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Veranstaltungsberichte

Utopisten, Händler und Moralisten

Überlebensstrategien in der DDR

Utopisten, Händler und Moralisten - für den DDR-Oppositionellen Dr. Ehrhart Neubert waren sie die Vertreter unterschiedlicher Überlebensstrategien in der DDR. Auch die zweite von insgesamt 16 Veranstaltungen der Ringvorlesung „Wie schmeckte die DDR“ setzte sich mit dem Phänomen der „doppelten Erinnerung an das Leben in der DDR“ auseinander: Relativierung auf der einen Seite und Dämonisierung auf der anderen.

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Für Neuberts Theorie ist der systembedingte und charakteristisch gewordene Mangel an materiellen und geistigen Gütern im Alltag ursächlich. Das Fehlen des eigentlich Selbstverständlichen sei von jedem Menschen unabhängig von seiner politischen Einstellung ganz bewusst erlebt worden. „Diese Erfahrungen sind weder an bestimmte historische Zeitabschnitte, an spezifische Regionen noch an bestimmte soziale Räume gebunden, sondern waren jederzeit und überall präsent“, zitierte er die Enquete-Kommission.

Um dennoch den Alltag bewältigen zu können, der von unerfüllbaren Erwartungen des Regimes, einem Stillstand der Zeit sowie der Verengung des Raumes geprägt gewesen sei, habe es einer ausgefeilten Lebens- und Überlebensstrategie bedurft. Neubert: „Die DDR war eine Insel, an deren Westufer imperialistische und an deren Ostufer ketzerisch-sozialistische Wellen schlugen.“

Für alle, unabhängig von der Verbundenheit mit dem Regime, habe es gegolten im alltäglichen Leben nach Bereichen zu fahnden, wo es tatsächliche oder scheinbare „Grenzen der Diktatur” gab. „Irgendwie mussten die Leute sich durchmogeln“, so Neubert. Jeder DDR-Bürger habe sein alltägliches Sozialverhalten auf die Verhältnisse einstellen müssen. Typische Verhaltensweisen in den Alltagsstrategien waren z.B. der eingangs erwähnte Typ des „Utopisten". Dieser habe sich über ein Problem hinweggetäuscht. Der Typ des „Händlers", habe sich pragmatisch an Nützlichkeitserwägungen orientiert, und der Typ des „Moralisten", wollte seine Identität in der Auseinandersetzung mit den politischen Ansprüchen und alltäglichen Schwierigkeiten bewahren.

Neubert, der ehrenamtlich im Vorstand der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur tätig war, erteilt dem Versuch das Alltagshandeln nach Nähe und Ferne zum politischen System bzw. nach dem Grad von Loyalität und Kritik zu kategorisieren, eine Absage. Im Ergebnis würde ein nicht gewolltes Wertigkeitsgefälle der Konformität der DDR-Bürger entstehen. Weil aber die Entpolitisierung der Gesellschaft zum Konzept der kommunistischen Gesellschaftskonstruktion gehört habe, gemeinsames öffentliches Handeln auf Akklamation beschränkt und ein Heraustreten aus den zugewiesenen Rollen eher selten gewesen sei, würden weite Bereiche des Alltagshandelns mit einer Begrifflichkeit, die das politisch-strategische Verhalten der Bürger bevorzuge, nicht völlig erfasst.

1989/1990 öffnete sich der Raum und verflüssigte sich die Zeit. Die Lebensstrategien aus der DDR wurden überflüssig. Die doppelte Erinnerung an die DDR, die Freude über das Ende einer unmöglichen Konstruktion einerseits und eine politisierte Nostalgie andererseits, reagiere auf die nicht mehr benötigten sozialen Verhaltensweisen, so Neubert. Für die einen sei es eine Befreiung, für die anderen eine Entwertung von Bewährtem.

Tipp: Die Konrad-Adenauer-Stiftung wird Ende des Jahres 2008 mit einer Online-Wissensplattform unter www.DDR-Mythen.de auf die beschriebene Problematik reagieren.

In dieser Reihe sind bisher erschienen:

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