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Länderberichte

Jobbik gewinnt Nachwahl zur Ungarischen Nationalversammlung

von Frank Spengler, Bence Bauer, LL.M

Fidesz-KDNP kann Anhänger nicht mobilisieren

Nach dem Verlust eines Mandats der Regierungskoalition in der Nachwahl im Februar 2015 in Veszprém 1 wurden die Ergebnisse einer weiteren Nachwahl am 12. April 2015 im Wahlkreis Veszprém 3 mit Spannung erwartet. Der Kandidat der rechtsextremen Jobbik gewann knapp mit einem Vorsprung von 261 Stimmen und damit in der Geschichte der Partei das erste Direktmandat in der Ungarischen Nationalversammlung. Fidesz-KDNP hält nun 131 von 199 Sitzen in der Ungarischen Nationalversammlung.

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Die Ausgangslage

Der Wahlkreis Veszprém 3 galt bisher als bürgerliche Hochburg. Bei den Parlamentswahlen am 6. April 2014 gewann Fidesz-KDNP den Wahlkreis mit einem Vorsprung von fast 16 Prozentpunkten. Die Wahlbeteiligung betrug 59,90 Prozent. Das Ergebnis der Erststimmen war: Fidesz-KDNP 18.570 Stimmen (43,14%), der Kandidat der linken Oppositionsparteien MSZP-Együtt-DK-PM-MLP 11.769 Stimmen (27,34%), Jobbik 10.110 Stimmen (23,49%) und LMP 1.276 Stimmen (2,96%). Am 8. Januar 2015 verstarb der FIDESZ-Parlamentsabgeordnete Jenő Lasztovicza. Nach ungarischem Wahlrecht müssen vakante Direktmandate nachgewählt werden.

Im Februar prägte im Wahlkreis Veszprém 1 ein Zweikampf zwischen Fidesz-KDNP und einem von fast allen linken Oppositionsparteien unterstützten unabhängigen Kandiaten die Wahl. Die Vertreterin von Jobbik spielte keine Rolle. Im Wahlkreis Veszprém 3 war die Anhängerschaft jedoch zwischen Fidesz-KDNP, MSZP-DK und Jobbik gleichmäßiger verteilt. Aber bereits bei den Wahlen zur Ungarischen Nationalversammlung war Jobbik mit 23,49% überdurchschnittlich erfolgreich und bei den Kommunalwahlen am 12. Oktober 2014 errang die Partei in Tapolca, der zweitgrößten Stadt des Wahlkreises, den Bürgermeisterposten. Die Wahlstrategen wussten, dass die Mobilisierung der Wähler für den Wahlausgang entscheidend sein wird. Es wurde kurz vor der Wahl ein knappes Rennen zwischen Jobbik und Fidesz-KDNP erwartet.

Der öffentliche Diskurs der letzten Wochen in Ungarn wurde durch den Zusammenbruch von zwei großen ungarischen Wertpapierfirmen und Investmentgesellschaften („Brokerskandale“) bestimmt. Die Führungskräfte von Buda-Cash und Quaestor sind wegen Betrugsverdacht in Untersuchungshaft. Quaestor soll fiktive Schuldscheine im Wert von ca. 500 Millionen Euro ausgegeben haben. Tausende Kleinanleger bangen um ihre Ersparnisse. Die Regierung kündigte eine Sonderentschädigung für Privatpersonen, lokale Selbstverwaltungen und staatliche Stellen an. Im Zentrum der Kritik stand die Finanzaufsicht, die seit Oktober 2013 als Teil der Notenbank tätig ist und nicht mehr, wie zuvor, in einer eigenen Behörde (PSZÁF) organisiert ist. Ministerpräsident Viktor Orbán wurde von der Opposition scharf angegriffen. Ihm wurde Insiderhandel unterstellt, da er nach Ausbruch des Buda-Cash-Skandals den Ministerien intern die Weisung gab, alle Gelder von Brokerhäusern abzuziehen.

Ergebnisse der Nachwahlen am 12. April 2015

Nach dem vorläufigen Ergebnis betrug die Wahlbeteiligung 41,60 Prozent (29.358 gültige Stimmen). Von den 22 Kandidaten erhielten: Lajos Rig (Jobbik) 10.354 Stimmen (35,27%), Zoltán Fenyvesi (Fidesz-KDNP) 10.093 Stimmen (34,38%) und Ferenc Pad (MSZP-DK) 7.712 Stimmen (26,27%). LMP erhielt mit Barbara Sallee 602 Stimmen (2,05%). Die restlichen Bewerber bekamen zusammen nur knapp 600 Stimmen.

Diese Angaben sind aber zunächst nur vorläufig, da die in den Auslandsvertretungen abgegebenen Stimmen mit den noch nicht ausgezählten eines Wahllokals der Stadt Tapolca gemischt werden. Somit soll sichergestellt werden, dass das Wahlgeheimnis gewahrt bleibt. Politische Beobachter gehen aber davon aus, das Fidesz-KDNP nur noch eine theoretische Chance hat und das Mandat für Jobbik sicher ist. Mit dem Endergebnis ist nicht vor Donnerstag zu rechnen.

In Veszprém 3 scheint es sich zu bestätigen, dass linke Parteien mit einem eigenen Kandidaten die bürgerlichen Wähler nicht ansprechen können.

In der Jobbik-Hochburg Tapolca war die Wahlbeteiligung besonders hoch. Sicherlich hat dazu beigetragen, dass Jobbik dort den Bürgermeister stellt. Darüber hinaus konnte sich Jobbik im Wahlkampf gegen eine Entscheidung der Regierung, die Anzahl der Betten im Kreiskrankenhaus abzubauen, gut Stimmung machen.

Die landesweite politische Bedeutung der Nachwahl dokumentierte das Engagement des ungarischen Ministerpräsidenten im Wahlkampf. Während noch vor sechs Wochen eine derartige Präsenz fehlte, besuchte Viktor Orbán die drei wichtigsten Städte der Region (Ajka, Tapolca und Sümeg) einige Tage vor der Wahl. Im Vergleich zu den Wahlen vor einem Jahr verloren Fidesz-KDNP dennoch beinahe die Hälfte ihrer Wähler und die linke Opposition gut ein Dittel. Jobbik konnte ihre Wählerschaft vollständig wieder an die Urnen bringen.

Erste Reaktionen

Der Vorsitzende von Jobbik, Gábor Vona, verkündete noch in der Wahlnacht, dass seine Partei nunmehr die eigentliche Alternative zur Regierung sei. Bisher hätte es lediglich eine Stimmung für den Regierungswechsel gegeben, nunmehr gebe es auch eine Kraft, die diesen Regierungswechsel schaffen könne, nämlich Jobbik. Vona erklärte auch, dass dieser historische Sieg mit dem ersten Direktmandat für Jobbik schon daher bedeutsam sei, da nun zum ersten Mal eine politische Kraft gesiegt hätte, die nicht Teil der „unterschlagenen und verlogenen Wende“ gewesen sei. Vona erklärte, dass die Menschen genug von der arroganten Macht hätten und fasste dies mit den Worten zusammen: „nix Viktor Orbán, nix Fidesz“.

Der unterlegen Fidesz-Kandidat Fenyvesi gratulierte dem Sieger noch in der Wahlnacht und bedankte sich bei seinen Wählern. Auch MSZP bedankte sich nur einsilbig bei ihren Wählern.

Die bürgerliche, regierungskritische Magyar Nemzet publizierte einen Leitartikel mit der Überschrift „Wiederholte Warnung“. Die Regierungsparteien hätten den Erwartungen der ungarischen Gesellschaft nicht entsprechen wollen oder entsprechen können. Selbst die eigene Anhängerschaft hätte sich nach einer Phase der politischen Konsolidierung gesehnt. Es wurden aber stattdessen immer neue konfrontative Gesetze erlassen und Entscheidungen angekündigt (z.B. Internetsteuer, Ladenöffnungsverbot an Sonntagen und Straßenmaut). Im Gegensatz zu den letzten vier Jahren wären für die meisten Ungarn die Gründe dafür aber nur schwer nachvollziehbar.

Der bekannte Politologe Gábor Török hebt hervor, dass selbst die Anwesenheit von Viktor Orbán im Wahlkampf das Ergebnis nicht hätte wenden können. Dies sei die eigentliche Erkenntnis der Wahlergebnisse.

Nachdem bereits vor sechs Wochen die Zweidrittelmehrheit verlorengegangen ist, hat das Ergebnis in Veszprém 3 keine unmittelbaren Auswirkungen auf die parlamentarischen Entscheidungen. Politische Beobachter gehen davon aus, dass die Regierungsparteien nun versuchen werden, das Vertrauen der bürgerlichen Wähler in wichtigen Bereichen (Antikommunismus, Russlandpolitik, Korruption) wieder herzustellen und so vor allem die Nichtwähler zurückzugewinnen. Es ist davon auszugehen, dass Jobbik wohl noch stärker als Protestpartei gegen die „etablierten Parteien“ in Erscheinung treten wird.

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