicklung stehen gewaltige Probleme und Risiken gegenüber.

So habe der sog. Gini-Koeffizient als Maßstab der Ungleichverteilung von Einkommen die kritische Marke von 0,4 mit 0,49 deutlich überschritten. Ein erheblicher Teil der daraus resultierenden Probleme seien der Grund für die im laufenden Jahr registrierten sozialen Unruhen aller Art. Auch verfügt China nicht über ein System der sozialen Sicherheit, was vor allem für unaufhaltsame Vergreisung der Bevölkerung und deren Versorgung ein enormes Problem darstellt. Traditionellerweise obliegt die Versorgung junger und alter Menschen den Familien. Diese sichern sich inzwischen durch zunehmende Sparanstrengungen ab, was allerdings dazu führt, dass die exportorientierte chinesische Wirtschaft an ihre Grenzen stößt und nicht damit rechnen kann, von einer verstärkten Binnennachfrage neue Impulse zu erhalten. Einige Sprengkraft liegt auch in dem Unruhepotenzial von 200 – 300 Millionen von Wanderarbeitern, die unter schwierigsten Bedingungen ihr Leben fristen müssen. Auch die Ernährungslage könnte prekär werden, da dem Anteil von 25 Prozent der Weltbevölkerung nur sieben Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche zur Verfügung stehen. Prof. Sandschneider resümierte denn auch, China sei von da aus gesehen „ein Koloss auf tönernen Füßen“. Die Faszination, die China zur Zeit auf deutsche Beobachter ausübe, erinnere ihn stark an den Beginn der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts, als die damals scheinbar aufstrebende Sowjetunion ganz ähnliche Reaktionen auslöste oder, darauf folgend, das japanische Erfolgsmodell.

Die Gründe für die stabile Aufwärtsentwicklung sind vor allem darin zu suchen, dass die KPCH in den letzten dreißig Jahren „keine Fehler“ gemacht hat. Anders als in Europa oder in Deutschland (2010, Energiewende etc.) denken chinesische Politiker nicht in anspruchsvollen Konzepten, die oft an den harten Realitäten scheiterten, sondern in „kleinen Schritten“. So sei die Teilprivatisierung der Landwirtschaft zunächst regional ab 1978 getestet worden, dann auf der Provinz- und erst dann auf gesamtstaatlicher Ebene. Erst 1984 kam die Industrie an die Reihe.

Für eine eher stabile Entwicklung spricht aber auch das Potenzial von 83 Millionen KPCH-Mitgliedern, die alle Interesse daran haben, das jetzige System weiter auszubauen. Dazu gehört auch die Volksbefreiungsarmee, die sich als Parteiarmee versteht und schon mehrfach bewiesen hat, dass sie aktiv und offensiv auch mit militärischen Mitteln Konflikte „bereinigen“ kann und will (Tibet, Platz des himmlischen Friedens“ etc.). Hinzu treten ca. 150 – 200 Millionen Mittelschichtsangehörige. Anders als im Westen oft gemutmaßt gehören sie nicht zur Avantgarde der Demokratiebewegung, im Gegenteil. Sie haben vom wirtschaftlichen Aufschwung erheblich profitiert und haben ein ureigenes Interesse daran, dass diese Entwicklung weitergeht. Für diese Schicht ist eine Demokratie westlicher Provenienz überhaupt nicht attraktiv. Man setze anstelle von Konfrontation und Kampf in der politischen Auseinandersetzung eher auf das Modell „Vernetzung“, um eigene Interessen durchzusetzen.

Einen gewaltigen Wandel hat die KPCH selbst durchlaufen. Der 18. Parteitag lieferte dafür wichtige Indizien, auch wenn über die wahren Hintergründe nur spekuliert werden kann. Zum zweiten mal ist eine Machtübergabe von einer zur nächsten Politikergeneration ohne Friktionen verlaufen, einschl. des wichtigsten Posten innerhalb des chinesischen Machtapparates, des Vorsitzes der Zentralen Militärkommission. In diesem Zusammenhang wies der Referent auf eine Besonderheit der chinesischen Machtstruktur hin. Diese sei mit unserem Verständnis von Macht und Amt nicht vergleichbar, weil sich die Macht weniger am Amt festmacht, als an informellen Vernetzungsstrukturen. So habe der langjährige mächtigste Mann im Staate Deng Xiaoping kein einziges politisches Amt innegehabt. Hier scheint sich insofern ein Wechsel anzubahnen, als der Machtwechsel sich offenbar stärker institutionalisiert. Damit ist auch bereits klar, dass bereits in fünf Jahren die gerade an die Macht gekommenen Politiker durch eine neue Generation abgelöst werden wird.

Im letzten Teil skizzierte Prof. Sandschneider in groben Zügen die Entwicklung der deutsch-chinesischen Beziehungen, die sich insgesamt zu einer „Erfolgsgeschichte“ entwickelt habe, auch wenn die vor allem von deutscher Seite immer wieder vorgebrachten Vorwürfe hinsichtlich der prekären Menschenrechtslage wenig zielführend seien. Diese seien aber ohnehin wenig erfolgreich, weil die chinesischen Politiker diese gern damit konterkarieren, indem sie auf zahlreiche Fälle verweisen, in denen die werteorientierte Politik des Westens an seine Grenzen stößt.

In der sich anschließenden Diskussion wies Prof. Sandschneider im Hinblick auf die möglichen Konfliktfelder und einer drohenden Militärintervention Chinas darauf hin, dass China grundsätzlich außenpolitisch nicht zu Abenteuern neige und auf Stabilität achte. Andererseits sei der Staat durchaus willens und in der Lage, seine Interessen offensiv wahrzunehmen und wies darauf hin, dass es eine Illusion sei, wenn man darauf vertraute, China irgendwie „einbinden“ zu können. Bereits Henry Kissinger habe dies erkannt und Chinas Entwicklung als „Ko-Evolution“ charakterisiert.

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