Utopisten, Händler und Moralisten - Politisches Bildungsforum Sachsen
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Um dennoch den Alltag bewältigen zu können, der von unerfüllbaren Erwartungen des Regimes, einem Stillstand der Zeit sowie der Verengung des Raumes geprägt gewesen sei, habe es einer ausgefeilten Lebens- und Überlebensstrategie bedurft. Neubert: „Die DDR war eine Insel, an deren Westufer imperialistische und an deren Ostufer ketzerisch-sozialistische Wellen schlugen.“
Für alle, unabhängig von der Verbundenheit mit dem Regime, habe es gegolten im alltäglichen Leben nach Bereichen zu fahnden, wo es tatsächliche oder scheinbare „Grenzen der Diktatur” gab. „Irgendwie mussten die Leute sich durchmogeln“, so Neubert. Jeder DDR-Bürger habe sein alltägliches Sozialverhalten auf die Verhältnisse einstellen müssen. Typische Verhaltensweisen in den Alltagsstrategien waren z.B. der eingangs erwähnte Typ des „Utopisten". Dieser habe sich über ein Problem hinweggetäuscht. Der Typ des „Händlers", habe sich pragmatisch an Nützlichkeitserwägungen orientiert, und der Typ des „Moralisten", wollte seine Identität in der Auseinandersetzung mit den politischen Ansprüchen und alltäglichen Schwierigkeiten bewahren.
Neubert, der ehrenamtlich im Vorstand der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur tätig war, erteilt dem Versuch das Alltagshandeln nach Nähe und Ferne zum politischen System bzw. nach dem Grad von Loyalität und Kritik zu kategorisieren, eine Absage. Im Ergebnis würde ein nicht gewolltes Wertigkeitsgefälle der Konformität der DDR-Bürger entstehen. Weil aber die Entpolitisierung der Gesellschaft zum Konzept der kommunistischen Gesellschaftskonstruktion gehört habe, gemeinsames öffentliches Handeln auf Akklamation beschränkt und ein Heraustreten aus den zugewiesenen Rollen eher selten gewesen sei, würden weite Bereiche des Alltagshandelns mit einer Begrifflichkeit, die das politisch-strategische Verhalten der Bürger bevorzuge, nicht völlig erfasst.
1989/1990 öffnete sich der Raum und verflüssigte sich die Zeit. Die Lebensstrategien aus der DDR wurden überflüssig. Die doppelte Erinnerung an die DDR, die Freude über das Ende einer unmöglichen Konstruktion einerseits und eine politisierte Nostalgie andererseits, reagiere auf die nicht mehr benötigten sozialen Verhaltensweisen, so Neubert. Für die einen sei es eine Befreiung, für die anderen eine Entwertung von Bewährtem.
Tipp: Die Konrad-Adenauer-Stiftung wird Ende des Jahres 2008 mit einer Online-Wissensplattform unter www.DDR-Mythen.de auf die beschriebene Problematik reagieren.
In dieser Reihe sind bisher erschienen:
- Tillich warnt vor Verharmlosung der DDR-Diktatur (29.September 2008)
- Warum wir sind, wie wir sind? Zur kulturellen Prägung durch den Sozialraum DDR (9.Oktober 2008)
- Als zu sagen war, wofür man ist, zerfiel die DDR-Opposition (24.Oktober 2008)
- Machtsichernde Mythen (29.Oktober 2008)
- Staatsgelenkte Wirtschaft ist ein Irrweg (7.November 2008)
- Das ganze Leben nicht mehr frei sein (12.November 2008)
- Ostalgie und Glorifizierung – Unkenntnis der Nachgeborenen (19.November 2008)