Asset-Herausgeber

Veranstaltungsberichte

Besuch der Henri-Nannen Journalistenschule in Ramallah

Schock über den Tod eines jungen Palästinensers, mit dem die KAS Ramallah zusammenarbeitete.

Im Rahmen einer mehrtägigen Informationsreise durch Israel und die Palästinensischen Gebiete besuchten die Studenten der Henri-Nannen-Journalistenschule am 03. August 2011 Ramallah. Ihr Ziel war es, sich ein Bild über die derzeitige politische Lage und das alltägliche Leben, der in Ramallah lebenden Palästinenser, zu machen. Schnell wurden sie dabei jedoch von der bitteren Alltagsrealität der Palästinenser eingeholt.

Asset-Herausgeber

Zu Beginn des Besuchs veranschaulichte Jörg Knocha, Projektmanager der KAS Ramallah, der Gruppe den Checkpoint Qalandiya, und beschrieb die Schwierigkeiten des palästinensischen Alltags, zu denen verschiedene Regelungen, Verbote und Gebote gehören. Er gab einen Einblick in die Problematik, welche Palästinenser ausgesetzt sind, wenn sie den Checkpoint passieren müssen.

Nach einem kurzen Fußweg besuchte die Gruppe das Flüchtlingslager Qalandiya. Dort wurden die Besucher durch den Chief Area Officer der UNRWA (United Nations Relief and Work Agency) empfangen. Die UNRWA ist zuständig für die palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten. Er berichte über die Aufgaben und Probleme mit denen sich die UNRWA befasst. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die Grundbedürfnisse der im Flüchtlingslager lebenden Menschen abzudecken, hierzu zählt die finanzielle, medizinische aber auch materielle Unterstützung. Neben der medizinischen Versorgung hat die UNRWA das Mandat für schulische und soziale Grundversorgung, hierzu zählen die zwei Schulen und ein „Community Center“ sowie ein „Woman Activity Center“. Das UN-Budget ist jedoch durch die UN an der Anzahl der im Flüchtlingslager lebenden Menschen begrenzt.

Er wies auch noch einmal ausdrücklich daraufhin, dass seit Beginn des Baus der israelischen Sperranlage die Arbeitslosigkeit innerhalb des Flüchtlingslagers gestiegen ist. Diese liegt mittlerweile bei etwa 45 Prozent. Viele Menschen, die zuvor im Industriegebiet in Jerusalem gearbeitet haben, verloren auf Grund des Sperranlage und einer meist fehlenden Erlaubnis, diese zu passieren, ihren Arbeit. Die UNRWA hat in Folge dessen ein sog. „Job Creation Project“ ins Leben gerufen, welches versucht, Menschen die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, wieder in Arbeit zu vermitteln. Abschließend führte er die Studenten durch das Flüchtlingslager, um ihnen einen kleinen Eindruck über das Leben der Menschen vor Ort zu verschaffen. Die Stimmung im Lager war angespannt, da nur zwei Tage zuvor zwei palästinensische Zivilisten bei einer israelischen Razzia getötet wurden. Bilder der jungen Männer waren an fast jeder Häuserwand zu sehen.

Anschließend fuhr die Delegation für ein Gespräch mit einem Mitarbeiter der NSU (Negotiations Support Unit) in das Büro der KAS Ramallah. Xavier Abu Eid veranschaulichte die Position der Palästinensischen Befreiungsorganisation in den Friedensverhandlungen mit Israel und gab einen Überblick über die historischen Entwicklungen in den Palästinensischen Gebieten. Das vorrangige Ziel der NSU ist die israelische Besatzung zu beenden, den Friedensprozess voranzutreiben und eine Zwei-Staaten- Lösung zu realisieren.

Des Weiteren erklärte Xavier Abu Eid, warum bis heute kein Frieden zwischen Israelis und Palästinensern herrscht, und eine Zwei- Staaten- Lösung nicht realisiert wurde. Hierzu führte er drei Aspekte an, zum einen die Frage um den Status der Palästinensischen Gebiete als Staat, zum anderen die Problematik um Jerusalem und die ungeklärte Situation der Flüchtlinge. Die NSU ist der Auffassung das Jerusalem in einer Zwei-Staaten- Lösung eine offene, liberale Hauptstadt eines israelischen und palästinensischen Staates sein kann. Probleme bestehen jedoch insbesondere durch die Sperranlage, welche sich zu großen Teilen nicht auf der sog. „Green Line“ sondern auf palästinensischem Land befindet. Teilnehmer der Gruppen fragten sich, warum dies geschehen konnte. Xavier Abu Eid antwortete hierauf, dass dies möglich war, da die Palästinensergebiete nicht die Rechte eines Staates besitzen und demnach nicht rechtlich gegen den Bau vorgehen können.

Weiterhin hielt es Xavier Abu Eid für nötig, dass Israel die Verantwortung für das entstandene Flüchtlingsproblem übernimmt. Ein weiterer Grund warum der Friedensprozess nicht voran schreitet, ist die ungelöste Frage der Siedler. Palästinenser sind auf Grund der Siedler erheblichen Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit ausgesetzt. Die Studenten der Henri-Nannen-Schule interessierten sich in diesem Zusammenhang dafür, warum Israelis sich dazu entscheiden hätten, in Siedlungen zu ziehen. Xavier Abu Eid erklärt dies durch die gesonderten Bedingungen, welche die israelische Regierung den Siedlern ermöglicht. Zum Beispiel die Tatsache, dass der Wohnungspreis in den Siedlungen im Vergleich zu Tel Aviv oder Jerusalem sehr niedrig ist.

Abschließend machte Xavier Abu Eid deutlich, dass die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung daran interessiert ist, gegen die erschwerten Bedingungen der Besatzung mit „Non Violence“-Projekten vorzugehen. Solche Projekte werden formuliert durch einen materiellen Boykott Israels oder durch die langfristige Investition in die Bildung der palästinensischen Bevölkerung.

Nach einer kurzen Stadtführung und einem gemeinsamen Mittagessen gab Jörg Knocha eine Einführung in die Arbeitsfelder der KAS Ramallah und stellte die Projektpartner der Stiftung vor. Danach traf die Gruppe Dr. Khalil Shikaki, einen angesehen politischen Analysten und Leiter des palästinensischen Meinungsforschungsinstitut PSR (Palestinian Center for Policy and Survey Research). Er gab den Journalistikstudenten einen Einblick über das Center und dessen Aufgaben. Insbesondere erhebt das PSR Daten zur Regierung, den Ministerien und Gerichten, sowie über Gesellschaftsentwicklungen und den Demokratie-Prozess. Vier Themen sind aktuell von besonderer Bedeutung. Israel und die Besatzung in den Palästinensischen Gebiete sowie die Initiative der Palästinenser im September vor der UN zu treten. Weiterhin von Bedeutung ist die Thematik über die geplante Versöhnung zwischen Fatah und Hamas. Zwei weitere Punkte sind die Finanzen und Löhne der Bevölkerung sowie die angestrebte „Demokratie- Entwicklung“ und geplante Neuwahlen.

Dr. Khalil Shikaki veranschaulichte diese Punkte durch Daten aus den aktuellen Umfragen des Instituts, und bemerkte, dass diese vier Themen bei der Bevölkerung und Regierung unterschiedliche Prioritäten einnehmen. So sind für die Bevölkerung die Versöhnung von Hamas und Fatah und die aktuelle „Demokratie-Entwicklung“ die wichtigsten Anliegen. Neuwahlen sind eher ein untergeordnetes Ziel. Dies erklärte Dr. Khalil Shikaki damit, dass die Bevölkerung der Meinung ist, dass bevor Wahlen stattfinden können, vorerst eine Versöhnung geschehen muss, um gleichzeitig in Gaza und dem Westjordanland Wahlen durchführen zu können. Die Regierung hingegen steht der Versöhnung mit Skepsis gegenüber, sie befürchtet den Verlust von internationaler Unterstützung. Für die Regierung im Westjordanland hat die Thematik um die Initiative der Palästinenser im September oberste Priorität. Die Versöhnung mit der Hamas ist eher ein untergeordnetes Ziel.

Die Gruppe der Henri-Nannen-Journalistenschule interessierte sich in der darauffolgenden Diskussion insbesondere für die Transparenz der Regierung gegenüber der Bevölkerung und wie diese ermöglicht wird. Hierzu erklärte Dr. Shikaki, dass dies durch Medien sowie durch Ansprachen der Regierung zum Volk gewährleistet sei. In der Verbindung zum „Arabischen Frühling“ und der aktuellen Entwicklungen in der arabischen Welt bestätigte Dr. Khalil Shikaki, dass in den Palästinensergebieten eine größere Medienfreiheit gewährleiste ist. Als weiteren Diskussionspunkt stand die „Demokratie-Entwicklung“ in den Palästinensergebieten im Raum. Die Journalistenstudenten waren sehr interessiert zu erfahren, inwieweit sich die palästinensische Bevölkerung ein demokratisches System wünscht. Das Meinungsforschungsinstitut PSR hat hierzu eindeutige Ergebnisse eruiert, welche veranschaulichen, dass die palästinensische Bevölkerung sich ein demokratisches System nach dem Beispiel Israels wünscht.

Nach einer angeregten Diskussion mit Dr. Khalil Shikaki kehrte die Delegation zurück ins Büro der KAS Ramallah, wo sie auf einen weiteren lokalen Partner trafen: MIFTAH (The Palestinian Initiative for the Promotion of Global Dialogue & Democracy). MIFTAH ist eine unabhängige Organisation, die 1998 in Jerusalem mit dem Ziel der Förderung von Demokratie und guter Regierungsführung gegründet wurde. Insbesondere arbeiten sie in den Bereichen Printmedien, Radio, Fernsehen und Online. Joharah Baker, Projektmanagerin von MIFTAH, wurde von einer Delegation junger Medienstudenten begleitet. Nach einer kurzen Einführung entstand eine rege Debatte um die Pressefreiheit der lokalen Journalisten. Der Schock war groß, als die Gäste aus Deutschland erfuhren, dass einer der beiden getöteten Zivilisten in Qalandiya ein Medienstudent war, mit dem MIFTAH und die KAS Ramallah zusammenarbeiteten. Zwei anwesende Journalisten der Tageszeitung „al Quds“ berichteten, dass Selbstzensur ein großes Problem sei. Die palästinensischen Medienstudenten brachten zum Ausdruck, dass die palästinensischen Tageszeitungen, meist das Sprachrohr der Regierung sind und nicht das Sprachrohr der Bevölkerung.

Abschließend gab es ein gemeinsames Abendessen in Ramallah, dass von angeregten Diskussionen bis in den späten Abend begeleitet wurde. Danach fuhr die Delegation der Henri-Nannen-Schule zurück nach Jerusalem.

Asset-Herausgeber

comment-portlet

Asset-Herausgeber

Asset-Herausgeber