Islamismus, Radikalisierung und Deradikalisierung - Auslandsbüro Tunesien
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Die Analyse religiöser Bewegungen stellt immer ein schwieriges Unterfangen dar. Einerseits muss nämlich versucht werden, einen Sachverhalt zu definieren, der sich nur schwer definieren lässt („Was ist eine religiöse Bewegung?“), und andererseits muss aus einer Vielzahl von Analysestrategien die passendste ausgewählt werden.
Außerdem ist die Analyse religiöser Bewegungen noch eine relativ junge Praxis, für die sich geeignete Analyseinstrumente und -mittel noch herausbilden bzw. bewähren müssen. Lange Zeit waren solche Bewegungen nämlich als Ableger der großen Religionen betrachtet worden. Sie zu analysieren ist in den letzten Jahren, insbesondere vor dem Hintergrund der Globalisierung und der aktuellen weltweiten Wandlungsprozesse, zunehmend wichtiger geworden. Dies spielt nicht nur bei der Ausrichtung der Politik arabischer Länder, sondern auch der Bewältigung aktueller Sicherheitsherausforderungen (Gewalt, Terrorismus, illegale Migration) eine immer größere Rolle.
Debatten über den Islam und Islamismus treffen u. a. auf folgende Schwierigkeiten:
- Die Beziehung von Religion und Politik wird im Islam ganz unterschiedlich ausgelegt. Unter Muslimen besteht bei diesen Fragen kein gemeinsamer Konsens.
- Auch die Verwendung der Terminologie erfolgt nicht einheitlich, so dass dieselben Begriffe in der Intention ihrer Benutzer oftmals ganz unterschiedliche Dinge bezeichnen sollen. So wird beispielsweise oftmals nicht zwischen radikalem Islam, radikalem Islamismus, gewaltsamen radikalem Islamismus, Salafismus, Dschihadismus und Terrorismus differenziert.
- Die Opposition von Sunniten und Schiiten stellt ein wesentliches Charakteristikum der unübersichtlichen gegenwärtigen Situation im Nahen und Mittleren Osten dar. Sie erschwert die Analyse religiöser Bewegungen und zeigt, wie Religion immer wieder politisch und sozial vereinnahmt wird.
- Der heute beinahe schon inflationär verwandte Begriff der Radikalisierung bringt gewisse Unpräzisionen mit sich. Während er früher v. a. dazu diente, Islam und Gewalt voneinander abzugrenzen, ist heute nicht mehr klar, inwiefern statt von der Radikalisierung des Islam von der Islamisierung der Radikalisierung gesprochen werden müsste.
- Die unübersichtlichen und nicht eindeutig zu bestimmenden Grenzen zwischen religiösen und politischen Absichten machen es oftmals schwierig, Gesetze zum Schutz bzw. zur Verteidigung religiöser Freiheiten zu beschließen, die nicht das Ergebnis von Instrumentalisierungen sind.
Das zweitägige Seminar der KAS und des OARL beabsichtigt, jene Reflexionsansätze aufzuzeigen, die wesentlich für das Verständnis der gegenwärtigen Islamismus- und Radikalisierungsdebatte sind. Auf der Grundlage der erarbeiteten Ergebnisse soll dann demnächst ein internationales wissenschaftliches Kolloquium über den Wandel des Islamismus organisiert werden.