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Seminar

BRASILIEN: UNVERZICHTBARER PARTNER IM INTERAMERIKANISCHEN MENSCHENRECHTSSYSTEM

Seminar für hohe Justizfunktionäre Brasiliens

Am 4. Februar 2013 wurden die drei neu ernannten Richter des Interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte, Roberto de Figueiredo Caldas (Brasilien), Humberto Antonio Sierra Porto (Kolumbien) und Eduardo Ferrer Mac-Gregor (Mexiko),

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in San José, Costa Rica, zu Beginn der 98. ordentlichen Verhandlungsperiode vereidigt. Sowohl Ferrer Mac-Gregor als auch Sierra Porto sind bereits seit einigen Jahren Mitglieder der Studiengruppe für Verfassungsgerichtsbarkeit und Grundrechte des KAS Rechtsstaatsprogramms Lateinamerika.

Die drei neu ernannten Richter ersetzen Leonardo A. Franco (Argentinien), Margarette May Macauley (Jamaica) und Rhadys Iris Abren Blondet (Dominikanische Republik). Damit ändert sich die Zusammensetzung des Gerichtshofes deutlich. Die neuen Richter stammen aus wirtschaftlich und politisch einflussreichen Ländern der Region. Die übrigen Richter stammen aus Chile, Costa Rica, Uruguay und Peru. Die Karibikstaaten oder auch die Staaten des von Hugo Chávez ins Leben gerufenen ALBA-Bündnisses sind nicht „repräsentiert“. Angesichts der Tatsache, dass mit Mac-Gregor Poisot und Sierra Porto zwei Verfassungsrechtsexperten auf der Richterbank Platz nehmen, ist zu erwarten, dass der verfassungsrechtliche Dialog zwischen Gerichtshof und den AMRK-Mitgliedstaaten gestärkt wird und die Rechtsprechung auf beiden Seiten hiervon profitieren wird.

Anlässlich der Vereidigung und der ersten Sitzungen des Gerichts in seiner neuen Zusammensetzung hat die KAS zusammen mit dem Interamerikanischen Institut für Menschenrechte und Richter Roberto Caldas ein dreitägiges Seminar durchgeführt, um hochrangige Vertreter aus Justiz und Regierung insb. aus Brasilien an das Interamerikanische Menschenrechtssystem heranzuführen. Besonderes Augenmerk lag auf der Zusammenarbeit des Gerichtshofes und der Kommission mit Brasilien. Vertreten waren führende Persönlichkeiten aus Recht und Politik, unter ihnen der ehemalige Präsident des brasilianischen Obersten Gerichtshofs Carlos Ayres Britto, Richter des obersten Militärgerichts, die stellvertretende Generalstaatsanwältin Deborah Dupret, Justizstaatssekretär und Präsident der Amnestiekommission Dr. Paolo Abrao ebenso wie Repräsentanten der Lateinamerikanischen Vereinigung der Arbeitsrichter (Roberto Caldas war bis vor kurzem Richter des Obersten Arbeitsgerichts in Brasilien).

Die Teilnehmer hatten im Rahmen verschiedener Programmpunkte Gelegenheit, die Funktionsweise und Akteure des IAGMR kennenzulernen. In Vorträgen und Diskussionsrunden, an denen sowohl die geladenen Gäste, Experten, der Präsident und die Richter des IAGMR sowie der Präsident und andere Mitglieder der Interamerikanischen Menschenrechts¬kommission teilnahmen, wurden rechtliche Grundlagen und Rechtsprechung vermittelt, aber nicht minder über aktuelle politische Herausforderungen des IAMR-Systems diskutiert. Auch die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung des Gerichts in einer Klage gegen Ecuador (Quintana Coello) wurde den Teilnehmern ermöglicht.

Brasiliens Entscheidung, einen Richter für den Gerichtshof zu nominieren, wurde vielfach als wichtiger Schritt für das Interamerikanische Menschenrechtssystem bezeichnet, vor allem vor dem Hintergrund, dass Brasilien sich einige Jahre lang vom System distanziert hatte. Die Nominierung Roberto Caldas’ verdeutlicht das Interesse Brasiliens, in Zukunft eine größere Rolle im interamerikanischen Menschenrechtssystem zu spielen. Dies begrüßte der Präsident des IAGMR Diego García Sayán in seiner Rede während des Arbeitsmittagessens als große Chance, die Zusammenarbeit mit Brasilien als unverzichtbarem Partner in der rechtsstaatlichen und demokratischen Entwicklung Lateinamerikas zu stärken.

Reform der Kommission

Insgesamt ist das Interamerikanische Menschenrechtssystem im Wandel begriffen. Die Organe haben in den letzten Jahren ihr Schlagkraft erhöht und zum Teil bei aktuellen und politisch sensiblen Entwicklungen in den Mitgliedsstaaten interveniert, etwa im Hinblick auf den Umgang mit schweren Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit (Brasilien, Peru, Uruguay, Kolumbien, Guatemala, Mexiko), die Beteiligung indigener Gemeinschaften bei der Planung großer Infrastrukturprojekte oder beim Abbau von Bodenschätzen auf indigenen Territorien (Brasilien, Ecuador, Bolivien), Auseinandersetzungen über die Reichweite der Pressefreiheit (Ecuador), Abgrenzungsfragen zwischen Moral und Recht (Chile, Costa Rica) oder auch die Verteidigung der politischen Opposition gegen rechtsstaatswidrige Maßnahmen der Machthaber (Venezuela). Erst seit einigen Jahren haben die Mitgliedstaaten mithin die Existenz und Wirkung des Systems zu spüren bekommen. Die Reaktionen fallen sehr unterschiedlich aus und reichen vom uneingeschränkten Umsetzungswillen (Kolumbien, Costa Rica), über punktuelle (Kolumbien, Mexiko, Peru, Uruguay, Brasilien, Argentinien) bis hin zu massiver Kritik mit Austrittsdrohungen (Bolivien, Ecuador, Nicaragua) oder gar der vollzogenen Aufkündigung (Venezuela). Der Umstand, dass die Kritik sowohl von „rechts“ als auch von „links“ kommt, zeugt letztlich für eine im Wesentlichen ausgewogene, allein an der Effektivisierung des Menschenrechtsschutzes in Lateinamerika orientierten Tätigkeit der Organe des Interamerikanischen Menschen¬rechtssystems.

Aufgrund der frontalen Kritik einiger Staaten, insbesondere gegen die Arbeit der Kommission, befindet sich das System seit zwei Jahren in einem Reformprozess. Hierbei wurden eher symbolische (aber nicht zu vernachlässigende Fragen) erörtert wie der Sitz der Kommission in den USA, welche die AMRK nicht unterzeichnet und die Jurisdiktion des IAGMR nicht anerkannt haben, oder eine angeblich tendenziöse Arbeit der Sonderberichterstatterin für Meinungsfreiheit unter dem Einfluss von US-Nichtregierungsorganisationen. Auch die Konsequenzen der Unterfinanzierung der Kommission und des Gerichtshofs durch die Mitgliedstaaten waren Thema der Auseinandersetzungen, weil die daraus resultierende Mitfinanzierung durch NROs und Drittstaaten aus Europa diesen, nach Ansicht gerade des ALBA-Verbundes, einen unerwünschten Einfluss auf die Organe gebe.

Diese Entwicklungen wurden in den Gesprächsrunden und Vorträgen des Seminars häufig thematisiert. Bereits zu Anfang wurden Entwicklung, Kompetenzen und Funktionen der Organe des Interamerikanischen Menschenrechtssystems behandelt. Betont wurde die Notwendigkeit, dass langfristig alle Mitgliedstaaten der OAS die AMRK ratifizieren, dem Gerichtshof beitreten und sich dessen Rechtsprechung unterwerfen. Dieser Appell war nicht nur aber doch maßgeblich an die USA und Kanada gerichtet. Zuspruch erhielt daher zum Teil auch der Vorschlag, im Rahmen des Reformprozesses den Sitz der Kommission aus Washington D.C. in ein Land zu verlegen, welches tatsächlich Mitglied der AMRK sei. Der Sitz der Kommission in den USA, ohne dass sich diese der AMRK und dem IAGMR angeschlossen haben ist zwar rechtlich unproblematisch, eröffnet aber eine verwundbare Flanke für den populistischen Diskurs gerade der ALBA-Staaten gegen den „nordamerikanischen Imperialismus“.

Die Ergebnisse des Reformprozesses werden Ende März 2013 erwartet. Sie wurden unter Berücksichtgung der Reformvorschläge der bereits im Jahr 2011 eingesetzten Arbeitsgruppe („Special Working Group to Reflect on the Working of the IACHR“), Stellungnahmen der OAS-Mitgliedstaaten und der Zivilbevölkerung erarbeitet. Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit sich die Befürchtungen einiger NGOs, Menschenrechtsaktivisten und Politiker bewahrheiten werden. Der OAS war in Washington am 7. Dezember anlässlich einer letzten Beratungsrunde zur Reform der Kommission eine Petition überreicht worden, in der davor gewarnt wurde, dass das Mandat der Kommission durch die Reform der Kommission begrenzt werden könnte. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderen die ehemaligen kolumbianischen Präsidenten César Gaviria und Andrés Pastrana, die früheren Staatschefs Perus und Ecuadors, Alejandro Toledo und Rodrigo Borja sowie zahlreiche prominente Schriftsteller, Menschenrechtler und Politiker. Auch bestehen Befürchtungen, dass es Opfern von Menschenrechtsverletzungen erschwert werden könnte, diese vor der Kommission anzuzeigen.

Entwicklung des Gerichtshofes

Aus gegebenem Anlass war auch die Entwicklung des Gerichtshofes Gegenstand der Diskussionen. Dieser hat vor drei Jahren ebenfalls einen Reformprozess durchlaufen. Dabei wurde die Repräsentation der Opfer von Menschenrechtsverletzungen gestärkt: nunmehr werden diese nicht mehr von der Kommission vertreten, sondern können sich selbst durch einen Anwalt verteidigen lassen. Fehlen ihnen die finanziellen Mittel hierzu, stellt ihnen der Gerichtshof einen Verteidiger und trägt dessen Kosten, so dass eine angemessene Verteidigung der Opfer jederzeit gewährleistet ist. Diese Reform hat die Kommission auch von ihrer Doppelrolle als Organ des Interamerikanischen Menschenrechtsystems und gleichzeitig Repräsentantin der Opfer entbunden. Desweiteren können die Opfer bzw. deren Anwälte nunmehr zum Schluss der Verhandlungen noch einmal schriftlich ihre Argumente darlegen. Die Verhandlungen werden seit der Reform 2009 aufgezeichnet und können im Internet jederzeit abgerufen werden. Damit hat der Gerichtshof 2009 einen entscheidenden Schritt gemacht, um seine Urteile transparenter zu gestalten.

Dennoch betonte der stellvertretende Vorsitzende Richter Manuel. E. Ventura Robles beim Arbeitsmittagessen, dass die (finanzielle) Unterstützung des Gerichtshofes durch die OAS Mitgliedstaaten zunehmen müsse, damit der Gerichtshof die Qualität seiner Arbeit aufrechterhalten und noch verbessern könne. Derzeit wird der Gerichtshof nur zur Hälfte von den OAS Staaten finanziert (mit rund 1,5 Mio USD), die andere Hälfte der Kosten wird von Spanien, Norwegen und Dänemark getragen. Schon deshalb, um zu demonstrieren, dass die OAS Staaten hinter der Idee des Gerichtshofes stehen, müssten, so der Vize-Präsident, diese den Gerichtshof langfristig alleine unterhalten. Eine bessere Finanzierung würde es zudem ermöglichen, häufiger und länger Verhandlungen abhalten zu können, um irgendwann gar zu einem Ständigen Gerichtshof zu werden.

Trotz der Tatsache, dass der Gerichtshof aufgrund seiner finanziellen Lage und der verhältnismäßig geringen Anzahl an Fällen pro Jahr – im letzten Jahr waren es 23 – gelegentlich auch als „Corte pobre“ (armer Gerichtshof) bezeichnet wird, hat dessen Rechtsprechung in den Mitgliedstaaten erheblichen Einfluss. Der Sekretär des Gerichtshofes Pablo Saavedra, erläuterte Beispiele für die Einwirkung der Rechtsprechung in die rechtspolitische Entwicklung der Mitgliedstaaten.

Dennoch muss die Akzeptanz und Achtung der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Urteile des Gerichtshofes und die Entscheidungen der Kommission in Zukunft noch ausgebaut werden. So zog z.B. Brasilien 2011 seinen Kandidaten für die Wahl der Mitglieder der Kommission kurzerhand zurück, nachdem die Kommission einen einstweiligen Baustop für das Staudammprojekt Belo Monte angeordnet hatte, weil die betroffenen (indigenen) Gemeinschaften nicht konsultiert worden waren. Brasilien empfand die Kritik der Kommission an dem Projekt als Einmischung in innenpolitische Angelegenheiten und hatte im Folgenden die Zahlungen an die OAS zeitweilig eingestellt.

Selbstverständlich bedeuten die Urteile des Gerichtshofes und die damit verbundenen Abhilfeanordnungen immer auch eine Einmischung in die Souveränität der Mitgliedstaaten. Ohne eine solche würde das Interamerikanische Menschenrechtssystems und eine Sanktionierung von Verstößen gegen die Menschenrechte nicht funktionieren. Darüber müssen sich die Mitgliedstaaten jedoch auch bei unbequemen Entscheidungen des Gerichtshofes im Klaren sein. Angesichts des Verhaltens Brasiliens nach der Kritik der Kommission an dem Staudammprojekt war der Schritt, einen brasilianischen Richter für den Gerichtshof zu nominieren, ein wichtiges Votum pro System.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (WSKR) und ihre Verwirklichung gerade in Brasilien wurden eingehend debattiert. Bereits in seiner Eröffnungsrede verwies der ehemalige Präsident des Obersten Gerichtshofs Carlos Ayres Britto auf die Notwendigkeit, diese auch in der brasilianischen Verfassung garantierten Rechte (etwa Bildung, Gesundheit, Ernährung, Arbeit, Wohnung) effektiver zu schützen. Einmal mehr wurde Kolumbien als Vorbild für eine innovative Rechtsprechungspraxis zur Umsetzung der WSKR zitiert.

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Veranstaltungsort

San José, Costa Rica

Publikation

El SIDH y su interacción con la realidad jurídica de Brasil
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Kontakt

Dr. iur. Christian Steiner

Dr. iur