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Rechter Terror in Deutschland – Wie in Hanau das Unsagbare machbar wurde

von Nauel Semaan

Nauel Semaan, Expertin für Terrorismusbekämpfung, analysiert das Täter-Manifest, dessen Radikalisierung und die Rolle der Politik

Der Donnerstagmorgen, folgend auf die Nacht des 19. Februar, begann mit einer erschreckenden Nachricht. Ein weiteres Mal wurde Deutschland zum Schauplatz rechtsextremer Gewalt. Zehn Menschen sind im hessischen Hanau Opfer des Terroristen Tobias R. geworden. Neun von ihnen haben ausländische Wurzeln, die zehnte Tote war seine Mutter. In der anschließenden medialen Berichterstattung sind Kontroversen aufgekommen, die es einzuordnen gilt.

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Die Absicht des Täters

Besonders aus dem zurückgelassenen Manifest des Täters wird klar, dass er psychisch krank war. Der Text ist geprägt von wirren Gedanken und der Überzeugung, dass er seit seiner Geburt von einem Geheimdienst beobachtet wurde. Nach der Tat befragte Psychologen sprechen zum Teil von einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie.

Genauso deutlich ist dem Text jedoch ein überzeugter Ausländerhass zu entnehmen. Tobias R. spricht von einer „Abneigung gegen bestimmte Volksgruppen“ und listet Türken, Marokkaner, Libanesen und Kurden auf.[1] Nicht nur im Hinblick auf Deutschland kommt er zu dem Schluss, dass die „Volksgruppen“ dutzender Länder vernichtet werden müssten. Staatsangehörigkeit ist für ihn kein entscheidendes Kriterium. Nicht jede Person mit einem deutschen Pass sei „reinrassig“ und „wertvoll“. Er greift somit mehrere Gruppen an: Ausländer bestimmter Nationen im Ausland, nichtdeutsche Staatsbürger, die sich zeitweise oder unbefristet in Deutschland aufhalten, und deutsche Staatsbürger, die ausländische Wurzeln haben.

Dieser Anschlag ist somit eindeutig rassistisch und rechtsterroristisch motiviert. Eine psychische Krankheit schließt ein politisches Motiv nicht aus. Eine Reduzierung des Motivs auf psychische Beweggründe wäre eine Verharmlosung der Tat und würde dem oft geäußerten Vorwurf Recht geben, dass ein Vorfall nur dann als Terroranschlag tituliert wird, wenn er von einem Moslem begangen wurde.

Die Lone Wolf-Theorie

War der Terrorist von Hanau ein Einzeltäter? Diese Frage kam im Nachklang des Anschlags auf. Bei ihrer Beantwortung ist Genauigkeit gefragt. Zum jetzigen Zeitpunkt sieht es so aus, als hätte Tobias R. selbstständig gehandelt. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass er Mitglied einer rechtsextremen Vereinigung gewesen wäre – weder analog noch digital – oder dass er von einer solchen in seinem Handeln kontrolliert worden ist. Damit fällt er zunächst in die Kategorie des einsamen Wolfs. Dies ist eine relevante Information für die Sicherheitsbehörden und gibt dieser Kategorisierung trotz der immer wieder aufkommenden Kritik, dass kein Täter sich alleine radikalisiert, eine eindeutige Existenzberechtigung. Wenn man von einer komplett isolierten Person ohne Zugang zur Außenwelt ausgeht, mag diese Kritik durchaus zutreffen. Ähnlich wie die rechten Terroristen Anders Breivik und Stephan Balliet scheint auch Tobias R. ein Mensch mit wenigen sozialen Kontakten gewesen zu sein. Wie diese hat er zum Tatzeitpunkt bei seinen Eltern gewohnt und hatte massive Probleme mit Frauen. 

Die digital vernetzte Welt löst den Widerspruch zwischen einer solchen Lone Wolf-Existenz und dem Zugang zu einer Fülle von fremden Ideen und Überzeugungen auf. Ein Täter kann somit alleine gehandelt haben, aber durch externe Einflüsse radikalisiert werden oder Bestätigung für seine radikalen Ideen finden. Auch die Inspiration durch andere Täter ist nicht ausgeschlossen. Zwar waren im Manifest von Tobias R. keine Verweise auf die sogenannten „Chan“-Netzwerke, die zur Radikalisierung der Täter in Halle und in Christchurch beigetragen haben. Im Tathergang und seiner Überzeugung sind aber durchaus Parallelen zu anderen Attentätern zu finden.

Die Rolle der Politik

Viele Politiker haben nach dem Attentat ein deutliches Zeichen gegen Rassismus gesetzt. In Deutschlands Großstädten wurden unter der Beteiligung von Spitzenpolitikern Mahnwachen abgehalten. Bundespräsident Steinmeier nahm gemeinsam mit dem hessischen Ministerpräsidenten Bouffier an der Trauerfeier in Hanau teil. Sowohl Bundeskanzlerin Merkel, als auch Bundesinnenminister Seehofer fanden deutliche Worte und benannten Rassismus als Motiv der Tat. Seehofer stuft die Gefährdungslage durch Rechtsextremismus als sehr hoch ein und kündigte eine deutschlandweite Erhöhung der Polizeipräsenz an.

Damit stellt sich die Union offen gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Sie sollte in Zukunft auch noch stärker als bisher für die Stimmen und Mitgliedschaft von Deutschen mit ausländischen Wurzeln werben. Diese wären nicht nur ein inhaltlicher und ideeller Gewinn für die CDU – viele von ihnen können sich mit ihren konservativen Werten mehr identifizieren, als mit denen der anderen demokratischen Parteien. Als starke Mitte Deutschlands muss die Union ein Sinnbild für Inklusion, Toleranz und Fortschritt sein.  

Die AfD hingegen spielte eine prägnante Rolle bei der Zunahme des offenen Rassismus und seiner Salonfähigkeit in unserer Gesellschaft. Dies zeigt sich deutlich in den verharmlosenden Aussagen ihrer Spitzenpolitiker der letzten Tage. Erst Anfang des Monats hat Holger Münch, der Präsident des BKAs, im Kontext rechtspolitisch motivierter Kriminalität gesagt: „Das Unsagbare ist sagbar geworden. Und das Sagbare wird dann irgendwann machbar“. Der Attentäter von Hanau hat das Sagbare machbar gemacht. Die Sagbarkeit des Unsagbaren ist ein wesentlicher Beitrag der AfD.

 

Anmerkung

[1] Der Begriff Volksgruppe wird durchgängig falsch angewandt. Er bezeichnet im korrekten Gebrauch eine durch ethnische o.ä. Merkmale gekennzeichnete Gruppe innerhalb eines Volkes.

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Felix Neumann

Felix Neumann

Extremismus- und Terrorismusbekämpfung

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15. Januar 2019
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