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Länderberichte

Strebt Mariano Rajoy eine ‚Große Koalition’ in Spanien an?

von Michael Däumer, Sebastian Grundberger

Der PP-Spitzenkandidat präsentiert sich als „Mann des parteiübergreifenden Konsens“

Dass sich der seit Oktober 2004 amtierende Vorsitzende der spanischen Volkspartei Mariano Rajoy (Foto) selbst schon immer als „Mann des Ausgleichs und Konsens“ verstanden hat, ist weit reichend bekannt. Allerdings sah die Praxis in den vergangenen Jahren seit der verheerenden Wahlniederlage vom 14. März 2004 anders aus. Unter dem Druck von Partei-Hardlinern wie PP-Fraktionschef Eduardo Zaplana und Generalsekretär Angel Acebes, musste Rajoy immer wieder nachgeben und harte Positionen, die diametral denen der sozialistischen Regierung entgegenstanden, vertreten. Das sind fast vier Jahre Oppositionsarbeit, die Rajoy – seinem Charakter nach zu urteilen – nicht schmecken konnten. Nun will sich der 52-jährige Chef der größten Oppositionspartei in Spanien aus dem übermächtigen Schatten seines Vorgängers José María Aznar endlich lösen. Zur Überraschung vieler seiner Parteianhänger predigte Rajoy auf dem Sonderparteitag der PP am vergangenen Wochenende in Madrid einen „Neuen Konsens“. Ziel seiner neuen Strategie ist es, die politische Mitte für sich zu gewinnen und Zapateros Kritiker in den eigenen Reihen für einen parteiübergreifenden Konsens an sich zu ziehen. Geht seine Strategie auf, so ist eine grundlegende Änderung im festgefahrenen politischen System Spaniens nicht mehr ausschließen. In Spanien wird damit erstmals die Formierung einer großen Koalition thematisiert.

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„Mariano Rajoy hat sich nass gemacht“ kommentierte die konservative Tageszeitung „ABC“ den dreitägigen Sonderparteitag der spanischen Volkspartei. Damit bezog sich die Zeitung vor allem auf die 48-minütige Abschlussrede des Spitzenkandidaten, in der er nichts weniger als die „größte Steuerreform des demokratischen Spaniens“ ankündigte. Herzstück derselben soll die Befreiung aller Spanierinnen und Spanier mit einem Jahreseinkommen von unter 16.000 Euro von den Rentenbeiträgen sein. Die sieben Millionen Menschen in Spanien, für die es „am schwierigsten ist, am Monatsende anzukommen“, würden durch diese Maßnahme finanziell entlastet, so Mariano Rajoy. Auch berufstätige Frauen sollen nach dem Willen der PP in den Genuss zusätzlicher Steuererleichterungen kommen. Zudem will die PP mehr kostenlose Kinderkrippenplätze schaffen. Damit, so der Oppositionsführer, solle deutlich gemacht werden, dass Spanien „den Beitrag von Männern und von Frauen“ braucht. Es seien weiterhin die Frauen, denen der Zugang zu Arbeit besonders schwer gemacht werde. Dies müsse sich ändern. Im Vergleich zu den Sozialisten, die den Menschen nicht vertrauten und deshalb möglichst viel Geld staatlich umverteilen wollten, setze die PP darauf, den Menschen mehr Geld im Portemonnaie zu belassen.

Auch die Mindestrenten möchte Mariano Rajoy im Falle eines Wahlsieges erhöhen. Ein Fernsehprogramm hatte den PP-Chef vor wenigen Monaten einer Frau gegenübergestellt, die nur 350 Euro im Monat zur Verfügung hat. In seiner Rede erinnerte sich Rajoy an diese Frau und versprach, ihr zu helfen. Eine Gesellschaft, die voranschreite, müsse auch eine „ständige Anstrengung“ unternehmen, dass niemand „am Wegrand liegen“ bliebe.

Von allen und für alle soll auch der „neue Konsens“ sein, mit dem die PP die „vier Jahre aneinandergereihten Unsinn“ durch die Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero überwinden möchte. Man könne Spanien ohne einen Konsens in den grundsätzlichen Fragen nicht voranbringen. Solche seien der Respekt vor der Verfassung, die Einheit der spanischen Nation, das Prinzip der Niederschlagung des ETA-Terrorismus und der Umgang mit der eigenen Geschichte. Zapatero habe den Konsens in diesen Fragen gebrochen: „In den letzten vier Jahren haben wir gesehen, wie alle großen nationalen Einigungen des Übergangs zur Demokratie pulverisiert wurden“, so Rajoy. Es sei deshalb „dringend notwendig“, zu dieser Einheit zurückzufinden. Deshalb werde der PP-Chef gleich nach einem Wahlsieg das Gespräch mit der PSOE suchen.

Einen möglichst großen Konsens in Verfassungsfragen will Rajoy durch Einführung der Notwendigkeit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament für alle die Verfassung betreffenden Angelegenheiten institutionell verankern. Bisher können etwa Autonomiestatute durch einfache Mehrheiten im spanischen Kongress verabschiedet werden. Um die Einheit der Nation umzusetzen, kündigte der Spitzenkandidat der Opposition unter dem frenetischen Beifall von 10.000 Anhängern ein konkretes Gesetz an. Dieses soll allen das Recht garantieren, die spanische Sprache „in jeglichen Etappen des Bildungs-

systems und in ganz Spanien“ zu benutzen und zu lernen. Ähnlich begeistert wurde ein Gesetzesvorschlag des PP-Chefs aufgenommen, der durchsetzen soll, dass in Regionen und Kommunen jeweils die politische Kraft regiert, die die meisten Stimmen erhält. Dies würde Koalitionen zur Verdrängung der stärksten Partei unmöglich machen. Auch hinsichtlich des ETA-Terrors will Rajoy gesetzgeberisch tätig werden. Jegliche politischen Verhandlungen mit der ETA sollen demzufolge verboten werden.

Die Vorschläge Rajoys sind das erste Ergebnis monatelanger Arbeit von Programmkommissionen innerhalb der spanischen Volkspartei. Sie erlauben deutlicher als bisher Rückschlüsse darauf, in welche Richtung sich der Wahlkampf der PP und ihre Strategie nach den Wahlen bewegen wird. Dabei werden zwei Stoßrichtungen deutlich. Die eine ist die Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik. Die Offensive der PP in diesem Themenfeld soll auf die gravierenden Probleme vieler Spanier eine Antwort geben. Zwar sind die nominellen Löhne in Spanien in den letzten Jahren konstant gestiegen, die Kaufkraft dieser Einkommen hat sich jedoch zwischen 2004 und 2006 um 1,4 Prozentpunkte - und damit mehr als in jedem anderen EU-Land - verringert. Gleichzeitig sind seit 2004 die Wohnungspreise um 45 Prozent angestiegen und die durchschnittliche Hypothekenrate von 568 auf 978 Euro pro Monat explodiert. Auch die Inflation hat mit über 3,6 Prozent im Oktober 2007 einen Höchststand erreicht. Die Menschen in Spanien spüren diese Veränderungen schmerzlich im eigenen Geldbeutel. Aus diesem Grund sind finanzielle Entlastungen aus Sicht der PP ein Gebiet, auf dem Wählerstimmen gewonnen werden könnten.

Kontroverser sind die Ideen der PP zum „neuen Konsens“ und damit die zweite Stoßrichtung des PP-Parteitages. Die angekündigte Gesetzesoffensive Rajoys legt ihn auf konkrete Maßnahmen fest und bietet Angriffsflächen. Geplante Gesetze wie die zur Verteidigung des der spanischen Sprache, des „Castellano“, in der Bildung oder die Forderung einer Zwei-Drittel-Mehrheit für Autonomiestatute werden es der PP nicht leicht machen, nach den Wahlen Unterstützung bei den Regionalparteien CiU (Katalonien) oder PNV (Baskenland) zu erhalten. Diese bewegen sich in letzter Zeit immer stärker auf einem Konfrontationskurs, der sich nicht nur gegen die spanische Regierung, sondern auch insgesamt gegen die Idee von Spanien als einem Nationalstaat richtet. Erst am 20. November hatte CiU-Chef Artur Mas bei einer Großveranstaltung ein Recht der Katalanen auf den „Katalanismus“ eingefordert. Damit zielt Mas einerseits auf die staatliche Stärkung der katalanischen Identität und andererseits auf autonome Selbstbestimmung Kataloniens, ganz nach dem Vorbild des „Unabhängigkeitsplans“ von Juan José Ibarretxe, dem baskischen Regionalpräsidenten.

ine PP, die programmatisch so ausgerichtet ist, wie sich dies jetzt abzeichnet, dürfte Probleme haben, einen regionalen Koalitions- oder Tolerierungspartner zu finden. Es scheint derzeit für die PP kaum möglich, die Situation nach den Wahlen von 1996 zu wiederholen, als José María Aznar sowohl die Unterstützung der katalanischen CiU als auch der baskischen PNV gewinnen hatte können. Beide Parteien sind nicht nur wegen ihrer ideologischen Verbundenheit „natürliche“ Koalitionspartner, sondern auch wegen ihrer parlamentarischen Stärke wichtige Verbündete. Wenn es nach Mariano Rajoy geht, wird die PP diese Partner nach den Wahlen auch nicht brauchen. Er zeigte sich davon überzeugt, die PP werde die Urnengänge trotz anders lautenden Umfrageergebnissen „mit großem Abstand auf die zweite politische Kraft“ für sich entscheiden.

Die starke Abgrenzung von den regionalen Parteien im PP-Diskurs und die Betonung des „neuen Konsenses“ unter Einschluss der zweiten großen Volkspartei PSOE, wird hinter vorgehaltener Hand durchaus in eine in Spanien bisher undenkbare Richtung interpretiert. Sollte die Wahl von der PP gewonnen werden, erscheint demnach eine Art „Große Koalition“ oder zumindest eine irgendwie geartete parlamentarische Zusammenarbeit zwischen PP und einer dann nicht mehr vom Zapatero-Flügel angeführte PSOE nicht mehr ausgeschlossen. Nicht umsonst richteten sich die schärfsten Angriffe Rajoys mehr gegen die Person Zapatero als gegen dessen Gesamtpartei. Zweck einer solchen Zusammenarbeit zwischen PP und PSOE nach den Wahlen könnte auch eine Änderung des Wahlrechtes sein. Diese hätte zum Ziel, den regionalen Parteien und damit auch vielen Unabhängigkeitsbefürwortern parlamentarische Kraft im Vergleich zu den nationalen Parteien zu nehmen. Derartige Wahlrechtsreformvorschläge waren in der Vergangenheit immer wieder besonders aus der PP zu hören gewesen. Nach einer so erfolgten Schwächung der Regionalparteien könnte man dann wieder zum „normalen“ Zweiparteiensystem zurückkehren, mit dem „Vorteil“, zur Erreichung von parlamentarischen Mehrheiten nicht mehr so sehr auf regionale Interessen Rücksicht nehmen zu müssen.

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