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PP Madrid / flickr / CC BY 2.0 / creativecommons.org/licenses/by/2.0/

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Deutlicher Sieg der Volkspartei bei den Regionalwahlen in Madrid

von Dr. Wilhelm Hofmeister, Martin Friedek
Bei den vorgezogenen Regionalwahlen in der Autonomen Gemeinschaft Madrid gewinnt die Volkspartei (PP) eine deutliche Stimmenmehrheit und sichert die Wiederwahl ihrer Regionalpräsidentin Isabel Ayuso. Die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) von Ministerpräsident Pedro Sánchez erleidet eine ebenso deutliche Niederlage und ist nach Más Madrid nur noch die drittstärkste politische Kraft in der wichtigsten Gemeinschaft des Landes.

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Spanien ist im europäischen und internationalen Vergleich eines der von der Covid-19-Pandemie am härtesten getroffenen Länder. Doch statt der Vereinbarung von gemeinsamen Positionen und Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus und seiner Folgen wird seit Bekanntwerden der ersten Ansteckungen die landestypische Polarisierung zwischen den politischen Lagern mit unverminderter, ja teilweise zusätzlicher Härte fortgesetzt. Nicht zuletzt Ministerpräsident Pedro Sánchez hat vor dem Hintergrund der Pandemie versucht, seinem wichtigsten politischen Gegner, der Volkspartei (Partido Popular, PP), einen politischen ‚knock out‘ zu verpassen, nachdem die PP und ihr Vorsitzender Pablo Casado bei den Regionalwahlen in Katalonien Anfang Februar schwer angeschlagen wurden. Nach den Regionalwahlen in Madrid am 4. Mai aber ist nun Sánchez selbst angezählt. Sein politisches Manöver zur Degradierung der Volkspartei endete für ihn und seine Sozialistische Partei (Partido Socialista Obrero Español, PSOE) mit einer herben Niederlage. Die Volkspartei, ihre Madrider Regionalpräsidentin Isabel Ayuso und nicht zuletzt ihr Vorsitzender Pablo Casado sind durch die Regionalwahlen gestärkt worden. Für die PP ergibt sich plötzlich wieder eine Perspektive zur Eroberung der politischen Macht und Ablösung der Sánchez-Regierung, spätestens bei den Parlamentswahlen im Jahr 2023.

Anlass der Regionalwahlen in Madrid war ein politisches Manöver, das Sánchez mit der Vorsitzenden der Ciudadanos-Partei (Cs), Inés Arrimadas, ausgeheckt hatte. In der Autonomen Gemeinschaft Murcia, in der PP und Cs eine Regierungskoalition bildeten, sollte der-Regionalpräsident der PP mittels eines Misstrauensvotums mit Unterstützung der PSOE durch eine Politikerin der Ciudadanos abgelöst werden. Weil auch Ciudadanos in Katalonien einen herben Wahlverlust erlitten hatte, versuchte Arrimadas ihrer Partei durch die Annäherung an die PSOE neue politische Perspektiven zu eröffnen. Auch in der Gemeinschaft Castilla y León vereinbarten Sánchez und Arrimadas einen gemeinsamen Misstrauensantrag gegen die dortige PP-Cs-Koalitionsregierung. In Murcia wurde der Misstrauensantrag am 9. März eingebracht. Nur einen Tag später machte in Madrid, wo ebenfalls eine Koalition aus PP und Ciudadanos regierte, die Regionalpräsidentin Isabel Ayuso (PP) von dem ihr zustehenden Recht Gebrauch, das Regionalparlament aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Sie kam damit einem Misstrauensantrag zuvor, den – wie sich wenig später herausstellte – PSOE und Cs bereits vorbereiteten. In Murcia und Castilla y León scheiterten die Misstrauensanträge, weil Mitglieder der dortigen Fraktionen von Ciudadanos den Kurswechsel und die Weisungen ihrer Vorsitzenden nicht nachvollziehen wollten; etliche Cs-Mitglieder verließen ihre Partei und schlossen sich zum Teil der PP an. In Madrid dagegen begann einer der polarisiertesten Wahlkämpfe der letzten Jahre in Spanien.

Als die Journalistin Isabel Díaz Ayuso im Frühjahr 2019 von dem PP-Vorsitzenden Pablo Casado als Kandidatin für das Amt der Regionalpräsidentin des Jahres präsentiert wurde, war sie einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Sie hatte bis dahin kein Parlamentsmandat, war Pressesprecherin der PP in Madrid und hatte sich mit einem Posten in der Regionalregierung vor allem um den Internet-Auftritt der früheren PP-Regionalpräsidentin Cristina Cifuentes gekümmert. Nach den Stimmenverlusten der Volkspartei bei den Wahlen im April 2019 bildete sie eine Minderheitskoalition zusammen mit Ciudadanos, die nur mit den Stimmen der rechtspopulistischen Partei Vox ins Amt kam; Vox wurde nicht Teil der Regierungskoalition. Während der Pandemie gewann Ayuso durch zwei Faktoren bald ein eigenes Profil. Erstens verfügte sie nur für solche Viertel und Gemeinden der Region Madrid mit besonders hohen Corona-Inzidenzen zeitlich begrenzte Ausgangssperren und andere Beschränkungen, hielt ansonsten aber – im Gegensatz zu den meisten übrigen Autonomen Gemeinschaften – die Geschäfte, Restaurants und selbst Kinos, Theater und Konzertsäle, wenn auch mit reduzierter Gäste- oder Besucherzahl, offen. Die Geschäftsleute, Restaurantbesitzer und viele Madrilenen, die nicht auf diese Annehmlichkeiten verzichten wollten, waren dankbar dafür. Die Madrider Wirtschaft wurde dadurch von der Pandemie deutlich weniger hart getroffen als die anderer Gemeinschaften. Dass in den ersten Wochen und Monaten der Pandemie die Ansteckungen und Todesfälle vergleichsweise hoch und die Kapazitätsgrenzen der Krankenhäuser zur Aufnahme von Patienten überschritten waren, spielte im Wahlkampf keine größere Rolle. Wichtig war, dass Ayuso mit der Offenhaltung des wirtschaftlichen Lebens viele Firmen vor dem Schließen und einem Konkurs und viele Menschen vor der Arbeitslosigkeit bewahrte. Zweitens kritisierte sie permanent das Pandemie-Management von Ministerpräsident Sánchez und der nationalen Regierung. Dabei beklagte sie vor allem, dass Madrid aus politischen Gründen gegenüber anderen Autonomen Gemeinschaften bei finanziellen und medizinischen Hilfsprogrammen benachteiligt werden würde. Sánchez und andere Regierungsmitglieder führten dadurch eine anhaltende Auseinandersetzung mit Ayuso, die – wie in Spanien üblich – nicht durch persönliche Begegnungen und Gespräche auf einer sachliche Ebene ausgetragen wurde, sondern durch öffentlichkeitswirksame Attacken und orchestriert durch die Medien des jeweiligen Lagers.

Schon vor der Ausrufung der vorgezogenen Wahlen bestand somit ein hohes Maß an Polarisierung. Diese wurde noch dadurch verschärft, dass Pablo Iglesias, Vorsitzende der Unidas Podemos-Partei (UP), Koalitionspartner von Sánchez und 2. Stellvertretender Ministerpräsident, überraschend seinen Austritt aus der Regierung verkündete, um als Spitzendkandidat von UP am Madrider Wahlkampf teilzunehmen. Ayuso nutzte das als Vorlage, um die Regionalwahl zur Entscheidung zwischen „Kommunismus oder Freiheit“ zu erklären. Iglesias wiederum zog in den Wahlkampf, um Madrid „gegen den Faschismus“ zu verteidigen. Auch Ministerpräsident Sánchez, der sich anfänglich aktiv am Wahlkampf beteiligte, seine PSOE sowie die dritte Linkspartei „Más Madrid“ warnten vor einer Koalition der „extremen Rechten“, weil Ayuso eine Zusammenarbeit mit der Vox-Partei anstrebe. Eine Mehrheit der Wähler ließ sich jedoch nicht von einem solchen Szenarium abschrecken. Allerdings hat die Polarisierung zu einer deutlichen Mobilisierung der Wählerschaft beigetragen: Die Walbeteiligung erreichte mit mehr als 76 Prozent einen neuen Rekord.

Eindeutiger Wahlsieg der Volkspartei

Die Volkspartei und ihre Regionalpräsidentin Isabel Ayuso sind die eindeutigen Sieger der Regionalwahl. Die Umfragen hatten zwar auf einen deutlichen Stimmenzuwachs der PP hingewiesen, doch blieb bis zuletzt offen, ob sie eine Alleinregierung bilden könnte oder doch auf die Stimmen von Vox angewiesen wäre. Frau Ayuso ließ keinen Zweifel daran, dass sie sich gegebenenfalls mit den Stimmen von Vox als Regionalpräsidentin bestätigen lassen würde. Nach Auszählung der Stimmen stand fest, dass die PP mit einem Stimmenanteil von knapp 45 Prozent allein mehr Stimmen und Mandate im Regionalparlament gewonnen hat als die drei linken Parteien PSOE, IU und Más Madrid zusammen. In praktisch allen Stadtteilen, auch den bisher eindeutig von den linken Parteien dominierten, hat die PP eine Mehrheit gewonnen. Für ihre Wiederwahl genügt Frau Ayuso nun eine Enthaltung von Vox im zweiten Wahlgang. Das ist bereits sicher, weil Vox schon im Wahlkampf ankündigte, auf keinen Fall einer linken Regierung ins Amt zu helfen.

Zu erklären ist der Wahlsieg der PP aus den bereits genannten Gründen des Offenhaltens von Madrid und der Kritik am Corona-Management der Zentralregierung. Wichtige Themen im Wahlkampf waren daneben das Versprechen von Ayuso, Steuern zu senken, um der regionalen Wirtschaft nach der Pandemie neue Impulse zu verschaffen, sowie das etablierte dreiteilige Schulsystem aus öffentlichen, halböffentlichen („konzertierten“) und privaten Schulen zu erhalten, das derzeit mit einer von der nationalen Regierung angestrengten Reform deutlich verändert werden soll.

Neben Frau Ayuso ist der PP-Vorsitzende Pablo Casado ein weiterer Wahlgewinner. Er hatte Isabel Ayuso vor zwei Jahren ins Rampenlicht gestellt. Zwar ist in einigen Medien viel darüber spekuliert worden, dass sie aufgrund ihrer neuen Popularität und nach einem deutlichen Wahlsieg zur parteiinternen Herausforderin von Casado werden könnte, vor allem nachdem sie sich nicht sehr scharf von Vox distanzierte, während Casado seit dem vergangenen Jahr die Unterschiede zu Vox betont und mit einem moderaten Kurs Wähler aus der politischen Mitte zurückgewinnen will. Nach der Wahl sind solche Spekulationen über eine Rivalität zwischen Casado und Ayuso hinfällig. Der PP-Vorsitzende wurde durch das Wahlergebnis ebenfalls bestätigt und hat bereits angekündigt, dass er seine moderate Linie nicht aufgeben werde.

 

Das Ergebnis der Regionalwahlen in der Autonomen Gemeinschaft Madrid am 4. Mai 2021

Deutliche Niederlage der Sozialisten und von Ministerpräsident Sánchez

Die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) erzielte ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei Regionalwahlen in Madrid. Nicht nur blieb sie mit knapp 17 Prozent Stimmenanteil erstmals seit 1983 unter der 20-Prozent-Marke. Besonders schmerzlich ist es für sie, dass sie die Führungsrolle unter den linken Parteien an „Mas Madrid“ abgeben musste, die ein gutes Zehntelprozent bzw. knapp 4.000 Stimmen mehr erhielt als die PSOE. Regierungschef Pedro Sánchez hatte den glücklosen Spitzendkandidaten der PSOE, Ángel Gabilondo, selbst ausgesucht und beteiligte sich anfangs sehr intensiv am Wahlkampf mit polemischen Angriffen auf die PP und ihre Kandidatin. So warnte er beispielsweise davor, dass mit der Wahl der liberalen Isabel Ayuso in ganz Spanien die Demokratie enden und der Faschismus beginnen würden. Als die Niederlage absehbar war, zog sich Sánchez aus dem Wahlkampf zurück.

Dass die PSOE nicht nur Stimmen an die PP verloren hat, sondern auch an zwei linkspopulistische Alternativen (Más Madrid gewann 4 Mandate hinzu, Podemos 3 Mandate), zeigt die Unzufriedenheit vieler linksgerichteter Wähler mit der PSOE und der Regierung Sánchez. Vor allem die Kritik am Corona-Management spielte hier eine Rolle. Obwohl Sánchez zuerst durch die Abkommen mit Ciudadanos bei den missglückten Misstrauensvoten in Murcia und Castilla y Leon und dann im Wahlkampf eine zentrale Rolle bei den Wahlen in Madrid spielte und er zudem Generalsekretär der PSOE ist, weigerte er sich auch noch eine Woche nach der Wahl beharrlich, zu dem Wahlergebnis Stellung zu nehmen. Selbst während des EU-Gipfels in Porto vermied Sánchez jeden Kontakt mit Journalisten, um nicht auf das Wahlergebnis in Madrid angesprochen zu werden.

Más Madrid konsolidiert sich auf Kosten der PSOE

Más Madrid ist eine linksrepublikanische, feministische und, nach ihrem Selbstverständnis auch ökologistische, Plattform, die von der Bürgerrechtlerin und spätere Bürgermeisterin Madrids (2015-2019), Manuela Carmena, begründet wurde. Auf nationaler Ebene tritt die Bewegung unter dem Namen Más País auf. Geführt wird sie von Íñigo Errejón, der ein Mitbegründer von Podemos war, diese Partei aber im Streit mit Pablo Iglesias 2019 verlassen hatte. Errejón wurde 2019 ins nationale Parlament gewählt. Spitzenkandidatin von Más Madrid bei den Regionalwahlen war Mónica García Gómez, die als Ärztin im Wahlkampf vor allem ihre Erfahrungen bei der Betreuung von Corona-Infizierten und den Kampf gegen die Pandemie thematisierte.

Más Madrid begreift sich selbst nicht nur als sozialistische Partei, sondern versucht vor allem auch ihr grünes Profil zu schärfen, um sich damit künftig erfolgreich von der PSOE und Podemos abzuheben. Errejón hat viele ehemalige Mitglieder und Anhänger von Podemos für Más Madrid gewinnen können. Dadurch kann diese Partei nun fast doppelt so viele Abgeordnete stellen wie Podemos. Ihr grünes Profil ist jedoch bisher eher als Willensbekundung denn als politische Kernkompetenz einzuschätzen. Trotzdem ist dieses Profil für viele gebildete Wähler des linken Spektrums sehr attraktiv, weshalb das Potential von Más Madrid nicht zu unterschätzen ist. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass diese Bewegung aufgrund des sehr spezifischen Wählerprofils vorerst auf wenige spanische Großstädte wie Madrid und Barcelona beschränkt bleiben dürfte. Dabei ist Más Madrid keinesfalls als eine moderate Partei einzuschätzen, sondern als eine sozialistische Bewegung, die das Kollektiv in vielen Belangen über die individuellen Bürgerrechte stellt. Spitzenkandidatin García stellte am Wahlabend verbittert fest, „Millionen (sic.)“ Madrilenen seien enttäuscht darüber, dass die PP nicht hätte entfernt werden können und der „Egoismus“ gesiegt habe.

Der Niedergang von Podemos hält an – und der Parteivorsitzende tritt zurück

Hatte Podemos bei den Regionalwahlen des Jahres 2015 als neugegründetes, linkspopulistisches Projekt des Protestes begeistern können und 2016 sowie 2019 auch auf nationaler Ebene gute Wahlergebnisse erzielt, ist der Niedergang dieser „Bewegungspartei“ mittlerweile unverkennbar. Schon bei den Regionalwahlen 2019 erlebte Podemos einen deutlichen Stimmen- und Mandatsverlust zugunsten von Más Madrid. Angesichts einer drohenden Niederlage trat der IU-Vorsitzende, Pablo Iglesias, als stellvertretender Regierungspräsident und Minister für Soziale Rechte und Agenda 2030 zurück, um Unidas Podemos zu neuem Schwung zu verhelfen. Als Mitglied der nationalen Regierung hat Iglesias wenige handfeste Ergebnisse vorzuweisen. Sein Desinteresse an der Bearbeitung von politischen Sachfragen war unverkennbar. Während des Wahlkampfs in Madrid zeigte er zwar sein Talent der Polarisierung und Mobilisierung und verhalf seiner Partei dadurch zu drei zusätzlichen Mandaten. Dennoch blieb dieses Ergebnis weit hinter den selbstgesteckten Erwartungen zurück. Noch in der Wahlnacht trat Iglesias frustriert von allen Ämtern zurück und lehnte es ab, sein frisch gewonnenes Mandat anzunehmen. Für die spanische Politik dürfte das kein Nachteil sein, weil Iglesias wiederholt Freund und Feind und nicht zuletzt seinen nationalen Koalitionspartner Pedro Sánchez mit überraschenden Verlautbarungen und Aktionen in Erklärungsnotstand brachte. Für die Zukunft ist mit einem weiteren Niedergang von Podemos zu rechnen.

Vox konsolidiert

Neben Podemos stand die nationalkonservative Partei Vox im Zentrum der Kontroversen des Wahlkampfes. Die Partei und ihre Spitzenkandidatin Rocío Monasterio machten u.a. durch herabsetzende Bemerkungen gegenüber jugendlichen Migranten von sich Reden. Im Vergleich zur Regionalwahl von 2019 gewann Vox 30.000 zusätzliche Wähler und ein weiteres Mandat. Das blieb hinter ihren anfänglichen Erwartungen zurück. Ihr Parteichef Santiago Abascal kündigte an, dass Vox trotz der Angriffe des PP-Vorsitzenden Pablo Casado Isabel Ayuso ohne Gegenleistung zur Regionalpräsidentin mitwählen werde. Ob Vox die Minderheitsregierung von Ayuso auch bei wichtigen Gesetzesvorhaben und der Verabschiedung eines regionalen Haushaltsplans ohne Weiteres unterstützen wird, bleibt abzuwarten.

Ciudadanos kollabiert

Noch vor zwei Jahren, bei den nationalen Wahlen im April 2019, hatte die liberale Partei Ciudadanos knapp 16% der Stimmen und 57 Mandate in der Abgeordnetenkammer gewonnen. Vielen Beobachtern galt Ciudadanos als neue Kraft eines politischen Zentrums, das bis dahin in Spanien nicht existiert hatte. Ihr damaliger Vorsitzender Albert Rivera schlug damals die Chance einer Regierungsbildung mit den Sozialisten aus, weil er hoffte, seine Partei, könne bald schon die PP als zentrale Kraft im Mitte-Rechts-Spektrum des spanischen Parteiensystems ablösen. Doch bereits bei den November-Wahlen von 2019 erhielt Ciudadanos für diese Fehleinschätzung die Quittung der Wähler: Ihr Stimmenanteil sank auf knapp sieben Prozent und die Zahl ihrer Mandate auf zehn. Rivera überließ den Parteivorsitz Inés Arrimadas, der Siegerin der Regionalwahlen in Katalonien von 2017. Doch von den damaligen 25 Prozent blieben der Partei bei den dortigen Regionalwahlen im Februar 2021 nur noch knapp sechs Prozent. In einer verzweifelten Aktion der Re-Orientierung ihrer Partei suchte Arrimadas in den vergangenen Wochen einen Anschluss an die PSOE von Pedro Sánchez. Die missglückten Verfahren zum Koalitionswechsel in Murcia und Castilla y León wurden bereits erwähnt. In Madrid scheiterte Ciudadanos nun an der 5-Prozent-Hürde und hat damit nicht nur ihre Regierungsbeteiligung, sondern auch jegliche Vertretung im Regionalparlament verloren. In vielen Teilen Spaniens haben mittlerweile Mitglieder und Mandatsträger die Partei verlassen, viele in Richtung der Volkspartei (PP). Arrimadas und ihr Führungszirkel weigerten sich zwar bisher, die politische Verantwortung für diese dramatische Entwicklung zu übernehmen. Doch es ist absehbar, dass Ciudadanos künftig keine relevante Rolle im spanischen Parteiensystem übernehmen wird. Angesichts des Wahlergebnisses in Madrid ist eher mit ihrem Untergang als nationale Partei zu rechnen.

Perspektiven

Am Sonntag, den 9. Mai 2021, endete der am 29. Oktober 2020 verkündete Alarmzustand. Damit sind die Autonomen Gemeinschaften in Spanien wieder weitgehend selbst für die Präventivmaßnahmen gegenüber der Verbreitung des Coronavirus verantwortlich. Überall im Land wurde die neue Freiheit gefeiert, auch wenn einige Gemeinschaften an Ausgangsbeschränkungen und anderen Restriktiven Maßnahmen festhalten wollen. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob die neuen Freiheiten nicht vielleicht zum Ausbruch einer neuen Infektionswelle führen.

Eine andere Welle wurde durch das Ergebnis der Regionalwahlen in Madrid ausgelöst, die die Volkspartei eventuell wieder ins Zentrum der Macht tragen könnte. Schien die PP nach dem schlechten Ergebnis bei den Regionalwahlen in Katalonien Anfang Februar tief verstört und ohne realistische Perspektive auf eine Widergewinnung der nationalen Regierungsführung, so hat sich das Bild in wenigen Wochen grundlegend verändert. Innerhalb der Partei macht sich Optimismus breit, dass sie bald wieder nationale Regierungsverantwortung übernehmen und ihr Vorsitzender Pablo Casado Ministerpräsident des Landes werden könnte. Mit seiner moderaten Haltung versucht Casado Stimmen des politischen Zentrums zu gewinnen. Ein Parteikongress im September und die Erneuerung der Führungskader in den Autonomen Gemeinschaften und Provinzen sollen die Voraussetzungen für künftige Wahlerfolge schaffen.

Diese Aussichten sind deshalb nicht unrealistisch, weil sich Ministerpräsident Sánchez schwertut, mit seiner Minderheitsregierung Regierungsfähigkeit zu demonstrieren. Seine Abhängigkeit von nationalistischen Regional- und Kleinparteien und seine Weigerung zu einer sachorientierten Zusammenarbeit mit der wichtigsten Oppositionspartei – der PP –, beispielsweise bei der auch von der EU angemahnten Erneuerung der Justiz, erweisen sich zunehmend als belastend sowohl für das Regierungshandeln als auch für die Sozialistische Partei. Noch scheint Sánchez darauf zu setzen, dass sich Schicksal und Ansehen seiner Regierung mit den demnächst aus dem europäischen Corona-Hilfsfonds zur Verfügung stehenden 140 Milliarden Euro verbessern lässt. Doch die Verwendung dieser Mittel birgt neuen Zündstoff, der die Minderheitsregierung aus PSOE und Unidas Podemos und ihre Unterstützer aus den nationalistischen Parteien eher sprengen als einen kann.

 

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