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Fotomovimiento / Flickr / CC BY-NC-ND 2.0

Länderberichte

Bilder aus Bosnien

von Sven Petke, Dr. La Toya Waha

Warum wird es nicht besser?

Die Bilder aus Bosnien weisen auf die furchtbare Situation von Migranten hin, die mitten im Winter zum Teil nicht in befestigten Lagern oder Unterkünften, sondern in improvisierten Zelten in Wäldern nahe der kroatischen Grenze – einer EU-Außengrenze – leben. Gerade die Auflösung des Zeltlagers Lipa durch die Internationale Organisation für Migration (IOM) aufgrund der fehlenden Standards des Lagers hat Fragen aufgeworfen. Schließlich hat die Europäische Union in den vergangenen drei Jahren über 88 Millionen Euro in die Verbesserung der Situation investiert, auch einzelne EU-Staaten, wie Deutschland, haben die bosnischen Behörden unterstützt und wichtige internationale Hilfsorganisationen, wie die IOM, sind im Land tätig. Trotzdem scheint das Problem nicht gelöst, die Lage der Menschen nicht verbessert. Warum ist das so?

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Wie ist die Lage?

Während Bosnien und Herzegowina (BiH) selbst ein Land ist, aus dem viele Staatsbürger emigrieren, hat sich die Situation in den vergangenen Jahren verändert: Immer mehr Migranten erreichen den kleinen Staat, der direkt an die EU grenzt. Wurden im Jahr 2018 23.902 Menschen registriert, waren es 2019 bereits 29.302.[1] Durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie sank die Zahl der Menschen im Jahr 2020 zwar deutlich. Dennoch geht das UNHCR von 16.150 Migranten für das vergangene Jahr aus.[2] Daneben ist von einer bedeutenden Anzahl von Menschen auszugehen, die nicht in den offiziellen Zahlen enthalten sind.

Bei einem Großteil der Migranten und Flüchtlinge handelt es sich um Staatsangehörige aus Pakistan, Afghanistan, dem Irak und Bangladesch. Vor allem aus dem südasiatischen Pakistan sind viele Migranten gekommen. Ende 2019 stellten Staatsangehörige Pakistans ein Drittel derjenigen, die registriert wurden.[3]

Trotz der signifikanten Anzahl von Migranten gibt es kaum befestigte Lager oder Einrichtungen. Einige von ihnen leben in leerstehenden Gebäuden, Ruinen, im Wald oder auf der Straße. Mit dem Einbruch des Winters hat sich ihre Lage daher deutlich verschärft. In Teilen hat sie sich zu einer ernsthaften Bedrohung für das Leben von hunderten Menschen entwickelt.

Von diesen Entwicklungen war und ist besonderes der Una-Sana-Kanton an der Grenze zum EU-Mitglied Kroatien betroffen. Der Regierungssitz dieses Kantons ist die Stadt Bihać, in deren Nähe auch das Zeltlager Lipa lag. Während die Hauptstadt des Landes, Sarajevo, mehr als 300 Kilometer weit weg liegt, ist die Grenze zu Kroatien weniger als 20 Kilometer entfernt. Und das ist kein Zufall.

Die Hilfen der internationalen Gemeinschaft zur Bewältigung der Situation sind in ihrer Höhe beachtlich. So hat die EU seit 2018 über 88 Millionen Euro aufgewendet.[4] Die Mittel waren für die Instandsetzung von Unterkünften, zur Verpflegung und für medizinische Versorgung vorgesehen. Die IOM soll unter anderem bei der Koordinierung der Hilfen, dem Management und der Schaffung von Voraussetzung zur Unterbringung in Bosnien und Herzegowina helfen.[5] Neben IOM waren auch UNICEF, UNHCR und weitere Partner an der Hilfe für die Migranten beteiligt.[6]

Darüber hinaus hat sich auch Deutschland mit direkter Unterstützung engagiert. Die Bundesrepublik hat im Jahr 2020 für die Instandsetzung der Liegenschaften im Zentrum Blazuj in der Nähe von Sarajevo über das Technische Hilfswerk (THW) über eine Millionen Euro bereitgestellt und plant weitere Mittel, nun für Lipa, aufzuwenden.

Es scheint, als hätte sich trotz der vielen Hilfen nichts verbessert.

 

Wieso hat sich die Lage der Migranten nicht verbessert?

Das Ziel der Menschen, die in Bosnien und Herzegowina ankommen, ist die Europäische Union. Wie in den Jahren zuvor wollen sie vor allem nach Frankreich und Deutschland. Sie wollen nicht in BiH bleiben.

Damit liegt aus Sicht von Bosnien und Herzegowina der Ball bei der EU. Die bosnische Regierung hat trotz langer Verhandlungen das Statusabkommen mit der Europäischen Agentur für Grenz- und Küstenwache (Frontex) nicht abgeschlossen, Grund dafür ist die Weigerung des bosnisch-serbischen Politikers Milorad Dodik.

Dodik, Mitglied der Präsidentschaft von BiH und Vorsitzender der SNSD, sagte im Fernsehsender N1 am 20. August 2020: „Unsere Politik gegenüber Migranten ist bekannt und nichts Neues. Wir versuchen, hauptsächlich durch Berichte von Bürgern herauszufinden, wo sich die Migranten befinden, welche Wege sie nehmen, und wollen nicht, dass sie sich in RS [d.h. Republika Srpska] frei bewegen, Druck auf die Bevölkerung ausüben und sich räuberisch verhalten. Wenn wir sie dann an einem Ort sammeln, organisieren wir den Transport für sie, wohin sie wollen. Sie gehen in den Kanton Una-Sana, einige gehen nach Sarajevo, andere nach Tuzla, wir tun ihnen einen Gefallen. Wir bieten ihnen Transportmöglichkeiten an, damit sie nicht in RS bleiben. Wir haben eine großartige Reaktion der Bevölkerung und werden uns auch weiterhin so verhalten.“[7]

Entscheidend dafür, dass die Situation für viele Migranten, die sich im Land aufhalten, nicht besser geworden ist, ist der fehlende politische Wille, dauerhafte Lösungen zu finden. Dies wiederum hängt eng mit dem weitverbreiteten Verständnis in BiH zusammen, dass die Migranten nicht das Problem von Bosnien und Herzegowinas seien, sondern das Problem der Europäischen Union. Denn die Migranten, die in den Wäldern leben, wollen nicht in BiH bleiben. Sie wollen über die kroatische Grenze in die EU weiterreisen.

Diese Auffassung des Problems führt zu einer geringen politischen Motivation und fehlenden Bereitschaft, die temporären Lager in feste Unterkünfte auszubauen. Die IOM, die für die Unterstützung der lokalen Behörden bei der Organisation des Lagers in Lipa verantwortlich war, gibt an, aufgrund dieser mangelnden Bereitschaft der staatlichen Behörden und der daraus resultierenden Bedingungen für die Menschen das Lager aufgelöst zu haben. Vor allem aus politischen Gründen sei das Lager nie an die Wasser- und Stromversorgung angeschlossen und auch nicht winterfest gemacht worden[8]. Das Feuer, welches das Lager kurz nach der Räumung zerstört hat, verhindere nun auch, dass es je so entwickelt werde.[9]

Die schlechte Situation der Migranten im Winter wird von vielen in BiH auch zynisch als ein saisonales Problem gesehen, das sich im Frühjahr und im Sommer ohnehin wieder „von alleine“ lösen werde. Im Sommer, so nimmt man an, kommen die Menschen auch mit den eher improvisierten Zelten aus, bis ihre Versuche über die kroatische Grenze zu kommen, erfolgreich sind. Im Winter aber häufen sich die Probleme, die derzeit für Schlagzeilen sorgen.

Wegen dieses Verständnisses gibt es in der Bevölkerung ein Mangel an Bereitschaft, permanente Unterkünfte zu akzeptieren. Auch deshalb kam es nach der Auflösung des Camps in Lipa zu Protesten in der lokalen Bevölkerung, die verhinderten, dass eine alte Kaserne in eine feste Unterkunft für Migranten umfunktioniert werden konnte.

Die Bereitschaft, die Menschen von einer Weiterreise in die EU abzuhalten oder sie mittelfristig in BiH zu versorgen, ist also bei den staatlichen Akteuren wie auch der Bevölkerung sehr gering. Damit steht der schwache politische Wille dem hingegen starken Willen der Migranten gegenüber, in die EU weiterzureisen. Kombiniert mit der unzureichenden Ausstattung der Grenzpolizei und der Ausländerbehörden wird so wiederkehrend die Überquerung der Grenzen in die EU möglich.

Die Migranten haben bereits weite Strecken zurückgelegt, wenn sie Bosnien und Herzegowina erreichen, denn viele stammen aus Ländern wie Pakistan oder Bangladesch (s.o.). Sie wollen in die EU und stehen kurz vor der Grenze, die sie von ihrem Ziel trennt. Trotz der schlechten Bedingungen in BiH weigern sich daher viele Migranten, in andere, weiter entfernte, Lager zu ziehen. Und trotz der bekannten schlechten Bedingungen kommen stetig weitere Menschen nach BiH an die kroatische Grenze.

Viele der Migranten, die sich aus Südasien auf den Weg machen, fliehen nicht vor Krieg oder Vertreibung – wobei gerade in Pakistan religiöse (nicht-sunnitische) Minderheiten immer wieder Opfer systematischer Unterdrückung und Gewalt werden und auch in Bangladesch Säkulare zunehmend Opfer von gezielten Mordanschlägen werden. Sie verlassen ihre Heimat und ihre Familien wegen der fehlenden oder zerbrechenden Staatlichkeit und der Perspektivlosigkeit, die sich daraus für sie ergibt. In Pakistan sind die politischen Machstrukturen fest etabliert, wenig verändert sich, vor allem weil das Militär seine zentralen Positionen an den entscheidenden Stellen des Staates auch bei wechselnden zivilen Regierungen beibehält. Bangladesch, das am dichtesten bevölkerte Land der Welt, verlässt zwar den Kreis der „Least Developed Countries“, also der am wenigsten entwickelten Länder.[10] Doch die Hoffnungen der wirtschaftlichen Entwicklungen werden durch die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen getrübt. Gerade die Islamisierung[11] des Staates und der Gesellschaft durch staatliche und nicht-staatliche Akteure stellt viele Menschen vor die Frage, ob sie auch in Zukunft in Bangladesch leben können. Seit Jahren verlassen tausende Menschen das Land mit der Hoffnung auf eine bessere Perspektive. Viele von ihnen hätte es, wie früher, in den demokratischen Nachbarstaat Indien gezogen. Doch auch dort hat die Massenmigration zu politischen Veränderungen geführt – und einer Verschärfung der Einwanderung und Kontrolle der Grenzen

Auch in BiH könnten vieler dieser Menschen nicht bleiben, selbst wenn sie es wollten. Denn auch hier wächst der politische Druck auf die Regierung. Trotz der Verweise auf die Verantwortlichkeit der EU ist sich die bosnische Regierung bewusst, dass sie auch selbst handeln muss. Es gibt daher durchaus Bemühungen, die Migranten zu identifizieren und sie wieder in ihre Heimatländer zurückzuführen. Im November 2020 wurde daher bei einem Staatsbesuch Sefik Džaferovićs (bosniakisches Mitglied des Staatspräsidiums BiH) und einer hochrangigen Delegation nach Pakistan ein gegenseitiges Rückübernahmeabkommen geschlossen. Das Abkommen, das vom pakistanischen Innenminister und dem bosnischen Sicherheitsminister in Islamabad unterzeichnet wurde, beinhaltet die gegenseige Verpflichtung, sich illegal im anderen Staatsgebiet aufhaltende Bürger wieder aufzunehmen. Die pakistanischen Bürger, die sich derzeit illegal in BiH aufhalten, können nun also geregelt nach Pakistan zurückgeführt werden – über die internationalen Flughäfen in Sarajevo und Islamabad.

Bisher geschieht im Bereich der Rückführung illegaler Migranten und der freiwilligen Rückkehrer jedoch wenig. Dazu fehlt es gegenwärtig an Voraussetzungen und Fähigkeiten der Verwaltungen. Dass es jedoch eine solche Vereinbarung gibt, setzt keine weiteren Anreize, sich in Lagern andernorts staatlich registrieren zu lassen.

Die Gründe der furchtbaren Bedingungen der Migranten, wie sie sich derzeit in den Bildern in der Presse zeigen, liegen also in BiH. Sie liegen aber auch weit außerhalb. Sie liegen in den „Push-Faktoren“ der scheiternden Staaten, im fehlenden politischen Willen in BiH, neue Lösungen zu finden, und in den Anreizen der Europäischen Union („Pull-Faktoren“). Dass sich die Situation der Menschen hier nicht verbessert, hängt vor allem mit dem Aufeinandertreffen dieser Kräfte in BiH zusammen: zusammengefasst in der Hoffnung der Migranten, es doch irgendwann an den Posten vorbei über die Grenze zu schaffen.

 


 

[1] Vgl. "Migracioni Profil Bosne i Hercegovine", Ministrstvo sigurnosti, ["Das Migrationsprofil von BiH"], Sicherheitsministerium, für 2018 (https://dijaspora.mhrr.gov.ba/wp-content/uploads/2019/07/010720193.pdf), veröffentlicht im Juni 2019, und für 2019 (https://dijaspora.mhrr.gov.ba/wp-content/uploads/2020/07/Migracijski-profil-Bosne-i-Hercegovine-za-2019.-godinu.pdf), veröffentlicht im Juni 2020. Zuletzt aufgerufen 21.01.2020.

[2] “Bosnia and Herzegovina”, Fact Sheet December 2020, UNHCR, (https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/BiH%20UNHCR%20FACT%20SHEET%20-%20December%202020.pdf). Zuletzt aufgerufen 21.01.2020.

[3] Vgl. "Migracioni Profil Bosne i Hercegovine", Ministrstvo sigurnosti, ["Das Migrationsprofil von BiH"], Sicherheitsministerium, für 2018 (https://dijaspora.mhrr.gov.ba/wp-content/uploads/2019/07/010720193.pdf), veröffentlicht im Juni 2019, und für 2019 (https://dijaspora.mhrr.gov.ba/wp-content/uploads/2020/07/Migracijski-profil-Bosne-i-Hercegovine-za-2019.-godinu.pdf), veröffentlicht im Juni 2020. Zuletzt aufgerufen 21.01.2020.

[4] Eine Tatsache, die auch von Josep Borrell hervorgehoben wurde. “Blog by HR/VP Josep Borrell: Bosnia and Herzegovina: the migration crisis is far from over”, 05.01.2021, Delegation of the European Union to Bosnia and Herzegovina & European Special Representative in Bosnia and Herzegovina (http://europa.ba/?p=71277). Zuletzt aufgerufen 21.01.2020.

[5] Vgl. "Migration Management", IOM (https://bih.iom.int/migration-management). Zuletzt aufgerufen 21.01.2020.

[6] Vgl. “Blog by HR/VP Josep Borrell: Bosnia and Herzegovina: the migration crisis is far from over”, 05.01.2021, Delegation of the European Union to Bosnia and Herzegovina & European Special Representative in Bosnia and Herzegovina (http://europa.ba/?p=71277). Zuletzt aufgerufen 21.01.2020.

[7] Eigene Übersetzung.

[8] “For several reasons, mostly political, it never got connected to the main water or electricity supply, and was never winterized. And now, with this fire, it never will be.” wird der IOM Chief of Mission in Bosnia and Herzegovina auf der Website des IOM zitiert. Vgl. “Thousands of Migrants Forced to Sleep Rough after Closure, Destruction of Bosnia Camp”, 23.12.2020, IOM (https://www.iom.int/news/thousands-migrants-forced-sleep-rough-after-closure-destruction-bosnia-camp). Zuletzt aufgerufen 21.01.2020.

[9] Ibid.

[10] Vgl. “Leaving the LDCs category: Booming Bangladesh prepares to graduate”, 13.03.2018, UN, (https://www.un.org/development/desa/en/news/policy/leaving-the-ldcs-category-booming-bangladesh-prepares-to-graduate.html). Zuletzt aufgerufen 21.01.2020.

[11] Vgl. Lorch, Jasmin 2019: Islamization by Secular Ruling Parties: The Case of Bangladesh, Politics and Religion, 12:2, S. 257-282.

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Sven Petke

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