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Palácio do Planalto / flickr / CC BY 2.0

Länderberichte

Die Regierung Bolsonaro unter Druck – Wiederwahl in Gefahr?

von Anja Czymmeck, Kevin Oswald
Seit Ende April beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss im brasilianischen Senat mit der Frage, ob Brasiliens Staatspräsident Jair Bolsonaro und seine Regierung für Versäumnisse etwa bei der Impfstoffbeschaffung sowie für generelles Fehlverhalten und Unregelmäßigkeiten im Umgang mit der Pandemie Verantwortung tragen. Zahlreiche Beobachter gehen davon aus, dass die Regierung durch Fehlentscheidungen und fahrlässiges Handeln eine Mitschuld an den etwa 430.000 brasilianischen Corona-Toten hat. So könnten auch Bolsonaros Chancen auf eine zweite Amtszeit sinken, wenn diese Schuld nachgewiesen wird.

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Spätestens seit dem 13. April ist die Abkürzung mit den drei Buchstaben „CPI“ in aller Munde. An jenem Tag wurde die Comissão Parlamentar de Inquérito da Covid-19 geschaffen und am 27. April wurde die „CPI“ offiziell im brasilianischen Senat eingerichtet. Es handelt sich um einen Untersuchungsausschuss, der die Entscheidungen und Verfehlungen der Regierung Bolsonaro im Zuge der gravierenden COVID-19-Gesundheitskrise seit dem Frühjahr des vergangenen Jahres unter die Lupe nehmen soll. Konkret geht es dabei um Versäumnisse bei der Impfstoffbeschaffung und den Umgang mit der fatalen zweiten Corona-Welle im Bundesstaat Amazonas, welche zu einem temporären Mangel an medizinischem Sauerstoff und einem Kollaps des Gesundheitssystems geführt hatte. Allgemein beschäftigt den Ausschuss die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass Brasilien mit deutlich über 400.000 Corona-Toten im weltweiten Vergleich noch vor Indien und lediglich hinter den Vereinigten Staaten auf dem traurigen zweiten Platz liegt. Allein im Monat April diesen Jahres, dem Höhepunkt der durch zahlreiche aggressive Mutanten befeuerten zweiten Pandemiewelle waren 82.000 Brasilianer an oder mit einer COVID-19-Infektion gestorben[1].     

 

Der COVID-19-Untersuchungsausschuss – Entstehung und Hintergründe

Initiator der Initiative zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses ist Randolfe Rodrigues von der Partei Rede Sustentabilidade. Der Senator aus dem Bundesstaat Amapá im Norden des Landes hatte sich dafür eingesetzt, um nach Ursachen der Gesundheitskrise in der Region um die Stadt Manaus im Amazonasgebiet im Januar dieses Jahres zu forschen und herauszufinden, warum die Regierung in Brasília den Tod hunderter Corona-Patienten, die nicht rechtzeitig mit medizinischem Sauerstoff versorgt werden konnten, nicht hatte verhindern können. Bereits im Februar hatte Rodrigues sich die Unterstützung von 31 weiteren Senatoren der Oppositionsparteien sichern können. Damit besaß er sogar einige Stimmen mehr als die notwendigen 27, was genau einem Drittel des Senats entspricht. Da regierungstreue Senatoren jedoch einen von Eduardo Girão (Podemos) vorgebrachten Gegenvorschlag unterstützten, entschied der Präsident des Senats, Rodrigo Pacheco (Democratas) auf Anordnung des Obersten Gerichtshofs (Supremo Tribunal Federal), letztlich, beide Vorschläge zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zusammenzuführen. Der Gegenstand der Untersuchung und deren Ziel wurden dahingehend erweitert, dass nicht lediglich die Sauerstoffkrise in Manaus, sondern auch die Frage der Impfstoffbeschaffung, der Kauf von Medikamenten ohne Vorliegen wissenschaftlicher Wirksamkeitsstudien sowie die Verwendung von aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellten Geldern durch die Bundesstaaten und Kommunen auf der Tagesordnung stehen.[2]

Insbesondere für den letztgenannten Punkt hatte sich Präsident Bolsonaro eingesetzt, da so nicht ausschließlich die Tätigkeiten seiner Regierung, sondern auch die Aktivitäten der Verantwortlichen in den Bundesstaaten und Kommunen ins Visier der Kommission geraten. Auch über die Besetzung der Untersuchungskommission hatte es Streit gegeben. Die regierungsnahen Senatoren sind mit vier von elf Repräsentanten in der Unterzahl und auch die Nominierung von Renan Calheiros (Movimento Democrático Brasileiro) als Berichterstatter konnte letztlich nicht verhindert werden. Dieser hatte sich noch vor Beginn der ersten Zeugenaussagen sehr kritisch geäußert und beispielsweise die Vergabe des Gesundheitsministerposten an einen in medizinischen Fragen nicht fachkundigen General sowie das Ignorieren von Expertenmeinungen als Fehler bezeichnet[3].  

 

Der COVID-19-Untersuchungsausschuss – Zeugenaussagen

Der ehemalige Gesundheitsminister Luis Henrique Mandetta (Democratas) gab zu Protokoll, dass Präsident Bolsonaro stets die Theorie der Herdenimmunität verteidigt und zugleich in der Krise seinen Fokus auf die Stützung der brasilianischen Wirtschaft gelegt habe. Die Krise in Manaus könne somit teils auf das gescheiterte Experiment der Herdenimmunität zurückzuführen sein. Mandetta selbst musste sich jedoch auch Kritik gefallen lassen, da er als verantwortlicher Minister den Karneval 2020 nicht unterbunden hatte. Sein Nachfolger, Nelson Teich, wiederholte in einer sechsstündigen Sitzung vor der Kommission seine Darstellung, aufgrund unterschiedlicher Ansichten zum Medikament Hydroxchloroquin aus dem Amt ausgeschieden zu sein. Er habe keine direkte Anweisung des Präsidenten erhalten, dass das Medikament eingesetzt werden müsse. Bolsonaro habe jedoch sowohl in einer Besprechung mit Wirtschaftsvertretern als auch in den öffentlichen Netzwerken davon gesprochen, dass man Hydroxchloroquin verwenden und das Gesundheitsministerium dem zustimmen solle.  

Carlos Murillo, der Lateinamerika-Chef des US-amerikanischen Impfstoffproduzenten Pfizer, sagte vor dem Ausschuss aus, dass er dem brasilianischen Gesundheitsministerium zwischen August und November 2020 das Vakzin mehrfach angeboten, aber nie eine Antwort erhalten habe. Der damalige Minister für Kommunikation, Fabio Wajngarten, bestätigte die Version von Murillo und legte der Kommission als Beweis einen Brief der Firma Pfizer vom 9. September vor[4]. Erst im März dieses Jahres schloss die Regierung angesichts des wachsenden Drucks aus Opposition und Bevölkerung und der nur schleppend angelaufenen Impfkampagne mit den zu einem früheren Zeitpunkt bestellten Impfstoffen CoronaVac und AstraZeneca einen Liefervertrag über 100 Millionen Dosen mit BioNTech/Pfizer.

 

Fazit und Ausblick

Die Comissão Parlamentar de Inquérito da Covid-19 hat zunächst 90 Tage Zeit, um die Entscheidungen, das Handeln sowie insbesondere auch das Nicht- oder verspätete Handeln der Regierung in Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie zu untersuchen. Da die Frist gegebenenfalls verlängert werden könnte, ist aktuell noch nicht abzusehen, wann der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses vorliegen und an die Generalstaatsanwaltschaft übergeben wird. Fest steht, dass Präsident Bolsonaro und seine Regierung extrem unter Druck geraten könnten, sollte die Kommission feststellen, dass die Entscheidungsträger in Brasília schwere Fehlentscheidungen zu verantworten haben.

Sollte sich etwa zweifelsfrei beweisen lassen, dass trotz zahlreicher Angebote auf frühzeitige Impfstoffbestellungen verzichtet wurde, da man fälschlicherweise von einer weitgehenden Herdenimmunität ausging und Kosten vermeiden wollte, könnte dies angesichts der vielen Todesopfer und des unvorstellbaren Leids in Brasilien selbst bei Bolsonaros Sympathisanten für Entsetzen sorgen. Auch die Missachtung von Ratschlägen aus der Wissenschaft, die Entlassungen von insgesamt drei Gesundheitsministern während der Pandemie, die strikte Ablehnung von social distancing- und lockdown-Maßnahmen sowie die Empfehlung von völlig unwirksamen Medikamenten wie Hydroxchloroquin könnten sich als Fallstricke für Bolsonaro erweisen.   

Der Präsident betonte unlängst, dass er sich im Hinblick auf den Untersuchungsausschuss keine Sorgen mache. Die Tatsache, dass er zeitgleich zum Start der „CPI“ seinen Sohn Carlos Bolsonaro mit der Öffentlichkeitsarbeit betraute, deutet jedoch auf das Gegenteil hin. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Datafolha verdeutlicht ebenfalls, dass die Arbeit der Untersuchungskommission und die kritische Aufarbeitung des Regierungshandelns in der Pandemie Präsident Bolsonaro und seinen Wiederwahlplänen für 2022 gefährlich werden könnten. Würde jetzt gewählt, käme Ex-Präsident Lula (Partido dos Trabalhadores) auf 41 Prozent und Amtsinhaber Bolsonaro auf 23 Prozent Stimmenanteil im ersten Wahlgang.

Im entscheidenden zweiten Wahlgang hätte laut Datafolha der Herausforderer mit 55 Prozent zu 32 Prozent klar die Nase vorne[5]. Es ist jedoch evident, dass die Umfragen fast eineinhalb Jahre vor der Wahl im Oktober 2022 nur Momentaufnahmen sind, da noch nicht feststeht, welche anderen Kandidaten ins Rennen gehen werden. So könnten sich die Parteien der politischen Mitte auf einen potentiell aussichtsreichen Kandidaten wie João Doria (PSDB), den Gouverneur von São Paulo, oder den ehemaligen Gesundheitsminister Luis Henrique Mandetta (Democratas) einigen. Auch die Namen politischer „Newcomer“ wie die des Fernsehmoderators Luciano Huck oder des Richters Sergio Moro werden gehandelt. Und selbst wenn Lula es als Gegenkandidat zu Bolsonaro in den zweiten Wahlgang schaffen sollte, ist längst nicht ausgemacht, ob die Mehrheit der Bevölkerung tatsächlich für ihn stimmen wird, denn auch die Verfehlungen der Regierung Lula sind in Brasilien keinesfalls vergessen. 

 


 

[1] https://www.em.com.br/app/noticia/internacional/2021/04/30/interna_internacional,1262337/brasil-termina-abril-com-82-000-mortes-por-covid-o-mes-mais-mortal-da-pand.shtml.

[2] https://www1.folha.uol.com.br/poder/2021/04/entenda-como-funciona-uma-cpi-e-os-poderes-da-comissao-que-investigara-acoes-na-pandemia-da-covid.shtml.

[3] https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/coronapolitik-bolsonaro-101.html.

[4] https://www.reuters.com/article/politica-cpi-carta-pfizer-idLTAKBN2CT30I.

[5] https://oglobo.globo.com/brasil/lula-lidera-corrida-eleitoral-para-2022-venceria-bolsonaro-no-2-turno-por-55-32-diz-datafolha-1-25014633?utm_source=globo.com&utm_medium=oglobo.

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Anja Czymmeck

Leiterin des Auslandsbüros Frankreich

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